Spruch:
In der Strafsache gegen Harald W*** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 und 2 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung, AZ 22 Vr 2066/85 des Landesgerichtes Innsbruck, verletzt die Vernehmung der Gendarmeriebeamten Georg J*** und Alfred G*** in der Hauptverhandlung und die Verwertung dieser Angaben im Urteil das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 151 Z 2, 249 Abs. 1, 252 Abs. 1 Z 1, 258 Abs. 1 und 2 StPO.
Das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.November 1985, das im übrigen unbrührt bleibt, wird im Schuldspruch des Harald W*** wegen Verbrechens nach §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 und 2 StGB (in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung) aufgehoben und dem Erstgericht im Umfang der Aufhebung die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 20.November 1985, GZ 22 Vr 2066/85-108, wurde (ua) der am 9. Dezember 1933 geborene Angeklagte Harald W*** des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 und 2 StGB (in der Fassung vor dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987) schuldig erkannt. Nach dem Schuldspruch hat er - in Gesellschaft eines Beteiligten (§ 12 StGB) - in der Nacht zum 21.Mai 1985 in Stams Gold- und Silberschmuck im Wert von ca. 100.000 S sowie Bargeld im Betrag von 33.000 S und Valuten im Betrag von (umgerechnet) 23.000 S dem Hubert S*** durch Einbruch in dessen Cafe "A*** S***" gestohlen. Das Schöffengericht stützte diesen Schuldspruch des Harald W*** vor allem auf die Angaben zweier anonym gebliebener Zeuginnen vor der Gendarmerie, die Harald W*** und den (inzwischen verstorbenen) Mittäter Erich S*** in der Nacht zum 21. Mai 1985 in Stams gesehen und bei einer später durchgeführten verdeckten Gegenüberstellung eindeutig erkannt haben (S 396, 397; 400 Band II). Eine Ausforschung und Vernehmung der beiden Zeuginnen vor Gericht scheiterte daran, daß die beiden erhebenden Kriminalbeamten Georg J*** und Alfred G*** den beiden Zeuginnen, die von den Angeklagten Repressalien befürchteten, die Wahrung ihrer Anonymität zugesagt hatten und sich deshalb in der Hauptverhandlung darauf beriefen, insoweit nicht von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden zu sein. Der Schöffensenat akzeptierte diesen Hinweis der Beamten auf ihre (teilweise) Verschwiegenheitspflicht und sah deshalb keinen Anlaß, das aufgetretene Hindernis der persönlichen Vernehmung der Gewährsleute amtswegig (allenfalls durch Vernehmung des Pfarrers von Stams, der den beiden anonym gebliebenen Zeuginnen begegnet war und deren Namen kannte) zu beseitigen (S 397 Band II) oder aus der nur teilweisen Entbindung der Zeugen von ihrer Verschwiegenheitspflicht rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Mangels zielführender Antragstellung durch die Verteidigung der Angeklagten blieben die beiden Zeuginnen tatsächlich anonym. Auf Grund der Angaben der erhebenden Kriminalbeamten vor Gericht gelangte der Schöffensenat zu der Ansicht, daß es sich bei den beiden Frauen "um einfache, aber glaubwürdige Personen" handelt (S 397 Band II) und verwertete deren - ihm nur mittelbar vorliegende - Angaben im Urteil. In dieser Vorgangsweise erblickt die Europäische Kommission für Menschenrechte einstimmig eine Verletzung des Absatzes 1 iVm Absatz 3 lit. d des Artikels 6 der MRK (Applikation No 12489/86; Bericht der Kommission vom 12.Juli 1989).
Die gegen den Schuldspruch von den Angeklagten Harald W*** und Erich S*** erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden waren mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 20.März 1986 zurückgewiesen und mit Urteil vom 24.April 1986 war ihren Berufungen nicht Folge gegeben worden (GZ 12 Os 11/86-6 und 13).
Harald W*** hat die verhängte Freiheitsstrafe bis 9. April 1988 verbüßt (S 47 Band III).
Rechtliche Beurteilung
Das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.November 1985, GZ 22 Vr 2066/85-108, steht bei MRK-konformer Interpretation der bezughabenden Verfahrensvorschriften auch mit der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht im Einklang.
Gemäß § 247 Abs. 1 StPO werden Zeugen und Sachverständige einzeln vorgerufen und in Anwesenheit des Angeklagten abgehört. Der Angeklagte muß nach der Abhörung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten befragt werden, ob er auf die eben vernommene Aussage etwas zu entgegnen habe (§ 248 Abs. 4 StPO). Nach § 249 Abs. 1 StPO sind außer dem Vorsizenden auch die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes, der Ankläger, der Angeklagte und der Privatbeteiligte sowie deren Vertreter befugt, an jede zu vernehmende Person, nachdem sie das Wort hiezu vom Vorsitzenden erhalten haben, Fragen zu stellen. § 258 StPO normiert, daß das Gericht bei der Urteilsfällung nur auf das Rücksicht zu nehmen hat, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (Abs. 1 erster Satz leg. cit.), und daß das Gericht die Beweismittel auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen hat (Abs. 2 erster Satz leg. cit.).
Unbeschadet der nicht nur für Zeugen als Beweisquelle, sondern per analogiam auch auf den Inhalt der Zeugenaussage - und somit auf Zeugen vom Hörensagen - anwendbaren (einläßlich SSt. 41/7) und eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes anordnenden Bestimmung des § 252 Abs. 1 Z 1 StPO, wonach Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen sowie die Gutachten der Sachverständigen dann vorgelesen werden dürfen, wenn das persönliche Erscheinen Vernommener unter anderem aus erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte, war im gegebenen Fall die Vernehmung der Gendarmeriebeamten Georg J*** und Alfred G*** als "Zeugen vom Hörensagen" unzulässig. Denn vorliegend waren die Gewährsleute der Kriminalbeamten nur deshalb nicht bekannt, weil das Landesgendarmeriekommando für Tirol als Vorgesetzter der Beamten diese nur teilweise von der Amtsverschwiegenheit entbunden hatte, sodaß diese zwar über die mit den Gewährsleuten geführten Gespräche aussagen, nicht aber Namen der Informantinnen nennen durften. Dieses vom Willen innerstaatlicher Behörden abhängige (rechtliche) Hindernis stellt aber keine Unerreichbarkeit der (Original-)Zeugen im Sinne des - einzig und allein auf Hindernisse tatsächlicher Art abstellenden - § 252 Abs. 2 Z 1 StPO dar. Vielmehr war die bloß auf Phasen ein und desselben Vorgangs beschränkte, fallbezogen bloß die Gespräche mit den Gewährsleuten, nicht hingegen die Nennung der Namen erfassende Entbindung der Kriminalbeamten J*** und G*** von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit unzulässig und demgemäß nicht als prozessual wirksame Entbindung vom Amtsgeheimnis im Sinne des § 151 Z 2 StPO anzusehen (abermals SSt. 41/7; zuletzt 13 Os 28/90). Darnach dürfen aber Staatsbeamte, wenn sie durch ihr Zeugnis das ihnen obliegende Amtsgeheimnis verletzen würden, als Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit ihrer Aussage nicht vernommen werden, insoferne sie von dieser Verschwiegenheitspflicht nicht durch ihre Vorgesetzten entbunden sind. Die Vernehmung der Beamten über die mit den Zeugen geführten Gespräche in der Hauptverhandlung stellt sohin den (formellen) Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 3 StPO dar. Die Vorgangsweise des Landesgerichtes Innsbruck wirkte sich zum Nachteil des Harald W*** aus, dessen Schuldspruch der Schöffensenat (anders als beim inzwischen verstorbenen Mitangeklagten Erich S***) hauptsächlich auf die Aussagen der erhebenden Gendarmeriebeamten über die Angaben der anonym gebliebenen Frauen stützt, wobei er die Beurteilung der Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit der vor Gericht nicht vernommenen Zeugen ausdrücklich (S 397 Band II) den Beamten überließ. Damit hat der Schöffensenat unter Verstoß gegen § 258 Abs. 1 und 2 StPO einen Teil der nur ihm zustehenden Beweiswürdigung den als Zeugen vernommenen Gendarmeriebeamten übertragen und deren Wertung im Urteil übernommen.
Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen amtswegig aufzugreifen war dem Obersten Gerichtshof, der mit der Sache im Rahmen des Verfahrens über die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten befaßt war (AZ 12 Os 11/86), verwehrt (§ 290 Abs. 1 erster Satz StPO), weil die Angeklagten ihre Nichtigkeitsbeschwerden nicht auf eine Verletzung der Bestimmung des § 151 Z 2 StPO gestützt hatten (§ 281 Abs. 1 Z 3 StPO) und deren Verfahrensrügen (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO) mangels zielführender Antragstellung in der Hauptverhandlung nicht zum Erfolg führen konnten.
In Stattgebung der vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher spruchgemäß zu erkennen.
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