Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1.Oktober 1987 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die (am 1.September 1936 geborene) Klägerin war während der letzten 15 Jahre vor der Antragstellung überwiegend als Dekorateurin im Auslagenbereich beschäftigt. Sie verdiente zuletzt bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden in der Woche 7.000 S netto im Monat. Es handelt sich um einen angelernten Beruf, für den die Klägerin Kurse im Wirtschaftsförderungsinstitut besuchte. Er erfordert ein räumliches Vorstellungsvermögen, phantasievolle Gestaltungsmöglichkeit, Schönheitssinn, gute und zweckmäßige Ausnützung des vorhandenen Raumes und Einfühlungsvermögen. Die Klägerin kann wegen einer ausgeprägten Fehlhaltung der Wirbelsäule und Abnützungen vor allem im Halswirbelbereich nur mehr leichte Arbeiten hauptsächlich im Sitzen in der üblichen Arbeitszeit und mit den üblichen Pausen verrichten, wobei der Anteil der sitzenden Tätigkeit zwei Drittel der Gesamtarbeitszeit eines 8-Stunden-Tages ausmachen, das restliche Drittel im Gehen und Stehen geleistet, die Aufteilung gemischt sein und die konkrete Arbeitshaltung der Klägerin überlassen bleiben muß. Zu vermeiden sind Arbeiten in gebückter Haltung sowie solche, die mit häufigem Bücken einhergehen oder im Hocken oder Knieen auszuführen sind. Die Fein-, Feinst- und Grobmotorik ist im Bereich beider Hände erhalten. Die Anmarschwege sind auf etwa 1 km eingeschränkt.
Die Klägerin kann aufgrund ihres medizinischen Leistungskalküls die Tätigkeit einer Dekorateurin nicht mehr verrichten. In Betracht kommen Hilfsarbeiten im Bürobereich, deren durchschnittliche Entlohnung im Monat zwischen S 7.000 und S 8.000 netto liegt. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Klägerin die Tätigkeit in dem zuletzt ausgeübten oder einem ähnlichen Beruf nicht mehr zugemutet werden könne, weshalb sie gemäß § 273 (Abs 1) ASVG berufsunfähig sei. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren infolge Berufung der beklagten Partei ab. Die Tätigkeit eines Auslagendekorateurs sei gerichtsbekannt. Er sei nicht Angestellter gemäß § 1 Abs 1 AngG, weil er keine höheren nicht kaufmännischen Dienste, die von den in dieser Gesetzesstelle genannten Tatbeständen allein in Betracht kämen, leiste. Unbeschadet der Leistungszuständigkeit der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten sei die Frage der geminderten Arbeitsfähigkeit der Klägerin nach § 255 ASVG zu beurteilen. Da die Klägerin keinen angelernten Beruf im Sinne des Abs 1 dieser Gesetzesstelle ausgeübt habe und ihr noch die im Ersturteil angeführten Berufstätigkeiten zugemutet werden könnten, sei sie weder nach dem Abs 1 noch dem Abs 3 dieser Gesetzesstelle invalid.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinn eines Aufhebungsantrags, den der auf Abänderung gerichtete Revisionsantrag einschließt (SZ 48/1, 48/19 ua), berechtigt.
Auf das Vorbringen, daß das Berufungsgericht unzulässige Neuerung berücksichtigte, als es die Frage der geminderten Arbeitsfähigkeit der Klägerin nach § 255 ASVG beurteilte, muß nicht eingegangen werden, weil die Berücksichtigung von Neuerungen durch das Berufungsgericht nicht anfechtbar ist (MGA ZPO14 503/49). Die vorhandenen Tatsachenfeststellungen reichen aber nicht aus, um beurteilen zu können, ob § 255 Abs 3 ASVG anzuwenden ist. Dem steht zwar nicht entgegen, daß die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten leistungszuständig ist, weil es nur auf den Inhalt der vom Versicherten ausgeübten Berufstätigkeit ankommt (SSV-NF 3/2, 3/156 ua). Hier ist also entscheidend, ob die Tätigkeit der Klägerin als "Dekorateurin im Auslagenbereich" eine Tätigkeit war, die unter die im § 1 Abs 1 AngG angeführten Arbeiten fiel. Hievon kommen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht die höheren nicht kaufmännischen, sondern die kaufmännischen Dienste in Betracht. Darunter fallen nämlich Dienstleistungen, die ihrer Art nach zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes gehören und für die Führung des Betriebes eine nicht bloß untergeordnete Bedeutung (§ 1 Abs 2 AngG) haben. Es muß sich daher - ohne daß dabei ein alzu strenger Maßstab anzulegen wäre - zumindest um einen Ausschnitt aus dem typischen Tätigkeitsbereich eines Kaufmanns handeln; die in Frage kommenden Verrichtungen müssen ihrer Art nach eine kaufmännische Ausbildung und/oder Geschicklichkeit erfordern, und sie dürfen nicht so einfach und anspruchslos sein, daß sie von jedem Menschen mit durchschnittlicher Bildung ohne weiteres erbracht werden können. Kaufmännische Dienste dieser Art sind insbesondere alle jene mit dem Ein- und Verkauf zusammenhängenden Tätigkeiten, die eine selbständige Anpassung des Arbeitnehmers an eine konkrete (Markt-)Situation zur Hebung des Umsatzes erfordern, wie insbesondere Kundenwerbung, Kundenberatung, Einfluß auf die Preisbildung, Sorge um die Lagerergänzung, Einkauf und Bestellung, ferner Buchführung, Geldgebarung und Warenprüfung (SZ 51/187; ZAS 1982/180; RdA 1984, 44).
Die Tätigkeit einer "Dekorateurin im Auslagenbereich" (vgl. zum Inhalt das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Berufslexikon unter dem Stichwort "Schaufenstergestalter") ist eine mit dem Verkauf zusammenhängende Tätigkeit, die eine selbständige Anpassung des Arbeitnehmers an eine konkrete Marktsituation zur Hebung des Umsatzes erfordert und mit der Kundenwerbung zumindest vergleichbar ist. Sie gehört daher zu den kaufmännischen Diensten im Sinn des § 1 Abs 1 AngG. Um beurteilen zu können, ob die Klägerin nicht bloß vorwiegend untergeordnete Verrichtungen im Sinne des Abs 2 dieser Gesetzesstelle leistete, müssen jedoch ergänzende Feststellungen über den Umfang ihrer Ausbildung und den Inhalt ihrer Tätigkeit getroffen werden, zumal es nicht auf die Tätigkeit ankommt, wie sie gewöhnlich ausgeübt wird, sondern darauf, wie sie konkret vom Versicherten ausgeübt wurde. Diese Feststellungen sind entgegen den Revisionsausführungen ungeachtet des Umstandes notwendig, daß die beklagte Partei selbst die Frage der Minderung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin nach § 273 ASVG beurteilt hat, weil darin noch kein Zugeständnis der Tatsachen liegt, die für die Anwendung dieser Gesetzesstelle maßgebd sind.
Ohne die angeführten Feststellungen kann im übrigen auch dann, wenn § 273 ASVG anzuwenden wäre, die Frage der Minderung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin noch nicht abschließend gelöst werden. Bei der Bestimmung der Berufe, deren Ausübung dem Versicherten noch zuzumuten ist, kommt es nämlich auch darauf an, ob mit dem Verweisungsberuf ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden wäre, wofür die Einstufung der vom Versicherten ausgeübten Tätigkeit im Kollektivvertrag einen Anhaltspunkt bildet (vgl. SSV-NF 2/57, 3/80, 3/156). Dabei ist ebenfalls nicht entscheidend, was die Parteien des Arbeitsvertrages vereinbart haben, sondern allein, wie das Arbeitsverhältnis nach dem Inhalt der Tätigkeit einzustufen ist. Sollte sich aufgrund der ergänzenden Feststellungen ergeben, daß das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin höchstens in die Beschäftigungsgruppe 3 des für sie maßgebenden Kollektivvertrages für Handelsangestellte einzustufen war, so könnte sie auch auf einfache Bürotätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 verwiesen werden (SSV-NF 3/156).
Da somit ergänzende Feststellungen über die Ausbildung der Klägerin und über den Inhalt der Berufstätigkeit getroffen werden müssen, welche die Klägerin während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend ausübte, und es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war die Streitsache gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 510 Abs 1 ZPO an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)