OGH 2Ob74/90

OGH2Ob74/9021.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Norbert P***, Tischlergeselle, Friedrich Knauer-Gasse 6-8/1/1, 1110 Wien, vertreten durch Dr. Johannes Nino Haerdtl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Margarethe B***, Verkäuferin, Riegelgasse 91, 1210 Wien, und 2.) E*** A***

Versicherungs-AG, Landskrongasse 1-3, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Leopold Hammer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 66.000,-- infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. März 1990, GZ 15 R 34/90-51, womit infolge Berufung der beklagten Parteien, das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. November 1989, GZ 10 Cg 720/89-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch von Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Am 30. März 1969 ereignete sich im 22. Wiener Gemeindebezirk auf der Kreuzung Heustadelgasse-Lobaugasse-Mühlwasser ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde (Gehirnerschütterung, Rißquetschwunde an der Zunge, Prellung des Thorax sowie eine Milzruptur mit Milzentfernung). Die beklagten Parteien haften zur ungeteilten Hand für alle zukünftigen Schäden des Klägers aus diesem Unfall (Teilanerkenntnisurteil des Erstgerichtes, 25 Cg 169/70). Nachdem hinsichtlich des in diesem Verfahren auch geltend gemachten Leistungsbegehrens (S 32.000,-- für Schmerzengeld und S 258,-- für Sachschäden) Ruhen des Verfahrens eingetreten war, kam es zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten zu einem außergerichtlichen Vergleich, wonach durch die Zahlung von S 30.000,-- für Schmerzengeld und S 258,-- für Sachschäden alle Ansprüche des Klägers aus dem genannten Verkehrsunfall, soweit diese im Verfahren 25 Cg 169/70 des Erstgerichtes geltend gemacht wurden, abgegolten sein sollten, das Schmerzengeld jedoch nur bis zum 12. Februar 1971; auch das Feststellungsteilanerkenntnisurteil bezüglich der Zukunft sollte von dem Vergleich nicht berührt sein. Im Jahr 1976 wurden beim Kläger ein walnußgroßer Narbenbruch und ein weiterer kleiner Bruch operiert sowie eine Fastiendoppelung (unfallsbedingte Spätfolgen) durchgeführt. In der Folge kam es nach Einholung eines außergerichtlichen Gutachtens des Sachverständigen MedRat Dr. Hans H*** vom 25. Juli 1977 zu einer weiteren Schmerzengeldzahlung von S 25.000,--. Mit diesem Betrag sollten alle nach dem 12. Februar 1971 bis 25. Juli 1977 aus dem Titel des Schmerzengeldes aufgelaufenen Ansprüche sowie auch etwaige sonstige Ansprüche bis zu diesem Zeitpunkt abgefunden sein, wobei das Feststellungsteilanerkenntnisurteil bezüglich der Zukunft ebenfalls unberührt bleiben sollte. Insbesondere entsprach es dem Willen der Parteien, daß der Kläger sich vorbehalten wollte, allfällige nach dem 25. Juli 1977 entstehende Ansprüche, insbesondere Schmerzengeldansprüche, geltend zu machen. Der am 21. Februar 1941 geborene, 1,89 m große Kläger nahm nach dem Narbenbruch erheblich an Gewicht zu (von 90 kg im Jahre 1983 bis 109 kg im November 1988). Der Kläger wäre in der Lage gewesen, durch eine sinnvolle Diät die Gewichtszunahme zu vermeiden. Aus chirurgischer Sicht erduldete der Kläger seit 25. Juli 1977 bis einschließlich 28. Juni 1989 gerafft insgesamt 120 Tage leichte Schmerzen. Nach der beim Kläger vorgenommenen Bauchoperation ist wegen der Länge und Lage der Narbe Vorsicht geboten, insbesondere beim Heben schwerer Sachen, dies umso mehr, da es beim Kläger zu einer beträchtlichen Gewichtszunahme gekommen ist und durch diese das Risiko eines neuen Narbenbruches erhöht wird.

Mit der am 29. August 1985 erhobenen Klage begehrte Norbert P*** von den Beklagten (nach Einschränkung und Präzisierung des Klagebegehrens) den Zuspruch eines weiteren Schmerzengeldes von S 70.000,-- für die in der Zeit vom 14. September 1977 bis 28. Juni 1989 wegen des Verkehrsunfalles erlittenen Schmerzen. Anläßlich der außergerichtlichen Vergleiche sei eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes vereinbart worden.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe seine Schadensminderungspflicht dadurch verletzt, daß er eine Gewichtszunahme von 30 kg nicht verhindert habe. Im übrigen bestritten sie die Behauptung des Klägers, wonach eine zeitliche Begrenzung des letzten Schmerzengeldes vereinbart gewesen wäre. Das Erstgericht sprach dem Kläger im zweiten

Rechtsgang - nachdem im ersten Rechtsgang die Abweisung eines Teilbetrages von S 4.000,-- sA in Rechtskraft erwachsen war - für die begehrte Zeit ein Schmerzengeld von S 66.000,-- sA zu. Da in den außergerichtlichen Vergleichen aus dem Jahr 1971 und 1977 nach dem Parteiwillen durch die Zahlung von S 30.000,-- und S 25.000,-- ausschließlich die Schmerzengeldansprüche des Klägers für die genannten Zeiten unter Aufrechterhaltung der künftigen Schmerzengeldansprüche und des Feststellungsteilanerkenntnisurteiles abgefunden sein sollten, seien dem Kläger nicht nur die atypischen, sondern die gesamten vom 26. Juli 1977 bis 28. Juni 1989 entstandenen Schmerzen abzugelten gewesen, wobei es den begehrten Betrag für angemessen erachtete. Angesichts der Tatsache, daß nach wie vor das Risiko eines neuen Narbenbruches bestehe, könne der Schmerzengeldanspruch des Klägers nicht abschließend beurteilt werden; es sei ihm daher Schmerzengeld lediglich für die klagsgegenständliche Periode zuzusprechen gewesen. In dem Umstand, daß der Kläger erheblich an Gewicht zugenommen habe, erblickte das Erstgericht keine Verletzung der Schadensminderungspflicht. Der Kläger lege zwar insofern ungesunde Verhaltensweisen an den Tag, als er zu viel und zu fett esse und rauche, doch handle es sich hiebei offensichtlich um eine gewachsene Verhaltenstendenz des Klägers, die bereits vor dem Unfall bestanden und sich nachher nicht geändert habe. Allerdings möge der Umstand, daß der Kläger aufgrund des Unfalls genötigt gewesen sei, eine weniger schwere Arbeit anzunehmen (bei der er vor allem Heben habe vermeiden müssen), ein Anlaß für eine gewisse Gewichtszunahme gewesen sein, ebenso der Umstand, daß er, nach dem Narbenbruch, aufgrund der nicht unberechtigten Angst eines Rückfalls, auch seine sportlichen Tätigkeiten insbesonders das Radfahren eingestellt habe. Sowohl bei der Annahme einer leichteren Tätigkeit, als auch bei der Verhinderung seiner sportlichen Aktivitäten handle es sich aber um unmittelbare und unfallscausale Unfallsfolgen. Dazu komme, daß der Kläger seit dem um 20 Jahre älter geworden sei, was, nach dem natürlichen Lauf der Dinge, im erheblichen Teil der Bevölkerung mit Gewichtszunahme verbunden sei. Insbesonders dürfe die aus § 1304 ABGB abgeleitete Schadensminderungspflicht gegenüber dem Kläger nicht überspannt werden. Es sei zwar ein Geschädigter grundsätzlich verpflichtet, ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen (was der Kläger auch laufend getan habe), er sei aber nicht verpflichtet, seinen gesamten Lebensstil zu ändern, oder z.B. auch besondere Opfer auf sich zu nehmen, um einer Schadensausweitung entgegenzuwirken. Es könne daher vom Kläger nicht verlangt werden, jahrzehntelang Diät zu leben, nur um etwaige Schmerzengeldansprüche gegenüber den beklagten Parteien zu vermindern bzw. auszuschließen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes, wonach der Kläger eine Abgeltung für sämtliche Schmerzen - und nicht nur für die bei der letzten (vertraglichen) Teilbemessung nicht vorhersehbaren - Schmerzen ab dem 14. September 1977 begehren konnte, weil es den Parteien nach der Rechtsprechung jedenfalls unbenommen bleibe, eine Teilabfindung von Schmerzengeldansprüchen für einen bestimmten Zeitraum zu vereinbaren und die Geltendmachung weiterer Schmerzengeldansprüche für einen späteren, von der Abfindung ausgenommenen Zeitraum dadurch nicht ausgeschlossen werde (ZVR 1979/308). Das Berufungsgericht billigte weiters auch die Vorgangsweise des Erstgerichtes bei der Vornahme einer neuerlichen zeitlichen Begrenzung des Schmerzengeldes mit 28. Juni 1989. Im vorliegenden Fall könne jede außergewöhnliche Kraftanstrengung einen neuerlichen Narbenbruch auslösen, der wegen der relativ hohen Wahrscheinlichkeit seines Eintritts nicht als atypische, nicht zu erwartende Unfallsfolgen gewertet werden könne; anderseits komme aber die Einbeziehung einer solchen Unfallsfolge in die jetzt zu bemessenden Schmerzen nicht in Betracht. Das Schmerzengeld selbst erachtete das Berufungsgericht als nicht überhöht.

Bei Beurteilung der Frage, ob die Nichteinhaltung einer Diät als Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Geschädigten zu werten sei, ging das Berufungsgericht davon aus, daß diese Frage nicht ohne Berücksichtigung der näheren Umstände zu beantworten sei, hiefür somit grundsätzlich (im Einklang mit der deutschen Literatur) die Verletzung konkreter ärztlicher Anordnungen durch den Verletzten erforderlich erscheine. Da es schon an diesem grundlegenden Erfordernis fehle, sei der rechnungsmäßig zugesprochene Schmerzengeldbetrag nicht wegen Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit zu kürzen gewesen. Der Oberste Gerichtshof habe sich bisher mit der Frage der Verletzung der Schadensminderungspflicht durch Nichteinhaltung einer Diät noch nicht auseinandergesetzt; die Revision sei daher für zulässig zu erklären gewesen.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist unzulässig.

Gemäß § 508 a Abs 1 ZPO ist das Revisionsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes stellt es einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, die - objektiv beurteilt - von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten, bzw wenn er Handlungen gesetzt hat, die geeignet waren, den Schaden zu vergrößern und von einem verständigen Durchschnittsmenschen nicht gesetzt worden wären, und dies der Geschädigte bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen und dieser Einsicht nach hätte handeln können (ZVR 1979/304; ZVR 1980/153 ua). Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs; es kommt dabei immer auf die Umstände des Einzelfalles an (EvBl 1972/318; ZVR 1975/61; MGA ABGB33 § 1304 ABGB E 48; ZVR 1988/55). Von diesen Leitsätzen gingen die Vorinstanzen bei Beurteilung der Frage des Vorliegens bzw der Verneinung des von den Beklagten geltend gemachten Verstoßes des Klägers gegen die Schadensminderungspflicht auch aus. Unzweifelhafte Antworten auf Fragen, die nur spezielle Einzelfälle aus einem Komplex von Möglichkeiten betreffen, die durch die generellen Rechtssätze beantwortet sind, schließen die Erheblichkeit der Rechtsfrage iS des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig aus, wenn nicht Umstände dargetan werden, welche die Richtigkeit der generellen Aussage im speziellen Einzelfall in Frage stellen (5 Ob 1528/85, 8 Ob 555, 556/89, 5 Ob 595/90 ua). Da nicht erkennbar ist und auch von den Revisionswerbern nicht dargetan wird, inwiefern im vorliegenden Fall die Anwendung der allgemein entwickelten Grundsätze der Sachlage nicht gerecht werden sollte, und die hier vorgenommene Beurteilung an Bedeutung über den Einzelfall hinausgehen sollte, bildet das Fehlen einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu der hier relevierten Frage keinen Grund für die Zulassung der Revision. Mit den Ausführungen der Revision, mit welchen sie den Zuspruch von Schmerzengeld bekämpfen, zeigen die Beklagten auch keine erhebliche Rechtsfrage iS des § 502 Abs 1 ZPO auf, weil sich die Vorinstanzen diesbezüglich ohnedies im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gehalten haben.

Die Revision erweist sich damit als unzulässig, weshalb sie zurückgewiesen werden mußte.

Da der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, steht ihm kein Anspruch auf Kostenersatz zu.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte