OGH 11Os47/90

OGH11Os47/9013.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Juni 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pilnacek als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef P*** wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach den §§ 15, 202 Abs. 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23.Februar 1990, GZ 24 Vr 1189/89-27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, des Angeklagten Josef P*** und des Verteidigers Dr. Legat zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird teilweise, und zwar dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe nach dem § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren zur Gänze bedingt nachgesehen wird.

Im übrigen wird der Berufung des Angeklagten nicht Folge gegeben. Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 14.April 1937 geborene Fleischhauermeister Josef P*** der Vergehen der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach den §§ 15, 202 Abs. 1 StGB nF und des versuchten Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach den §§ 15, 212 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, Ende Jänner 1987 in Absam versucht zu haben, seine damals fünfzehnjährige Stieftochter Bettina D*** durch Festhalten am Bett, sohin mit Gewalt, zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung, nämlich des Betastens der Brust und des Geschlechtsteils, zu nötigen und dadurch zur Unzucht zu mißbrauchen.

Das Urteil enthält überdies einen (unbekämpft gebliebenen) Teilfreispruch.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft seinen Schuldspruch mit einer auf die Gründe der Z 5, 8, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher in keinem Punkt Berechtigung zukommt.

Die Mängelrüge (Z 5) macht als Unvollständigkeit des angefochtenen Urteils bei der Verneinung einer im Tatzeitpunkt wirksamen vollen Berauschung des Angeklagten die Nichterörterung jener Passage in den mündlichen Ausführungen des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Heinz P*** geltend, mit der er für den Fall des Konsums von fünfzehn "großen" Bier(en) zwischen 17,00 und 24,00 Uhr des Tattages "einen Vollrausch" (des Angeklagten) nicht ausschloß (S 170). Abgesehen davon, daß sich der Angeklagte ausdrücklich außerstande erklärte, die Menge des von ihm konsumierten Alkohols zu konkretisieren (S 167), bedurfte die mithin nur aus einer spekulativen Tatsachenprämisse abgeleitete gutächtliche Schlußfolgerung umsoweniger einer näheren Erörterung in der Urteilsbegründung, als sie den wesentlichen Kern des in Rede stehenden Sachverständigengutachtens unberührt ließ: Danach kam aber trotz der vom Angeklagten behaupteten und vom Erstgericht als erwiesen angenommenen starken Alkoholisierung (S 176) eine seine Zurechnungsfähigkeit ausschließende volle Berauschung nicht in Betracht, weil sich Josef P*** unmittelbar nach der Tat zu einer geordneten gedanklichen Abwägung des Risikos einer allfälligen Tatkenntnisnahme durch die Mutter des Kindes fähig zeigte (S 169). Dieses infolge umfassender Mitberücksichtigung sämtlicher ausschlaggebender Sachverhaltskomponenten wesentliche Substrat des Gutachtens findet aber in den Urteilserwägungen ohnedies ausführliche Berücksichtigung (S 179).

Eine Anklageüberschreitung (Z 8) erblickt die Beschwerde in dem Schuldspruch wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach den §§ 15, 202 Abs. 1 StGB nF, weil ihrer Auffassung nach die nach diesem Tatbestand deliktsspezifische Gewaltkomponente in der auf das Verbrechen der versuchten Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs. 1 StGB lautenden Anklage (S 83 f) keine Deckung finde. Davon, daß der Angeklagte im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes eines Verhaltens schuldig erkannt worden wäre, das nicht Gegenstand der Anklage war, kann nach Lage des Falles jedoch nicht die Rede sein. Betrifft doch der Gegenstand des bekämpften Schuldspruchs unmißverständlich gerade jenes Verhalten, das in dem bezughabenden Teil der Anklagebegründung als geschlechtlicher Mißbrauch der Stieftochter Bettina D*** wiedergegeben wird. Daß das Erstgericht dabei in aktengetreuer Wahrnehmung der im Tatzeitpunkt bereits vorgelegenen Mündigkeit des (damals schon fünfzehnjährigen) Mädchens zu einer von der Anklage abweichenden anderen rechtlichen Beurteilung der Tat gelangte, begründet keine Anklageüberschreitung, weil hiedurch die Identität mit dem historischen Anklagesachverhalt nicht berührt wird (Mayerhofer-Rieder2, E 8 und 10 zu § 281 Abs. 1 Z 8 StPO) und das Gericht gemäß den §§ 262 und 267 StPO an die (im konkreten Fall unrichtige) rechtliche Tatqualifizierung des öffentlichen Anklägers nicht gebunden ist (Mayerhofer-Rieder aaO, E 3). Dem steht auch nicht entgegen, daß sich die Anklage - infolge ihrer (rechtsirrigen) Ausrichtung auf den (Gewaltanwendung nicht voraussetzenden) Tatbestand der Unzucht mit Unmündigen (§ 207 Abs. 1 StGB) - bei der Wiedergabe der vom Erstgericht als (versuchte) geschlechtliche Nötigung beurteilten Tathandlung zum Tatbestandsmerkmal der Gewalt im § 202 Abs. 1 StGB auf die Anführung vehementer Gegenwehr des Tatopfers beschränkte.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die eine dem Erstgericht unterlaufene unrichtige Auslegung der Gesetzesbegriffe "geschlechtliche Handlung", "Gewalt" (§ 202 Abs. 1 StGB nF) und "Unzucht" (§ 212 Abs. 1 StGB) einwendet, erweist sich teils als nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt, teils als nicht begründet. Im Sinn der materiellrechtlichen Beschwerdeargumentation trifft es zwar zunächst zu, daß der in § 202 Abs. 1 StGB neu eingeführte Begriff der geschlechtlichen Handlung (nicht anders als der ua für § 212 Abs. 1 StGB weiterhin aktuelle Unzuchtsbegriff) geschlechtlichen Mißbrauch voraussetzt, bei dem zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper der jeweils anderen Person in eine nicht bloß flüchtige, sexualbezogene Berührung gebracht werden (ua EvBl 1976/205). Wenn die Beschwerde davon ausgehend aber der Urteilsannahme, wonach der Angeklagte seine Hand in Richtung der Brust und des Geschlechtsteils des Tatopfers schob (S 176), mangels entsprechender Berührung einen im dargelegten Sinn objektiv erkennbaren Sexualbezug abspricht, setzt sie sich darüber hinweg, daß dem Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen bloßer (schon begriffswesentlich nicht sämtliche Merkmale vollendeter Tatbestandsverwirklichung umfassender) Deliktsversuch zur Last fällt. Dementsprechend geht auch die gleichfalls nicht am Urteilssachverhalt orientierte Rüge von Feststellungsmängeln ins Leere.

Nicht anders verhält es sich mit dem Einwand fehlender Gewaltanwendung im Sinn des § 202 Abs. 1 StGB. Nach den ausdrücklich auf die (brieflichen) Aufzeichnungen des Tatopfers über den Tathergang gestützten Urteilsfeststellungen hielt der Angeklagte das sich wehrende Opfer "an der Hand fest und klemmte es auch mit seinem Körper am Bett ein, um dadurch zur Berührung der zumindest ansatzweise entwickelten Brust oder des Geschlechtsteils zu kommen" (S 176, 178). Diese Tatmodalitäten decken aber dem Beschwerdestandpunkt zuwider die Annahme einer (versuchten) geschlechtlichen Nötigung der Bettina D*** mit Gewalt im Sinn des § 202 Abs. 1 StGB nF. Darunter ist nämlich die Anwendung jeder nach Lage des Falles überlegenen und zur Beugung bzw Beseitigung eines tatsächlichen oder etwa zu erwartenden Widerstandswillens des Opfers geeigneten physischen Kraft zu verstehen, wobei das bloße Festhalten einer Person genügt (Leukauf-Steininger, StGB2 RN 24 zu § 74; LSK 1976/29).

Soweit die Rechtsrüge schließlich Feststellungsmängel zur Frage strafaufhebenden Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs. 1 StGB) geltend macht (Z 9 lit b), läßt sie die (jedwede Freiwilligkeit der Aufgabe der Tatausführung als wesentliches Erfordernis dieses Strafaufhebungsgrundes ausschließende) Urteilsfeststellung unberücksichtigt, daß die Deliktsvollendung an dem erfolgreichen Entweichen des Mädchens aus der bezeichneten Zwangslage scheiterte (S 176). Für in der Beschwerde vermißte (durch die Beweisergebnisse auch nicht indizierte) gegenteilige Feststellungen bestand mithin kein Freiraum.

Die insgesamt nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten gemäß dem § 202 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, wovon gemäß den §§ 43 Abs. 1, 43 a Abs. 3 StGB ein Teil von sieben Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend, als mildernd hingegen die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten und das Geständnis, das längere Wohlverhalten seit der Tat und den Umstand, daß es beim Versuch blieb.

Mit seiner gegen diesen Strafausspruch gerichteten Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe, deren bedingte Nachsicht zur Gänze bzw (gestützt auf § 43 a Abs. 2 StGB) den Ausspruch einer Geldstrafe an Stelle des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe im wesentlichen mit der Begründung an, daß seine neurotische Persönlichkeitsstruktur, die Abkehr vom "früher reichlichen Alkoholkonsum" und der für die in Rede stehenden Delikte atypisch geringe soziale Störwert als zusätzliche Milderungsgründe ebenso zu berücksichtigen gewesen wären, wie allfällige unverhältnismäßig gravierende arbeitsrechtliche Auswirkungen eines Vollzugs des unbedingt ausgesprochenen Teils der Strafe. Der Berufung kommt (nur) Berechtigung zu, soweit sie das Vorliegen der Voraussetzungen für eine bedingte Nachsicht der gesamten Freiheitsstrafe geltend macht. Da es sich bei der in Rede stehenden (mehr als drei Jahre zurückliegenden) Tathandlung, mag sie auch in Handlungseinheit zwei Delikte verwirklicht haben, um die erste Verfehlung des nunmehr 53-jährigen, sozial voll integrierten Angeklagten handelt und der tataktuelle Störtwert schon mangels Deliktsvollendung dem unteren Bereich einschlägiger Delinquenz zuzuordnen ist, kann im Sinn der Berufungsargumentation davon ausgegangen werden, daß die bloße Androhung (selbst) der ganzen Freiheitsstrafe genügen wird, die Erreichung des Strafzwecks aus sowohl spezial- als auch generalpräventiver Sicht zu gewährleisten. Der darüber hinaus begehrten Strafreduktion und Anwendung des § 37 StGB steht allerdings der Umstand entgegen, daß es sich dem Berufungsstandpunkt zuwider hier um keinen atypisch leichten Fall an der Grenze strafbarer Tatbestandsverwirklichung handelt. Die nach den Beweisergebnissen nicht unerhebliche seelische Beeinträchtigung des minderjährigen Tatopfers hat vielmehr als wesentliche Komponente des abzuurteilenden Handlungs- und Gesinnungsunwerts im Strafausspruch angemessenen Niederschlag zu finden. Aus den dargelegten Erwägungen war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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