OGH 13Os67/90 (13Os68/90)

OGH13Os67/90 (13Os68/90)3.7.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dr. Ungerank als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael J*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 12.Juli 1989, GZ 4 U 319/89-12, und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 19. Oktober 1989, AZ 1 b Bl 126/89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, des Vertreters des Privatbeteiligten Josef N***, Dr. Thomich, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 12. Juli 1989, GZ 4 U 319/89-12, mit dem Michael J*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 StGB infolge Notwehrüberschreitung schuldig gesprochen wurde, sowie das diesen Schuldspruch bestätigende Berufungsurteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (als Berufungsgericht) vom 19. Oktober 1989, AZ 1 b Bl 126/89, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs. 1 StGB iVm dem § 3 Abs. 2 StGB. Das vorbezeichnete Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Berufungsgericht und alle darauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen, insbesondere die Endverfügung des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 13.November 1989, ON 19 des U-Aktes, werden aufgehoben.

Gemäß dem § 292 StPO wird in Stattgebung der Berufung des Angeklagten Michael J*** das angefochtene Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 12.Juli 1989, GZ 4 U 319/89-12, aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Michael J*** wird von der Anklage, er habe am 9.Februar 1989 in Graz durch Versetzen eines Schlages mit einem Weinglas gegen die linke Gesichtshälfte des Josef N*** das Vergehen der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gemäß dem § 366 Abs. 1 StPO wird der Privatbeteiligte Josef N*** mit seinen Ersatzansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 12. Juli 1989, GZ 4 U 319/89-12, wurde der am 17.Juli 1938 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Kraftfahrer Michael J*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 StGB (iVm dem § 3 Abs. 2 StGB) schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er am 9.Februar 1989 in Graz im Lokal "G***-S***" in Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung gegenüber einem ihm unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf seine Gesundheit und körperliche Unversehrtheit dem Josef N*** aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken einen Stoß mit einem Weinglas ins Gesicht versetzt und ihm somit durch mehrere Schnittwunden an der linken Wange fahrlässig am Körper (dem Grade nach leichte) Verletzungen zugefügt hatte. Dem Privatbeteiligten Josef N*** wurde gemäß dem § 369 Abs. 1 StPO ein Teilbetrag von S 1.000,-- zugesprochen. Nach den diesem Schuldspruch zugrundeliegenden wesentlichen Urteilsfeststellungen kam es am 9.Februar 1989 nach 17 Uhr im Grazer Lokal "G***-S***" zwischen Michael J*** und Josef N*** zunächst zu einer wörtlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Josef N*** den Michael J*** mit Ohrfeigen und dem Umbringen bedrohte. Josef N*** ging sodann auf Michael J*** zu, um ihn tätlich anzugreifen. Aus Angst vor dem unmittelbar drohenden Angriff versetzte daraufhin Michael J*** dem auf ihn zukommenden Josef N*** mit einem Weinglas, das er gerade in der rechten Hand hielt, einen Stoß ins Gesicht und fügte ihm durch das zersplitternde Glas dem Grade nach leichte Verletzungen in Form mehrerer stark blutender Schnittwunden an der linken Wange zu. Die beiden Kontrahenten hielten sich daraufhin noch gegenseitig an den Armen fest, ließen aber dann voneinander ab.

Das Bezirksgericht für Strafsachen Graz ging bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes davon aus, daß ein rechtswidriger Angriff des Josef N*** gegen die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Michael J*** unmittelbar bevorstand und Michael J*** sohin in bewußter Abwehr eines ihm unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffes auf ein notwehrfähiges Rechtsgut, also in einer Notwehrlage, handelte. Er habe sich aber durch den Stoß mit dem Weinglas in das Gesicht des unbewaffneten Angreifers, wenn auch aus Furcht vor ihm, einer unangemessenen Verteidigung bedient und die demnach fahrlässig aus Furcht und in Notwehrüberschreitung seinem Widersacher zugefügte leichte Körperverletzung als Vergehen nach dem § 88 Abs. 1 StGB iVm dem § 3 Abs. 3 StGB strafrechtlich zu verantworten, weil ihm die Anwendung eines gelinderen (weniger gefährlichen) Mittels zur Abwehr des gegen ihn gerichteten rechtswidrigen Angriffes zumutbar gewesen sei. Der von Michael J*** gegen dieses verurteilende Erkenntnis eingebrachten vollen Berufung war nur, soweit sich diese gegen den Strafausspruch richtete, ein Erfolg dahin beschieden, daß die vom Erstgericht ausgesprochene Geldstrafe gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Im übrigen blieb seine Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld sowie gegen den Privatbeteiligtenzuspruch erfolglos. Das Landesgericht für Strafsachen Graz als Berufungsgericht trat in seiner Berufungsentscheidung vom 19.Oktober 1989, AZ 1 b Bl 126/89 (= ON 18 des U-Aktes), der vom Erstgericht vertretenen Auffassung bei, daß Michael J*** sich bei der Abwehr des (unmittelbar drohenden) rechtswidrigen Angriffes des Josef N*** einer unangemessenen Verteidigung bedient habe. Es meinte, der Angriff eines unbewaffneten, wenn auch körperlich überlegenen Gegners könne den Einsatz eines Weinglases als Mittel zur Abwehr nicht rechtfertigen, weil solcherart auch schwere Verletzungen des Angreifers im Bereiche der Möglichkeit lagen; eine Abwehr mit bloßen Händen wäre ausreichend gewesen, wobei es zumutbar gewesen wäre, das Weinglas einfach fallen zu lassen. Allenfalls wäre dem Michael J*** auch die Flucht offengestanden (vgl S 94 und 95 des U-Aktes).

Rechtliche Beurteilung

Diese beiden Urteile stehen - wie die Generalprokuratur zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Im vorliegenden Fall war Michael J*** einem gegen seine Gesundheit und seine körperliche Unversehrtheit gerichteten Angriff des Josef N*** - der ihn mit dem Umbringen bedroht hatte (vgl S 68) und der auch körperlich überlegen war (vgl S 93 und 94) - ausgesetzt und somit grundsätzlich zur Notwehr berechtigt. Es war keinesfalls offensichtlich, also für jedermann leicht und auf den ersten Blick erkennbar (Nowakowski, WK § 3 RN 25), daß von Seite des Angreifers nur ein geringer Nachteil von bloßem Bagatellcharakter drohe, demgegenüber diese Abwehrhandlung von vorneherein als unangemessen anzusehen gewesen wäre (§ 3 Abs. 1 zweiter Satz StGB).

Bei Abwehr dieses Angriffes überschritt Michael J*** auch nicht das Maß der notwendigen Verteidigung (§ 3 Abs. 1, erster Satz, StGB).

Notwendig ist jene Verteidigungshandlung, die aus der Sicht des Angegriffenen ("ex ante"), wenn auch unter Beachtung objektiver Kriterien, so weit in die Rechtsgüter des Angreifers eingreift, daß der Angriff verläßlich, das heißt sofort und endgültig, abgewehrt werden kann (JBl 1990, 389). Das Maß der Abwehr bestimmt sich regelmäßig nach der Art, der Wucht und der Intensität des abzuwehrenden Angriffs, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln (Steininger, Die Notwehr in der neueren Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 1980 S 230). Im Hinblick auf die körperliche Unterlegenheit des Michael J*** und die oben angeführte Drohung des Angreifers - diesen Umständen kommt bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Verteidigungshandlung im Einzelfall entscheidende Bedeutung zu (vgl Steininger aaO, S 230 FN 47 und die dort angeführten E) war nach Lage des Falles der Stoß mit dem Weinglas in das Gesicht des Angreifers eine durchaus zulässige - im Sinne des § 3 StGB gerechtfertigte - Reaktion zur verläßlichen Abwehr des Angriffes im oben dargestellten Sinne.

Mithin war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie aus dem Spruch zu erkennen.

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