OGH 12Os60/90

OGH12Os60/9017.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Mai 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Heinz Josef R*** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8.Februar 1990, GZ 3 c Vr 7863/88-287, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 Z 1 und 2, Abs. 3 StGB (I) und demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.März 1948 geborene österreichische Staatsbürger Josef R*** des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 Z 1 und 2, Abs. 3 erster Fall StGB (I), des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 zweiter Fall StGB (II) und des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 StGB (III) schuldig erkannt.

Nur die Schuldsprüche wegen des Verbrechens der Hehlerei (I 1 bis 17) ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5 a und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Die Anklagebehörde warf dem Angeklagten vor, 27 von ihm in Österreich gestohlene Fahrzeuge, die mit ebenfalls gestohlenen Kennzeichen versehen worden waren, nach Ungarn verbracht und dort verkauft zu haben, um sich dadurch ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (Anklage ON 244/VI).

Das Schöffengericht vernahm den Angeklagten an zwei Verhandlungstagen zu sämtlichen Anklagefakten unter Vorhalt der aktenkundigen Beweisergebnisse und gelangte dann, ohne weitere Beweise zu erheben, zu dem Ergebnis, daß in insgesamt 10 Fällen nicht nachgewiesen werden könne, daß der Angeklagte die Fahrzeuge von Österreich nach Ungarn überstellt hat. In den übrigen 17 Fällen wurde in Übereinstimmung mit der Verantwortung des Angeklagten zwar die Überstellung als erwiesen angenommen, jedoch seinen weiteren leugnenden Einlassungen nur insoweit Rechnung getragen, als R*** im Zweifel konzediert wurde, daß er diese Fahrzeuge nicht selbst gestohlen, sondern die unbekannt gebliebenen Diebe durch die Überstellung der Fahrzeuge nach Ungarn unterstützt hat. Hiezu traf das Schöffengericht nachfolgende wesentliche Feststellungen:

Josef R*** lernte im Jahr 1982 in Budapest Karoly G*** kennen. Zumindest seit Ende des Jahres 1985 hatte sich in Budapest eine Organisation gebildet, der auch Karoly G*** angehörte, die sich damit beschäftigte, gestohlene Personenkraftwagen aus Westeuropa nach Ungarn zu bringen, sie mit falschen Papieren auszustatten und schließlich an ungarische Staatsbürger zu verkaufen. Anfang des Jahres 1986 animierte Karoly G*** den Angeklagten, Fahrzeuge von Österreich nach Ungarn zu überstellen. Tatsächlich brachte Karl R*** vom 5.März 1986 bis 11.Mai 1988 insgesamt 17 gestohlene Fahrzeuge aus Wien und Umgebung nach Ungarn, wobei er es nach Überzeugung des Schöffengerichtes jeweils zumindest ernstlich für möglich hielt und sich auch damit abfand, daß es sich um gestohlene Fahrzeuge handelte. Diese übergab er in Ungarn jeweils an Karoly G***, später an Csaba L*** und erhielt dafür verschiedene Begünstigungen. Dann konstatierte das Gericht, wann und wo die einzelnen von R*** nach Ungarn überstellten Fahrzeuge gestohlen wurden, räumte aber ein, daß die genauen Zeiten und Modalitäten der Überstellung, manchmal auch der Übernahme der Fahrzeuge nicht rekonstruierbar waren (S 193 bis 200/VI). Zur Beweiswürdigung führte der Schöffensenat aus, daß die Verantwortung des Angeklagten, die Fahrzeuge nicht selbst gestohlen zu haben, trotz seiner zugegebenen großen Fertigkeit zur Herstellung von Nachschlüsseln nicht widerlegt werden konnte, zumal auch die diesbezüglichen Angaben des Csaba L*** (vor der ungarischen Polizei) zu dürftig seien. Es nahm aber auf Grund der Tatumstände (Übernahme der auf telefonisch bekanntgegebenen Parkplätzen abgestellten Fahrzeuge, deren Schlüssel und Papiere am oder im Fahrzeug versteckt waren) an, daß der Angeklagte zumindest mit dem bedingten Vorsatz handelte, gestohlene Fahrzeuge nach Ungarn zu verbringen (S 205/VI).

Zur Widerlegung dieses tatsächlich naheliegenden, schon bei der Befragung des Angeklagten in der Hauptverhandlung anklingenden Vorwurfes beantragte der Verteidiger vor allem die Ausforschung und Vernehmung der beiden Geschäftspartner Karoly G*** und Csaba L*** sowie eines Imre H*** (siehe S 416/III) zum Beweis dafür, daß der Angeklagte von den Fahrzeugdiebstählen nichts gewußt habe und auch nichts wissen konnte, sowie weiters dafür, daß offenbar alles unternommen wurde, um diese Diebstähle vor ihm zu verschleiern. Darüber hinaus wurde zum Beweis dafür, daß der Angeklagte für den Diebstahl am 17.Juli 1987 (Punkt I 14 der Anklage = Punkt I 9 des Urteilsspruchs) schon aus zeitlichen Gründen nicht in Frage komme und sich für die (damals in Wien anwesenden) Zeugen Dr. Miklos K*** und Istvan P*** keine Hinweise auf eine strafbare Handlung ergaben, die Vernehmung der genannten Personen beantragt (S 180 bis 181/VI).

Rechtliche Beurteilung

Diese Beweisanträge wies der Schöffensenat mit der in der Hauptverhandlung gegebenen Begründung ab, sie "können das Verfahren nicht weiterbringen" (S 181, 182/VI) und ergänzte diese Erwägungen im Urteil dahin, daß diese "Zeugen zur subjektiven Tatseite keinerlei Angaben machen können" (S 206/VI).

Den in der Verfahrensrüge (Z 4) erhobenen Einwänden, daß der Angeklagte durch diese Vorgangsweise in seinen Verteidigungsrechten beschränkt wurde, kann nicht entgegengetreten werden. Unzweifelhaft steht fest, daß die Geschäftspartner (Abnehmer) des Angeklagten, Karoly G*** und Csaba L***, zu den führenden Köpfen dieser international tätigen Autohändlerorganisationen gehörten, auf die sich der Angeklagte auch immer berief (vgl. insbesondere auch seine Eingabe ON 285 a/VI). Nach dem Akteninhalt ist Karoly G*** an bekannten Adressen in München aufhältig (S 423/I, 213, 217/IV) und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß Csaba L*** nicht mehr an seiner aktenkundigen Adresse in Budapest wohnt (ON 61/II, ON 147 und 164/IV). Es wäre sohin nach der derzeitigen Aktenlage durchaus möglich gewesen, diese beiden Zeugen, aber auch die zum Urteilsfaktum I 9 geführten Zeugen, deren Adressen angegeben wurden, zur Hauptverhandlung vorzuladen, oder aber, bei ihrer Weigerung, vor einem österreichischen Gericht zu erscheinen, ihre Vernehmung im Rechtshilfeweg unter Vorhalt der Verantwortung des Angeklagten zu veranlassen. Nur für den Fall, daß sich eine derartige Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung als undurchführbar erweisen sollte und auch eine Vernehmung im Rechtshilfeweg aus rechtlichen (§ 153 StPO) oder faktischen Gründen nicht möglich wäre, wäre die Durchführung der Hauptverhandlung unter Abstandnahme von den beantragten Beweiserhebungen zulässig gewesen (Mayerhofer-Rieder2 E 102 bis 110 b zu § 281 Z 4 StPO). Die vom Schöffengericht für die Ablehnung der Beweisanträge herangezogene Begründung erweist sich indes als ein Fall vorgreifender Beweiswürdigung (siehe hiezu aaO E 78 bis 87 zu § 281 Z 4 StPO), weil selbstverständlich jeder Geschäftspartner des Angeklagten, abgesehen vom direkten Informationsfluß, jedenfalls Gelegenheit hatte, aus dessen Worten und Verhalten für sein Wissen und Wollen relevante Wahrnehmungen zu machen. Es kann daher ohne Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 und 3 MRK) nicht von vornherein gesagt werden, ob und inwieweit die Aussagen dieser Zeugen für die Wahrheitsfindung, insbesondere zum Wissensstand des Angeklagten, von Bedeutung sein können.

Der Oberste Gerichtshof mußte daher auch deshalb, weil trotz der langen Verfahrensdauer und der leugnenden Verantwortung des Angeklagten nicht einmal im Rahmen der Voruntersuchung der Versuch unternommen wurde, diese Zeugen zu vernehmen, das Urteil schon bei einer nichtöffentlichen Sitzung aufheben und die Verfahrenserneuerung in erster Instanz anordnen (§ 285 e StPO). Damit erübrigte es sich aber, auf das weitere Vorbringen zu den Nichtigkeitsgründen nach § 281 Abs. 1 Z 5 a und 9 lit. a StPO noch näher einzugehen. Auf den erst im Rechtsmittelverfahren durch den Beschwerdeführer selbst als "Nachtrag" zu den Rechtsmittelausführungen des Verteidigers eingebrachten Schriftsatz war überhaupt nicht Rücksicht zu nehmen (aaO E 36, 41 zu § 285 StPO). Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Zu dem von der Nichtigkeitsbeschwerde und der Teilaufhebung nicht berührten, im Sinn des Geständnisses des Angeklagten ergangenen Schuldspruch wegen §§ 127 ff StGB (II) sei aber bemerkt, daß es sich bei Scheck(-formularen) und Scheckkarten (Urteilsfaktum II 2 und 4) um keine diebstahlsfähigen Sachen handelt (LSK 1977/98; 1983/122) und daher bezüglich dieser Schriftstücke der Schuldspruch wegen Diebstahls zu Unrecht erging. Mangels Bedeutung dieses Subsumtionsfehlers für die rechtliche Qualifikation des Diebstahls und die Strafzumessung kann darin allerdings kein Nachteil für den Angeklagten gesehen werden, weshalb von einer Maßnahme nach § 290 Abs. 1 StPO abgesehen werden konnte.

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