OGH 10ObS139/90

OGH10ObS139/9025.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef P***, Angestellter, 1220 Wien, Jüptnergasse 18/9/3, vertreten durch Mag. Monika W***, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1041 Wien, Prinz Eugen-Straße 20-22, diese vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Jänner 1990, GZ 34 Rs 253/89-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. September 1989, GZ 2 Cgs 188/88-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1.7.1988 die Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der (am 9.9.1939 geborene) Kläger ist in der Verwendungsgruppe D (gemeint: Gehaltsgruppe D der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs) bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern tätig. Er hat Matura und hat die A-Prüfung und die B-Prüfung für Verwaltungsangestellte im Bereich der Sozialversicherung abgelegt. Voraussetzung für die Einstufung in die Verwendungs-(Gehalts-)Gruppe D ist die Ablegung der B-Prüfung, für die Einstufung in die Verwendungs-(Gehalts-)Gruppen A bis C die Ablegung der A-Prüfung.

Der Kläger kann keine Bildschirmarbeit mehr verrichten und keine Lasten über 6 kg heben. Alle Stunden muß er eine Pause von 10 Minuten einlegen. Er kann die Tätigkeit eines Prüfers nicht mehr ausüben, wohl aber kann er in der Verwendungs-(Gehalts-)Gruppe C tätig sein.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger nicht auf eine Tätigkeit der Gehaltsgruppe C verwiesen werden dürfe, weil für diese die A-Prüfung nicht erforderlich sei. Dies käme der Verweisung eines Beamten der Verwendungsgruppe A auf eine Tätigkeit der Verwendungsgruppe B gleich, die nicht zulässig wäre. Der Kläger sei daher berufsunfähig. Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes infolge Berufung der beklagten Partei im Sinn der Abweisung des auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab 1.7.1988 gerichteten Klagebegehrens ab. Mit der Verweisung eines Sozialversicherungsangestellten von der Gehaltsgruppe D auf die Gehaltsgruppe C sei kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden, zumal das Gehaltsgefälle nicht so groß sei, daß damit die sogenannte "Lohnhälfte" unterschritten würde. Aus der Personalstruktur der Sozialversicherungsträger (Pyramide der Arbeitnehmer) könne geschlossen werden, daß in der Gehaltsgruppe C mehr, jedenfalls aber nicht so viel weniger Arbeitnehmer als in der Gehaltsgruppe D eingestuft sind, als daß eine noch hinreichende Verweisungsmöglichkeit ausgeschlossen wäre. Der Arbeitgeber sei überdies verpflichtet, dem gesundheitlich beeinträchtigten Arbeitnehmer einen Ersatzarbeitsplatz anzubieten. Daher wäre der Kläger gar nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt (etwa auf Arbeitsplätze der Gehaltsgruppe C bei anderen Sozialversicherungsträgern) zu verweisen, sondern es hätte ihm schon sein Arbeitgeber nach Möglichkeit einen Ersatzarbeitsplatz zuzuweisen. Da der Kläger somit auf die Tätigkeit in der Gehaltsgruppe C verwiesen werden könne, sei er nicht berufsunfähig. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an eine der Unterinstanzen zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Zur Frage der Verweisungsmöglichkeit kann dem Kläger allerdings nicht gefolgt werden. Bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes gemäß dem hier anzuwendenden § 273 Abs 1 ASVG, also bei der Bestimmung jener Berufe, auf die der Versicherte verwiesen werden kann, ist auch auf Berufstätigkeiten Bedacht zu nehmen, die für den Versicherten einen gewissen Verlust an Einkommen oder an Ansehen in der Öffentlichkeit bedeuten, sofern ihm dieser Verlust noch zumutbar ist (vgl SSV-NF 3/80). Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Erstgerichtes nicht ausschließlich auf die Qualifikationen an, die für die einzelnen Berufstätigkeiten gefordert werden, und ebenso wenig können die Verhältnisse im Dienstrecht der Beamten einfach auf Angestellte vom Sozialversicherungsträger übertragen werden, weshalb auf die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang vertretene Rechtsansicht nicht weiter eingegangen werden muß. Der Oberste Gerichtshof teilt somit im Grundsätzlichen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß ein Versicherter, der zuletzt eine Tätigkeit ausgeübt hat, die in der Gehaltsgruppe D der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs einzustufen ist, auf eine Tätigkeit der Gehaltsgruppe C dieser Dienstordnung verwiesen werden kann. Diese Rechtsansicht wurde schon vom Oberlandesgericht Wien als damaligem Höchstgericht vertreten (SSV 26/61) und entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach der Versicherte im allgemeinen auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, die nach dem in Betracht kommenden Kollektivvertrag um eine Beschäftigungsgruppe niedriger als die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einzustufen ist (vgl SSV-NF 3/13, 3/80, 3/156 ua). Es besteht kein Grund, für die Angestellten der Sozialversicherungsträger grundsätzlich etwas anderes anzunehmen. Die Einstufung in einen Kollektivvertrag oder auch in der erwähnten Dienstordnung der Sozialversicherungsangestellten bildet allerdings nur einen Anhaltspunkt bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes, weshalb in besonders gelagerten Fällen auch die Ausübung einer nur um eine Gruppe niedriger eingestuften Tätigkeit nicht mehr zumutbar sein kann. Für den Kläger kommt im übrigen auch die Verweisung auf eine Angestelltentätigkeit außerhalb des Bereichs der Sozialversicherung in Betracht.

Die - nur sehr dürftigen - Feststellungen des Erstgerichtes reichen nicht aus, um die Frage lösen zu können, welche Berufstätigkeiten dem Kläger noch zugemutet werden können. Zunächst muß der Inhalt der Berufstätigkeit festgestellt werden, die der Kläger zuletzt ausübte, weil es hierauf bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes im allgemeinen ankommt (SSV-NF 2/73, 2/92, 3/108 ua). Sodann wird festzustellen sein, ob dem Kläger, wie die beklagte Partei schon im Verfahren erster Instanz vorbrachte, aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls noch die - in die Gehaltsgruppe D einzustufende - Tätigkeit eines Gruppenleiters oder eine andere Tätigkeit dieser Gehaltsgruppe zuzumuten ist, weil sich dann die Frage der Verweisung auf eine Tätigkeit der Gehaltsgruppe C nicht stellt. Sollte dies nicht zutreffen, werden jene Berufstätigkeiten aus der Gehaltsgruppe C oder aus dem Bereich außerhalb der Sozialversicherung festzustellen sein, die der Kläger im Hinblick auf sein medizinisches Leistungskalkül noch ohne Gefahr für seine Gesundheit ausüben kann. Hiezu ist noch eine genauere Feststellung dieses Leistungskalküls und im besonderen die Feststellung des Grundes für die einzuhaltenden Pausen notwendig. Erst wenn diese Feststellungen vorliegen, wird beurteilt werden können, ob mit der Ausübung der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeit ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist.

Sollte sich aufgrund dieser Feststellungen ergeben, daß dem Kläger noch eine andere als die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit zuzumuten ist, wird zumindest für den Bereich der Sozialversicherung festzustellen sein, ob es hiefür Arbeitsplätze in entsprechender Anzahl gibt. Das Unterbleiben dieser Feststellung wird in der Revision mit Recht als Mangel geltend gemacht. Als Verweisungstätigkeiten kommen nämlich nur solche Berufstätigkeiten in Betracht, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl, also nicht so eingeschränkt vorkommen, daß von einem "Arbeitsmarkt" gar nicht mehr gesprochen werden kann (SSV-NF 2/20, 3/70 ua), wobei hiezu, vom Fall der Offenkundigkeit abgesehen, entsprechende Feststellungen notwendig sind (SSV-NF 3/70). Nicht entscheidend ist entgegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, ob der Dienstgeber des Versicherten verpflichtet ist, ihm nach Möglichkeit einen seinem Leistungskalkül entsprechenden Arbeitsplatz anzubieten. Für die Frage des Anspruchs auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit kommt es nämlich nicht darauf an, ob der Versicherte einen bestimmten Arbeitsplatz erlangen kann (SSV-NF 1/23, 1/68 ua), sondern nur darauf, ob für die ihm noch zumutbare Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung steht. Die Ansicht des Berufungsgerichtes würde zu dem ungerechtfertigten Ergebnis führen, daß das Entstehen des Anspruchs auf Leistungen aus dem genannten Versicherungsfall von den besonderen Verhältnissen beim Dienstgeber des Versicherten abhängen würde und dieser daher das Entstehen des Anspruchs durch Wahl seines Dienstgebers beeinflussen könnte. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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