OGH 16Os11/90

OGH16Os11/908.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Juni 1990 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Dr. Müller und Dr. Kießwetter sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Waidecker als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael U*** wegen des Verbrechens des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15.November 1989, GZ 1 c Vr 7117/89-11, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Gatscha jun., jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

  1. 1. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.
  2. 2. Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das ansonsten unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der vom Punkt 2 des Schuldspruches erfaßten Tat als das dem Angeklagten (neben dem ihm zu Punkt 1 des Schuldspruches zur Last liegenden Verbrechen des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 StGB) gesondert zuzurechnende Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB sowie demgemäß auch im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

    Michael U*** hat durch die in den Punkten 1 und 2 des Schuldspruches bezeichneten Taten das Verbrechen des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 StGB begangen; er wird hiefür nach dem ersten Strafsatz des § 131 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 (acht) Monaten verurteilt.

    Im übrigen wird auch diese Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

  1. 3. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die zu
  2. 2. getroffene Entscheidung verwiesen.
  3. 4. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Das Schöffengericht erkannte den Angeklagten Michael U*** (zu 1) des Verbrechens des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 StGB und (zu 2) des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig.

Nach dem Inhalt dieses Schuldspruches hat der Genannte (zu 1) am 22.Mai 1989 in Wien fremde bewegliche Sachen, nämlich 3 Flaschen Chivas Regal zu je 349 S, 2 Flaschen Martell Cognac zu je 249 S und 2 Flaschen Vyborova Wodka zu je 169,90 S, somit Waren im Gesamtwert von 1.884,80 S, dem Verfügungsberechtigten der Firma B*** mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er bei seiner Betretung auf frischer Tat, indem er sich von Anna K*** losriß, Gewalt gegen eine Person anwandte, um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten; (zu 2) am 30.Mai 1989 in Wien eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Flasche Whisky Ballantines zu 199,90 S, dem Verfügungsberechtigten der Firma B*** mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Diesen Schuldspruch bekämpften sowohl der Angeklagte als auch (zu dessen Gunsten) der öffentliche Ankläger mit Nichtigkeitsbeschwerde, die ersterer auf die Gründe der Z 5 a und 10, letzterer hingegen auf jene der Z 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO stützt.

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Schuldspruch zu Punkt 1 des Urteilssatzes:

Nach den hiezu vom Schöffengericht getroffenen Feststellungen steckte der Angeklagte am 22.Mai 1989 in der B***-Filiale Wien-Heiligenstädterstraße in einem unbeobachteten Moment die bezeichneten 7 Flaschen Alkoholika mit Diebstahlsvorsatz in eine grüne Leinentasche, worauf er damit unbemerkt hinter einer Glaswand an der Kassa vorbei ins Freie gelangen wollte. Dies wurde jedoch von der Kassierin Anna K*** beobachtet, worauf sie dem Angeklagten auf die Straße hinaus nachlief. Als sie ihn eingeholt hatte, hielt sie ihn am Arm fest, um ihn an der Flucht zu hindern. Durch die heftigen Abwehrbewegungen des Angeklagten stolperte sie jedoch, wobei sie im Fallen den Angeklagten noch festhielt. Nachdem K*** gestürzt war, gelang es dem Angeklagten, sich loszureißen; er wurde jedoch kurz darnach auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Bauarbeitern gestellt, festgehalten und dem inzwischen herbeigeeilten Filialleiter übergeben. Dem Angeklagten kam es bei seinem Verhalten darauf an, sich den Besitz der an sich gebrachten Gegenstände zu erhalten; er wendete aus diesem Grund gegen die ihn festhaltende Kassierin K*** eine solche Gewalt an, daß diese zu Boden stürzte und leicht verletzt wurde (US 4 und 5). In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß unter Gewalt bereits die Anwendung körperlicher Kraft gegen einen Menschen zu verstehen ist; daher genügte es für die Beurteilung der (im Versuchsstadium gebliebenen) Tat als (versuchter) räuberischer Diebstahl, daß der Angeklagte seine Körperkraft (bloß) einsetzte, um sich von K*** loszureißen, ohne daß es hiefür etwa (zusätzlich) eines Hinschlagens auf das Opfer bedurfte (US 7).

Den das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme der Qualifikation des § 131 StGB bestreitenden Ausführungen beider Beschwerdeführer ist zunächst in rechtlicher Hinsicht zu entgegnen, daß unter Gewalt iS § 131 StGB (ebenso wie iS aller übrigen Tatbestände, die auf Gewalt als Begehungsmittel abstellen) der Einsatz nicht ganz unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermeintlichen Widerstandes zu verstehen ist (vgl. Kienapfel BT I2 § 105 Rz 11; Leukauf-Steininger2 § 105 RN 4; § 142 RN 6; § 269 RN 12); nicht erforderlich ist, daß die Intensität der aufgewendeten physischen Kraft eine zur Willensbrechung beim Opfer geeignete Schwere erreicht, es genügt vielmehr, daß es tätergewollt gerade dieser Krafteinsatz ist, der das Opfer zur Abstandnahme von seinem dem Tätervorhaben entgegenstehenden Bestreben veranlaßt und solcherart kausal zu dessen Realisierung führt (ÖJZ-LSK 1987/83 zu § 131 StGB). So gesehen ist aber auch das Losreißen von einer Person, die den Täter so fest am Arm hält, daß sie zunächst dessen Flucht über die Straße verhindern kann und ihn auch noch während eines Sturzes - mag dieser seine Ursache auch in einem Stolpern oder Abrutschen an der Gehsteigkante gehabt haben - nicht losläßt, Gewalt iS des § 131 StGB.

Die Urteilsfeststellung hinwieder, daß die Zeugin K*** den Angeklagten, nachdem sie ihn eingeholt hatte, festgehalten und ihn nicht ausgelassen hat, der Angeklagte sich von ihr loszureißen trachtete, jedoch von K*** noch im Fallen festgehalten wurde und es ihm erst gelang, sich loszureißen, nachdem K*** gestolpert und zu Boden gestürzt war (US 4 unten, 5 oben), findet aber - entgegen der Mängelrüge der Staatsanwaltschaft - in den Bekundungen der Zeugin K*** in der Hauptverhandlung (vgl. S 49 dA), aber auch in der Verantwortung des Angeklagten (vgl. S 48 dA) Deckung. Daß K*** vom Angeklagten zu Boden gestoßen wurde, hat das Gericht hingegen ohnedies nicht als erwiesen angenommen.

Dem Urteil haftet somit der von der Anklagebehörde reklamierte formale Begründungsmangel (der der Sache nach in einer offenbar unzureichenden Begründung erblickt wird) nicht an. Die Ausführungen des Angeklagten in seiner Tatsachenrüge hinwieder sind nicht geeignet, sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der bezüglichen Urteilsannahmen zu erwecken. Auf der Grundlage der erörterten Urteilsfeststellung hat aber das Schöffengericht rechtsrichtig die Voraussetzungen des § 131 StGB bejaht. Ob - wie das Urteil weiters konstatiert - vom Angeklagten Gewalt gegen K*** (auch) dadurch ausgeübt wurde, daß er heftige Abwehrbewegungen setzte, die den Sturz der Zeugin verursacht haben sollen, ist hiefür nicht (mehr) entscheidend.

Soweit die Anklagebehörde in ihrer Rechtsrüge davon ausgeht, das Erstgericht habe "zutreffend den Diebstahl lediglich als Versuch beurteilt", während räuberischer Diebstahl vollendete Sachwegnahme voraussetze, so verweist die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf, daß der Angeklagte nach dem festgestellten Urteilssachverhalt, demzufolge er das Geschäftslokal unter Mitnahme der Flaschen in der Umhängetasche bereits verlassen und sich damit auf der Straße befunden hat, nach der natürlichen Verkehrsauffassung die letzte und entscheidende Gewahrsamsschranke schon überwunden und damit die Herrschaft über die Sachen erlangt hat (vgl. Kienapfel BT II2 § 27 Rz 125), sodaß der Diebstahl vollendet war. Da die Beurteilung als Versuch aber unbekämpft geblieben ist und sich auch nicht zum Nachteil des Angeklagten (§ 290 Abs. 1 StPO) auswirkt, ist eine Korrektur der unrichtigen Subsumtion nicht möglich. Die (rechtliche) Annahme eines (bloßen) Diebstahlsversuchs schließt indes nach der Rechtsprechung (und jedenfalls einem Teil der Lehre; vgl. etwa Bertel WrK § 131 Rz 11 f; Burgstaller, Ladendiebstahl 37) räuberischen Diebstahl (im Versuchsstadium) dann nicht aus, wenn der Dieb - wie vorliegend der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen - bereits Mitgewahrsam an den Sachen erlangt hat und nunmehr, auf frischer Tat betreten, Gewalt (oder Drohung) anwendet, um sich die Sachen zu erhalten (SSt. 55/13 = JBl 1985, 53 mit zust. Anm. Burgstaller = EvBl. 1985/6; aM Steininger RZ 1981, 25 f; krit. auch Kienapfel BT II2 § 131 Rz 9 ff).

II. Zum Schuldspruch zu Punkt 2 des Urteilssatzes:

Zu diesem Punkt des Schuldspruchs macht der Angeklagte einen Feststellungsmangel geltend, weil es das Erstgericht unterlassen habe, festzustellen, daß er die Whiskyflasche zur alsbaldigen Befriedigung seines zum Tatzeitpunkt dringenden und gegenwärtigen Bedürfnisses, ein alkoholisches Getränk zu konsumieren, an sich genommen hat; hätte es diese Konstatierung getroffen, so wäre die Tat nur als versuchte Entwendung zu beurteilen gewesen. Eine Feststellung in der von der Beschwerde angestrebten Richtung war indes nach den Verfahrensergebnissen nicht indiziert, hat sich doch der Beschwerdeführer in keinem Verfahrensstadium (vgl. ON 4 S 18, 29; ON 10 S 48 dA) dahin verantwortet, daß er die Flasche Whisky zum Zwecke der sofortigen oder zumindest alsbaldigen Befriedigung eines gegenwärtigen Bedürfnisses nach dem in Rede stehenden Getränk an sich genommen habe; er hat sich hiezu vielmehr ausdrücklich des Diebstahls schuldig erkannt (vgl. abermals S 48 dA). Die ins Treffen geführte Trunksucht des Beschwerdeführers war für sich allein kein Grund zu Feststellungen in der von der Beschwerde angeführten Richtung, zumal eine solche eine hauptsächlich auf eine Bevorratung, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum gerichtete Motivation nicht ausschließt. Auch kann entgegen dem bezüglichen Beschwerdeeinwand nicht gesagt werden, daß Nahrungs- und Genußmittel schlechthin und ausnahmslos "typische Objekte des Gelüsts auf alsbaldigen Konsum" seien.

Die Rüge des Angeklagten gegen Punkt 2 des Schuldspruchs geht somit fehl.

Hingegen macht die Staatsanwaltschaft zu diesem Punkt (aus der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO) zutreffend geltend, daß zufolge § 29 StGB alle in einem Verfahren dem selben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie auch örtlich und zeitlich nicht zusammenhängen und jeder für sich rechtlich selbständig bleiben sowie unterschiedlich qualifiziert sein, bei der rechtlichen Beurteilung zu einer Einheit zusammengefaßt sind (vgl. EvBl. 1989/147 ua), weshalb es unzulässig war, dem Angeklagten neben dem Verbrechen des versuchten räuberischen Diebstahls (Punkt 1) gesondert auch noch das Vergehen des versuchten Diebstahls (Punkt 2) anzulasten und ihn mithin zweier strafbarer Handlungen schuldig zu erkennen. Insoweit war demnach dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (teilweise) Folge zu geben und diesbezüglich spruchgemäß zu erkennen. Im Hinblick auf die getroffene Sachentscheidung war die verwirkte Strafe neu zu bemessen.

Dabei wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend, daß der Angeklagte bereits dreimal wegen Taten, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, abgeurteilt worden ist; weiters, daß er die diebischen Angriffe wiederholt hat und schließlich, daß die Zeugin K*** durch die zu Punkt 1 des Schuldspruchs bezeichnete Tat leicht verletzt worden ist, zumal diese Verletzung jedenfalls vom Angeklagten verschuldet worden ist; als mildernd ist dem Angeklagten zugute zu halten, daß es - nach dem insoweit unbekämpft gebliebenen Schuldspruch zu Punkt 1 - in beiden Fällen beim Versuch geblieben ist.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen und unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung (§ 32 Abs. 2 und 3 StGB) erachtete der Oberste Gerichtshof eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten als tatschuldangemessen und auch der Täterpersönlichkeit des Angeklagten entsprechend, wobei die gegenüber dem in erster Instanz gefundenen Strafmaß vorgenommene (geringfügige) Reduktion dem in bezug auf den räuberischen Diebstahl hier doch nicht allzu schwer wiegenden Handlungsunwert Rechnung trägt.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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