OGH 9ObA295/90

OGH9ObA295/9021.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günther Schön und Kurt Wuchterl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ingeborg P***, Wien 17., Leitermayergasse 6/1/17, vertreten durch Dr. Hans Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Firma C*** & G*** "A***" P*** & Co, Wien 21.,

Schönthalerstraße 1, vertreten durch Dr. Peter Schmautzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 57.688,20 S brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. August 1990, GZ 34 Ra 35/90-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.April 1989, GZ 10 Cga 1065/88-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.077 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 679,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 27.Mai 1979 bei der beklagten Partei - einer Kaffeekonditorei - als Ladnerin beschäftigt. Bei der beklagten Partei wird, wenn Arbeitnehmer Waren für ihren Gebrauch entnehmen, der Listenpreis in die Kassa eingetippt und davon ein Rabatt von 30 % in Abzug gebracht. Anschließend wird der Bon abgerissen, mit dem Namen des Arbeitnehmers versehen und mit einem Klebstreifen an die Kassa geklebt. Abends wird dann bei Abrechnung des Trinkgelds die Summe der Privatenthnahmen abgezogen. Am 26.Juli 1988 nahm die Klägerin vormittags sechs Golatschen an sich, wickelte sie in Geschäftspapier und brachte sie in die Garderobe, wobei sie die Geschäftsräumlichkeiten verlassen und einen Hof überqueren mußte. Dort legte sie die Golatschen in einen mitgebrachten geflochtenen Korb und legte Wäsche sowie einen Rock darüber. Gegen

11.15 Uhr erschien die Filialleiterin, um die Klägerin, die bis 13.30 Uhr Dienst hatte, zu unterstützen und sie sodann abzulösen. Die Filialleiterin entdeckte die im Einkaufskorb verwahrten Golatschen, fand aber an der Kassa keinen Bon vor, aus welchem die Privatentnahme der Klägerin ersichtlich gewesen wäre. Die Filialleiterin hielt der Klägerin den Diebstahl vor und wies sie darauf hin, daß der Mißbrauch ihrer Vertrauensstellung Konsequenzen haben werde. Nach Rücksprache mit der Filialinspektorin - die geschäftsführenden Gesellschafter der beklagten Partei waren nicht erreichbar - ersuchte die Filialleiterin die Klägerin, am Abend zu einer Aussprache ins Geschäft zu kommen. Die Klägerin kam gegen 21.00 Uhr und warf die Geschäftsschlüssel hin. Die Filialleiterin wies die Klägerin nochmals auf das mißbrauchte Vertrauen hin und erklärte ihr, es wäre am besten, das Dienstverhältnis aufzulösen. Die Klägerin trat diesem Ansinnen bei. Als die Filialleiterin der Klägerin vorhielt, daß die beklagte Partei eine Diebstahlsanzeige machen könne, begann die Klägerin zu weinen und erklärte, sie habe eine Stellung bei der Gemeinde Wien in Aussicht, man möge ihr diese Möglichkeit nicht durch eine Diebstahlsanzeige verbauen. Die Klägerin machte den Vorschlag, sie brauche nichts mehr, sie verzichte auf alles. Um sich abzusichern, verfaßte die Filialleiterin folgendes Schreiben: "Ich, Ingeborg P***, geboren am 16.6.1959, bin mit dem heutigen Tag 26.7.1988 fristlos entlassen. Ich nehme es zur Kenntnis und stelle weiters keine Ansprüche noch Forderungen bei der Firma A***." Die Klägerin unterschrieb diese Erklärung. Die Filialleiterin wies die Klägerin auch noch ausdrücklich darauf hin, daß sie entlassen sei.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 57.688,20 S brutto sA an entlassungsabhängigen Ansprüchen und brachte vor, die Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen. Sie sei durch Drohung mit einer Diebstahlsanzeige genötigt worden, die erwähnte Erklärung zu unterfertigen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei zu Recht entlassen worden, weil sie Ware in der Absicht an sich genommen habe, sie unbezahlt aus dem Geschäft zu bringen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Entlassung zu Recht erfolgt sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es vertrat die Rechtsauffassung, die Entlassung der Klägerin sei nach § 82 GewO zu beurteilen, weil sie als Ladnerin nicht Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes gewesen sei. Die Klägerin habe den Entlassungstatbestand nach § 82 lit d GewO verwirklicht. Sie habe sich zumindest einer Entwendung nach § 141 StGB schuldig gemacht. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 42 StGB lägen nicht vor. Die strafbare Handlung sei geeignet, Vertrauensunwürdigkeit der Klägerin zu begründen, weil gerade in Filialbetrieben wie jenen der beklagten Partei die Überwachung der Arbeitnehmer besonders schwierig sei und zur Ermöglichung einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen der Filialleiterin und den ihr unterstellten Arbeitnehmern ein ungetrübtes Vertrauensverhältnis bestehen müsse. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen "unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung" sowie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Soweit die Revisionswerberin unrichtige Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung als Revisionsgrund geltend macht, ist sie darauf hinzuweisen, daß mangels abweichender Regelung im ASGG die Revision auch in Arbeitsrechtssachen nur aus einem der im § 503 ZPO aufgezählten Revisionsgründe begehrt werden kann, sohin nicht aus den beiden vorgenannten Gründen.

Der im Rahmen des Revisionsgrundes der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemachte Feststellungsmangel liegt, wie zur Rechtsrüge auszuführen sein wird, nicht vor. Mit den Ausführungen, die Golatschen seien angebrannt gewesen und hätten daher nahezu keinen Wert gehabt, wendet sich der Revisionswerber neuerlich in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die der diesbezüglichen Aussage der Klägerin nicht gefolgt sind. Zu Unrecht wendet sich die Revisionswerberin auch gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes.

Nach den auf Grund der Aussage der Klägerin als Partei getroffenen, für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen war die Klägerin bei der beklagten Partei - einer Kaffeekonditorei - als Ladnerin beschäftigt. Daß sie kaufmännische Dienste, wie Preiskalkulation oder Führung der Kassa zu leisten hatte, wurde von der im Verfahren erster Instanz qualifiziert vertretenen Klägerin weder vorgebracht noch hat das Beweisverfahren Hinweise in dieser Richtung ergeben. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Klägerin daher nicht als Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes qualifiziert (siehe Arb 10.780), sondern ihr Verhalten nach § 82 lit d GewO beurteilt.

Auch wenn es sich um Sachen geringen Wertes (hier: 45 S) handelte, war die Zueignung durch die Klägerin nicht eine bloße Entwendung im Sinne des § 141 StGB, weil es an den subjektiven Voraussetzungen - Not, Unbesonnenheit oder Befriedigung eines Gelüstes - fehlte. Das planmäßige, nicht auf die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedürfnisses gerichtete Vorgehen der Klägerin war weder als unbesonnen zu werten (siehe EvBl 1980/7) noch diente es der Befriedigung eines Gelüstes (siehe Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB2 § 141 Rz 15). Die Tat war vielmehr als Diebstahl im Sinne des § 127 Abs 2 Z 3 StGB zu qualifizieren.

Hingegen ist die Frage, ob der von der Klägerin begangene Diebstahl gemäß § 42 StGB strafwürdig ist oder nicht, für den Tatbestand nach § 82 lit d GewO ohne Bedeutung. Dieser Entlassungstatbestand erhielt die heutige Fassung mit der Novelle RGBl 22/1885; im ursprünglichen Text der Gewerbeordnung RGBl 227/1859 war der Entlassungstatbestand (im § 78 Z 1 lit b) wie folgt gefaßt: "....eine Handlung verübt, durch welche das in ihn zu setzende Vertrauen gegründeterweise verwirkt wird." Vergleicht man die beiden Regelungen, dann läßt sich daraus bei Anwendung von auf die gegenwärtige Rechtsordnung bezogenen objektiv-teleologischen Kriterien (siehe Bydlinski in Rummel, ABGB, § 6 Rz 26) nur auf die Absicht des Gesetzgebers schließen, den mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Entlassungstatbestand (nach der früheren Regelung) durch einen an den Tatbeständen des Strafrechtes orientierten und damit weitgehend bestimmten Entlassungstatbestand zu ersetzen. Diese gesetzliche Determinierung führte vor allem zu einer verstärkten Rechtssicherheit (vgl Bydlinski aaO 20), die bei Entlassungstatbeständen besonders bedeutsam ist, weil der Arbeitgeber nach Kenntnis aller wesentlichen Details des Verhaltens des Arbeitnehmers die Entlassung unverzüglich auszusprechen hat. Die mit dem StGB vom 23.Jänner 1974 eingeführte Bestimmung des § 42 StGB, mit der ein besonderer Strafausschließungsgrund geschaffen wurde (359 BlgNR XVII.GP, 9), machte die Strafbarkeit einer mit Strafe bedrohten Tat von weiteren, mit Hilfe unbestimmter Gesetzesbegriffe umschriebenen Voraussetzungen abhängig. Damit wurde - sofern man auf die Strafbarkeit abstellt - nicht nur die für Entlassungsgründe wünschenswerte Rechtsklarheit beeinträchtigt, sondern wurden etwa mit der Bedachtnahme auf Erfordernisse der General- und insbesondere der Spezialprävention auch mit der Tat nicht unmittelbar zusammenhängende und dem Arbeitgeber im allgemeinen nicht zugängliche Umstände, wie etwa Vorstrafen des Täters, in die Beurteilung einbezogen. Der Arbeitgeber ist daher schon aus diesem Grund - selbst wenn man ihm Kenntnisse des Strafrechts unterstellen kann - grundsätzlich nicht in der Lage, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 StGB in dem maßgeblichen Entlassungszeitpunkt zu beurteilen. Stellt man auf den Zweck der Regelung des § 82 lit d GewO ab, den bisher mit einem unbestimmten Gesetzesbegriff umschriebenen Entlassungstatbestand klarer zu fassen, dann widerspricht bereits eine Bedachtnahme auf § 42 StGB in der Fassung des Stammgesetzes dem Regelungszweck und liegt eine objektiv-teleologische Auslegung des Begriffes "strafbar" im Sinne von "mit Strafe bedroht" nahe, zumal der Gesetzgeber im § 82 lit d GewO mit dem zusätzlichen Erfordernis der Vertrauensunwürdigkeit einen § 42 StGB vergleichbaren, aber den Erfordernissen des Arbeitsrechtes adäquaten Ermessensspielraum einräumt. Auf den vorliegenden Fall ist allerdings § 42 StGB in der Fassung des am 1.1.1988 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetzes BGBl 605/1987 anzuwenden. Seither ist bei Beurteilung der Strafwürdigkeit - wenn die Tat nicht nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat - auch darauf Bedacht zu nehmen, ob, sofern sich der Täter zumindest ernstlich darum bemüht hat, die Folgen der Tat im wesentlichen beseitigt, gutgemacht oder sonst ausgeglichen worden sind. Damit ist für die Strafbarkeit nicht die Schadenssituation unmittelbar nach der Tat, sondern das Folgenbild im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung maßgeblich, sodaß der Tatfolgenausgleich bis zum Schluß der Hauptverhandlung erfolgen und Strafbefreiung nach sich ziehen kann (siehe Schroll, Aktives Reueverhalten - Möglichkeit einer Prozeßbeendigung im Vorverfahren, ÖJZ 1989, 1 ff [7]; Eder-Rieder, Schadensgutmachung im Strafrecht und Nebenstrafrecht, JBl 1990, 341 ff [344]). Zieht man in Betracht, daß die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, dann erscheint eine Bedachtnahme auf lange nach der Tat und nach jenem Zeitpunkt liegende Umstände, wie eine Schadensgutmachung erst während des gerichtlichen Strafverfahrens, ausgeschlossen und ist eine Auslegung des § 82 lit d GewO im Zusammenhang mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 StGB dahin geboten, daß nicht darauf abzustellen ist, ob die Tat strafbar ist, sondern darauf, ob sie ohne Rücksicht auf § 42 StGB mit Strafe bedroht ist. Eine allenfalls geringe Schuld des Täters oder unbedeutende Folgen der Tat können ohnehin im Rahmen des weiteren Tatbestandsmerkmals der Vertrauensunwürdigkeit Berücksichtigung finden.

Geht man davon aus, daß nach dem Gesetz im Falle eines Diebstahls die dadurch hervorgerufene Vertrauensunwürdigkeit subintellegiert wird (siehe Kuderna, Das Entlassungsrecht 60), müssen besondere Umstände vorliegen, die dem Arbeitgeber ausnahmsweise die Weiterbeschäftigung nicht unzumutbar machen. Da der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat der Klägerin nicht wesentlich hinter dem für derartige Delikte typischen Ausmaß zurückbleibt, führt auch der Umstand, daß es sich um relativ geringwertige Waren handelte, nicht dazu, Vertrauensunwürdigkeit der Klägerin nicht anzunehmen und der beklagten Partei die Weiterbeschäftigung der Klägerin zuzumuten (siehe RdW 1987, 134; Kuderna aaO 61). Abschließend sei erwähnt, daß der Umstand, ob die Klägerin als Arbeiterin oder als Angestellte zu qualifizieren ist, für das Ergebnis ohne Bedeutung ist, weil auch im letztgenannten Fall das Verhalten der Klägerin die Entlassung (nach § 27 Z 1 erster Tatbestand AngG) rechtfertigen würde. Die im Rahmen der Verfahrensrüge vermißten weiteren Feststellungen zur Beurteilung, ob die Klägerin als Angestellte zu qualifizieren ist, sind daher entbehrlich.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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