OGH 15Os88/90 (15Os89/90)

OGH15Os88/90 (15Os89/90)18.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.September 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wachberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter K*** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über

1. die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung sowie 2. die Beschwerde des Angeklagten gegen (zu 1.) das Urteil und (zu 2.) den Beschluß des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz, jeweils vom 11.Mai 1990, GZ 11 Vr 533/90-28 und 29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Kojer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben: es werden der (sonst unberührt bleibende) Wahrspruch der Geschwornen zur Zusatzfrage III, das (auch) darauf beruhende (gleichfalls sonst unberührt bleibende) Urteil im Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und im Strafausspruch sowie der Beschluß auf Widerruf der dem Angeklagten im Verfahren zum AZ 11 E Vr 385/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsicht (ON 28) aufgehoben; die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen, dem dazu aufgetragen wird, den Wahrspruch zur Hauptfrage I der Entscheidung mit zugrunde zu legen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung und mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die auf den erfolglos gebliebenen Teil des Rechtsmittelverfahrens entfallenden Kosten zur Last.

Text

Gründe:

Peter K*** wurde mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil

(1) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB und

(2) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB

schuldig erkannt, weil er in Graz

(zu 1) am 21.Dezember 1989 dadurch, daß er einen etwa 20 cm langen dolchförmigen Brieföffner gegen Natalia G*** richtete und sie aufforderte, alles Geld herauszugeben, widrigenfalls es Tote gebe, mithin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) und unter Verwendung einer Waffe, der Genannten fremde bewegliche Sachen, nämlich mindestens 2.700 S Bargeld, mit dem Vorsatz abnötigte, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, und

(zu 2) Berechtigten der Elektro G*** GesmbH fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar am 1.Februar 1990 1.960 S, am 14. Februar 1990 200 S und am 17.Februar 1990 3.760 S. Der Angeklagte ficht dieses Urteil mit einer auf § 345 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Im Hinblick darauf, daß er darin einleitend erklärt, das Urteil "seinem gesamten Inhalte nach" anzufechten und in der Folge auch die Rechtsbelehrung zum Diebstahl rügt (S 8 der Nichtigkeitsbeschwerde), erscheint die dazu im Widerspruch stehende Erklärung im Punkt 2 der Beschwerdeanträge, wonach der Schuldspruch wegen Vergehens des Diebstahls aufrecht bleiben möge, nicht geeignet, der vorliegenden Entscheidung die Annahme zugrunde zu legen, daß der Beschwerdeführer den Umfang der Anfechtung auf den Punkt 1 des Schuldspruches und auf den diesem zugrunde liegenden Wahrspruch der Geschwornen eingeschränkt hätte.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt im Ergebnis teilweise Berechtigung zu.

Unzutreffend ist allerdings die Behauptung einer Verletzung des Anspruches auf Verteidigung in der Hauptverhandlung (Z 2), mit der der Beschwerdeführer moniert, daß seinem Verteidiger die Anwesenheit bei der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung versagt wurde. Eine solche Anwesenheit liefe der Bestimmung des § 322 StPO zuwider, wonach sich nur der Schwurgerichtshof mit dem Schriftführer in das Beratungszimmer der Geschwornen zu begeben hat, wo ihnen vom Vorsitzenden die Rechtsbelehrung zu erteilen ist: Ein Vorgang, der im übrigen entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht Teil der (die Anwesenheit eines Verteidigers voraussetzenden) Hauptverhandlung ist; denn diese wird nach den Schlußvorträgen der Parteien geschlossen (§ 319 StPO) und erst unmittelbar vor Verkündung des Wahrspruches wieder eröffnet (§ 340 Abs. 1 StPO). Gleichfalls nicht zielführend ist die Rüge nach § 345 Abs. 1 Z 4 StPO, mit der der Beschwerdeführer das Unterbleiben seiner Verständigung von der - im Vorverfahren vom Untersuchungsrichter verfügten - Bestellung des Sachverständigen Obersanitätsrat Dr. Z*** moniert. Er übersieht dabei, daß - wie aus der Bestimmung des § 120 StPO klar ersichtlich - nur Vorgänge von Nichtigkeit bedroht wären, die dem ersten Satz dieser Verfahrensbestimmung zuwiderlaufen, nicht aber das Unterbleiben einer in deren zweitem Satz statuierten, "in der Regel" vorzunehmenden dahingehenden Verständigung (EvBl. 1988/28, EvBl. 1982/136 ua).

Verfehlt ist ferner die Instruktionsrüge gegen die allgemeine Rechtsbelehrung sowie gegen die Belehrung zu den Hauptfragen I und II (Z 8).

Die einleitend als irreführend bemängelte Passage der allgemeinen Rechtsbelehrung (S 1 verso), wonach mindestens fünf Stimmen erforderlich sind, um eine Frage mit Ja zu beantworten und bei Stimmengleichheit die dem Angeklagten günstigere Meinung den Ausschlag gibt, entspricht - mit der Verdeutlichung, daß die "absolute Stimmenmehrheit" mindestens fünf Stimmen sind - geradezu wörtlich der Bestimmung des § 331 Abs. 1 StPO. Von einer "irreführenden" Belehrung kann demnach keine Rede sein; daß sie den Wahrspruch in seiner Gesamtheit - und nicht etwa die Voten des jedes einzelnen Geschwornen - betrifft, liegt klar auf der Hand. Bei der weiteren Bemängelung des Hinweises auf die im Beratungszimmer der Geschwornen aufliegende Belehrung gemäß § 325 StPO verkennt der Beschwerdeführer zum einen, daß diese Belehrung nicht nur die Erinnerung an den Geschworneneid (Abs. 1) enthält, sondern auch die Bestimmungen der §§ 326, 329, 330, 331, 332 Abs. 1 bis 3 sowie 340 StPO betrifft (Abs. 2), und zum anderen übersieht er, daß sie dem Verteidiger - ganz abgesehen davon, daß letzterer sehr wohl im Sinne des § 332 Abs. 1 StPO das Beratungszimmer betreten hat (S 338) - durch Einsicht in das vom Bundesministerium für Justiz aufgelegte amtliche Formular über die allgemeine Rechtsbelehrung für die Geschwornen, StPOForm. RMB 1 (vgl. Foregger et alii, Formbuch in Strafsachen, S 463 f), jederzeit zugänglich war.

Soweit aber der Beschwerdeführer verschiedene Ausführungen der Rechtsbelehrung zu den Hauptfragen als zwar "sicherlich für einen Juristen verständlich", aber "für einen Laien", ja selbst für einen "Studenten der juristischen Fakultät bis zum strafrechtlichen Rigorosum" als eine "unverständliche Sprache" oder doch als mit "erheblichen Schwierigkeiten" verbunden und "sicherlich nicht allgemein verständlich" bezeichnet, wird eine Unrichtigkeit der Instruktion gar nicht behauptet: Davon, daß sie von den Geschwornen tatsächlich verstanden wurde, hat sich der Vorsitzende am Schlusse seines mündlichen Vortrages (§ 323 Abs. 1 StPO) zu überzeugen (§ 323 Abs. 3 StPO).

Soweit bemängelt wird, daß in der Belehrung zum Diebstahl bezüglich der Begriffe "fremde bewegliche Sachen, Gewahrsame und Bereicherung" auf Ausführungen zur Hauptfrage I (in Richtung Raubes) Bezug genommen wurde, genügt es darauf zu verweisen, daß gleichartige, jeweils mehrere Fragen betreffende Rechtsausführungen nicht bei jeder einzelnen Frage wiederholt werden müssen, sondern Verweisungen - wie hier - genügen (Mayerhofer/Rieder, StPO2, E 5 zu § 321 uam).

Berechtigung kann hingegen der Verfahrensrüge (Z 5) insoweit nicht abgesprochen werden, als jener Beschluß des Schwurgerichtshofes gerügt wird, mit dem der Antrag des Angeklagten (gemeint: dem Sachverständigen Obersanitätsrat Dr. Z*** aufzutragen), "die Testunterlagen dem Gericht vorzulegen und dem Verteidiger Abschriften sämtlicher Testunterlagen zur Verfügung zu stellen, damit zum Gutachten die Frage gestellt werden können" (S 331), mit der Begründung abgewiesen wurde, daß "die Auswertung dieses Testes (gemeint augenscheinlich: dieser Teste) ausschließlich der Erfahrung des Sachverständigen unterliegt" (S 332). Die Verpflichtung der Sachverständigen, über das "Ergebnis ihrer Beobachtungen" Bericht zu erstatten (vgl. § 134 Abs. 2 StPO), bezieht sich nämlich auf alle bei der Befundaufnahme wahrgenommenen Tatsachen, und zwar auch insoweit, als der dem Gericht mitgeteilte "Befund" seinerseits bereits - in bezug auf den Gegenstand des Gutachtens für sich allein noch nichts aussagende, bei dessen Erstellung aber doch als Prämisse dienende - Schlußfolgerungen enthält; dementsprechend ist ja im Sinn des § 125 StPO ua dann vorzugehen, wenn der - nach § 252 Abs. 2 StPO unbedingt zu verlesende - Befund mit erhobenen Tatumständen im Widerspruch steht (so schon 10 Os 62/84).

Der Schwurgerichtshof hätte sich daher bezüglich der mit dem Antrag relevierten Test-Untersuchungen (laut ON 13:

progressive-matrices-Test, Rorschach-Versuch, Lüscher Farbtest, Szondi-Test, Baum-Test, Figur-Zeichen-Test, FBI/FPI, M***-Saarbrücken sowie Trieb-Test), in Ansehung deren der Sachverständige in Befund und Gutachten lediglich kurz zusammengefaßt das von ihm ermittelte Auswertungsergebnis bekanntgab, ohne das Untersuchungsmaterial als solches zur Verfügung zu stellen, nicht mit dessen Behauptung, der Verteidiger könne damit "nichts anfangen" (S 331), zufrieden geben dürfen, sondern ihn vielmehr dazu verhalten müssen, auch diese Ergebnisse seiner Befundaufnahme den Parteien, die sich fachkundiger Hilfspersonen bedienen könnten, in überprüfbarer Form zugänglich zu machen (idS erneut 10 Os 62/84).

Die Begründung des abweisenden Zwischenerkenntnisses läuft dementgegen darauf hinaus, dem Angeklagten die ihm nach dem Gesagten prozessual zustehende Überprüfungsmöglichkeit schlechthin zu verweigern.

Da vorliegend auch das Gutachten des Sachverständigen Obersanitätsrat Dr. Z*** als eine der mehreren Grundlagen für den Wahrspruch der Geschwornen zu der in Richtung des § 11 StGB gestellten Zusatzfrage III in Betracht kam, ist keineswegs unzweifelhaft erkennbar, daß die vom Angeklagten zutreffend gerügte Formverletzung keinen ihm nachteiligen Einfluß auf die Entscheidung zu üben vermochte (§ 345 Abs. 3 StPO). Deshalb waren das solcherart davon betroffene Verdikt - unter Aufrechterhaltung des Wahrspruches zur Hauptfrage I (§ 349 Abs. 2 StPO) - sowie das darauf beruhende angefochtene Urteil im darauf beruhenden Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes und demzufolge auch im Strafausspruch zum Zweck der Verfahrenserneuerung in erster Instanz aufzuheben, ohne daß es erforderlich wäre, auf die übrigen hierauf bezogenen Beschwerdeausführungen einzugehen; gleiches gilt für den mit dem Strafausspruch im Zusammenhang stehenden Beschluß auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht.

Im darüber hinausgehenden Umfang der Anfechtung hingegen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Für den zweiten Verfahrensgang sei im Hinblick auf hier nicht näher erörterungsbedürftige weitere Beschwerdeeinwände nur noch vermerkt, daß von einer Unzulässigkeit der vom Sachverständigen Obersanitätsrat Dr. Z*** veranlaßten "Alkoholprovokation" nicht gesprochen werden kann. Denn zum einen handelte es sich dabei - anders als in dem der Entscheidung EvBl. 1977/216 zugrunde gelegenen Fall einer LSD-Provokation - nicht um die Verabreichung einer vom Gesetzgeber generell verpönten Substanz, wobei dem Angeklagten anläßlich der durchgeführten klinischen Diagnose Alkohol nur in einem medizinisch unbedenklichem Ausmaß - 2/8 Liter Weißwein (S 249) - verabreicht wurde, und zum anderen diente die "Alkoholprovokation" bloß zur Aufnahme eines rein pathologischen Befundes im Rahmen einer EEG-Verlaufkontrolle (siehe erneut S 249), zu der ersichtlich die Zustimmung des Angeklagten vorlag. Mit der Berufung war der Beschwerdeführer auf die auch den Strafausspruch umfassende kassatorische Entscheidung zu verweisen, desgleichen mit seiner Beschwerde gegen den in untrennbarem Sachzusammenhang mit dem Strafausspruch stehenden beschlußmäßigen Widerruf einer bedingten Strafnachsicht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte