OGH 2Ob520/90

OGH2Ob520/906.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria K***, Geschäftsfrau, Plainstraße 11, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Joachim Hörlsberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei K*** ST. J*** AM D***, Kapitelplatz 2, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Erich Meusburger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 500.000,-- s.A. und Feststellung (S 50.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16.Oktober 1989, GZ 1 R 152/89-48, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 14.März 1989, GZ 14 a Cg 87/87-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.452,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 2.908,80, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kam am 21.2.1985 in dem von ihr als Kurgast benützten Zimmer im Kurhaus der Beklagten zu Sturz, wobei sie verletzt wurde.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 500.000,- sA (Schmerzengeld); überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen darauf, daß sie im Februar 1985 bei der Beklagten einen Kuraufenthalt genommen habe. Am 21.2.1985 sei sie vom Badezimmer barfuß in Richtung Wohnraum unterwegs gewesen, um ein Kleidungsstück zu holen. Als sie den Vorraum betreten habe, sei sie auf dem übermäßig stark gewachsten Linoleumbelag des Bodens ausgerutscht. Dabei habe sie sich eine Kompressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers zugezogen. An diesem Unfall treffe die Beklagte das alleinige Verschulden, weil sie täglich durch ihre Angestellten den Boden des Vorraumes und des Zimmers wachsen und polieren habe lassen, wodurch dieser übermäßig rutschgefährlich geworden sei. Überdies habe es die Beklagte unterlassen, irgendwelche Haltevorrichtungen anzubringen. Die Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, es sei nicht richtig, daß die Böden täglich gewachst und poliert worden seien. Dies geschehe grundsätzlich nur einmal im Jahr, wenn der Kurhausbetrieb vorübergehend geschlossen werde. Die Klägerin habe ihren Unfall selbst verschuldet, weil sie zum Telefon gelaufen und dabei gestürzt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin befand sich bereits mehrmals zum Kuraufenthalt bei der Beklagten, zuletzt im Februar 1985. Sie bewohnte ein Zimmer im dritten Stock, bestehend aus Wohn-Schlafraum, Vorraum und Bad. Am 21.2.1985 war sie gerade zur Morgentoilette im Bad, als in ihrem Zimmer das Telefon läutete. Sie eilte mit nassen Füßen aus dem Bad zum Telefon, rutschte jedoch im Vorraum aus und stürzte nach hinten. Die Klägerin nahm während ihres Aufenthaltes bei der Beklagten nicht wahr, daß der Fußboden gewachst wurde. Es fiel ihr auch nicht auf, daß der Fußboden bei ihrer Ankunft im Februar 1985 frisch gewachst gewesen wäre. Der Fußboden wird nur in der Zeit vom 16.11. bis 27.12. eines jeden Jahres, in welcher das Kurhaus geschlossen ist, eingelassen und gebürstet, in der übrigen Zeit nur, wenn der Boden stark abgetreten ist. Im Vorraum und im Wohnraum der Klägerin war ein PVC-Bodenbelag verlegt, der, bedingt durch seine Benützung, an der Oberfläche erhebliche Kratzer und Vertiefungen aufwies. Die Oberfläche hat auch eine Pflegeschicht; mehrere Schichten sind nicht erkennbar. Nach der jährlichen einmaligen Reinigung wird eine Polimerschicht aufgebracht. Bürsten oder Polieren hat auf die Oberfläche des Pflegefilms keinen Einfluß und verringert die Gleitreibeigenschaft nicht. Ein unbehandelter PVC-Belag weist sogar größere Rutscheigenschaften auf als ein solcher, der mit einer Polimerdispersion behandelt ist. Der Gleitwert wurde im Zimmer der Klägerin an elf Punkten gemessen und ergab im Mittel einen Wert von 85,86 %, wobei die als Vergleich herangezogenen mit Polimerdispersion behandelten Böden in der Ambulanz des Krankenhauses Klosterneuburg im Mittel 87 %, in der Berufsschule Lilienfeld 86 % und in der Sporthalle Klosterneuburg 85 % aufweisen. Der Gleiteigenschaftswert des Bodenbelages im Vorraum des Zimmers der Klägerin liegt zwischen 0,5 bis 0,7 my. Dies sind Werte, die für Sporthallenböden erreicht werden müssen; für die Trittsicherheit würden 0,35 my genügen. Der mit der Polimerschicht behandelte Bodenbelag im Vorraum des Zimmers der Klägerin weist somit eine sehr gute Gleitreibeigenschaft auf. Trockene Haut der Füße ergibt auf der Oberfläche des gepflegten Bodenbelags ausgezeichnete Haftfestigkeiten. Ein Ausgleiten darauf ist unter der Voraussetzung des normalen und üblichen Begehens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Ein Wasserfilm zwischen Haut- und Bodenbelagsoberfläche verringert den Gleitreibwiderstand aber wesentlich. Bei ungünstigen Umständen, wie Art des Aufsetzens des Fußes, der Auflagefläche des Fußes und der Bewegungsgeschwindigkeit der Person sowie der Beschaffenheit der Hautoberfläche ist dann ein Ausgleiten mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben.

Beim Betrieb der Beklagten handelt es sich um ein Kurhaus, in dem keine akuten Krankheitsfälle behandelt werden. In Kurheimen und Kurhotels sind keine Handläufe oder Haltegriffe in den Vorräumen zwischen Wohn- und Naßraum anzubringen. Derartige gesetzliche Bestimmungen bestehen nur bei verschiedenen Krankenhäusern. Selbst im Rehablitationszentrum Großgmain sind nur in den Räumen, in denen gehirngeschädigte Personen behandelt werden, Haltestangen angebracht. Eine Behandlung der Kurgäste erfolgt in den Wohmräumen nicht. Weder nach gesetzlichen Bestimmungen noch nach der Erfahrung des täglichen Lebens sind bei verlegten PVC-Böden in Kurheimen oder Kurhotels für die Gäste in den Wohn- oder Vorräumen Haltegriffe und Handläufe zur Verhinderung der Sturzgefahr anzubringen. Zum Sturz der Klägerin kam es deshalb, weil sie mit nassen Füßen zum Telefon eilte und dabei im Vorraum ausrutschte.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der im von der Klägerin bewohnten Zimmer verlegte Boden keinesfalls rutschgefährlich gewesen sei. Es habe auch keine Notwendigkeit bestanden, im Vorraum Handläufe oder Haltegriffe anzubringen. Der Klägerin sei nicht der Beweis dafür gelungen, daß die Beklagte an ihrem Sturz ein Verschulden treffe. Der Sturz habe vielmehr seine Ursache darin gehabt, daß die Klägerin mit nassen Füßen aus dem Bad in das Wohnzimmer eilen habe wollen. Dies habe aber die Beklagte nicht zu vertreten.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.

Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen von der Klägerin behaupteter Verfahrensmängel und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentliche aus, wer einem anderen zu einer Leistung verpflichtet sei, hafte auch für die Erfüllung der jedem Vertrag auch ohne ausdrückliche Vereinbarung innewohnenden Nebenverpflichtung, alle Rechtsgüter des Gläubigers, mit denen der Schuldner bei Bewirkung der Hauptleistung in Berührung komme, nach Tunlichkeit vor Schaden zu schützen. Die vertragliche Sorgfaltspflicht dürfe aber ebensowenig überspannt werden wie die allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Die Frage, welche zumutbaren Schutzmaßnahmen vom Schutzpflichtigen zu treffen seien, sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der Interessen der Beteiligten zu lösen. Nur zumutbare Maßnahmen seien zu ergreifen. Voraussetzung für derartige Handlungspflichten sei die Erkennbarkeit der Gefahr.

§ 1298 ABGB ändere die Beweislastverteilung für den Fall, daß eine Partei eine Verbindlichkeit nicht erfüllt habe. Diese Partei müsse dann beweisen, daß sie ohne ihr Verschulden an der Erfüllung der vertragsmäßigen Verbindlichkeit verhindert war. Die Beweislast für den Kausalzusammenhang treffe aber auch bei einer Haftung nach § 1298 ABGB den Geschädigten.

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen sei als alleinige Ursache des Sturzes der Klägerin anzusehen, daß sie mit nassen Füßen zum Telefon eilte und dabei im Vorraum ausrutschte. In diesem Verhalten der Klägerin sei aber weder ein schuldhaftes noch ein ursächliches Verhalten der Beklagten zu erblicken. Vielmehr stelle sich das Verhalten der Klägerin in der konkreten Situation für die Beklagte weder als voraussehbar noch mit zumutbaren Mitteln als abwendbar dar. Wenn die Klägerin trotz ihrer körperlichen Schwäche mit nassen Füßen zum Telefon geeilt sei, sei dies wohl nur als Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern zu beurteilen. Für eine solche Sorglosigkeit der Klägerin habe die Beklagte nicht zu haften. Daß seitens der Beklagten eine Gefahrenquelle durch das Verlegen eines rutschigen Bodens bzw durch das Reinigen dieses Bodens oder durch das Nichtanbringen von Handläufen oder Haltegriffen geschaffen worden wäre, sei nicht hervorgekommen. Es habe für die Beklagte auch keine Verpflichtung bestanden, solche Handläufe oder Haltegriffe im Vorraum der von der Klägerin bewohnten Wohneinheit des Kurhauses anzubringen. Ein solches Verlangen habe die Klägerin vor ihrem Unfall gegenüber der Kurhausverwaltung auch nicht gestellt. Das Erstgericht habe daher mit Recht das Klagebegehren abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Aber auch die Rechtsrüge der Klägerin ist unberechtigt. Es entspricht Lehre und ständiger Rechtsprechung, daß die Beklagte auf Grund ihrer vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflicht gegenüber der Klägerin verbunden war, alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um sie im Rahmen ihres Aufenthaltes in dem von ihr betriebenen Kurhaus nicht zu gefährden oder zu verletzen (siehe dazu Koziol, Haftpflichtrecht2 II 79 ff und die dort angeführte Judikatur; SZ 51/26; MietSlg 33.216 uva). Die vertragliche Sorgfaltspflicht darf aber ebensowenig überspannt werden wie die allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Die Frage, welche zumutbaren Schutzmaßnahmen vom Schutzpflichtigen zu treffen sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der Interessen der Beteiligten zu lösen (EvBl 1989/102), wobei an die Diligenzpflicht des Schutzpflichtigen bei Vorliegen der im § 1299 ABGB normierten Voraussetzungen der in dieser Gesetzesstelle festgelegte Maßstab anzulegen ist (JBl 1986, 313).

Daraus ist jedoch im vorliegenden Fall zugunsten der Klägerin nichts abzuleiten. Die Klägerin hat nicht einmal behauptet, daß sie zur Zeit ihres Kuraufenthaltes im Kurhaus der Beklagten körperlich in solcher Weise beeinträchtigt gewesen wäre, daß sie zur sicheren Fortbewegung irgendwelche Hilfsmittel benötigt hätte bzw daß sie besonderer Sturzgefahr ausgesetzt gewesen wäre. Die Beklagte hatte in den der Klägerin zugewiesenen Räumen nach den Feststellungen der Vorinstanzen einen durchaus rutschfesten Bodenbelag verlegt; sie hat nach den getroffenen Feststellungen auch nicht die Rutschfestigkeit dieses Bodenbelages durch irgendwelche unsachgemäße Pflegemaßnahmen beeinträchtigt. Damit hat sie alles Zumutbare getan, um einen durch Ausrutschen bedingten Sturz eines nicht augenfällig behinderten Kurgastes in den ihm zugewiesenen Räumlichkeiten zu vermeiden. Eine darüber hinausgehende Maßnahme der Beklagten, um ein Ausrutschen der Klägerin in dem ihr zugewiesenen Zimmer zu verhindern, konnte auch unter Anlegung des im § 1299 ABGB normierten Sorgfaltsmaßstabes von ihr nicht verlangt werden. Insbesondere bestand im Hinblick darauf, daß eine gravierende Behinderung der Klägerin in ihrer körperlichen Mobilität weder behauptet wurde noch hervorgekommen ist, für die Beklagte keine Notwendigkeit und kein erkennbarer Anlaß für die Anbringung irgendwelcher Fotbewegungshilfen (Handläufe, Handgriffe u dgl) in den der Klägerin zugewiesenen Räumen. Daß die Gefahr des Ausrutschens bei raschem Fortbewegen mit nackten nassen Fußsohlen auf einem sonst rutschfesten Kunststoffboden erheblich erhöht wird, ist eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache, sodaß für die Beklagte auch kein Anlaß bestand, die Klägerin gesondert auf die Gefährlichkeit eines solchen Verhaltens hinzuweisen. Es ist somit, geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, entgegen den Revisionsausführungen nicht hervorgekommen, daß der Sturz der Klägerin vom 21.2.1985 darauf zurückzuführen wäre, daß die Beklagte irgendwelche ihr gegenüber bestehende Schutzpflichten verletzt hätte. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen das Klagebegehren abgewiesen.

Der Revision der Klägerin muß unter diesen Umständen ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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