Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen, nämlich in der Anordnung der Anstaltsunterbringung des Alois W*** wegen der Urteilstat I. unberührt bleibt, im Ausspruch, daß er auch aus Anlaß der Verübung der unter II. und III. bezeichneten Taten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unterzubringen sei, aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Der Antrag der Staatsanwaltschaft, Alois W*** auch deshalb in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB unterzubringen, weil er unter dem Einfluß eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhenden Zustandes Handlungen, die geeignet sind, die sittliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor unmündigen Personen vornahm, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen bzw. zu befriedigen, und zwar
am 12.Mai 1988 in Villach dadurch, daß er in Gegenwart mehrerer namentlich nicht bekannter unmündiger Kinder seinen Geschlechtsteil entblößte und
am 13.Mai 1988 in St. Lamprecht dadurch, daß er in Gegenwart von unmündigen Kindern, nämlich des am 7.August 1977 geborenen Peter V*** und des am 16.September 1977 geborenen Daniel F***, seinen Geschlechtsteil entblößte und onanierte,
sowie die bezeichnete Tathandlung vom 12.Mai 1988 außerdem öffentlich und unter Umständen vornahm, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, wird abgewiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Soweit dieses Rechtsmittel gemäß § 290 Abs. 1 letzter Satz StPO als Berufung zu behandeln ist, wird ihr nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alois W*** - im zweiten Rechtsgang - gemäß § 21 Abs. 1 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Der erstgerichtliche Urteilsspruch lautet:
"Alois W*** ... hat
I) am 13.5.1988 in Lind ob Velden den am 8.8.1981 geborenen und
somit unmündigen Markus K*** durch Betasten von dessen Geschlechtsteil auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht;
II) Handlungen, die geeignet sind, die sittliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor unmündigen Personen vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen bzw. zu befriedigen, und zwar
1) am 12.5.1988 in Villach dadurch, daß er in Gegenwart mehrerer namentlich nicht bekannter unmündiger Kinder seinen Geschlechtsteil entblößte;
2) am 13.5.1988 in St. Lamprecht, Gemeinde Rosegg, dadurch, daß er in Gegenwart von unmündigen Kindern, nämlich des am 7.8.1977 geborenen Peter V*** und des am 16.9.1977 geborenen Daniel F***, seinen Geschlechtsteil entblößte und onanierte;
III) am 12.5.1988 in Villach die unter II)1) bezeichnete unzüchtige Handlung öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, vorgenommen.
Er hat hiedurch Taten begangen, die ihm, wäre er zu den Tatzeiten zurechnungsfähig gewesen, zu I) als das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 (erster Fall) StGB, zu II) als das Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach dem § 208 StGB und zu III) als das Vergehen der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach dem § 218 StGB zuzurechnen gewesen wären.
Da Alois W*** die unter I) bezeichnete, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat ebenso wie die übrigen Taten unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) begangen hat, der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruht, und nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Taten zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, wird er gemäß dem § 21 Abs. 1 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen."
Rechtliche Beurteilung
Der auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a, 9 lit. b, 10 und 11 StPO - inhaltlich auch auf Z 9 lit a dieser Gesetzesstelle - gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen
kommt nur teilweise Berechtigung zu.
Zutreffend ist die Rechtsrüge (Z 11), soweit geltend gemacht wird, daß die Urteilstaten II.1. und 2. (und damit auch III.) als Anlaß für die Anwendung des § 21 Abs. 1 StGB nicht in Betracht kommen, weil die betreffenden Strafdrohungen (§§ 208 und 218 StGB) ein Jahr (in der Nichtigkeitsbeschwerde unzutreffend: ein Monat) nicht übersteigen.
Dadurch, daß das Schöffengericht sein Einweisungserkenntnis auch auf diese Taten gründete, überschritt es - ungeachtet des Umstandes, daß dem Betroffenen überdies zu I. eine Tat zur Last liegt, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist - seine Einweisungsbefugnis (§ 281 Abs. 1 Z 11 StPO). Der im Urteilsspruch erhobene Vorwurf kann nämlich von der daraus abgeleiteten Sanktion nicht getrennt werden; stützt sich diese aber auch auf Taten, welche die Einweisung nicht zu tragen vermögen, dann ist der Betroffene durch diese darin gelegene Nichtigkeit beschwert, zumal nicht gesagt werden kann, daß diese zusätzlichen Tatvorwürfe ohne nachteilige Wirkung für den Betroffenen in den Urteilsspruch aufgenommen wurden (EvBl. 1989/185 mit ausdrücklicher Ablehnung der früheren gegenteiligen Entscheidung EvBl. 1980/203).
In diesem Punkt war daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen Folge zu geben, mit einer Teilkassation vorzugehen und in der Sache selbst der Einweisungsantrag der Anklagebehörde, soweit er sich auf die als Vergehen nach den §§ 208 und 219 StGB beurteilten Tathandlungen bezieht, abzuweisen.
Im übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde aber keine Berechtigung zu.
Soweit der Beschwerdeführer in der Mängelrüge (Z 5) moniert, die Urteilsfeststellung, wonach Markus K*** am Geschlechtsteil betastet wurde, sei aktenwidrig (ersichtlich gemeint: unzureichend begründet), ist er darauf zu verweisen, daß das Kind, auf dessen Aussage sich das Schöffengericht stützt, wiederholt im Zuge seiner Vernehmungen demonstrierte, daß der Beschwerdeführer zuerst über der Oberhose und nach Öffnen des Hosenschlitzes über der Unterhose den Geschlechtsteil des Knaben betastet hat (S 27 und 42). Diese Darstellung des Kindes bestätigte auch - dem Beschwerdevorbringen zuwider - dessen Mutter, der das Kind den Tathergang unmittelbar nach dem Vorfall in gleicher Weise geschildert hatte (S 25). Von einer unzureichenden Begründung kann sohin keine Rede sein. Demgemäß ergeben sich aber aus den Akten auch keine Bedenken gegen die Richtigkeit der diesem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen, wie der Beschwerdeführer unsubstantiiert behauptet (Z 5 a).
Auch die Urteilsfeststellung, wonach der Betroffene bei der an Markus K*** verübten Tat nur leicht alkoholisiert war (US 6), ist dem Beschwerdevorbringen zuwider nicht unzureichend begründet (Z 5). Das Schöffengericht stützte diese Feststellung unter Würdigung der wechselnden Verantwortungen des Beschwerdeführers lebensnah und im Einklang mit Denkgesetzen auf den Umstand, daß er sich in der Hauptverhandlung vom 27.Juni 1988 an die Vorfälle vom 13. Mai 1988 gut erinnern konnte (US 7 ff iVm S 64), was im übrigen auch auf seine Vernehmungen vor der Gendarmerie (S 33) und vor dem Untersuchungsrichter (S 37 verso und 37 a) zutrifft. Soweit er in den Ausführungen der Mängelrüge auf seine in den Hauptverhandlungen vom 27.Oktober 1988 und 12.Dezember 1988 gestellten Beweisanträge zurückgreift und der Sache nach eine Verfahrensrüge (Z 4) geltend macht, fehlt es ihm an einer Legitimation hiezu, weil er derartige Anträge in der gemäß § 276 a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung nicht wiederholte (Mayerhofer/Rieder, StPO2 E 5 und 6 zu § 276 a). Das für die Rechtsmittellegitimation nötige Erfordernis der Antragstellung in der neu durchgeführten Hauptverhandlung wird weder durch den Umstand ersetzt, daß die "Anträge nicht zurückgenommen wurden", noch durch eine Verpflichtung des Gerichtes zur amtswegigen Beweisaufnahme. Die in der Mängelrüge letztlich aufgestellte Behauptung, Volltrunkenheit sei "Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung des § 21 Abs. 1 StGB", findet im Gesetz keine Deckung. Voraussetzung ist vielmehr, daß der Täter eine Tat verübt, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht. Diese Abartigkeit höheren Grades muß - worauf schon das Erstgericht zutreffend hinwies - weder ausschließlich noch überwiegend Ursache der Zurechnungsunfähigkeit sein; vielmehr genügt, daß die Zurechnungsunfähigkeit auch auf dieser Abartigkeit beruht und nur zusammen mit Alkoholgenuß den Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit bewirkt (SSt. 49/52 = EvBl. 1979/88 = JBl. 1979, 272 ua). Demgemäß könnte - worauf das Erstgericht gleichfalls zutreffend hinweist - selbst eine nach § 287 StGB zu beurteilende Anlaßtat Grundlage für eine Einweisung nach § 21 Abs. 1 StGB abgeben (12 Os 50/78).
Mit diesen Hinweisen erledigt sich aber auch das Beschwerdevorbringen (im Rahmen der Ausführungen zu Z 11), wonach das "Kriterium", ob der Beschwerdeführer infolge Alkoholisierung zurechnungsunfähig gewesen sei oder nicht, für eine "Differenzierung" der Einweisung nach § 21 Abs. 1 StGB oder nach § 21 Abs. 2 StGB erforderlich sei.
Soweit der Beschwerdeführer (in seinen Ausführungen zu Z 9 lit. b und Z 11) einen Widerspruch in der konstatierten Zurechnungsunfähigkeit und der gleichfalls festgestellten (eingeschränkten) Diskretionsfähigkeit sieht, unterliegt er einem Irrtum. Für die Annahme der Zurechnungsunfähigkeit ist der Mangel an Diskretionsfähigkeit oder an Dispositionfähigkeit entscheidend; für den Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit genügt das Fehlen einer der beiden Fähigkeiten (Leukauf-Steininger StGB2 RN 2 zu § 11). Das Schöffengericht konstatierte ausdrücklich, daß bei vorhandener eingeschränkter Diskretionsfähigkeit (US 7) die Dispositionsfähigkeit nicht gegeben war (US 10).
Es versagt aber auch die - zum Teil verfehlt in der Mängelrüge (Z 5), zum Teil in der Rechtsrüge (auch hier verfehlt Z 10, richtigerweise Z 9 lit. a) - vorgetragene Rechtsansicht, das bloße Hingreifen auf den Geschlechtsteil des sechsjährigen Knaben über der Hose oder der Unterhose stelle mangels eines intensiven Körperkontaktes und infolge Fehlens einer Tathandlung "von gewisser Dauer" den Tatbestand des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB nicht her.
Die Tathandlung des § 207 Abs. 1, erster Fall, StGB besteht darin, daß der Täter die unmündige Person zur Unzucht mißbraucht. Unzucht im Sinn eines geschlechtlichen Mißbrauchs liegt aber schon dann vor, wenn zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige, dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers (oder des Täters) mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige, sexual sinnbezogene Berührung gebracht werden (Leukauf-Steininger StGB2 RN 5 zu § 207). Nach den Urteilsfeststellungen griff der Betroffene dem sechsjährigen Markus K*** über dessen Hose auf den Geschlechtsteil, sodann öffnete er den Hosenschlitz und griff durch den Hosenschlitz auf den noch mit der Unterhose bekleideten Geschlechtsteil des Kindes, den er nun mit seiner rechten Hand betastete (US 5 f). Diese Handlungen reichen sowohl in Ansehung der Intensität des Körperkontaktes als auch nach ihrer Dauer aus, um die Sittlichkeit in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen (Leukauf-Steininger aaO).
Dem Erstgericht unterlief somit kein Rechtsirrtum.
Soweit der Betroffene noch ausführt (Z 11, der Sache nach jedoch Z 9 lit. a), die an Markus K*** verübte Tat könne nicht zur Einweisung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher führen, weil "einfach ihr Unrechtsgehalt viel zu gering" sei, ist er darauf zu verweisen, daß Voraussetzung für die Heranziehung als Anlaßtat - neben ihrer Verübung als Ausfluß geistiger oder seelischer Abartigkeit höheren Grades - bloß die ein Jahr übersteigende Strafdrohung ist; diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
Die Bekämpfung der Gefährlichkeitsprognose wäre an sich Sache
einer Berufungsausführung (SSt. 54/72 = RZ 1984/67, SSt. 54/45 =
EvBl. 1984/25 = RZ 1984/23 uvam). Eine Berufung wurde vom
Betroffenen zwar weder angemeldet noch ausgeführt, doch sind seine bezüglichen Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde - seit Einfügung des letzten Satzes des § 290 Abs. 1 StPO durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. 605 - als Berufungsausführungen beachtlich, weil er darin den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 11 StPO geltend machte. Dem Vorbringen kommt allerdings sachlich keine Berechtigung zu. Daß die geistige Abartigkeit des Betroffenen irreparabel ist, wie das Schöffengericht den Gutachten der drei beigezogenen Sachverständigen folgend konstatierte (US 10 ff), wird gar nicht in Frage gestellt.
Der Meinung hingegen, daß wegen des mittlerweiligen "physischen und psychischen Verfalles" weitere strafbedrohte Handlungen mit schweren Folgen nicht mehr zu erwarten seien, wozu die Vernehmung von weiteren Sachverständigen aus den Fachgebieten der allgemeinen Medizin und Neurologie beantragt wurde, kann nicht beigetreten werden. Die drei bezogenen Sachverständigen sind ohnedies auch Fachärzte für Neurologie (S 277 f). Sexualdelikte nach Art der Anlaßtat I. können aber, wie die Sachverständigen Dr. P*** und Dr. Z*** durchaus zutreffend darlegten (S 275 und 277), auch von einem körperlich hinfälligen betagten Mann verübt werden. Durchaus zutreffend wurde somit eine nach wie vor bestehende Gefährlichkeit prognostiziert.
Auch den als Berufung anzusehenden Beschwerdeausführungen war somit ein Erfolg zu versagen.
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