OGH 10ObS329/90

OGH10ObS329/909.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert S***, ohne Beschäftigung, 1050 Wien, Hauslabgasse 33/35, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** V***,

1200 Wien, Pasettistraße 74, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Verpflichtung zum Rückersatz von Sonderunterstützung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Juli 1990, GZ 32 Rs 147/90-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24. April 1990, GZ 24 Cgs 3/90-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, von denen das Ersturteil insoweit als unangefochten unberührt bleibt, als es in seinem Pkt 1.) ein S 55.076,- übersteigendes Feststellungsbegehren und in seinem Pkt 2.) das Begehren auf Zahlung von S 3.612,- abgewiesen hat, werden im übrigen dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Der Kläger ist nicht verpflichtet, der beklagten Partei den für die Zeit vom 4. 4. bis 31. 12. 1989 zu Unrecht empfangenen restlichen Überbezug an Sonderunterstützung von S 55.076,-

zurückzubezahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die einschließlich 514,50 S Umsatzsteuer mit 3.087 S bestimmten Revisionskosten zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 4. 4. 1930 geborene Kläger war vom 2. 5. 1977 bis 31. 12. 1981 (die vom Erstgericht genannte Jahreszahl 1988 ist ein offensichtlicher Schreibfehler) bei Hans S*** beschäftigt. Vom 11. 1. bis 26. 9. 1982 bezog er mit Krankenstandsunterbrechungen Arbeitslosengeld. Vom 7. 3. bis 10. 6. 1983 (das vom Erstgericht genannte Datum 16. 3. 1983 ist offensichtlich unrichtig) war er bei Michael G***, vom 16. bis 19. 8. 1983 bei Willibald G*** beschäftigt. Dann bezog er bis 3. 4. 1989 mit Krankenstandsunterbrechungen Notstandshilfe. Die monatliche Entlohnung beim erstgenannten Arbeitgeber betrug einschließlich der anteilsmäßigen Sonderzahlungen 11.554,80 S. Die tägliche Notstandshilfe stieg bis 1989 von 161,20 S auf 190 S an. Mit Mitteilung vom 27. 7. 1989 verständigte das beklagte Arbeitsamt den Kläger, daß er vom 4. 4. bis voraussichtlich 2. 10. 1989 (Abschluß der erforderlichen Ermittlungen über seinen Antrag auf Sonderunterstützung) einen täglichen Vorschuß auf die Sonderunterstützung von 192,60 S erhalte. Nachdem die P*** DER A*** mitgeteilt hatte, daß 180

anrechenbare Versicherungsmonate in der Pensionsversicherung und die 2/3-Deckung nach § 1 Abs 1 letzter Satz SUG gegeben seien, die fiktive Invaliditätspension monatlich 10.042 S betrage und bei ununterbrochenem Bezug der Sonderunterstützung eine vorzeitige Alterspension frühestens ab 1. 5. 1990 anfallen könne, berechnete das beklagte Arbeitsamt die Sonderunterstützung im September 1989 mit 7.224 S. Weil anstelle dieses Betrages irrtümlich das mit dem Aufwertungsfaktor 1,231 für 1989 aufgewertete erwähnte Monatsentgelt im Betrag von 14.224 S in die EDV eingegeben wurde, erhielt der Kläger für die Zeit vom 4. 4. 1989 bis 31. 8. 1989 eine Nachzahlung von 40.808 S und bezog vom 1. 9. bis 31. 12. 1989 eine Sonderunterstützung von 14.224 S monatlich. Die irrtümliche EDV-Eingabe wurde vom beklagten Arbeitsamt im Jänner 1990 bemerkt. Mit Bescheid vom 19. 2. 1990 widerrief das beklagte Arbeitsamt die Zuerkennung der Sonderunterstützung für die Zeit vom 4. 4. bis 31. 12. 1989 (Differenzrückforderung), schrieb die während dieser Zeit unberechtigt bezogene Sonderunterstützung von 62.301 S nach § 13 SUG iVm § 25 Abs 1 und Abs 3 ALVG zum Rückersatz vor und sprach aus, daß der rückzuzahlende Betrag von der laufenden Leistung einbehalten werde, wobei dem Leistungsbezieher die Hälfte des Leistungsbezuges frei bleiben müsse. Das beklagte Arbeitsamt begründete die Rückforderung damit, der Kläger hätte daran, daß die ausgezahlte Sonderunterstützung von 14.224 S den bereits valorisierten Nettoverdienst des Jahres 1981 überstieg, erkennen müssen, daß ihm die Leistung nicht in dieser Höhe gebühre. Im Jänner und Februar 1990 erhielt der Kläger lediglich je

3.612 S, danach wurde nur mehr 1 S einbehalten. Unter Berücksichtigung dieser Einbehaltungen betrug der restliche Sonderunterstützungsüberbezug 55.076 S.

In der gegen den Bescheid rechtzeitig erhobenen, auf Unzulässigerklärung der Rückforderungsverpflichtung und Zahlung des "rückbezahlten Betrages von 3.612 S" gerichteten Klage behauptete der Kläger, er habe den Überbezug nicht erkennen können, weil er seit etwa 8 Jahren arbeitslos gewesen sei und deshalb nicht gewußt habe, wie hoch die Sonderunterstützung sein könne, weil er auch aus der Nachzahlung für mehrere Monate eine Überhöhung der einzelnen Sonderunterstützung nicht erkannt habe, weil er auf die Richtigkeit des "Bescheides" über die Sonderunterstützung von 14.224 S vertraut habe, weil er den Großteil des Übergenusses gutgläubig verbraucht habe und von dem (im Jänner und Februar 1990) ausgezahlten, durch die Einbehaltung verminderten Sonderunterstützungsbetrag nicht leben könne.

Das beklagte Arbeitsamt beantragte die Abweisung der Klage und die Verurteilung des Klägers zur Rückzahlung des noch aushaftenden Überbezuges von 55.076 S binnen 14 Tagen. Es wendete ein, der Kläger, der schon längere Zeit Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen habe, hätte nicht erwarten können, plötzlich eine wesentlich höhere, sogar sein seinerzeitiges Arbeitseinkommen übersteigende Sonderunterstützung zu erhalten.

Der Kläger beantragte für den Fall seiner Verpflichtung zur Rückzahlung seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Ratenzahlungen.

Das Erstgericht wies die Klage ab und erkannte den Kläger schuldig, der beklagten Partei 55.076 S an zuviel bezogener Sonderunterstützung in monatlichen Raten von 1.000 S zurückzuzahlen. Der Kläger habe aufgrund der Mitteilung des beklagten Arbeitsamtes über den Sonderunterstützungsvorschuß von 192,60 S täglich erkennen müssen, in welcher ungefähren Höhe sein Anspruch auf Sonderunterstützung bestehen werde. Berücksichtige man überdies, daß der Kläger vorher jahrelang Arbeitslosenunterstützung bezogen und 1981 ein Bruttoarbeitseinkommen erhalten habe, das einschließlich der Sonderzahlungen 12.000 S nicht wesentlich überstiegen habe, so hätte er erkennen müssen, daß ihm die Nachzahlung und die ihm dann ausgezahlte Sonderunterstützung von mehr als 14.000 S monatlich nicht zustehe.

Nur gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung von 55.076 S erhob der Kläger Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und unrichtiger Tatsachenfeststellung, wobei er jedoch nur die Rechtsrüge ausführte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es sei allgemein bekannt, daß Leistungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung niedriger seien als das zugrundeliegende Arbeitseinkommen. Als der Kläger, der zuletzt einschließlich der Sonderzahlungen ein monatliches (Arbeits-)Einkommen von etwa 12.000 S bezogen habe, eine Sonderunterstützung von mehr als 14.000 S monatlich erhalten habe, hätte ihm klar sein müssen, daß sie in dieser Höhe nicht gerechtfertigt sei. Deshalb könne er den Überbezug nicht gutgläubig verbraucht haben.

Dagegen richte sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, die vorinstanzlichen Urteile durch Abweisung des Rückforderungsbegehrens des beklagten Arbeitsamtes von 55.076 S abzuändern. Das beklagte Arbeitsamt beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Für die Bemessung der Sonderunterstützung finden nach § 5 SUG

die Bestimmungen der §§ 20 und 21 ALVG sinngemäß Anwendung. Hiezu

gebührt ein Zuschlag in der Höhe von 25 vH des Grundbetrages iS des

§ 21 Abs 3 ALVG ... (Abs 7). Die so bemessene Sonderunterstützung

darf das Ausmaß der Invaliditätspension .... einschließlich

allfälliger Kinderzuschüsse nach den bezüglichen Bestimmungen des

ASVG ...., auf die der Arbeitslose an dem dem Tag der Antragstellung

auf Sonderunterstützung folgenden Monatsersten (Stichtag) Anspruch

gehabt hätte, wenn dauernde Invalidität .... vorgelegen wäre, nicht

überschreiten .... (Abs 8). Die nach Abs 7 bemessene

Sonderunterstützung darf in keinem Fall im Monat 80 vH des der Einreihung in die Lohnklasse zugrunde gelegten Entgeltes überschreiten (Abs 10).

An Personen, die Sonderunterstützung beantragt haben und hiefür mit Ausnahme der Wartezeit gemäß § 1 Abs 1 SUG die Voraussetzungen erfüllen, ist nach § 10 leg cit bis zur Mitteilung durch den leistungszuständigen Pensionsversicherungsträger nach § 11 leg cit ein Vorschuß in der Höhe des Arbeitslosengeldes bzw der Notstandshilfe nach den Bestimmungen des ALVG zu gewähren. Dieser Vorschuß ist auf die später gewährte Sonderunterstützung anzurechnen. Nach § 13 SUG gelten ua die §§ 24 und 25 ALVG sinngemäß. Nach § 24 Abs 2 ALVG ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sich die Zuerkennung oder Bemessung des Arbeitslosengeldes (hier sinngemäß der Sonderunterstützung) nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.

§ 25 Abs 1 Satz 1 ALVG bestimmt, daß ua bei Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes (hier sinngemäß der Sonderunterstützung) zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten ist, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Der unterstrichene dritte Rückforderungstatbestand ist so formuliert wie der dritte Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 ASVG und anderer sozialversicherungsrechtlicher Rückforderungsbestimmungen.

Die in MGA ASVG 50.ErgLfg 621 zitierten Materialien zur

23. ASVGNov, die sich ua mit diesem damals eingeführten Rückforderungstatbestand beschäftigen, führen dazu aus:

"Wesentliche Interessen der Versicherten werden durch die Änderung nicht berührt, weil die Rückforderung nach der neuen Fassung ohnedies nur möglich sein wird, wenn der Empfänger erkennen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der angewiesenen Höhe gebührt. Aus der Verwendung des Wortes 'mußte' im Gegensatz zu dem Wörtchen 'konnte' geht schon hervor, daß die Rückforderung aus dem Titel des § 107 nur möglich sein soll, wenn die Anweisung so überhöht war, daß dies auch dem einfachen, mit den einschlägigen Vorschriften nicht vertrauten oder schon alten und gebrechlichen Pensionisten auffallen mußte".

Die Rechtsprechung hat den dritten Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 ASVG mit Recht erst dann als erfüllt angesehen, wenn dem Zahlungs- bzw Leistungsempfänger - unter Voraussetzung gewöhnlicher (durchschnittlicher) geistiger Fähigkeiten - bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (zB OLG Wien 11. 1. 1977 SSV 17/5; erkennender Senat 28. 6. 1988 SSV-NF 2/68 = JBl 1989, 62).

Auch nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs 1 ALVG nur dann erfüllt, wenn dem Leistungsempfänger bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, wobei weder der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit überspannt (arg "erkennen mußte") noch - ganz allgemein - überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (arg "er erkennen mußte") (3. 2. 1983 SVSlg 28.870). Die Entscheidung des VwGH 13. 9. 1985 RdW 1986, 53 billigt guten Glauben dann nicht mehr zu, wenn neben dem Krankengeld auch Arbeitslosengeld bezogen wurde und diese Leistungen insgesamt mehr ausmachten als seinerzeit der monatliche Bruttobezug einschließlich Sonderzahlungen (so auch Dirschmied, ALVG 174, 2.3.).

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß es sich beim Kläger um einen gelernten Goldschmied handelt, dessen für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes iS des § 21 ALVG maßgeblicher, mit dem Aufwertungsfaktor vervielfachter Arbeitsverdienst unter anteilsmäßiger Berücksichtigung der Sonderzahlungen in die Lohnklasse 48 fiel. In den letzten vier vollen Wochen seiner Beschäftigung bei Michael G*** im Frühjahr 1983 erzielte er sogar ohne Vervielfachung mit dem Aufwertungsfaktor einschließlich anteilsmäßiger Sonderzahlungen ein Bruttoentgelt von

14.932 S, für die vier Tage seiner letzten Beschäftigung bei Willibald G*** sogar ein solches von 3.127,39 S.

Wegen dieser verhältnismäßig hohen Arbeitsverdienste mußte dem Kläger bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Aufmerksamkeit nicht auffallen, daß ihm die nicht aufgegliederte Nachzahlung für die Zeit vom 4. 4. bis 31. 8. 1989 von 40.808 S und die für die Monate September bis Dezember 1989 ausgezahlte Sonderunterstützung von jeweils 14.224 S nicht in voller Höhe gebührten.

Aufgrund der Mitteilung des beklagten Arbeitsamtes vom 27. 7. 1989 wußte er, daß es sich bei dem darin genannten Betrag von 192,60 S täglich nicht um die endgültige Sonderunterstützung, sondern nur um einen Vorschuß auf diese Leistung handelt; er konnte daher damit rechnen, daß die endgültige Leistung höher sein werde. Davon, daß er deren endgültige Höhe auch nur annähernd kennen mußte, kann schon deshalb keine Rede sein, weil dafür mangels einer entsprechenden Information, für deren Erteilung sich aus den Verfahrensergebnissen keinerlei Hinweis ergibt, eine genaue Kenntnis insbesondere der komplizierten Berechnungsbestimmungen des § 5 Abs 7 bis 10 SUG iVm den §§ 20 und 21 ALVG erforderlich gewesen wäre, die er aber nach seinen Verhältnissen nicht haben mußte. Unter diesen Umständen mußte der Kläger die ausschließlich auf einem Irrtum des beklagten Arbeitsamtes beruhende überhöhte Auszahlung der Sonderunterstützung nicht erkennen, weshalb er nicht zum vom beklagten Arbeitsamt begehrten Rückersatz des restlichen Sonderunterstützungsüberbezuges von 55.076 S verpflichtet ist. Deshalb war der Revision Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen waren wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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