OGH 8Ob661/90

OGH8Ob661/9030.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei

L*** S***, 5010 Salzburg, Residenzplatz 7,

vertreten durch Dr. Lukas Wolf, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Dr. Karl Friedrich S***, Rechtsanwalt, 5020 Salzburg, Petersbrunnstraße 1 a, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 7. März 1990, GZ 21 R 404/89-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 29. September 1989, GZ 11 C 2277/87z-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei bei sonstiger Exekution schuldig, die im Dachgeschoß des Hauses Petersbrunnstraße 1 a gelegenen, dem Stiegenabsatz gegenüberliegenden Räumlichkeiten im Ausmaß von je ca. 13 m2, wie sie in der beiliegenden, einen integrierenden Bestandteil dieses Urteiles bildenden Planurkunde in roter Farbe dargestellt sind, von allen ihren Fahrnissen zu räumen und der klagenden Partei binnen 14 Tagen geräumt zu übergeben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 32.822,96 bestimmten Prozeßkosten (darin S 5.137,16 Umsatzsteuer und S 2.000,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist nach dem schriftlichen Mietvertrag Mieter des gesamten zweiten Stockes des Hauses Petersbrunnstraße 1 a, bestehend aus acht Räumen, Bad, WC und Vorraum, weiters eines Nebenraumes für die Aktenablage sowie zweier gekennzeichneter Parkplätze im Hof dieses Hauses und dreier Flächen an der Außenfassade zur Anbringung von Schildern. Punkt 8.4. des Mietvertrages lautet: "Änderungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für die Vereinbarung des Abgehens vom Erfordernis der Schriftlichkeit".

Diesen Vertrag schloß der Beklagte mit der Voreigentümerin der klagenden Partei; dabei wurde die Wirksamkeit des Mietvertrges nach einem Rechtsstreit urteilsmäßig bestätigt.

Der Beklagte übersiedelte mit seiner Rechtsanwalts-Kanzlei Anfang April 1979 in die gemieteten Räumlichkeiten. Zuvor fand am 16.3.1979 eine Besprechung zwischen ihm und dem Direktor der klagenden Partei statt. Dabei wurde vereinbart, daß hinsichtlich der Aktenablage an Ort und Stelle eine Regelung getroffen werde. Am 28.3.1979 wurde telefonisch vereinbart, daß der Beklagte als Zwischenlösung einen Raum im Erdgeschoß als Aktenlager erhalten sollte, weil der im Dachgeschoß dafür vorgesehene Raum damals noch von einer Tochter der Voreigentümerin bewohnt wurde; dieser Raum liegt den beiden Räumen, deren Räumung mit der vorliegenden Klage begehrt wird, gegenüber.

Bereits Ende 1979 verfügte der Beklagte über die beiden nun klagegegenständlichen Räume im Dachgeschoß. Wann und von wem er die Schlüssel für diese Räume erhielt, ist nicht mehr feststellbar. Die klagende Partei benötigte in der Folge den Raum im Erdgeschoß, der vom Beklagten als Aktenlager benützt worden war. Dieser erklärte sich bereit, das Aktenlager im Erdgeschoß zu räumen und damit in den dritten Raum im Dachgeschoß, der früher von einer Tochter der Voreigentümerin bewohnt war, zu übersiedeln. Gemeinsam mit dem "Hausmeister" wurden von der klagenden Partei nicht mehr benötigte Stellagen besichtigt, als für ein Aktenlager geeignet beurteilt und in dem dem Stiegenaufgang rechts gegenüberliegenden Raum montiert. Derzeit erfolgt die Nutzung der strittigen Räumlichkeiten so, daß der eine Raum (13,21 m2), der dem Stiegenaufgang geradeaus gegenüber liegt, vom Konzipienten des Beklagten benützt wird und entsprechend eingerichtet ist, während der daneben anschließende Raum (13,08 m2), in dem sich fünf Stellagen befinden, dem Beklagten als Aktenlager dient. Der ursprünglich von der Tochter der Voreigentümerin bewohnte (nicht klagsgegenständliche) Raum wird vom Beklagten derzeit als Abstellraum verwendet.

Es besteht keine schriftliche Vereinbarung zwischen der klagenden Partei und dem Beklagten über die Nutzung dieser drei Räume im Dachgeschoß; diese hat auch nie zu einer Erhöhung des Mietzinses geführt. Wohl aber wurden die klagegegenständlichen Räume bereits in der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 1979 dem Beklagten zugerechnet. Der tatsächliche Umfang der Nutzung wurde dabei von der Buchhaltung, die die Abrechnung erstellte, nicht überprüft. Die Angaben, welche Räume genützt werden und der Betriebskostenabrechnung zugrundezulegen sind, erhielt die Buchhaltung vom Vorstand der klagenden Partei. In einem Schreiben vom 20.5.1980 teilte der Beklagte anläßlich einer Kritik der Betriebskostenabrechnung der klagenden Partei mit, daß er nunmehr die klagegegenständlichen Räume als Aktenlager benütze. Erstmals im Mai 1987 forderte die klagende Partei den Beklagten auf, die strittigen Räumlichkeiten im Dachgeschoß zu räumen; dieser Aufforderung kam er aber nicht nach.

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten die Räumung der zwei genannten, dem Stiegenabsatz gegenüberliegenden Räumlichkeiten im Dachgeschoß mit der Begründung, daß er zwar Mieter von Räumlichkeiten in diesem Haus sei, die beiden genannten Räumlichkeiten jedoch titellos benütze.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß er nach dem Mietvertrag auch Anspruch auf einen Raum zur Aktenablage habe und die klagende Partei ihm nicht nur die Schlüssel für die gegenständlichen Räume gegeben, sondern auch auf ihre Kosten in den Räumen Stellagen für das Aktenlager errichtet habe, so daß er diese nicht titellos benütze.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht meinte es, es wäre an sich eine konkludente Erweiterung des Gebrauchsrechtes zu vermuten, weil der Gebrauch vom Vermieter jahrelang widerspruchslos hingenommen worden sei und der Vermieter auf Grund des Verhaltens des Mieters annehmen mußte, daß dieser mit der erweiterten Benützung ein Recht in Anspruch nehme. Zwar unterliege die vereinbarte Schriftformklausel selbst der Parteiendisposition, so daß sie einvernehmlich in jeder Richtung umgestaltet oder überhaupt aufgehoben werden könne; der Oberste Gerichtshof halte diese These auch dann durch, wenn - wie hier - auch die Abänderung der Schriftformklausel ausdrücklich für formbedürftig erklärt worden sei. Es sei jedoch erforderlich, daß die Vernachlässigung der Form bewußt erfolgt sei. Die Schriftlichkeit sei Ausdruck eines gesteigerten Beurkundungsinteresses der Vertragspartner. Eine stillschweigende Vertragsänderung laufe diesem gesteigerten Beurkundungsinteresse so zuwider, daß ein bewußter Formverzicht und damit eine konkludente Vertragsausdehnung nicht angenommen werden könne.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die Revision unzulässig sei. In rechtlicher Hinsicht widersprach es der Auffassung des Erstgerichtes, es bestehe nach Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln, daß das Gebrauchsrecht schlüssig erweitert worden sei. Die vorliegende Klage sei als Eigentumsklage nach § 366 ABGB gefaßt und es werde damit die Räumung durch den titellosen Benützer angestrebt, so daß es Aufgabe des Beklagten sei, einen tauglichen Rechtstitel nachzuweisen; dabei gingen alle Unklarheiten zu seinen Lasten. Nach den Feststellungen sei ausdrücklich für die Aktenablage im Dachgeschoß keiner der beiden streitgegenständlichen Räume, sondern der früher von der Tochter der Voreigentümerin benützte vorgesehen gewesen. Da der Beklagte für die beiden streitgegenständlichen Räume einen Rechtstitel nicht nachweisen könne, sei die Entscheidung des Erstgerichtes im Ergebnis zutreffend.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und Aktenwidrigkeit. Es wird beantragt, das Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, keinen Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Mit Recht weist der Beklagte darauf hin, daß die Entscheidung in erster Linie von der Beantwortung der Frage abhängt, ob vom vereinbarten Formerfordernis der Schriftlichkeit konkludent abgegangen und aus dem festgestellten Sachverhalt abgeleitet werden kann, daß eine konkludente Vereinbarung bezüglich der Einräumung eines Bestandrechtes an den klagegegenständlichen Räumlichkeiten zustandegekommen ist. Die Unterinstanzen hätten Ersteres, abweichend von der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung, zu Unrecht verneint, so daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erforderlich sei. Ob ein konkludentes Abgehen vom vereinbarten Formerfordernis der Schriftlichkeit möglich ist, wurde vom Berufungsgericht nicht ausdrücklich beantwortet; es wurde von ihm für den vorliegenden Fall jedoch implicit - durch die offensichtliche Übernahme der erstgerichtlichen Beurteilung in diesem Punkt (s. S 12 f des Ersturteils) - verneint. Dies widerspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, die auch von der Lehre geteilt wird: Von der vereinbarten Form können die Parteien jederzeit einvernehmlich abgehen, und zwar nicht nur durch eine ausdrückliche Abänderungsvereinbarung, sondern auch durch einvernehmliches Nichteinhalten, also durch zusätzliche formlose Abreden in der zu beweisenden Absicht, dennoch vertragliche Bindung zu erzeugen (JBl 1956, 405; 1975, 369 uva; zuletzt VersRSch 1988, 200; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 257; Rummel in Rummel, ABGB2 Rz 3 zu § 884, ders., JBl 1980, 236).

Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Ansicht abzugehen. Das Argument des Erstgerichts, die Vernachlässigung der Form müsse bewußt erfolgen und dies könne bei einer stillschweigenden Vertragsänderung nicht angenommen werden, überzeugt nicht. Es trifft zwar zu, daß ein Vertrag nur dann zustandekommt, ausgedehnt oder abgeändert wird, wenn beide Teile dies wollen, doch kann dies auch stillschweigend geschehen, wenn das Verhalten der Vertragsteile unter Überlegung aller Umstände des Falles unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten nur den zwingenden Schluß zuläßt, sie hätten den Vertrag abschließen, erweitern oder abändern wollen (JBl 1989, 722 uva). Es wurde daher auch angenommen, daß die Überlassung weiterer Räume an einen Mieter im Zweifel nicht als Prekarium, sondern als Ausdehnung des Bestandverhältnisses anzusehen ist (EvBl 1959/203 ua).

Im vorliegenden Vertrag wurde nicht nur vereinbart, daß Änderungen der Schriftform bedürfen, sondern es sollte das Formerfordernis noch dadurch verstärkt werden, daß auch für die Vereinbarung des Abgehens von ihm Schriftlichkeit erforderlich ist. Die Frage, ob ein formloses Abgehen vom vereinbarten Erfordernis der Schriftlichkeit auch dann möglich ist, wenn ausdrücklich auch für die Vereinbarung des Abgehens vom Erfordernis der Schriftlichkeit Schriftform vereinbart wurde, ist - soweit ersichtlich - bisher vom Obersten Gerichtshof nur einmal, und zwar für den Fall einer ausdrücklichen Vereinbarung, in der Entscheidung vom 19.9.1974, 7 Ob 101/74, MietSlg. 26.063, untersucht und bejaht worden. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Vertrag war vereinbart, daß eine neue Vereinbarung bei Nichteinhaltung der Schriftform nichtig sein solle und daß auf die schriftliche Form auch einverständlich nicht verzichtet werden könne. Der Oberste Gerichtshof hielt schon damals mit Recht eine derartige vertragliche Bindung für die Zukunft für unzulässig. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit läßt eine derartige Selbstbindung der Parteien mit unwiderruflicher Wirkung für die Zukunft nicht zu; aus ihm ist vielmehr abzuleiten, daß die Parteien wie auch sonst, wenn sie eine bestimmte Form vereinbart haben, vor deren Erfüllung sie nicht gebunden sein wollten (§ 884 ABGB), an die zunächst getroffene Vereinbarung der Unwirksamkeit allfälliger neuer Vereinbarungen und an den Verzicht auf eine einverständliche Abänderung im Falle einer späteren gegenteiligen Willensübereinstimmung nicht gebunden sind. Die Vereinbarung, daß nicht formgerecht geschlossene Abänderungen unwirksam sein sollten und daß auf die Schriftform auch einverständlich nicht verzichtet werden könne, kann nicht verhindern, daß die Parteien auch von dieser Vereinbarung einverständlich wieder abgehen können. Allerdings muß derjenige, der eine solche Abänderung behauptet, den Beweis erbringen, daß der Vertragspartner auch ohne Erfüllung der vereinbarten Form gebunden sein wollte.

Gleiches muß auch dann gelten, wenn - wie hier - die Schriftform auch für das Abgehen vom Erfordernis der Schriftlichkeit vereinbart wurde und das Abgehen nicht ausdrücklich, sondern nur stillschweigend erfolgte, sofern das Verhalten der Vertragsteile mit Überlegung aller Umstände des Falles den Schluß zuläßt, die Parteien hätten auf diese Form verzichten und den Vertrag stillschweigend ändern (hier erweitern) wollen.

Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Es besteht kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln, daß der von den Streitteilen geschlossene Bestandvertrag durch schlüssiges Verhalten seit 1979/1980 auch auf die streitgegenständlichen Räume ausgedehnt wurde. Die Buchhaltung der klagenden Partei rechnete im Auftrag des Vorstands bereits seit 1979 die streitgegenständlichen Räume bei der Betriebskostenabrechnung dem Beklagten zu, der bereits 1980 in einem Schreiben betreffend die Betriebskostenabrechnung ausdrücklich auf die Benützung dieser Räumlichkeiten durch ihn hinwies. Später wurden von Dienstnehmern der klagenden Partei in diesen Räumen Stellagen für den Beklagten montiert, die für ein Aktenlager geeignet waren. Die klagende Partei hat durch sieben Jahre die ihr bekannte Benützung durch den Beklagten widerspruchslos geduldet, sie hat darüber hinaus in ihrem Schreiben vom 29.7.1982 (Beilage ./2) auch ausdrücklich den derzeitigen Umfang des Bestandverhältnisses anerkannt.

Auf all dies hat auch das Erstgericht zutreffend hingewiesen (S. 12), doch hat es die unrichtige Schlußfolgerung gezogen, daß eine Erweiterung des Bestandvertrages auf die gegenständlichen Räumlichkeiten dennoch verneint werden müsse, weil es entgegen der ihr bekannten oberstgerichtlichen Rechtsprechung wegen der vereinbarten Schriftform einen bewußten Formverzicht durch konkludentes Verhalten und damit eine stillschweigende Vertragserweiterung als nicht möglich ansah.

Eine konkludente Vertragsausdehnung ist jedoch, wie bereits oben dargelegt, trotz vereinbarter Schriftform für Vertragsänderungen möglich, gleichgültig wie die Formabrede gefaßt ist, sofern es sich nur um eine beiderseits gewollte Übereinkunft handelt. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, denn die Streitteile haben bereits Anfang 1979 anläßlich des Einzugs des Beklagten trotz der Formabrede bewußt mündliche Vereinbarungen hinsichtlich des Raums für die Aktenablage getroffen und somit bereits damals zu erkennen gegeben, daß sie vom Formerfordernis der Schriftlichkeit trotz der Vereinbarung, daß auch für das Abgehen hievon Schriftform notwendig ist, abgehen wollten. Der Bestandvertrag wurde daher stillschweigend auch auf die klagegegenständlichen Räume erweitert. Das Begehren der klagenden Partei auf Räumung wegen titelloser Benützung durch den Beklagten ist somit unberechtigt. Die angefochtene Entscheidung ist deshalb im klagsabweisenden Sinn abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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