OGH 4Ob557/90

OGH4Ob557/9020.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Alexandra S***, geb. am 8. August 1973, Rudolf S***, geb. am 6. Mai 1985, und Michael S***, geb. am 6. Mai 1985, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Eltern Rudolf S*** und Ernestine S***, beide Langenlois, Walterstraße 16, beide vertreten durch Dr. Otto Köhler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 27. Juli 1990, GZ 1 R 101/90-32, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Langenlois vom 6. April 1990, GZ P 18/88-21, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, welche, soweit sie die Zurückweisung des Antrages der Finanzprokuratur betreffen, als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleiben, werden im übrigen (Punkte 2, 3 und 4 des erstgerichtlichen Beschlusses) ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Die väterliche Großmutter der Minderjährigen, Frieda S***, schenkte mit Notariatsakt vom 25. April 1988 ihren drei Enkelkindern mehrere Liegenschaften und Liegenschaftsanteile, an denen sie am selben Tage der Mutter dieser Kinder ein - nicht zu verdinglichendes - "Bewirtschaftungsrecht" (Fruchtnießungsrecht) eingeräumt hatte. Gleichzeitig verpflichteten sich die Geschenknehmer, die Liegenschaften ohne Zustimmung ihrer Eltern weder zu veräußern noch zu belasten; die dem Vertrag beitretenden Eltern nahmen dieses ihnen eingeräumte Recht ausdrücklich an. Nach der Bestellung eines Kollisionskurators für die Minderjährigen (Beschluß vom 29. September 1988, ON 5) genehmigte dieser mit Nachtragsvereinbarung vom 22. November 1988 den Vertrag (ON 6); mit Beschluß vom 7. Dezember 1988 wurde der Vertrag auch pflegschaftsgerichtlich genehmigt (ON 7).

Mit der Behauptung, daß Frieda S*** dem Finanzamt Krems auf Grund eines vollstreckbaren Rückstandsausweises Abgaben von S 3,143.312,-- schulde und die angeführten Rechtshandlungen in der den Vertragspartnern bekannten Absicht vorgenommen worden seien, der Finanzbehörde den Zugriff auf die Liegenschaften und Liegenschaftsanteile der Abgabenschuldnerin zu entziehen, ficht die Republik Österreich diese Rechtshandlungen mit der am 21. September 1989 zu 14 Cg 332/89 des Kreisgerichtes Krems an der Donau gegen die Minderjährigen und ihre Eltern erhobenen Klage gemäß §§ 2 und 3 AnfO an und beantragt die Verurteilung sämtlicher Beklagter, jegliche Exekution auf die im einzelnen aufgezählten Liegenschaften und Liegenschaftsanteile zur Hereinbringung der vollstreckbaren Abgabenforderung zu dulden.

Am 16. März 1990 beantragte die Republik Österreich beim Erstgericht, für die Minderjährigen einen Kollisionskurator zu bestellen, um deren Prozeßführung zu genehmigen und sie zu vertreten. Mit Beschluß vom 6. April 1990 wies das Erstgericht diesen Antrag zurück (Punkt 1.), bestellte von Amts wegen für die Minderjährigen den Rechtsanwalt Dr. Hannes H*** zum Kollisionskurator (Punkt 2.), bestimmte seinen Aufgabenbereich im einzelnen (Punkt 3.) und trug ihm auf, binnen acht Wochen dem Prozeßgericht zu erklären, ob er die bisherige Prozeßführung genehmige (Punkt 4.). Der Republik Österreich komme kein Antragsrecht zu; wohl aber bestehe Anlaß, von Amts wegen einen Kollisionskurator zu bestellen, weil im Hinblick auf das Prozeßvorbringen der Republik Österreich und den mittlerweile in einem Provisorialverfahren bescheinigten Sachverhalt - wonach die Eltern im Zeitpunkt des Schenkungsvertrages gewußt hätten, daß dadurch der gesamte Liegenschaftsbesitz der Frieda S*** als Abgabenschuldnerin dem Zugriff des Finanzamtes entzogen werde - eine Kollision zwischen den Interessen der Eltern und denen der Kinder nicht auszuschließen sei.

Das Gericht zweiter Instanz wies den Rekurs der Eltern, soweit er die Punkte 1 und 4 dieses Beschlusses betraf, als unzulässig zurück; im übrigen bestätigte es den Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Da die Republik Österreich in dem Prozeß mehrere Rechtshandlungen anfechte, sei nicht auszuschließen, daß der Prozeß für die einzelnen Beklagten unterschiedlich ausgehe. So könnte der Fall eintreten, daß der eine oder andere Vertrag zu Recht angefochten werde oder daß nur die Einräumung des Fruchtgenußrechtes erfolgreich angefochten werde. Daraus ergebe sich, da die Interessen der Eltern und der Kinder verschieden sein könnten. Ein Kollisionskurator sei immer zu bestellen, wenn der gesetzliche Vertreter an dem Ergebnis eines Rechtsstreites, wenn auch nur mittelbar, beteiligt ist, so daß seine Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen könne. Da somit eine Kollision im materiellen Sinn vorläge, seien die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kollisionskurators gegeben. Soweit sich der Rekurs der Eltern gegen Punkt 1 richtet, fehle den Rekurswerbern die Beschwer. Da die Punkte 2 und 3 bestätigt worden seien, wäre nur der Kollisionskurator legitimiert, Punkt 4 anzufechten. Gegen den bestätigenden Teil dieses Beschlusses wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Eltern mit dem Antrag, die Kuratorbestellung ersatzlos aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Frage, unter welchen Voraussetzungen für Minderjährige, die gemeinsam mit ihrem gesetzlichen Vertreter geklagt werden, ein Kollisionskurator zu bestellen ist, - soweit überblickbar - eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; er ist auch berechtigt. Nach § 271 ABGB muß das Gericht in Geschäften, die "zwischen Eltern und einem minderjährigen Kind angegangen" werden, für den Minderjährigen einen besonderen Kurator ernennen. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre ist der Begriff "Geschäfte" hier weit auszulegen; er umfaßt über seinen eigentlichen Anwendungsbereich - also Geschäfte, deren Partner der gesetzliche Vertreter und der Pflegebefohlene sind, - hinaus auch andere Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen sowie insbesondere das Führen eines Rechtsstreites (JBl 1957, 358; RZ 1966, 163; SZ 53/136 ua; Schellander, Die Kollisionskuratel aus Anlaß eines behördlichen Verfahrens, JBl 1957, 343 ff [343]; Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht 33 f; Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 3 zu §§ 271, 272). Ein Kurator nach § 271 ABGB ist

allerdings - wenngleich das im Gesetz nicht ausdrücklich gesagt wird - nur im Fall einer Kollision, also eines Widerstreites zwischen den Interessen des Pflegebefohlenen und seines gesetzlichen Vertreters, zu bestellen (Wentzel-Piegler in Klang2 II/2, 500; Pichler aaO Rz 2; Knell aaO 34 f). Ist kein Interessengegensatz zu befürchten, dann ist kein Kollisionskurator zu bestellen (JBl 1957, 358; RZ 1966, 163; EvBl 1966/152; SZ 53/136; SZ 55/24 ua). Ehrenzweig, System2 II/2, 341, nimmt einen Interwiderstreit immer dann an, wenn der gesetzliche Vertreter an dem Geschäft oder dem Ergebnis des Rechtsstreites auch nur mittelbar beteiligt ist oder in so nahen Beziehungen zu einer beteiligten Person steht, daß seine Unbefangenheit zweifelhaft sein kann. Die Rechtsprechung fordert das Vorliegen eines objektiven Tatbestandes, bei dem die Interessen auch eines pflichtbewußten gesetzlichen Vertreters den Interessen des von ihm Vertretenen zuwiderlaufen können (EFSlg. 31.427 mwN; SZ 53/136). Die Notwendigkeit, einen Kollisionskurator zu bestellen, wurde demnach nicht nur für den Fall bejaht, daß der gesetzliche Vertreter zugleich Prozeßgegner des Minderjährigen ist, sondern auch dann, wenn zwischen dem Minderjährigen und seinem gesetzlichen Vertreter eine Interessenkollision in bezug auf den Rechtsstreit möglich ist (EFSlg. 31.427).

Den Rechtsmittelwerbern ist darin zuzustimmen, daß hier nach der Aktenlage die Gefahr eines Interessenwiderspruches zwischen ihnen und ihren Kindern nicht zu sehen ist. Im Prozeß 14 Cg 332/89 des Kreisgerichtes Krems an der Donau ist es das Anliegen aller fünf Beklagten - also der drei Minderjährigen und ihrer Eltern - , die Abweisung des Klagebegehrens zu erwirken. Ist der Anfechtung des Schenkungsvertrages kein Erfolg beschieden, dann kann die Klage nur zur Gänze abgewiesen werden, kommt doch dann eine Exekution auf die Liegenschaft - wie auch immer der Vertrag über die Einräumung des Belastungs- und Veräußerungsverbotes und das "Fruchtnießungsrecht" zu beurteilen wäre - nicht in Frage, weil ja die Klägerin keinen Exekutionstitel gegen die Minderjährigen - die Liegenschaftseigentümer - hat. Wird aber der Schenkungsvertrag zwischen Frieda S*** und ihren Enkeln erfolgreich angefochten, dann können sich die Eltern der Minderjährigen gegenüber der Klägerin nicht auf Rechte berufen, die ihnen die Minderjährigen als Liegenschaftseigentümer eingeräumt haben. Auch das bloß obligatorische Bewirtschaftungsrecht der Mutter Ernestine S*** - der Fünftbeklagten - ist kein Recht, das eine Exekution unzulässig machen (§ 37 EO) könnte; selbst wenn es sich als anfechtungsfest erweisen sollte, würde es doch nicht, wie ein dingliches Fruchtgenußrecht zu einer teilweisen - nämlich die Zwangsverwaltung ermöglichenden (Heller-Berger-Stix 456) - Klagestattgebung führen. Da sohin keine Gefahr eines Interessengegensatzes infolge unterschiedlichen Prozeßergebnisses oder auch nur einer Befangenheit der Eltern (vgl. LGZ Wien in EFSlg. 51.373) zu erkennen ist, sind die Eltern berechtigt, ihre Kinder im Prozeß zu vertreten; es bedarf daher derzeit keiner Bestellung eines Kollisionskurators. Dem Revisionsrekurs war daher dahin Folge zu geben, daß die Beschlüsse der Vorinstanzen, soweit sie die Bestellung eines Kollisionskurators und nähere Anordnungen dazu betreffen, ersatzlos aufgehoben werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte