OGH 5Ob594/90

OGH5Ob594/9028.8.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas G***, geboren am 24. September 1939 in Muhr, Pensionist, St. Michael im Lungau, Glashütte 206, vertreten durch Dr. Roderich Santner, Rechtsanwalt in Tamsweg, wider die beklagte Partei Marianne G***, geboren am 17. April 1948 in Wagrain, im Haushalt, St. Michael im Lungau, Glashütte 206, vertreten durch Dr. Wolfgang Rohringer, Rechtsanwalt in Tamsweg, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 3. Mai 1990, GZ 21 a R 7/90-53, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Tamsweg vom 7. Feber 1990, GZ 1 C 1003/88v-49, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und die Beklagte haben am 13. Oktober 1966 die Ehe geschlossen. Sie sind österreichische Staatsbürger. Ihrer Ehe entstammen vier 1967, 1971, 1979 und 1980 geborene Kinder. Die Familie zog 1969 in das im Miteigentum der Ehegatten stehende Eigenheim. Der Mann mußte nach einem Bandscheibenleiden in Frühpension gehen und bezieht monatlich rund S 8.500,- und die Familienbeihilfen. Die Ehegatten haben keine Schulden. Der älteste Sohn arbeitet, die ältere Tochter lebt in der Bundesrepublik. Sie will heiraten. Die beiden jüngeren Kinder leben wie der Sohn beim Vater.

Die Frau zeigte seit 1981 psychische Auffälligkeiten. In der Folge wurde sie wiederholt an der Landesnervenklinik Salzburg zu stationärer Behandlung aufgenommen. Kurz andauernde Besserungen wechselten mit Schüben der nun schon jahrelang andauernden geistigen Erkrankung mit zunehmend chronischem Verlauf, deren Auswirkungen die Gemeinschaft der Ehegatten und das Familienleben beeinträchtigten. Der Mann erhob am 25. August 1988 die Klage auf Scheidung wegen der durch auf geistiger Störung beruhenden Verhaltensweisen der Frau eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe.

Die durch den Sachwalter vertretene Beklagte trat dem Scheidungsbegehren vor allem mit dem Einwand entgegen, ihre Krankheit sei nicht unheilbar.

Das Erstgericht hat auf Scheidung der Ehe aus dem Grund des § 50 EheG erkannt.

Das Berufungsgericht bestätigte und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen davon aus, daß bei der Frau eine geistige Störung in der Form eines paranoiden Liebeswahnes und eine endogene schizoaffektive Psychose mit einem zunehmend chronischem Verlauf besteht, in deren Mittelpunkt ein wahnhaft verändertes Realitätsleben, Sinnestäuschungen, Erotomanie und expansive und skurile Wahnbildungen verbunden mit Denkstörungen stehen, und daß durch das dadurch bewirkte Verhalten der Ehegattin, das ihr weil auf der geistigen Störung beruhend nicht als Eheverfehlung angelastet werden kann, eine unheilbare Zerrüttung der Ehe eintrat. Auch das Berufungsgericht ging davon aus, daß der Kläger die Scheidung wegen des auf geistiger Störung beruhenden Verhaltens (§ 50 EheG) begehrte und daß dieser Scheidungsgrund vorliege. Die Härteklausel nach § 54 EheG stehe der Scheidung nicht entgegen, weil der Mann ohnedies 9 Jahre nach Auftreten der geistigen Störung ausharrte, ihm aber bei dem zu erwartenden ungünstigen Verlauf der Erkrankung nicht zugemutet werden könne, länger an der Ehe festzuhalten. Er habe durch das auf der geistigen Störung beruhende Verhalten seiner Frau keine eheliche Gesinnung mehr. Die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft der Ehegatten sei nicht mehr zu erwarten. Mit ihrer Revision macht die Beklagte als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nur geltend, daß es doch darauf ankommen müsse, ob die geistige Erkrankung heilbar sei und bei einer liebevollen Zuwendung durch den Ehemann zumindest eine Linderung erreicht werden könnte.

Soweit die Revisionswerberin nämlich Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens behauptet, übersieht sie, daß seit der Neuordnung des Ehescheidungsverfahrens durch

Art VI Z 2 BGBl 1983/566 auch im Ehescheidungsprozeß mit dem Wegfall der Amtswegigkeit angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht in Erledigung der Mängelrüge verneint hat, nicht neuerlich im Revisionsverfahren geltend gemacht werden können.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Rechtsansicht, die Scheidung der Ehe nach § 50 oder § 51 EheG setze stets die Unheilbarkeit der geistigen Erkrankung voraus, kann nämlich nicht geteilt werden. Abgesehen davon, daß beide ärztliche Sachverständige bei der Beurteilung der Heilungsaussichten eine ungünstige Prognose stellten, kann eine sichere Aussage über den weiteren Verlauf einer psychischen Erkrankung überhaupt nicht getroffen werden, weil es sich stets um nichts anderes als eine Spekulation wenn auch im Rahmen von durch das bisherige Krankheitsbild und die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnenen Erfahrungswerten handelt. Bei der Abgrenzung der Scheidungsgründe nach § 50 und § 51 EheG kommt es zunächst darauf an, ob nur einzelne abnorme Handlungsweisen oder aber eine Geisteskrankheit im eigentlichen Sinne vorliegen (Schwind, EheR2, 219; Pichler in Rummel Rz 2 zu § 50 EheG). Während Schwind in EheR2 219 darauf verweist, daß es beim Scheidungsgrund nach § 50 EheG nicht auf die Unheilbarkeit der geistigen Störung sondern der Zerrüttung ankommt, die durch das darauf beruhende Verhalten - in der Regel als ein Dauerzustand - des Ehegatten eintrat, verlangt er für die Herstellung des Scheidungsgrundes nach § 51 EheG die Feststellung einer Geisteskrankheit, die nach menschlichem Ermessen von Dauer ist und bei der aller Voraussicht nach weder Heilung noch hochgradige Besserung zu erhoffen ist (Schwind aaO 222). Pichler in Rummel, Rz 3 zu § 51 EheG, lehrt hingegen, es genüge schon Unabsehbarkeit einer Heilung der Krankheit oder doch der Besserung in dem Grad, daß wieder die geistige Gemeinschaft besteht, die Geisteskrankheit müsse nicht schlechthin unheilbar sein. Dieser Ansicht ist der Vorzug zu geben. Bei der Zukunftsprognose kann es nur darauf ankommen, welche künftige Entwicklung absehbar eintreten wird. Es kann wohl nie eine (auch überraschende) Heilung ausgeschlossen werden; kann aber eine solche nach Lage der konkreten Umstände in übersehbarer Zeit nicht erwartet werden, wird auch § 51 EheG eine Scheidung wegen Geisteskrankheit zulassen (aA noch JBl 1958, 177).

Es ist dann kein Wertungswiderspruch, wenn auch bei einem auf geistiger Störung beruhenden Verhalten die für die Unheilbarkeit der dadurch herbeigeführten Ehezerrüttung maßgebende Dauer der Störung angenommen wird, wenn die Zukunftserwartung nicht eine alsbaldige Veränderung erhoffen läßt und damit die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft der Ehegatten absehbar ist. Die nun schon jahrelang anhaltend vorhandene schwere Beeinträchtigung des Ehe- und Familienlebens durch das auf geistiger Störung beruhende Verhalten der Beklagten und das Fehlen einer günstigen Prognose für den weiteren Verlauf genügen daher für das Vorliegen des Scheidungsgrundes.

Dem Berufungsgericht ist auch bei der Anwendung der Härteklausel kein Rechtsirrtum unterlaufen. Dem Scheidungsbegehren des Mannes fehlt die sittliche Rechtfertigung nicht. Die Schwierigkeit der nachehelichen Aufteilung des ehelichen Vermögens kann, weil die Aufteilung nach Billigkeit vorzunehmen sein wird (§ 83 Abs 1 EheG), allein nicht zur Annahme führen, die Auflösung der Ehe werde die Frau außergewöhnlich hart treffen. Sonst sind aber besondere Umstände, die die sittliche Rechtfertigung des vom Mann erhobenen Scheidungsbegehrens in Frage stellen, nicht erkennbar, hat er doch zunächst ohnedies von 1981 bis 1988 abgewartet, ob es nicht gelinge, die geistige Störung auf Dauer zu beheben oder so zu lindern, daß keine nachteiligen Auswirkungen auf das eheliche Verhältnis aber auch das körperliche und seelische Wohl der im Haushalt lebenden Kinder mehr eintreten. Da aber der Verlauf der geistigen Störung chronisch wurde und dem Mann nicht zugemutet werden kann, länger Geduld aufzubringen und die Ehe fortzusetzen, ist ihm die Scheidung nicht zu verwehren.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO, weil § 45 a Abs 1 ZPO bei erfolgloser Rechtsmittelerhebung nicht anwendbar ist (EFSlg 34.360).

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