OGH 11Os57/90 (11Os58/90)

OGH11Os57/90 (11Os58/90)13.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Juni 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pilnacek als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerwich V*** und Christian E*** wegen des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs. 1 und 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Gerwich V*** sowie dessen Beschwerde gegen das Urteil (A) und den Beschluß (B) des Landesgerichtes Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 19.Februar 1990, GZ 11 Vr 1896/89-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gerwich V*** wird Folge gegeben und es werden aus diesem Anlaß gemäß dem § 290 Abs. 1 (zweiter Fall) StPO auch zugunsten des Mitangeklagten Christian E*** das angefochtene Urteil und demgemäß der angefochtene Beschluß aufgehoben; die Sache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte V*** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Jugendschöffengericht wurden der am 24.September 1973 geborene Gerwich V*** und der am 1.November 1974 geborene Christian E*** des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs. 1 und 2 StGB schuldig erkannt.

Christian E*** und seine gesetzlichen Vertreter ließen die Schuldsprüche in den (auch) diesen Angeklagten betreffenden Fakten A 1 und 2 in Rechtskraft erwachsen; Gerwich V*** bekämpft das Urteil in sämtlichen gegen ihn ergangenen Schuldsprüchen (Punkte A 1 und 2, B 1, 2 und 3 des Urteilssatzes) mit einer auf die Z 4, 5, 5 a, 9 lit a und b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Schon die Verfahrensrüge ist berechtigt:

Zutreffend releviert der Beschwerdeführer, daß durch die Abweisung der von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge Verfahrensgrundsätze hintangesetzt wurden, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist.

Der Verteidiger begehrte zunächst (S 124) die zeugenschaftliche Vernehmung des Ignaz P*** zum Beweis dafür, daß Gerwich V*** den Zeugen Erwin F*** und Thomas S*** nie gewaltsam Geld abgenommen habe (vgl die Faktengruppe B). Diesen Antrag wies das Jugendschöffengericht wegen "geklärter Sach- und Beweislage" (S 125) bzw auch "klarer Rechtslage" (S 135) unter Hiweis darauf ab, daß der gesondert verfolgte Ignaz P*** ohnehin (bereits) als Verdächtiger (S 47 f) vernommen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen davon, daß solche Beweisanträge nicht mit der (sinngemäßen) Begründung zurückgewiesen werden dürfen, das Gericht halte die Sachlage auf Grund der vorliegenden Belastungsbeweise für ausreichend geklärt (EvBl 1957/34; RZ 1959, S 173 uva), setzte das Erstgericht, dem es schon im Hinblick auf die ihm gemäß den Bestimmungen der §§ 3 und 258 StPO obliegenden Pflichten verwehrt war, den Umfang des Beweisverfahrens von einer vorzeitig gewonnenen Überzeugung von der Schuld des Angeklagten V*** bestimmen zu lassen, einen Akt unzulässiger vorgreifender Beweiswürdigung (Mayerhofer-Rieder2 ENr 78 ff zu § 281 Z 4 StPO). Ein Beweisantrag darf nämlich namentlich (auch) dann nicht abgewiesen werden, wenn der Beweisgegenstand erheblich und ein verwertbares Ergebnis der Beweisaufnahme, also eine weitere Klärung des relevanten Sachverhaltes, nicht von vornherein auszuschließen ist (SSt 13/89, 52/17 uva). Dies war aber, wie die Nichtigkeitsbeschwerde im gegebenen Zusammenhang zutreffend hervorhebt, schon deswegen der Fall, weil Ignaz P*** nach seinen eigenen Angaben als Tatzeuge in Betracht kommen könnte (vgl insbes S 49) und zu den Schuldspruchfakten B bisher im einzelnen gar nicht vernommen wurde. Doch auch bei der Ablehnung der vom Beschwerdeführer weiter begehrten Einvernahme der erhebenden Gendarmeriebeamten Walter Z*** und Karl P*** über das Zustandekommen seiner Gendarmerieangaben "jeweils nur über Vorhalt und unter dem Eindruck der angedrohten Verhaftung" (S 125 iVm S 111) setzte sich das Erstgericht über die dargelegten Grundsätze eines fairen, unparteiische Verfahrens hinweg. Dies gilt nicht nur für die lapidare Begründung im Hauptverhandlungsprotokoll, daß die beiden Beamten bei der "klaren Sach- und Rechtslage" zur "Wahrheitsfindung nichts mehr beitragen" können (S 125), sondern auch für den Hinweis im Urteil (S 135, 136), daß die mit den beiden jugendlichen Beschuldigten ohne Beiziehung einer Vertrauensperson (§ 37 JGG) aufgenommenen Protokolle ohnehin nicht verwertet worden seien. Das Erstgericht läßt hiebei unberücksichtigt, daß die - insbesonders für die Urteilsfällung der Laienrichter unter Umständen relevanten - Protokolle als Bestandteil der Anzeige ON 2 zur Verlesung gelangten (S 125), also in das Beweisverfahren Eingang fanden, und überdies auch während der Hauptverhandlung Gegenstand von Vorhalten waren (vgl S 116). Das Schöffengericht erklärte zudem ausdrücklich und undifferenziert, sich bei der Sachverhaltsfeststellung auf die Gendarmerieerhebungen zu stützen. Auch kann es nach der weiteren Begründung für die Abweisung der Einvernahme der beiden Zeugen Z*** und P*** nicht ausgeschlossen werden, daß das Erstgericht im Hinblick auf die im gegebenen Zusammenhang gewählte Formulierung im angefochtenen Urteil, daß die beiden Beamten "ihre Feststellungen in nachvollziehbarer Weise in der Anzeige getroffen haben", im Wege einer vorgreifenden Beweiswürdigung von vornherein davon ausging, die in der Anzeige zusammengefaßten Erhebungsergebnisse der Gendarmerie seien auf unbedenkliche Weise und nicht - zumindest zum Teil - unter den vom Beschwerdeführer behaupteten Einschüchterungen (vgl S 111) zustandegekommen.

Schon allein diese nach dem § 281 Abs. 1 Z 4 StPO Nichtigkeit begründenden sämtliche Schuldsprüche erfassenden Mängel des Urteils nötigen - gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO auch im Fall des wegen der Fakten A 1 und 2 bereits rechtskräftig abgeurteilten (nicht geständigen) Mitangeklagten Christian E***, dem der in der Nichtigkeitsbeschwerde des Gerwich V*** aufgegriffene Verfahrensmangel der unterbliebenen Einvernahme der erhebenden Gendarmeriebeamten ebenfalls zustatten kommt - zur (Urteils-)Aufhebung und Zurückverweisung der Strafsache an die erste Instanz zu neuer Verhandlung und Entscheidung, womit sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen des Angeklagten V*** erübrigt. Lediglich am Rande sei der unter anderem die Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit nach dem § 42 StGB reklamierende Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß bei der bisherigen Fallgestaltung die bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichende Strafdrohung des § 142 Abs. 2 StGB (vgl auch § 5 Z 7 JGG 1988) der Anwendung dieses Strafausschließungsgrundes entgegensteht.

In Stattgebung und aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde des Gerwich V*** war daher - nach Anhörung der Generalprokuratur - gemäß dem § 285 e StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung wie im Spruch zu erkennen. Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde gegen die Anordnung der Bewährungshilfe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

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