OGH 11Os86/90

OGH11Os86/908.8.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.August 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hassenbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hardy Peter K*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 8. Juni 1990, GZ 18 E Vr 39/90-22, sowie über den Vorgang, daß der Einzelrichter nach Verkündung des Urteiles vom 7.Mai 1990 eine Belehrung des Beschuldigten über sein Recht auf Beigebung eines Verteidigers und über die Voraussetzungen hiezu unterließ, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Hardy Peter K***, AZ 18 E Vr 39/90 des Landesgerichtes Feldkirch, wurde durch den Beschluß vom 8. Juni 1990, ON 22, womit der Antrag des Beschuldigten auf Beigebung eines Verfahrenshelfers zur Ausführung der angemeldeten Berufung abgewiesen wurde, in der Bestimmung des § 41 Abs. 2 StPO das Gesetz verletzt.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Landesgericht Feldkirch aufgetragen, dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Feldkirch vom 7.Mai 1990, GZ 18 E Vr 39/90-21, wurde Hardy Peter K*** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ferner wurde mit einem Beschluß gemäß dem § 494 a StPO die zum AZ 31 BE 52, 53/89 des Landesgerichtes Feldkirch gemäß dem § 46 Abs. 1 StGB nach Verbüßung der Hälfte einer Freiheitsstrafe und einer Ersatzfreiheitsstrafe gewährte bedingte Entlassung widerrufen. Nach Verkündung dieser Entscheidung und Rechtsmittelbelehrung ersuchte der Beschuldigte, der in der Hauptverhandlung nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen war, um Bedenkzeit. Am letzten Tag der dreitägigen Anmeldungsfrist überreichte er einen Schriftsatz (ON 24), in dem er erklärte, gegen das Urteil und den Widerruf der bedingten Entlassung zu "berufen", und ersuchte, ihm Verfahrenshilfe zu gewähren. Der Einzelrichter wies diesen Antrag mit dem Beschluß vom 8.Juni 1990 ab (ON 22). In der Begründung verwies er auf einen Beschluß des Untersuchungsrichters vom 1.März 1990 (ON 11), mit dem ein damals gestelltes gleichartiges Ansuchen abgewiesen wurde, zog die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Verfahrenshilfe - offenkundig - nicht in Zweifel, vermeinte aber, daß "mangels Vorliegens tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten des Falles die Voraussetzungen für die Beistellung eines Armenvertreters nicht gegeben" seien. Dieser Beschluß wurde dem Beschuldigten mit einer Urteilsausfertigung zugestellt (S 179).

Rechtliche Beurteilung

Da eine Berufungsausführung nicht einlangte, wurden nach Ablauf der Ausführungsfrist die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht vorgelegt (ON 27). Eine Entscheidung des Berufungsgerichtes erging bisher noch nicht.

Der Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch verstieß mit dem Beschluß vom 8.Juni 1990 infolge verfehlter Auslegung des Umfanges der Rechte des Beschuldigten nach dem § 41 Abs. 2 StPO gegen diese Bestimmung.

Nach dieser Gesetzestelle ist nämlich dem Beschuldigten, der "außerstande (ist), ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen", auf Antrag ein Verteidiger beizugeben, "dessen Kosten (er) nicht zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist". Zwar liegt insoweit eine im Nichtigkeitsverfahren unüberprüfbare (unanfechtbare) Ermessensentscheidung des Gerichtes vor, welche hier den erwähnten Beschluß des Untersuchungsrichters (ON 11) gesetzmäßig erscheinen läßt, doch schränkt der Gesetzgeber dieses Ermessen insoweit ein, als im nächsten Satz des § 41 Abs. 2 StPO die Beigebung eines Verteidigers "besonders ... zur Ausführung angemeldeter Rechtsmittel, zur Erhebung des Einspruchs gegen die Anklageschrift, für die Hauptverhandlung sowie für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über ein Rechtsmittel erforderlich" erklärt wird. In diesen Fällen kommt es somit auf sachliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens nicht (mehr) an. Für die genannten gewichtigen Verfahrensschritte wird vielmehr dem mittellosen Beschuldigten vom Gesetz das Recht eingeräumt, jedenfalls die Beigabe eines Verteidigers zu begehren. Im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes liegt dann nur noch die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Beschuldigten, nicht aber der "Erforderlichkeit" der Verteidigung, womit auch der Verfassungsbestimmung des Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK Rechnung getragen

wird (EvBl. 1968/136; EvBl. 1976/290 = AnwBl. 1977, 180;

EvBl. 1973/259 = ZfRV 1973, 224; ZfRV 1970, 152).

Die bezeichnete Entscheidung konnte sich zum Nachteil des Beschuldigten auswirken, sodaß sie in teilweiser Stattgebung der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben und dem Landesgericht Feldkirch aufzutragen war, dem Gesetz gemäß vorzugehen; dem zu bestellenden Verfahrenshelfer werden Urteils- und Beschlußausfertigungen zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel zuzustellen sein. Zu verwerfen war die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit in einer Unterlassung einer Belehrung des Beschuldigten nach Verkündung des Urteils vom 7.Mai 1990 darüber, daß er sich zur Ausführung eines Rechtsmittels eines Verteidigers bedienen könne, sowie über die Voraussetzungen der Beigebung eines Verteidigers gemäß dem § 31 Abs. 2 StPO eine Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen der §§ 3, 41 Abs. 2 und 488 Z 1 StPO erblickt wird.

Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, demzufolge "Rechtsmittelbelehrung" erteilt wurde (S 159), läßt sich nämlich keine hinreichend sichere Grundlage dafür gewinnen, daß die relevierten Belehrungen unterlassen worden seien (tatsächlich hatte der Beschuldigte anläßlich seiner Rechtsmittelanmeldung die Beigebung eines Verteidigers gemäß dem § 41 Abs. 2 StPO ausdrücklich begehrt).

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