OGH 14Os61/90

OGH14Os61/9011.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.September 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pilnacek als Schriftführer in der Strafsache gegen Vyacheslav T*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 15.März 1990, GZ 20 t Vr 4291/89-85, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, des Angeklagten Vyacheslav T*** und des Verteidigers Dr. Winterstein sowie des Dolmetsch Dipl.Dolmetsch Siller zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 3.September 1964 geborene Vyacheslav T*** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 25.April 1989 in Wien seinen Großvater Saul T*** durch zahlreiche massive Schläge mit einem Bügeleisen gegen den Kopf vorsätzlich getötet hat.

Die Entscheidung beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonforme Hauptfrage nach Mord (einstimmig) bejahten und die Zusatzfragen in Richtung Notwehr, Notwehrüberschreitung, Putativnotwehr sowie Zurechnungsunfähigkeit des Täters jeweils verneinten, weshalb zwei für den Fall der Bejahung von Zusatzfragen gestellte Eventualfragen unbeantwortet blieben.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6 und 10 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) rügt er das Unterbleiben einer auf Totschlag nach § 76 StGB gerichteten Frage. Zu den (prozeßrechtlichen) Beschwerdeausführungen sei zunächst angemerkt, daß § 312 Abs 2 StPO über gesonderte Hauptfragen den (hier nicht aktuellen) Fall der Idealkonkurrenz (Tateinheit) mehrerer Delikte betrifft und nicht auf die Beurteilung der angeklagten Tat nach einem anderen als dem in der Anklageschrift angeführten Strafgesetz abzielt. Der vom Beschwerdeführer behaupteten Möglichkeit einer Beurteilung der als Mord angeklagten Tat nach der milderen Strafbestimmung des § 76 StGB hätte daher nicht - wie die Beschwerde vermeint - durch eine zweite Hauptfrage, sondern nur durch eine entsprechende Eventualfrage (§ 314 Abs 1 StPO) zu der nach dem Verbrechen des Mordes gestellten Hauptfrage Rechnung getragen werden können.

Gemäß § 314 Abs 1 StPO ist unter anderem dann eine Eventualfrage zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden, wonach - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Grundlage einer Eventualfrage kann dabei immer nur ein tatsächliches Substrat sein, nicht aber eine bloß abstrakt denkbare Möglichkeit. Dient doch die Fragestellung an die Geschwornen nur dazu, den Tatbestand, der sich aus der Anklage und aus den Ergebnissen der Hauptverhandlung ergibt, zu präzisieren, nicht aber dazu, über allfällige Mutmaßungen einen Wahrspruch einzuholen, der seinem Wesen nach einer Tatsachenfeststellung gleichkäme, für die eine entsprechende Feststellungsgrundlage fehlt (SSt 44/29). Die Beurteilung der rechtlichen Erheblichkeit vorgebrachter Tatsachen hat unbeschadet der allein den Geschwornen obliegenden Lösung von Beweisfragen zunächst der Schwurgerichtshof vorzunehmen, welchem nicht gestattet ist, anläßlich der Fragestellung eine dem feststellbaren Substrat nicht entsprechende Entscheidungsmöglichkeit zu schaffen (Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr 36 ff zu § 314).

Ein den Voraussetzungen des § 314 Abs 1 StPO entsprechendes Vorbringen über einen als Totschlag subsumierbaren Sachverhalt vermag der Beschwerdeführer jedoch mit seinen weitgehend auf Mutmaßungen statt auf verfahrensmäßigen Tatsachenbehauptungen beruhenden Beschwerdeeinwänden nicht aufzuzeigen. Der Angeklagte berief sich in der Hauptverhandlung zum unmittelbaren Tatgeschehen auf Erinnerungslücken, räumte jedoch ein, kein Motiv für einen tödlichen Angriff auf Saul T*** gehabt zu haben. Er sei zwar auf den Genannten böse gewesen, weil sich dieser nicht ins Zimmer bringen ließ, jedoch habe er nicht aus Zorn, vielleicht aber aus Angst zugeschlagen (AS 68/II). Im Gegensatz dazu hatte der Angeklagte bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung nach der Tat erklärt, mit Saul T*** einen Streit und eine tätliche Auseinandersetzung gehabt zu haben und äußerst erregt gewesen zu sein. Er habe nach wenigen Minuten den Entschluß gefaßt, sich zu rächen. Daraufhin habe er unter Mitnahme des zur Tat benützten Bügeleisens den Saul T*** aufgesucht und letztlich heftige Schläge gegen ihn geführt (AS 79, 80/I).

Auch wenn man diese Verantwortung insgesamt als Vorbringen dahin verstehen wollte, daß sich der Angeklagte in einer heftigen Gemütsbewegung zur Tat hinreißen ließ, ergibt sich daraus keine Basis für die geforderte Eventualfrage nach Totschlag, weil das Gesetz im § 76 StGB nicht jeden in einem noch so tiefgreifenden Affekt begangenen Mord privilegiert, sondern nur eine durch allgemeine Begreiflichkeit der betreffenden Gemütsbewegung einschließlich ihrer Heftigkeit gekennzeichnete Tat. Allgemein begreiflich ist eine heftige Gemütsbewegung jedoch nur, wenn sich ein rechtstreuer Durchschnittsmensch von der körperlichen und geistigen Beschaffenheit des Täters vorstellen kann, unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsverfassung zu geraten (Mayerhofer-Rieder StGB3 ENr 8 zu § 76). Ein derartiger Anlaß, welcher bei rechtsethischer Bewertung, also nach einem objektiven Maßstab, die allfällige Gemütsbewegung des Angeklagten anläßlich der Tat verständlich erscheinen lassen könnte, ist - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - dem einschlägigen Tatsachensubstrat nicht zu entnehmen.

Die schwere Lebenssituation des Angeklagten, der als Emigrant aus der Sowjetunion unter beengten Wohnverhältnissen auf eine Einreiseerlaubnis in die Vereinigten Staaten von Amerika wartete, ein vor der Tat gemeinsam mit dem Getöteten unternommener Gasthausbesuch sowie die Alkoholisierung der beiden Männer stellen nämlich schon von vornherein keine beachtlichen Affektursachen dar, weil einerseits in dieser Beziehung eine Konfliktlage gar nicht behauptet wurde, andererseits jedoch ein psychologisch sowie sittlich allgemein begreiflicher Zusammenhang der Affektentstehung mit der Person des Opfers fehlen würde (siehe hiezu Moos im WK Rz 49 zu § 76), zumal es sich beim Getöteten um den das Emigrantenschicksal teilenden Großvater des Angeklagten handelte. Der vom Beschwerdeführer ferner erwähnte Streit mit dem Opfer war zufolge der entsprechenden Verantwortung eine völlig banale Auseinandersetzung zweier Männer nach Alkoholkonsum, verursacht dadurch, daß Saul T*** noch nicht nach Hause gehen oder (nach einer anderen Version) sich an Ort und Stelle im Hausflur zum Schlafen niederlegen wollte (AS 79/I; AS 58, 68/II). Bedeutungslose Differenzen dieser Art sind bei der gebotenen objektiven Sicht keine adäquate Ursache für die Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung, zumal von allgemeiner Begreiflichkeit eines auf diese Weise entstandenen Affekts keine Rede sein kann.

Da somit einer heftigen Gemütsbewegung des Angeklagten anläßlich der Tat die allgemeine Begreiflichkeit gefehlt hätte, lag die rechtliche Voraussetzung für eine Beurteilung der behaupteten Sachverhaltsgestaltung als Totschlag nicht vor, weshalb die vermißte Eventualfrage in Richtung dieses Verbrechens mit Recht unterblieb. Auf die im Gerichtstag vom Verteidiger mündlich erhobene Rüge, es sei keine Eventualfrage nach voller Berauschung (§ 287 StGB) gestellt worden, kann nicht eingegangen werden, weil die Nichtigkeitsbeschwerde in dieser Richtung innerhalb der Frist nicht ausgeführt wurde.

Auch der vorgetragenen Tatsachenrüge nach Z 10 a des § 345 Abs 1 StPO kann nicht gefolgt werden. Nach sorgfältiger Prüfung des insoweit vom Angeklagten ins Treffen geführten Vorbringens - das nur hinsichtlich der Verneinung des Handelns in Putativnotwehr klar zum Ausdruck bringt, gegen welche im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen überhaupt angekämpft wird - ergeben sich keine erheblichen Bedenken gegen die Lösung der Beweisfrage durch die Geschwornen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte Vyacheslav T*** nach § 75 StGB zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Als erschwerend wurde dabei die Tötung des Großvaters auf brutale Weise, als mildernd der ordentliche Lebenswandel mit dem auffallenden Widerspruch zur Tat zum sonstigen Verhalten des Angeklagten, der Beitrag des Angeklagten zur Wahrheitsfindung in "gewissem Maße", die durch die Lage eines Auswanderers und das Zusammenleben auf engem Raum gegebene psychische Ausnahmesituation und die Enthemmung durch Alkohol gewertet.

Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, die Straferhöhung bzw -herabsetzung anstreben. Beide sind unbegründet. Entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft hat das Geschwornengericht den festgestellten Milderungsgründen richtiges Gewicht beigemessen. Der Umstand, daß das Vorleben des sowjetischen Angeklagten nur zu einem geringen Teil durch die österreichische Gerichtsbarkeit geprüft werden konnte, kann nicht zur Annahme führen, er hätte bisher keinen ordentlichen Lebenswandel geführt. Darüber hinaus hat das Geschwornengericht den Beitrag des Angeklagten zur Wahrheitsfindung ohnedies nur eingeschränkt, nämlich in "gewissem Maße", als mildernd gewertet. Die Enthemmung durch Alkoholgenuß wurde begründetermaßen als mildernd herangezogen, weil nach den Ergebnissen des psychiatrischen, insbesondere zur Beurteilung der Alkoholproblematik eingeholten Gutachtens Alkoholkonsum sehr selten, wenn auch dann "ausgiebig" (AS 471/I) erfolgte und keine Verfahrensergebnisse für erhöhte Aggressionsneigung oder einem sonstigen Mangel an sozialem Verantwortungsbewußtsein nach Alkoholkonsum sprechen, sodaß die Vorwurfsabwägung im Sinne des § 35 StGB zu Gunsten des Angeklagten ausgehen muß. Psychiatrischer Darlegungen bedarf es andererseits zur Annahme einer auf dem Emigrantenschicksal beruhenden psychischen Ausnahmesituation keineswegs.

Soweit die Berufung des Angeklagten wiederum das Vorliegen des festgestellten Erschwerungsgrundes bestreitet, geht sie an dem Umstand vorbei, daß im Wahrspruch der Geschwornen die Tötung des Saul T*** durch zahlreiche massive Schläge mit dem Bügeleisen gegen dessen Kopf festgestellt ist. Dieses Vorgehen ist brutal. Es erfolgte darüber hinaus auch gegen den mit dem Angeklagten im Familienverband lebenden Großvater. Bei der Gewichtung der personalen Täterschuld des Angeklagten fällt auch dieser Umstand zu seinen Lasten ins Gewicht.

Daraus ergibt sich, daß das Geschwornengericht die vorhandenen Strafzumessungsgründe vollständig erfaßt und tat- und tätergerecht gewertet hat, die Berufungen waren somit nicht berechtigt. Die Kostenentscheidung fußt auf der angeführten gesetzlichen Bestimmung.

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