OGH 2Ob575/90

OGH2Ob575/9026.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am 27.Juli 1986 verstorbenen Fritz R***, zuletzt wohnhaft gewesen in 8424 Gabersdorf 44, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr.Heinz Pratter, Rechtsanwalt in Leibnitz, wider die beklagte Partei Jakob S***, Gendarmeriebeamter,

Föhrenbaumstraße 11, 8435 Wagna, vertreten durch Dr.Wilfrid Stenitzer, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen S 238.710,-- s.A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17.Jänner 1990, GZ 4a R 240/89-26, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtsachen Graz vom 8.September 1989, GZ 23 Cg 417/87-21, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Beklagte erwarb mit Kaufvertrag vom 15.11.1984 von dem inzwischen am 27.7.1986 verstorbenen Fritz R*** aus dem Gutsbestand der Liegenschaft EZ 182 KG Gabersdorf (Grundbuch des Bezirksgerichtes Leibnitz) ein 5000 m2 großes Trennstück, das die Parzellennummer 971/7 erhielt.

Die klagende Partei begehrte im vorliegenden Rechtsstreit die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 238.710,-- s.A. und brachte dazu im wesentlichen vor, sie fechte den Kaufvertrag vom 15.11.1984 aus dem Rechtsgrund der Schadloshaltung wegen Verkürzung über die Hälfte gemäß § 934 ABGB an und fordere wegen der mittlerweile mit Kaufvertrag vom 9.1.1986 erfolgten Veräußerung des Grundstückes 971/7 durch den Beklagten an Josef und Rosa W*** und der dadurch eingetretenen Unmöglichkeit der Rückstellung vom Beklagten den Wertausgleich bis zur Höhe des Verkehrswertes. Das Kaufobjekt habe im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen Verkehrswert von S 329.000,-- gehabt; der Kaufpreis habe aber nur S 110.000,-- betragen. Die nachfolgende Weiterveräußerung des Kaufobjektes durch den Beklagten bewirke die Unmöglichkeit der Rückstellung, also der Wiederherstellung des vorigen Standes; sie hindere zwar nicht die Aufhebung des Vertrages wegen Verkürzung über die Hälfte, zwinge aber den Verkürzenden (Beklagten) zum Ausgleich des Wertes. Er habe nicht mehr die Wahl, statt der Aufhebung des Vertrages den Wertausgleich anzustreben. Deshalb begehre sie vom Beklagten die Zahlung des auf den Klagsbetrag von S 238.710,-- aufgewerteten Differenzbetrages von S 219.000,--.

Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, er habe für das Kaufobjekt, dessen Wert von der klagenden Partei zu hoch angesetzt werde, mindestens S 200.000,-- an Gegenleistungen erbracht, sodaß keine Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes vorgelegen sei. Fritz R*** habe den wahren Wert der verkauften Grundfläche gekannt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte im wesentlichen fest, daß der Verkehrswert des verkauften Grundstückes 971/7 im Jänner 1985 S 329.000,-- betrug. Der Beweis höherer Gegenleistungen als des schriftlich vereinbarten Kaufpreises von S 110.000,-- ist dem Beklagten nicht gelungen. Mit Kaufvertrag vom 9.1.1986 verkaufte der Beklagte das Grundstück 971/7 um S 210.000,-- an die Ehegatten Josef und Rosa W***. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Voraussetzungen des § 934 ABGB gegeben seien, weil das Grundstück um S 110.000,-- von R*** an den Beklagten verkauft worden sei, der Verkehrswert aber S 329.000,-- betragen habe. Die durch den Beklagten herbeigeführte Unmöglichkeit der Rückstellung des Grundstückes hindere die Aufhebung des Kaufvertrages wegen Verletzung über die Hälfte nicht. In einem solchen Fall habe der Verkürzende nicht wie im Normalfall die Wahl, ob er statt der Aufhebung des Vertrages den Wert ausgleiche; er werde zum Ausgleich des Wertes gezwungen. Bei Bestimmung des Nachzahlungsbetrages sei auf die Geldentwertung Rücksicht zu nehmen. Im Hinblick auf eine gerichtsbekannte Inflationsrate von 3 % pro Jahr in den Jahren 1985 bis 1987 kämen zum Nachzahlungsbetrag von S 219.000,-- pro Jahr S 6.570,--, für drei Jahre also S 19.710,--, hinzu, sodaß der Beklagte der klagenden Partei insgesamt S 238.710,-- zu ersetzen habe.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, daß gegen seine Entscheidung der Rekurs zulässig sei. Es verneinte das Vorliegen vom Beklagten behaupteter Verfahrensmängel.

Auf die Tatsachenrüge des Beklagten einzugehen, sei derzeit nicht zweckmäßig, weil sie sich mit den Anfechtungsvoraussetzungen (Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung) auseinandersetze, ohne daß aber bisher feststehe, daß die klagende Partei aus dem geltend gemachten Anfechtungsgrund der laesio enormis überhaupt ein zielführendes Klagebegehren ableite.

Die klagende Partei habe zwar den Gegenstand der Klage mit "Aufhebung eines Kaufvertrages" bezeichnet; sie nehme aber durch ihr Begehren auf Verurteilung des Beklagten zur (Nach-)Zahlung der Preisdifferenz dem Beklagten - für den Fall der Stattgebung der Klage - die gesetzliche Möglichkeit, den Kaufgegenstand Zug um Zug gegen Rückstellung des Kaufpreises zurückzustellen. Werde laesio enormis mittels Klage geltend gemacht, so bedürfe es eines auf Vertragsaufhebung gerichteten Rechtsgestaltungsbegehrens. Die Aufhebung erfolge durch das rechtskräftige Rechtsgestaltungsurteil und beseitige den Vertrag rückwirkend, wirke also obligatorisch ex tunc, sofern der Gegner nicht die gesetzliche Alternativermächtigung ausnütze, sich also zum Ausgleich (Wertersatz) bis zum gemeinen Wert bereiterkläre. Folge der Vertragsaufhebung sei die beiderseitige Verpflichtung zur Rückstellung der erhaltenen Leistungen, vom Gesetz als "Herstellung in den vorigen Stand" bezeichnet. Sie habe selbst im Fall der (nachträglich eingetretenen) Rückstellungsunmöglichkeit in - bereicherungsrechtlicher - Rückabwicklung des aufgehobenen Vertrages so zu erfolgen, daß kein Teil aus dem Schaden des anderen Gewinn ziehe.

Anstatt der Zurückversetzung in den vorigen Stand könnte der Verkürzte die Vergütung des Schätzwertes (analog § 1323 ABGB) nur dann verlangen, wenn die Vertragsaufhebung nicht tunlich wäre; selbst die Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes stünde aber der Aufhebung des Vertrages nicht entgegen. Deshalb treffe es nicht zu, daß der Gegner stets zwangsweise den Ausgleich zahlen müsse, wenn die Wiederherstellung des vorigen Zustandes unmöglich sei. Die bereicherungsrechtliche Abwicklung, die nach der Vertragsaufhebung Platz greife, könne auch zu anderen Ergebnissen führen.

Der Auffassung des Beklagten, daß der Weiterverkauf des Grundstückes dessen Rückgabe nicht von vornherein unmöglich mache, sei beizupflichten. Selbst die Unmöglichkeit der Rückstellung würde aber die Aufhebung des Vertrages nicht hindern. Die Auffassung der Klägerin, der Klage könne auch dann stattgegeben werden, wenn sie kein Aufhebungsbegehren enthalte, sei unzutreffend. Eine Abweisung des Klagebegehrens, ohne der klagenden Partei, die mit dieser für sie überraschenden Rechtsansicht konfrontiert werde, Gelegenheit gegeben zu haben, ihr Begehren entsprechend zu modifizieren, verstieße gegen den Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs im Rahmen eines "fair trial", zumal im vorliegenden Fall der Beklagte die Fassung des Klagebegehrens erst in der Berufung beanstandet habe. Eine amtswegige Berichtigung des Klagebegehrens komme hier nicht in Betracht.

Dies führe zur Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz, die die dargelegte Rechtsansicht mit den Parteien zu erörtern und die klagende Partei zu entsprechendem Vorbringen anzuleiten haben werde.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, "diesen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung im Sinne einer Bestätigung des Ersturteiles aufzutragen oder ihn abzuändern und in der Sache selbst durch Urteil im Sinne des Ersturteiles zu entscheiden".

Der Beklagte hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Es entspricht Lehre und Rechtsprechung, daß der Anspruch auf Aufhebung des Vertrages wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes im Sinne des § 934 ABGB, vom Fall einer Übereinkunft der Parteien abgesehen, gerichtlich durch Klage oder Einrede geltend gemacht werden muß. Nicht schon die Erklärung des Verletzten, sondern erst das rechtsgestaltende Urteil des Gerichtes hebt den Vertrag auf (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 561; Koziol-Welser, Grundriß8 I 258; Binder in Schwimann, ABGB, Rz 16 zu § 934; RZ 1973/119; SZ 55/21 ua). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die klagende Partei, die eine einvernehmliche Vertragsauflösung ja nicht behauptet, wenn sie gegen den Beklagten Ansprüche aus dem Rechtsgrund des § 934 ABGB geltend machen will, zunächst ein auf Aufhebung des Vertrages gerichtetes Rechtsgestaltungsbegehren stellen muß, ist daher zu billigen, weil anders die Vertragsaufhebung im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht herbeigeführt werden kann.

Eine "amtswegige Berichtigung" des Klagebegehrens im Sinne der Rechtsmittelausführungen der klagenden Partei kommt im vorliegenden Fall deswegen nicht in Betracht, weil diese, wie sich aus ihrer Klage und ihren Rechtsmittelausführungen ergibt, (unzutreffend) davon ausgeht, daß die Stellung eines Rechtsgestaltungsbegehrens nicht erforderlich sei, sondern daß sie vielmehr ihr aus dem Rechtsgrund des § 934 ABGB abgeleitetes Leistungsbegehren auch ohne ein solches ausdrückliches Rechtsgestaltungsbegehren durchsetzen könnte.

Es entspricht auch Lehre und Rechtsprechung (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 10 zu § 934 und Binder in Schwimann, ABGB, Rz 12 zu § 934 und die dort angeführte Judikatur), daß die Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes die Aufhebung eines Vertrages wegen Verletzung über die Hälfte nicht hindert und daß bei Rückstellungsunmöglichkeit die Rückabwicklung des aufgehobenen Vertrages nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen so zu erfolgen hat, daß kein Teil aus dem Schaden des anderen Nutzen zieht (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 563; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 10 zu § 934; Binder in Schwimann, ABGB, Rz 21 zu § 934 und die dort angeführte Judikatur).

Die primäre Folge der Aufhebung eines Vertrages nach § 934 ABGB ist der Anspruch des Verkürzten auf Wiederherstellung des vorigen Standes, für den Verkäufer also die Forderung auf Rückgabe des Kaufgegenstandes gegen Rückstellung des erhaltenen Kaufpreises. Eine primär auf Leistung von Geld gerichtete Forderung des Verkäufers, wie sie im vorliegenden Fall gestellt wurde, kommt nur dann in Betracht, wenn die Wiederherstellung des vorigen Standes nicht möglich ist. Dabei obliegt es dem Verkäufer, hier also der klagenden Partei, die ja primär nur die Wiederherstellung des vorigen Zustandes verlangen kann, deren Unmöglichkeit zu behaupten und erforderlichenfalls zu beweisen (vgl Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 11 zu § 920 ABGB).

Im vorliegenden Fall hat sich die klagende Partei unter Berufung darauf, daß der Beklagte das von Fritz R*** gekaufte Grundstück weiterverkaufte, auf die Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes berufen. Dieser Umstand allein begründet aber nicht die Unmöglichkeit der Rückstellung des gekauften Grundstückes durch den Beklagten an die klagende Partei; diese wäre nur dann zu bejahen, wenn die Käufer dieses Grundstückes sich weigerten, das Grundstück an den Beklagten zurückzuübertragen oder der Beklagte gar nicht die Absicht hätte, sich dieses Grundstück zu den von den Käufern gewährten Konditionen wieder zu verschaffen (siehe dazu Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 10 zu § 920 ABGB und die dort angeführte Judikatur). Derartiges wurde aber von der klagenden Partei bisher weder behauptet noch unter Beweis gestellt. Erst dann, wenn die klagende Partei das erforderliche Rechtsgestaltungsbegehren stellt und im Sinne obiger Ausführungen die Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes behauptet und erforderlichenfalls unter Beweis stellt, wird, falls die im § 934 ABGB normierten Voraussetzungen vorliegen, eine Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 15.11.1984 in der Form in Betracht kommen, daß nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen der Beklagte von vornherein zu einer Geldleistung verurteilt wird, zu deren Höhe derzeit auf Grund des bisherigen Verfahrensstandes noch nicht Stellung genommen werden kann.

Dem Rekurs der klagenden Partei muß daher ein Erfolg versagt bleiben.

Da dieses Rechtsmittel aber zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Rekurskosten im Sinne des § 52 ZPO dem weiteren Verfahren vorzubehalten (EvBl 1958/28).

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