OGH 10ObS137/90

OGH10ObS137/909.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Stefan O***, Pensionist, YU-26000 Pancevo, Dimitrija Tucovica Nr. 35, vertreten durch Dr.Dieter H.Gradwohl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A*** (L*** W***), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revisionrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6.Februar 1990, GZ 31 Rs 22/90-30, womit der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20.Dezember 1989, GZ 23 Cgs 145/89-26, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 27.1.1986 gewährte die beklagte P*** DER A*** dem Kläger ab 1.5.1985

eine Invaliditätspension in Höhe von S 548,80 monatlich und ab dem 1.1.1986 in Höhe von S 568 monatlich. Sie revidierte diese Entscheidung zugunsten des Klägers jedoch mit Bescheid vom 13.8.1986 dahingehend, daß diese Leistung schon ab 1.1.1985 gewährt wird, da aus der Aktenlage hervorging, daß der Kläger schon am 30.8.1984 einen Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension gestellt hatte. Der Zeitpunkt 1.1.1985 wurde von der Beklagten deshalb gewählt, weil mit diesem Zeitpunkt die 40. ASVG-Novelle in Kraft trat und der Kläger die Voraussetzungen für die ewige Anwartschaft nach § 236 Abs. 3 ASVG in der Fassung dieser Novelle aufwies.

Gegen den Bescheid vom 27.1.1986 brachte der Kläger zu 23 Cgs 1589/87 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien (11 a C 41/86 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung Wien) Klage ein; er führte aus, daß ihm eine höhere Pension und diese schon ab 1.6.1975 gebühre. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien erkannte die beklagte Partei mit Urteil vom 7.11.1988, 23 Cgs 1589/87-41, schuldig, dem Kläger vom 1.1.1985 an eine Invaliditätspension von S 621,70 monatlich zu zahlen und wies "das Mehrbegehren" ab. Gegen dieses Urteil erhoben beide Parteien Berufung. Mit Beschluß vom 15.9.1989, 34 Rs 115/89-52, unterbrach das Berufungsgericht das Berufungsverfahren nach § 74 Abs. 1 ASGG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage der maßgeblichen Beitragsgrundlage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen und regte dessen Einleitung bei der beklagten P*** an. Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, der Kläger begehre erkennbar eine die ihm bescheidmäßig zuerkannte Invaliditätspension übersteigende Leistung. Die Höhe dieser Leistung hänge im wesentlichen von den strittigen Beitragsgrundlagen ab. Daher müsse das Verfahren nach § 74 Abs. 1 ASGG auch noch im Berufungsverfahren unterbrochen und die Einleitung des Verfahrens beim Versicherungsträger angeregt werden. Die gegen diesen Unterbrechungsbeschluß von beiden Parteien erhobenen Rekurse wurden mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8.5.1990, 10 Ob S 114/90, mit der Begründung zurückgewiesen, daß die vom Berufungsgericht verfügte Unterbrechung unanfechtbar und ein Rechtsmittel dagegen nicht zulässig sei.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 28.4.1988 wurde dem Kläger die mit Bescheid vom 13.8.1986 zuerkannte Invaliditätspension unter Anwendung des § 101 ASVG ab 1.1.1985 der Höhe nach neu festgesetzt, und zwar ab 1.1.1985 mit monatlich S 565,50, ab 1.1.1986 mit monatlich S 585,30 und ab 1.1.1987 mit monatlich S 607,50. Nach der Begründung dieses Bescheides war die Pensionshöhe neu festzustellen, weil sich die Bemessungsgrundlage erhöht hat.

Diesen Bescheid bekämpfte der Kläger mit der am 4.7.1988 beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eingelangten Klage, welche gemäß § 38 Abs. 2 ASGG von Amts wegen an das nicht offenbar unzuständige Arbeits- und Sozialgericht Wien überwiesen wurde. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 13.12.1989 (ON 24) präzisierte der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger das Klagebegehren dahin, daß die beklagte Partei schuldig erkannt werde, dem Kläger eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.1.1985 zu gewähren. Dazu brachte er vor, daß die beklagte Partei die Pension nicht richtig berechnet habe, daß sie Krankenversicherungsbeiträge abgezogen habe, obwohl sich der Kläger im Ausland befinde und ihm auch keine Ausgleichszulage zuerkannt habe. Weiters sei der Kläger mit mehr als 50 % invalide und es stehe ihm daher eine höhere Invaliditätspension zu. Daraufhin faßte das Erstgericht den Beschluß, daß das Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens 23 Cgs 1589/87 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien unterbrochen und nur über Antrag einer Partei fortgesetzt werde. Dazu führte das Erstgericht aus, die Erhebung der Klage gegen den Bescheid vom 28.4.1988 bzw. die Einleitung des Verfahrens seien gerechtfertigt, da der genannte Bescheid nicht als absolut nichtiger Verwaltungsakt angesehen werden könne. Da aber nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens 23 Cgs 1589/87 nicht festgestellt werden könne, ob auch die Weiterführung des vorliegenden Verfahrens gerechtfertigt sei, sei dieses Verfahren zu unterbrechen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Ob der beklagten Partei nach Außerkrafttreten des Bescheides vom 13.8.1986 durch die zu 23 Cgs 1589/87 eingebrachte Klage die Entscheidungsbefugnis über den Anspruch des Klägers gemäß § 101 ASVG auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes fehlte, könne dahingestellt bleiben, weil sie jedenfalls in Inanspruchnahme einer solchen Entscheidungsbefugnis dennoch einen neuen Bescheid erlassen habe, der nun infolge der Anrufung des Gerichtes mittels der hier vorliegenden Klage außer Kraft getreten sei. Streitanhängigkeit könne deshalb nicht gegeben sein, weil sich der angefochtene Bescheid nur als Entscheidung der beklagten Partei in der bereits bei ihr anhängig gewesenen Sache darstelle. Ob dieser Bescheid auf Grund der - infolge der sukzessiven Kompetenz - bereits auf das Gericht übergegangenen Entscheidungsbefugnis unzulässig gewesen sei, brauche und könne vom Gericht nicht geprüft werden. Die Klage müsse deshalb zulässig sein, weil sonst der Bescheid formell rechtskräftig geworden und an die Stelle des ursprünglichen Bescheides getreten wäre. Ob es in einem solchen Fall genügt hätte, daß der Versicherte, um das Außerkrafttreten des zweiten Bescheides zu erwirken, zum Ausdruck bringe, daß er das Klagebegehren auch im Hinblick auf den neuen Bescheid aufrecht halte, könne dahingestellt bleiben. Wenn für diese Ausdehnung des Klagebegehrens auf den neuen Bescheid die Form einer Klage gewählt werde, in der erkennbar die im Ergebnis gleichen Anträge gestellt würden wie im bereits anhängigen Verfahren, so könnte diese Klage lediglich als eine den Bescheid außer Kraft setzende Erklärung angesehen werden, das Klagebegehren auch hinsichtlich dieses Bescheides aufrecht zu erhalten. In einem solchen Fall könnte die Klage in das schon anhängige Verfahren einbebzogen werden. Derzeit sei jedoch entscheidend, daß das zunächst anhängige Verfahren 23 Cgs 1589/87 unterbrochen sei. Wenn schon in jenem Verfahren die Bemessungsgrundlage strittig sei und es sich in beiden Verfahren um einheitliche Ansprüche handle, die nur mittels einer Sachentscheidung entschieden werden könnten, so erweise sich schon aus Zweckmäßigkeitsgründen die Unterbrechung als berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Der Kläger vertritt in seinem Rechtsmittel die Auffassung, die beklagte Partei hätte, solange das Verfahren 23 Cgs 1589/87 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien nicht rechtskräftig beendet sei, den mit der vorliegenden Klage bekämpften Bescheid "über denselben Zeitraum" nicht erlassen dürfen, weshalb dieser Bescheid im gegenständlichen Verfahren als nichtig aufgehoben werden müsse. Es werde - nach erssatzloser Aufhebung des Unterbrechungsbeschlusses - Aufgabe des Erstgerichtes sein, "mit Urteil auszusprechen, daß der Bescheid aus formellen Gründen oder wegen Nichtigkeit zu beheben ist".

Diese Ausführungen verkennen offensichtlich das Wesen der sukzessiven Kompetenz der Gerichte in Leistungsstreitsachen. Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren ist die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens und das Vorliegen eines über den Leistungsanspruch des Versicherten absprechenden Bescheides eines Versicherungsträgers. Das durch die Klage des Versicherten beim Arbeits- und Sozialgericht eingeleitete gerichtliche Verfahren ist kein Rechtsmittelverfahren und hat daher keine kontrollierende und kassierende Funktion. Das Gericht prüft selbständig den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch (Kuderna, ASGG 357, 368 mit weitrran Nachweisen; Fasching in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 703). Damit dem in der Verfassung festgelegten Grundsatz der Trennung von der Justiz und der Verwaltung auf jeden Fall entsprochen wird, mußte im § 71 Abs. 1 ASGG festgesetzt werden, daß durch die rechtzeitige Einbringung der Klage der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft tritt (RV zitiert in Feitzinger-Tades, ASGG Anm. 1 zu § 71). Dabei ist das Ausmaß, in dem der Bescheid außer Krefh tritt, nach ständiger Rechtsprechung verhältnismäßig weit anzunehmen (SSV-NF 1/18, 2/42, 2/131 ua).

Im vorliegenden Fall ist der Bescheid der beklagten Partei vom 28.4.1988, der die mit Bescheid vom 13.8.1986 zuerkannte Invaliditätspension ab 1.1.1985 der Höhe nach neu feststellte, durch die am 4.7.1988 beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eingelangte und in der Folge gemäß § 38 Abs. 2 ASGG an das Arbeits- und Sozialgericht Wien überwiesene, daher als rechtzeitig anzusehende Klage außer Kraft getreten, sodaß die vom Rekurswerber angestrebte Behebung dieses Bescheides durch eine gerichtliche Entscheidung gar nicht mehr erfolgen kann. Ob es für das Außerkrafttreten des Bescheides genügt hätte, daß der Kläger im bereits anhängigen gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht hätte, er halte das Klagebegehren auch im Hinblick auf den neuen Bescheid aufrecht (Kuderna aaO 385), braucht nicht erörtert zu werden, weil der Kläger im Sinne der dem Bescheid angeschlossenen Rechtsbelehrung den ihm nach § 71 Abs. 1 ASGG jedenfalls offenstehenden Weg gewählt hat, den ihm zugegangenen Bescheid der beklagten Partei, welcher der Höhe nach von dem früheren Bescheid abwich, mit Klage zu bekämpfen. Eine Behandlung dieser Klage - auf welche prozeßordnungsgemäße Weise auch immer - ist aber, wie die Vorinstanzen zutreffend ausführten, während der Dauer der Unterbrechung des Vorverfahrens nicht tunlich.

An diesem Ergebnis würde sich selbst dann nichts ändern, wenn man die Meinung verträte, daß dem Kläger in dem Rechtsstreit, der auf Grund der gegen den ersten Bescheid gerichteten Klage gegeführt wird, das Rechtsschutzbedürfnis in dem Umfang fehlen würde, in dem mit dem zweiten Bescheid über seinen Anspruch entschieden wurde. Es kann insbesondere dahingestellt bleiben, ob § 71 Abs. 3 und 5 ASGG bei wörtlicher Auslegung nur anzuwenden ist, wenn der neue Bescheid wegen einer Änderung der Verhältnisse erlassen wurde oder auch sinngemäß dann, wenn der Versicherungsträger während des gerichtlichen Verfahrens einen neuen Bescheid aus anderen Gründen als wegen einer Änderung der Verhältnisse, also etwa gemäß § 101 ASVG oder auch ohne jede Rechtsgrundlage erläßt. Auch in diesem Fall würde sich die dem Kläger zustehende Leistung nach dem neuen Bescheid richten, weshalb ein Urteil, das in dem hinsichtlich des ersten Bescheides eingeleiteten Verfahren erginge, für den Anspruch des Klägers ohne Bedeutung wäre, soweit hierüber mit dem zweiten Bescheid entschieden wurde. Auch eine solche Auffassung würde einer Unterbrechung des vorliegenden Rechtsstreites nicht entgegenstehen, weil der Ausgang des unterbrochenen Rechtsstreites völlig ungewiß ist und beispielsweise dieser Rechtsstreit sogar mit einem dem Klagebegehren voll stattgebenden und in Rechtskraft erwachsenden Urteil enden könnte. Eine Aussage darüber, wie im unterbrochenen Prozeß weiterhin zu verfahren ist, stünde dem Obersten Gerichtshof im Rahmen der Behandlung des vorliegenden Revisionsrekurses nicht zu (§ 12 ABGB; Fasching ZPR2 Rz 187; Koziol-Welser8 I 35). Solange aber der Ausgang des unterbrochenen Verfahrens ungewiß ist, hat es im vorliegenden Rechtsstreit bei der Unterbrechung zu bleiben. Dem Revisionsrekurs war deshalb ein Erfolg zu versagen. Eine Kostenentscheidung hatte mangels Verzeichnung von Kosten zu entfallen.

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