OGH 15Os46/90

OGH15Os46/9029.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Mai 1990 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Andreas D*** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16.Jänner 1990, GZ 1 U 1180/88-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den Beschluß des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16. Jänner 1990, GZ 1 U 1180/88-35, ist insoweit, als damit bei der Entscheidung über einen allfälligen Widerruf der dem Beschuldigten Andreas D*** mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7.August 1989, GZ 6 e E Vr 6267/89, gewährten bedingten Strafnachsicht gemäß § 494 a (Abs. 1 Z 2 oder Z 4) StPO auf die Bestimmungen des § 53 Abs. 1 und Abs. 2 StGB abgestellt sowie die dem Genannten mit jenem Urteil bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, das Gesetz in den zuletzt angeführten Strafbestimmungen verletzt worden.

Dieser Beschluß, der in dem damit der Sache nach primär zum Ausdruck gebrachten Ausspruch, daß von einem Widerruf der seinerzeit gewährten bedingten Strafnachsicht aus Anlaß der neuen Verurteilung des Andreas D*** abgesehen werde (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO), unberührt bleibt, wird in der Anordnung einer Verlängerung der Probezeit aufgehoben.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Im eingangs bezeichneten (späteren) Verfahren wurde über Andreas D*** mit Urteil vom 16.Jänner 1990 (ON 35) unter Bedacht auf das zuvor angeführte frühere Urteil (vom 7.August 1989) eine Zusatzstrafe verhängt (§§ 31, 40 StGB). Gemeinsam damit wurde der Beschluß verkündet, daß die zu der ihm seinerzeit gewährten bedingten Strafnachsicht bestimmte Probezeit gemäß § 494 a (Abs. 7) StPO auf fünf Jahre verlängert werde, womit das Bezirksgericht der Sache nach zudem zum Ausdruck brachte, daß es primär von einem Widerruf jener bedingten Nachsicht absah (Abs. 1 Z 2); aus der folgenden Anregung eines darauf bezogenen Vorgehens nach § 33 Abs. 2 StPO durch die Bezirksrichterin geht hervor, daß sie dieser Entscheidung versehentlich die Bestimmungen des § 53 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zugrunde gelegt hatte (S 129). Im Fall einer nachträglichen Verurteilung gemäß § 31 StGB ist aber die allfällige Notwendigkeit des Widerrufs einer mit dem früheren Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht in der Tat nicht darnach, sondern nach § 55 Abs. 1 StGB zu beurteilen, wobei dann, wenn von einem Widerruf abgesehen wird, eine Verlängerung der Probezeit durch Richterspruch im Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 55 Abs. 3 StGB) und im übrigen dann, wenn mit dem späteren Urteil (wie hier) nicht eine bedingt nachgesehene Strafe verhängt wird, auch von Gesetzes wegen nicht eintritt.

Durch die (unter dem damit relevierten Aspekt mißverständlich formulierte) Änderung des § 494 a Abs. 7 StPO mit der Strafgesetznovelle 1989 (BGBl Nr 242), wonach in einem Beschluß, mit dem nach Abs. 1 Z 1 oder Z 2 vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder einer bedingten Entlassung abgesehen wird, das erkennende Gericht (nunmehr) auch die Probezeit verlängern kann und wonach zugleich mit einem derartigen Ausspruch auch Weisungen erteilt, ein Bewährungshelfer bestellt und familien- oder jugendwohlfahrtsrechtliche Verfügungen getroffen werden können, wurde nämlich keineswegs eine dem § 55 Abs. 3 StGB derogierende materiellrechtliche Neuregelung normiert, sondern vielmehr - wie sich aus den Materialien (JAB, 927 d.Beil. XVII.GP, S 5 f.) in Verbindung mit der Zitierung des § 53 Abs. 2 StGB in der geänderten Verfahrensbestimmung ergibt - bloß eine kompetenzrechtliche Neugestaltung des Verfahrens dahin, daß die (materiellrechtlich weiterhin nur in den Fällen des § 53 StGB mögliche) Verlängerung der Probezeit durch Richterspruch und die damit im Zusammenhang stehenden Maßnahmen in Hinkunft (anders als nach der Rechtslage gemäß dem StRÄG 1987) gleichfalls in die Zuständigkeit des im neuen Verfahren erkennenden Gerichtes fallen.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren demnach die dem Bezirksgericht durch die rechtsirrige Anwendung des § 53 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie durch die Verlängerung der Probezeit unterlaufenen Gesetzesverletzungen wie im Spruch festzustellen. Die zuletzt angeführte, dem Verurteilten nachteilige Anordnung war nach § 292 letzter Satz StPO zu beheben; eine Aufhebung des mit dem fehlerhaften Beschluß der Sache nach primär zum Ausdruck gebrachten Ausspruchs hingegen, daß von einem Widerruf der seinerzeit gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen werde (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO), kam schon deswegen nicht in Betracht, weil jene Entscheidung dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereicht. Im Hinblick auf die bei der zuvor erwähnten Anregung der Bezirksrichterin (nachträglich) geäußerte Ansicht, daß hier "keiner der im § 494 a Abs. 1 StPO normierten Fälle" vorliege, "sondern ein Fall des § 495 Abs. 2 StPO (§ 55 StGB)", ist aber nichtsdestoweniger zudem die (auch mit der Wahrungsbeschwerde angestrebte) Klarstellung angebracht, daß im Fall einer neuen Verurteilung vor dem Ablauf einer zur Zeit der Urteilsfällung noch offenen Probezeit nach einer bedingten Strafnachsicht das erkennende Gericht sehr wohl auch dann nach § 494 a Abs. 1 StPO zur Entscheidung über einen allfälligen Widerruf der betreffenden Strafnachsicht zuständig ist, wenn es sich dabei um eine nachträgliche Verurteilung im Sinn des § 31 StGB handelt (und deren Bedeutung für die im früheren Verfahren gewährte bedingte Strafnachsicht dementsprechend materiellrechtlich nach § 55 Abs. 1 StGB zu beurteilen ist).

Denn sämtliche für die Übertragung dieser Kompetenz an das im neuen Verfahren erkennende Gericht mit dem StRÄG 1987 maßgebend gewesenen vollzugstechnisch/kriminalpolitischen und prozessualen Erwägungen (vgl hiezu den JAB, 359 d.Beil. XVII.GP, S 53 f.) gelten in gleicher Weise für alle Fälle einer in einem vorausgegangenen Verfahren gewährten, zur Zeit der Urteilsfällung noch aktuellen bedingten Strafnachsicht, und zwar unabhängig davon, ob die neu abgeurteilte Tat schon im früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können (§ 31 StGB) oder nicht. Demgemäß ist das Vorliegen der zuständigkeitsbegründenden Voraussetzung, daß die neue Tat "vor Ablauf der Probezeit nach ... einer bedingten Strafnachsicht" begangen wurde, nicht etwa - wie der im Justizausschuß (ohne Begutachtungsverfahren) abermals mißverständlich formulierte Wortlaut des § 494 a Abs. 1 StPO nahezulegen scheint - auf die Zeit jener Tatbegehung zu beziehen, zu der in den Fällen des § 31 StGB das frühere Urteil (mit der hier aktuellen Strafnachsicht) noch gar nicht ergangen sein kann, sodaß die in Rede stehende Kompetenzbestimmung nicht anwendbar wäre, sondern vielmehr auf den Zeitpunkt der neuen Urteilsfällung.

Die Sonderbestimmungen des § 495 Abs. 2 StPO betreffend die Zuständigkeit zur Beschlußfassung über einen Widerruf bei nachträglicher Verurteilung (§ 55 StGB) sind daher (ebenso wie Abs. 1 dieser Verfahrensbestimmung) nur insoweit aktuell, als nicht nach § 494 a (Abs. 1) StPO eine Zuständigkeit des im neuen Verfahren erkennenden Gerichtes Platz greift, sohin ausschließlich in den Fällen des § 55 Abs. 2 StGB oder eines Entscheidungsvorbehalts nach § 494 a Abs. 2 (mit Beziehung auf eine Beschlußfassung nach Abs. 1 Z 4) StPO.

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