OGH 11Os49/90

OGH11Os49/9030.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Mai 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Tibor F*** wegen des Verbrechens nach dem § 12 Abs. 1 SuchtgiftG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 13.März 1990, GZ 20 Vr 606/89-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 24.Dezember 1960 geborene, als freischaffender Künstler tätige Tibor F*** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens nach dem § 12 Abs. 1 SuchtgiftG schuldig erkannt. Darnach setzte er im Jänner 1989 oder danach in Bregenz oder an einem anderen Ort den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in großer Menge, nämlich 37 Gramm Heroin, dadurch in Verkehr, daß er es an einen Unbekannten verkaufte.

Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf den § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpfen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Das Schöffengericht stützte seine Überzeugung von der Schuld des in allen Verfahrensstadien leugnenden Angeklagten auf ihn belastende Aussagen, die Elke A***-S*** im Zuge des gegen sie geführten Strafverfahrens (AZ 20 Vr 531/89 des Landesgerichtes Feldkirch) abgelegt hatte; es schenkte ihren späteren Beteuerungen als Zeugin im vorliegenden Verfahren, sie habe Tibor F*** zu Unrecht belastet, keinen Glauben.

Aus diesem und dem in der Hauptverhandlung verlesenen Strafakt AZ 20 Vr 531/89 des Landesgerichtes Feldkirch (im folgenden kurz: Vorakt) ergibt sich, daß die Kriminalabteilung beim Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg im Zuge von Ermittlungen in der Feldkircher Heroinszene erfuhr, die gebürtige Vorarlbergerin, damals aber zumeist in den Niederlanden mit einem unbekannt gebliebenen Heroindealer zusammenlebende Elke A***-S*** trete als Heroinlieferantin auf. Als dann bekannt wurde, daß sie sich bei ihrer Schwester Isolde A***-S*** (der Lebensgefährtin des Angeklagten) in Bregenz aufhalte, wurde sie dort am 28.März 1989 um 10 Uhr in Gegenwart des Angeklagten, gegen den damals kein Verdacht vorlag, festgenommen (ON 2, insbes. S 33, 35, 39 und 41 im Vorakt). Bei ihrer ersten umfangreichen Einvernahme noch an diesem Tag bis 20 Uhr und am 29.März 1989 von 10 Uhr bis 13.15 Uhr (S 45 bis 63 des Voraktes) schilderte Elke A***-S*** alle ihre mit Suchtgiftkonsum und -handel zusammenhängenden Straftaten, erwähnte aber nichts davon, daß der Angeklagte einer ihrer Abnehmer gewesen sei. Nach ihrer Einlieferung in das Landesgerichtliche Gefangenenhaus (noch am 29.März 1989 um 17.15 Uhr) wurde sie am 30. März 1989 vom Untersuchungsrichter einvernommen. Sie gab hiebei wohl an, daß sie bei ihrer Schwester und deren Freund gewohnt habe, brachte diese Personen aber in keinen Zusammenhang mit ihren Straftaten (ON 4 im Vorakt = ON 3 dieses Aktes). Erst am 3. April 1989 wurde Elke A***-S*** neuerlich von Kriminalbeamten im Gefangenenhaus einvernommen, die ihr vorhielten, daß sie zu Weihnachten 1988 Tibor F*** 100 Gramm Heroin übergeben haben soll. Dies verneinte sie zwar, behauptete aber, daß sie anläßlich ihrer Einreise Anfang Jänner 1989 40 Gramm Heroin aus Amsterdam mitgebracht und davon 37 Gramm an Tibor F*** in Kommission zum Weiterverkauf an unbekannte Abnehmer übergeben habe; den Kaufpreis habe sie nie erhalten (S 65 bis 69 im Vorakt = S 15 bis 19). Sie hielt diese Version auch bei ihrer ergänzenden Einvernahme durch den Untersuchungsrichter am 23.Mai 1989 (S 31) aufrecht und widerrief sie auch in der gegen sie geführten Hauptverhandlung am 4.Juli 1989 nicht. Sie wurde allerdings nicht eingehend vernommen, sondern berief sich global auf ihre "bisherigen Angaben" (S 210 des Voraktes).

In der Zwischenzeit war Tibor F***, der vorher von der Gendarmerie nicht einvernommen werden konnte, am 2.Juni 1989 mit diesen belastenden Aussagen der Schwester seiner Lebensgefährtin konfrontiert worden; er bestritt sie aber und verantwortete sich im wesentlichen damit, daß er Elke A***-S***, wenn auch widerwillig, nur erlaubt hatte, das von ihr mitgeführte Heroin vorübergehend in seiner Wohnung zu verwahren. Seine Lebensgefährtin Isolde A***-S*** habe das Suchtgift aber kurzerhand ins WC geworfen und hintergespült (ON 4). Isolde A***-S*** bestätigte bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung am 5.September 1989 diese Verantwortung ihres Lebensgefährten und gab zugleich bekannt, daß ihre Schwester bereit sei, ihre Aussage zu berichtigen (ON 5). Tatsächlich widerrief Elke A***-S*** am 9.September 1989, als sie nunmehr als Zeugin in diesem Verfahren vernommen wurde, ihre Beschuldigungen gegen Tibor F*** und bestätigte dessen Verantwortung. Sie motivierte ihre Belastung damit, daß ihr die Kriminalbeamten die Aussagen einer Frau vorgehalten hatten, die von F*** Heroin bekommen haben will, worauf sie "eine Wut" bekam, weil sie meinte, er habe sie hinters Licht geführt, als er behauptete, ihr Heroin sei ins Klosett geworfen worden (ON 6). Diese Beweissituation änderte sich in der zunächst auf Grund des Strafantrages wegen des § 14 a SuchtgiftG abgehaltenen Hauptverhandlung (ON 11) und dann nach Rechtskraft des Unzuständigkeitsurteiles auch in der über die vorliegende Anklage wegen des Verbrechens nach dem § 12 Abs. 1 SuchtgiftG neu durchgeführten Hauptverhandlung (ON 21) nicht grundlegend. Das Schöffengericht hob in seiner Urteilsbegründung einige Ungereimtheiten und Widersprüche in den Aussagen der Zeugin Elke A***-S*** (wie es zu ihren belastenden Angaben gekommen war) hervor und begründete damit seine Überzeugung, daß ihre Angaben anläßlich der "ersten Befragung" durch Organe der Gendarmerie am 3. April 1989 den Tatsachen entsprachen.

Diese Begründung der Schuld des Angeklagten ist - wie die Beschwerde richtig aufzeigt - insoweit unvollständig, als sie die dargestellte und immer gleichlautende Zeugenaussage der Isolde A***-S***, die mit der Verantwortung des Angeklagten konform geht, mit keinem Wort würdigte; damit wurde aber auf diese Zeugenaussage auch in den Ausführungen zur Plausibilität des behaupteten Motivs der Elke A***-S*** für ihre (übrigens nicht bei der ersten, sondern erst bei einer späteren Vernehmung vorgebrachten) belastenden Behauptungen nicht Bezug genommen. Damit verletzte der Gerichtshof seine im § 270 Abs. 2 Z 5 StPO umschriebene Pflicht, mit voller Bestimmtheit anzugeben, aus welchen Gründen die von der Zeugin Isolde A***-S*** gewählte Tatversion nicht zutreffe, so daß dem Urteil schon aus diesem Grund ein Begründungsmangel (Z 5), der sich mittelbar auch auf die Prüfung der Beweiswürdigung (Z 5 a) auswirkt, anhaftet.

Es zeigte sich somit schon bei der nichtöffentlichen Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde, daß das Verfahren in erster Instanz zu wiederholen sein wird, weshalb das Urteil aufgehoben werden mußte (§ 285 e StPO). Im Hinblick auf die notwendig gewordene Verfahrenserneuerung in erster Instanz erübrigte es sich, auf die weiteren, im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5 a) dargestellten - nach Meinung des Beschwerdeführers erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen

indizierenden - aktenkundigen Verfahrensergebnisse und das Vorbringen zur Subsumtionsrüge (Z 10) noch näher einzugehen. Mit ihren Berufungen waren die Parteien auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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