OGH 6Ob579/90

OGH6Ob579/9031.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Michael Karl Gebhard N***, geboren am 20. September 1974, in Obsorge seiner Mutter Eva N***, medizinisch-technische Assistentin, Tiefgraben-Hof 102, 5310 Mondsee, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, Jugendwohlfahrt-Außenstelle Mondsee, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 28.Februar 1990, GZ R 1122/89-120, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Mondsee vom 7.November 1989, GZ P 15/89-114, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Der am 23.10.1940 geborene Vater Roland Alfons K*** ist seit Anfang 1985 unbekannten Aufenthaltes. Seine Lebensverhältnisse sind unbekannt. Die letzte verläßliche Nachricht von ihm war die Verbüßung einer Freiheitsstrafe vom 12.12.1983 bis 12.1.1985. Seither gibt es auch keine Hinweise auf neuerliche Strafverfahren. Der Vater ist gelernter Graphiker, arbeitete aber auch schon als Tellerwäscher. Beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sind Daten über den Vater nicht einmal zu seiner Person gespeichert.

Der Minderjährige ist Schüler und befindet sich in Obsorge seiner Mutter Eva N*** in Mondsee. Diese arbeitet in der Landeskrankenanstalt in Salzburg als medizinisch-technische Assistentin und verdiente dort 1985 monatlich etwa S 14.000 einschließlich der Familienbeihilfe.

Das Bezirksgericht Salzburg erhöhte mit Beschluß vom 6.11.1986 die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters von S 500 auf S 1.500. Dieser Beschluß wurde vom Landesgericht Salzburg mit Beschluß vom 29.1.1987, der allen Parteien am 16.2.1987 zugestellt wurde und in Rechtskraft erwuchs, bestätigt.

Am 25.10.1989 beantragte die zur Unterhaltssachwalterin bestellte Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck 1. die Einstellung des vom Erstgericht mit Beschluß vom 9.8.1989 weiter gewährten Unterhaltsvorschusses von monatlich S 1.500 sowie 2. die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses gemäß § 4 Z 2 UVG und führte zur Begründung lediglich an, der Titel sei älter als drei Jahre. Der Unterhaltsschuldner sei unbekannten Aufenthaltes, weshalb keine Unterhaltserhöhung gelinge.

Ohne weitere Erhebungen gab das Erstgericht diesem Antrag statt und übernahm einfach die kursorische Antragsbegründung.

Rechtliche Beurteilung

In Stattgebung des vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz dagegen erhobenen Rekurses hob das Gericht zweiter Instanz den angefochtenen Beschluß auf und ersetzte ihn durch die Entscheidung, der Antrag der Unterhaltssachwalterin auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses gemäß § 4 Z 2 UVG werde abgewiesen. Es führte hiezu aus, Voraussetzung für die Gewährung solcher Vorschüsse sei es unter anderem, daß der Exekutionstitel, gerechnet vom Zeitpunkt der Erlassung, älter als drei Jahre sei. Rekurse gegen außerstreitige Unterhaltsbeschlüsse hätten nach § 12 Abs.2 AußStrG aufschiebende Wirkung. § 3 Z 1 und § 4 Z 2 UVG stellten ausdrücklich auf den Begriff "Exekutionstitel" ab. Die Eignung der letzten Unterhaltsentscheidung zur Exekutionsführung sei daher erst mit der Rechtskraft der Rekursentscheidung eingetreten. Nach Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz sei hier die Schaffung des Exekutionstitels in zwei Akten - die Erlassung des erstinstanzlichen sowie die Erlassung des zweitinstanzlichen Beschlusses - erfolgt. Der Exekutionstitel sei somit erst mit Erlassung des letzteren am 29.1.1987 endgültig geschaffen worden. Von diesem Zeitpunkt an habe die Frist des § 4 Z 2 UVG zu laufen begonnen. Allein aufgrund des erstinstanzlichen Beschlusses wäre dem unterhaltsberechtigten Kind infolge des vom Abwesenheitskurator für den Vater erhobenen Rekurses die Exekutionsführung verwehrt geblieben. Dies führe jedoch nicht zur gänzlichen Versagung von Vorschüssen, weil die Voraussetzungen für die Gewährung von Titelvorschüssen nach wie vor vorlägen. Der von der Unterhaltssachwalterin gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist schon deshalb zulässig, weil zur Frage, ob die dreijährige Frist im § 4 Z 2 UVG von der erst- oder von der letztinstanzlichen Entscheidung an zu rechnen sei, soweit überblickbar, Rechtsprechung fehlt. Er ist im Ergebnis auch berechtigt.

Gemäß § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbeitrages überhaupt oder, falls der Exekutionstitel im Sinne des § 3 Z 1 UVG - also ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch - gerechnet vom Zeitpunkt der Erlassung älter als drei Jahre ist, die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf seiten des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung beziehungsweise einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande. Fraglich ist angesichts der nicht ganz deutlichen Fassung dieser Gesetzesbestimmung, von welchem Zeitpunkt an die dreijährige Frist im Falle bereits zumindest einmal gelungener Unterhaltsfestsetzung zu laufen beginnen soll. Das Gesetz knüpft den Fristbeginn an die "Erlassung" des "vollstreckbaren Exekutionstitels" (vgl § 3 Z 1 UVG). Unter Exekutionstitel versteht man jene Akte und Urkunden, aufgrund deren die Exekution zu bewilligen (und zu vollziehen) ist (vgl §§ 1 und 3 Abs 1 EO). Im vorliegenden Fall - der gewiß gleichzeitig auch Regelfall ist - handelt es sich beim letzten Exekutionstitel um einen im Verfahren außer Streitsachen ergangenen Beschluß, der dann vollstreckbar ist, wenn er (nach § 12 AußStrG) in Vollzug gesetzt werden kann (§ 1 Z 6 EO). Vom Eintritt der Vollstreckbarkeit des Beschlusses des Bezirksgerichtes Salzburg vom 6.11.1986, der dem für den Vater bestellten Abwesenheitskurator erst am 20.11.1986 zugestellt wurde, an war der im Gesetz vorgesehene Zeitraum von drei Jahren bis zur Gewährung des Unterhaltsvorschusses gemäß § 4 Z 2 UVG (am 7.11.1989) noch nicht verstrichen. Die Frist wäre demnach allein dann gewahrt, wenn man den Beginn an die Beschlußfassung erster Instanz knüpfte. Entgegen den Ausführungen des Rekursgerichtes ist die Anknüpfung des Fristbeginnes an diesen Zeitpunkt aber sowohl nach dem Wortlaut als auch nach den Materialien des Gesetzes gerechtfertigt:

Die gerichtliche Entscheidung gilt zwar grundsätzlich, sofern sie nicht mündlich verkündet wird, erst mit Abgabe der schriftlichen Abfassung der Ausfertigung an die Geschäftsstelle als erlassen (vgl Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 1470), weil das Gericht erst ab diesem Zeitpunkt an seine Entscheidung gebunden ist (vgl § 416 Abs.2 ZPO). Im Interesse einer einfachen Handhabung der gesetzlichen Bestimmung erscheint es jedoch gerechtfertigt, den Beginn der Frist an das Datum der Abfassung der (maßgeblichen) gerichtlichen Entscheidung zu knüpfen, das die Parteien aus der zugestellten Beschlußausfertigung ersehen können, wogegen sie das Datum der Abgabe an die Geschäftsstelle erst im Wege geeigneter Erhebungen ermitteln müßten. Im vorliegenden Fall fallen im übrigen Abfassung und Abgabe ohnedies auf den 6.11.1986 (ON 76, S.178), so daß die Frist auch gewahrt wäre, würde man ihren Beginn von der Abgabe an die Geschäftsstelle an rechnen.

Unter Exekutionstitel ist weiters nur jene Urkunde zu verstehen, die die vollstreckbare Verpflichtung zum Inhalt hat. Das ist die erstinstanzliche Entscheidung, wenn sie im Rechtsmittelverfahren bestätigt wird, sonst die im Instanzenzug letztmalig abändernde Entscheidung. Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluß bestätigt. Ein weiteres Rechtsmittel wurde nicht erhoben. Damit ist der erstinstanzliche Beschluß als Exekutionstitel im Sinne des § 4 Z 2 UVG anzusehen. Daß seine Vollstreckbarkeit erst in einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist, schadet deshalb nicht, weil der Fristbeginn an die Erlassung des Exekutionstitels geknüpft ist.

Für diese Auslegung sprechen aber auch die Materialien zur Novelle BGBl Nr.278/1980, mit welcher § 4 Z 2 UVG die nun maßgebliche Fassung erhalten hat (RV 276 BlgNR XV.GP 9), die dreijährige Frist beruhe auf der Erfahrung, daß Unterhaltsansprüche im allgemeinen innerhalb dieses Zeitraumes zumindest einmal im Rahmen eines Verfahrens auf Neufestsetzung des Unterhaltes geändert würden. Die Gesetzesverfasser sind demnach von der Erwägung ausgegangen, daß sich die für die Bemessung des Unterhaltes maßgeblichen Verhältnisse im allgemeinen innerhalb dieser Frist derart ändern, daß eine Neufestsetzung des Unterhaltes gerechtfertigt erscheint. Da es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlußfassung erster Instanz ankommt (SZ 39/199 uva), erscheint es gerade auch deshalb gerechtfertigt, den Fristbeginn an den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlußfassung zu knüpfen, sofern dieser Beschluß Exekutionstitel im Sinne des § 4 Z 2 UVG bleibt.

Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes war daher im vorliegenden Fall die dreijährige Frist bei der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG bereits abgelaufen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Linz hat aber in seinem Rechtsmittel an die zweite Instanz gar nicht diesen Umstand ins Treffen geführt, sondern geltend gemacht, daß kein Versuch unternommen worden sei, das Verfahren zur Erhöhung der Unterhaltsleistung des Vaters einzuleiten. Ob die Möglichkeit der Schaffung oder Erhöhung eines Unterhaltstitels gegeben sei, könne aber grundsätzlich erst dann gesagt werden, wenn ein Unterhaltsfestsetzungsverfahren eingeleitet worden sei. Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 10.5.1990, 6 Ob 589/90, in einem vergleichbaren Fall ausgesprochen, auch dem Tatbestand des § 4 Z 2 UVG sei der das Unterhaltsvorschußgesetz beherrschende Grundsatz unterstellt, daß die Vorschußleistung aus öffentlichen Mitteln nur an die Stelle der vom Unterhaltsschuldner geschuldeten, wenn auch betraglich noch nicht festgesetzten Leistungen zu treten hat. Der Gesetzgeber hat dem Kind zwar nicht ausdrücklich die Obliegenheit aufgebürdet, daß es um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner besonders intensiv bemüht sein müsse, insbesondere kann dem Gesetz kein dementsprechender besonderer Versagungs- oder Einstellungsgrund entnommen werden, doch kann aus dem Zweck der Einrichtung, nur die Hereinbringung eines konkreten gesetzlichen Unterhaltsanspruches zu gewährleisten, geschlossen werden, daß das Kind auch im Ausnahmefall des § 4 Z 2 UVG alles Zumutbare zur Unterhaltsfestsetzung unternehmen müsse. Der weitere Bezug von Vorschüssen trotz Unterbleibens zumutbarer Bemühungen um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner bedeutet Rechtsmißbrauch, der auch bei der Entscheidung über einen Weitergewährungsantrag nach § 18 UVG von Amts wegen zu berücksichtigen wäre. Praktisch aussichtslose Versuche einer Unterhaltsfestsetzung können jedoch vom Kind beziehungsweise dessen gesetzlichen Vertreter nicht gefordert werden (vgl auch Knoll, Kommentar zum Unterhaltsvorschußgesetz 1985, im ÖA § 4 Z 2 und 3 Rz 10).

Das Unterbleiben solcher Bemühungen stünde der Vorschußgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht entgegen. Die Unterhaltsfestsetzung gelingt nicht erst dann nicht, wenn ein tatsächlich gestellter entsprechender Antrag aus Gründen, die in der Person des Unterhaltsschuldners gelegen sind, trotz Vorliegens der materiellen Voraussetzungen für eine Unterhaltsfestsetzung nicht in einer dem Unterhaltszweck angemessenen Zeit zum Erfolg führt, sondern auch schon dann nicht, wenn ein solcher Antrag von vornherein bloß deshalb unterbleibt, weil er aus in der Person des Unterhaltsschuldners gelegenen Gründen nach objektiver Vorausschau zu keinem Erfolg führen kann.

Im vorliegenden Fall kann demzufolge noch nicht verläßlich beurteilt werden, daß der Versuch einer Unterhaltserhöhung praktisch aussichtslos gewesen wäre. Das Erstgericht hat - ohne eigene Ermittlungen anzustellen - die kursorische Begründung im Antrag der Unterhaltssachwalterin übernommen, ohne daß bekannt gewesen wäre, welche Erhebungen über den Aufenthalt und die Erwerbstätigkeit des Unterhaltsschuldners die Unterhaltssachwalterin wenigstens in den letzten Jahren angestellt hat. Nach der Rechtsprechung (SZ 53/54 ua) trifft die Beweislast, zur Bezahlung des entsprechend erhöhten Unterhaltsbeitrages nicht in der Lage zu sein, den Unterhaltspflichtigen, wenn der Erhöhungsantrag eines Minderjährigen gegen einen Unterhaltspflichtigen, der unbekannten Aufenthaltes ist, lediglich auf die allgemeinen Veränderungen der Lebenshaltungskosten und der Einkommensverhältnisse sowie den erhöhten Bedarf des älter werdenden Kindes gestützt wird. Zu Recht wies der Präsident des Oberlandesgerichtes Linz in seinem Rekurs an das Gericht zweiter Instanz darauf hin, daß die bloße - wenngleich auch schon längere - Abwesenheit des Unterhaltsschuldners für sich allein noch nicht der erfolgversprechenden Einleitung eines Unterhaltserhöhungsverfahrens entgegensteht.

Das Erstgericht wird deshalb im fortgesetzten Verfahren unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Ausführungen zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für den beantragten Unterhaltsvorschuß gemäß § 4 Z 2 zweiter Fall UVG trotz der unterlassenen Einleitung des Unterhaltserhöhungsverfahrens vorliegen.

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