OGH 11Os37/90

OGH11Os37/909.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Mai 1990 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang J*** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19.Dezember 1989, GZ 7 c Vr 5.309/89-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Witt, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die verhängte Freiheitsstrafe auf 5 (fünf) Jahre herabgesetzt wird. Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 9.Februar 1961 geborene beschäftigungslose Wolfgang J*** der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 StGB (1) und der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 StGB (2), sowie der Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs. 1, erster Fall, StGB (3), der Zuhälterei nach dem § 216 Abs. 2 StGB (4), der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB (6), der versuchten Bestimmung zu einer falschen Beweisaussage vor Gericht nach den §§ 15, 12, 288 Abs. 1 StGB (7) und der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs. 1 StGB (8) schuldig erkannt.

Mit seiner auf die Gründe der Z 4, 5, 5 a, 9 lit. a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte das Urteil nur in den Schuldsprüchen 2 a, b und c, 3 und 4.

Insoweit liegt ihm zur Last,

(zu 2) unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf

zur Unzucht mißbraucht zu haben, und zwar

(a) im Winter 1989 die am 16.April 1976 geborene Silke H***, indem er ihr dreimal an den Geschlechtsteil griff,

(b) im August 1988 die am 9.Jänner 1978 geborene Andrea H***, indem er ihr an die Brust und an den Genitalbereich griff, (c) Anfang Juni 1989 seine am 30.Oktober 1983 geborene Tochter Nicole J***, indem er ihr einen Vibrator dreimal in die Scheide einführte;

(zu 3) durch die zu 2 c genannte Handlung sein minderjähriges Kind zur Unzucht mißbraucht zu haben;

(zu 4) in der Zeit vom Februar bis Juni 1989 seine geschiedene Ehefrau Juanita J*** mit dem Vorsatz, sich aus deren gewerbsmäßiger Unzucht eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, ausgebeutet und sie eingeschüchtert zu haben, indem er sie gegen ihren Willen durch Drohungen und Mißhandlungen zur Ausübung der Geheimprostitution in der "A***-Bar" zwang und ihr die gesamten Einnahmen aus dieser Tätigkeit abnahm.

Außerdem erging ein (gesetzlich nicht vorgesehener) Teilfreispruch von dem die Tathandlungen zu Punkt 4 des Urteilssatzes betreffenden Anklagevorwurf (auch) in Richtung des (eintätig verübten) Vergehens der Nötigung.

Rechtliche Beurteilung

Der (inhaltlich nicht ausdrücklich nach den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen gegliederten) Beschwerde kommt in keinem Punkt Berechtigung zu.

Zum Urteilsfaktum 2 a hätte nach der Beschwerdauffassung ein Freispruch ergehen müssen, weil Berührungen am Oberschenkel, wie sie von Silke H*** behauptet wurden, nicht im Sinn des § 207 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßig wären (Z 9 lit. a) und überdies die Annahme, der Angeklagte habe dem Mädchen auf den Geschlechtsteil greifen wollen, mangelhaft begründet sei (Z 5). Mit diesen Einwänden setzt sich die Beschwerde allerdings zunächst darüber hinweg, daß der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen Silke H***, wenngleich über der Sliphose, im Genitalbereich berührte (S 236). Insoweit konnte sich das Erstgericht auf die in der Hauptverhandlung als richtig bestätigten Angaben dieses Tatopfers gegenüber der Kriminalbeamtin der Bundespolizeidirektion Wien Isolde D*** stützen (S 16, 184, 244). Daß die dreimaligen Versuche des Angeklagten, unter den Slip auf den Geschlechtsteil des Mädchens zu greifen, scheiterten, wie dies Silke H*** in ihrer Zeugenaussage in der Hauptverhandlung zum Ausdruck brachte (S 186, 190), ist rechtlich unerheblich, weil schon die mehrmalige, in rascher Abfolge unternommene, wenngleich jeweils nur kurze Berührung der Geschlechtsregion des 12-jährigen Mädchens über einem dünnen Kleidungsstück das vollendete Delikt der Unzucht mit Unmündigen verwirklicht (12 Os 109/89).

Der das Urteilsfaktum 2 b betreffende Beschwerdeeinwand hinwieder, die Berührung der Brust eines 10-jährigen Kindes erweise sich schon mangels entsprechender geschlechtsspezifischer Entwicklung als nicht tatbildlich (Z 9 lit. a), läßt unberücksichtigt, daß der Angeklagte laut den Urteilsfeststellungen nicht nur die - im übrigen bereits in Entwicklung befindliche (S 233) - Brust, sondern auch den Genitalbereich der Andrea H*** betastete (S 20, 191, 233). Soweit das Schöffengericht die diesbezügliche Darstellung des Mädchens als unbedenklich beurteilte (S 247), vermag der Beschwerdehinweis auf das längere Zurückliegen des Vorfalls, der in eine Zeit falle, zu der es noch keine ernstlichen Zerwürfnisse zwischen dem Angeklagten und seiner geschiedenen Ehefrau gegeben habe, keine (geschweige denn erheblichen) Bedenken gegen die Richtigkeit der aufgrund der Zeugenaussage der Andrea H*** getroffenen Feststellung zu erwecken (Z 5 a).

In bezug auf die Urteilsfakten 2 c und 3 rügt die Beschwerde, daß der Bericht der Kriminalbeamtin Isolde D*** über die Befragung des Markus und der Nicole J*** als Feststellungsgrundlage herangezogen worden sei, obwohl der Sachverständige Univ.Prof. Dr. Max F*** die Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit dieser beiden minderjährigen Kinder verneint habe (Z 5). Das Gericht wäre - so die weitere Beschwerdeargumentation - verpflichtet gewesen, alle Möglichkeiten einer objektiven Prüfung dieser Angaben auszuschöpfen. In deren Rahmen wäre die beantragte Vernehmung der Zeugin Barbara U*** zum Beweis, daß sich der inkriminierte Vorfall nicht in der von Nicole J*** gegenüber ihrer Mutter wiedergegebenen Weise abgespielt habe, ebenso durchzuführen gewesen, wie eine Überprüfung der Behauptung des Markus J***, der Angeklagte habe sich einmal die Pulsadern aufgeschnitten und sei mit der Rettung weggeführt worden (S 58). Ferner wäre es dem Erstgericht oblegen, sich mit der Aussage der Zeugin Juanita J*** auseinanderzusetzen, welche vor dem Untersuchungsrichter aussagte, ihr Tochter habe sie erst nach der Verhaftung des Angeklagten über den Vorfall informiert, in der Hauptverhandlung aber davon abweichend behauptete, daß dieses Gespräch mit ihrer Tochter bereits vor der Verhaftung des Angeklagten stattgefunden hätte.

Keiner dieser Einwände schlägt durch. Auch wenn der Sachverständige Univ.Prof. Dr. Max F*** eine Vernehmung des Markus und der Nicole J*** vor dem erkennenden Gericht wegen ihrer eingeschränkten Wiedergabefähigkeit sowie wegen Gefährdung ihres sozialen und seelischen Wohls aus kinderpsychiatrischer Sicht für unverantwortbar bezeichnete, blieb es den Tatrichtern schon aufgrund der Aussagen der mit der Befragung der Kinder befaßt gewesenen Kriminalbeamtin Isolde D*** und der Zeugin Juanita J*** über entsprechende Mitteilungen seitens ihrer Kinder unbenommen, deren Angaben, wie sie in dem (in der Hauptverhandlung verlesenen - S 220) Bericht der Bundespolizeidirektion Wien festgehalten wurden (S 57 ff), bei der Wahrheitsfindung mitzuberücksichtigen. Die vom Angeklagten begehrte zeugenschaftliche Vernehmung der Barbara Umlauf wurde zu Recht abgelehnt (S 220, 221). Da sich die beantragte Zeugin bei ihrer polizeilichen Einvernahme an einen Vorfall, bei dem sie - durch Schreie der Nicole J*** veranlaßt - an die Tür der Wohnung der Familie J*** geklopft und um Ruhe ersucht haben soll, nicht erinnern konnte (S 64), hätte es nach Lage des Falles schon bei der Antragstellung der Anführung von (hier keinesfalls evidenten) Gründen bedurft, aus denen die Durchführung des beantragten Beweises das angestrebte Ergebnis erwarten ließ. Dies umso mehr, als nach den Angaben des Markus und der Nicole J*** die Zeugin U*** gar nicht allein als jene Hauspartei in Betracht kam, die aus Anlaß der in Rede stehenden Tathandlung mit dem Angeklagten Kontakt aufgenommen hatte (S 58, 59). Damit ermangelte es aber schon an einem prozessual tauglichen Beweisantrag als grundlegender Voraussetzung für die Geltendmachung des behaupteten Verfahrensfehlers (Mayerhofer-Rieder2 EGr 19 zu § 281 Abs. 1 Z 4 StPO).

Bei der hier aktuellen Sachlage bestand für das Erstgericht auch keine Veranlassung, die Darstellung des Markus J*** bezüglich eines am Rande erwähnten, die Tat als solche nicht berührenden Geschehens von Amts wegen zu überprüfen. Daß Juanita J*** erst in der Hauptverhandlung erwähnte, schon kurz nach dem Vorfall von Unzuchtshandlungen des Angeklagten an der minderjährigen Tochter Kenntnis erlangt zu haben, bedurfte im Hinblick darauf, daß sie nach ihren Angaben damals keine Details erfuhr und die Erzählung nicht ernst nahm (S 204 f), als nicht entscheidungswesentlich keiner ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen.

Verfehlt ist auch die Beschwerdeauffassung, daß eintätiges Zusammentreffen der Tatbestände nach den §§ 207 Abs. 1 und 212 Abs. 1 StGB ausgeschlossen und eine gesonderte Subsumtion der als Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen beurteilten Tat auch unter den § 212 Abs. 1 StGB daher rechtlich verfehlt sei (Z 10). Wer sein eigenes minderjähriges Kind auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, verantwortet vielmehr beide Tatbestände in (echter) Idealkonkurrenz (ÖJZ-LSK 1976/350 zu § 207 StGB; Leukauf-Steininger, Kommentar2, § 207 RN 30 und § 212 RN 26; Pallin im WK, § 207 Rz 14 und § 212 Rz 17), weil nur auf diese Weise sämtliche Komponenten des verwirklichten Tatunrechts geahndet werden. Nicht stichhältig sind schließlich auch die das Urteilsfaktum 4 betreffenden Einwände, aufgrund verschiedener, im Beweisverfahren hervorgekommener und vom Erstgericht unberücksichtigt gebliebener Aspekte (allfällige Tendenz der Zeugin J***, ihre Prostitutionsausübung durch die behauptete Zwangsausübung zu beschönigen; fallweise bloß streitbedingte Unmutsäußerungen des Angeklagten etc) sei die - ausschließlich auf die Aussage der Zeugin Juanita J*** gestützte - Feststellung, daß diese vom Angeklagten zur Ausübung der Geheimprostitution in der "A***-Bar" durch Drohungen und Mißhandlungen gezwungen wurde, mangelhaft begründet (Z 5). Die für die tatrichterliche Überzeugung von der Glaubwürdigkeit der Angaben dieser Belastungszeugin ausschlaggebenden Erwägungen sind nämlich ohnedies der auch in diesem Punkt eingehenden und mängelfreien Urteilsbegründung zu entnehmen (S 252 ff), wobei sich das Erstgericht nicht nur auf die Darstellung der Zeugin Juanita J***, sondern auch auf weitere Verfahrensergebnisse - insbesondere auf die Aussage der Zeugin Hannelore P*** (nunmehr verehelichte K*** - S 55 f, 210, 239, 253 ff) - stützte. Damit erschöpft sich dieser Teil der Beschwerdeargumentation in einer Bekämpfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung, vermag in dieser Hinsicht jedoch auch keine im Sinn der (global geltend gemachten) Z 5 a erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken und läßt darüber hinaus unberücksichtigt, daß dem Angeklagten nicht nur Zuhälterei durch Einschüchterung (§ 216 Abs. 2, zweiter Fall, StGB), sondern - nach Maßgabe der Feststellung, daß der Angeklagte Juanita J*** das als Geheimprostituierte verdiente Geld zur Gänze abnahm - schwere Zuhälterei auch in der Erscheinungsform der Ausbeutung (§ 216 Abs. 2, erster Fall, StGB) angelastet wird.

Die sohin zur Gänze unberechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 206 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen von (zwei) Verbrechen und (fünf) Vergehen, den langen Tatzeitraum beim Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen sowie die Tatwiederholung bei mehreren Tatbeständen als erschwerend, als mildernd hingegen das Teilgeständnis und den Umstand, daß die Bestimmung zu einer falschen Beweisaussage vor Gericht beim Versuch blieb.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung bzw. die bedingte Nachsicht eines Teils der über ihn verhängten Strafe im wesentlichen mit der Begründung an, seinem reumütigen Geständnis sei zu wenig Gewicht beigemessen und darüber hinaus unberücksichtigt gelassen worden, daß er sich im Zusammenhang mit den an Natascha M*** verübten Tathandlungen in einer seelischen Ausnahmesituation befunden habe und nunmehr erstmals das Haftübel verspüre. Im Sinn der erstgerichtlichen Strafzumessungserwägungen trifft es zwar zu, daß die Vielzahl der Sittlichkeitsexzesse an mehreren unmündigen Kindern (darunter der fünfjährigen eigenen Tochter), die dem Berufungsstandpunkt zuwider mit einem seelischen Ausnahmezustand nicht erklärbare Tatwiederholung durch längere Zeit und die Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber den Risken irreversibler tatbedingter Entwicklungsschäden einen Gesinnungs- und Handlungsunwert ergeben, der schon für sich allein aus spezial- wie auch generalpräventiver Sicht ein Strafausmaß im Bereich der Untergrenze der hier aktuellen Strafdrohung (von einem bis zu zehn Jahren) ausschließt. Dies muß umso mehr gelten, als dem Angeklagten überdies (ua) noch die gleichfalls gravierenden Vergehen der ("schweren") Zuhälterei und der versuchten Bestimmung zu einer falschen Beweisaussage vor Gericht zur Last fallen. Ungeachtet des außergewöhnlich hohen Tatunrechts darf jedoch nach Lage des Falles zugunsten des Angeklagten auch nicht übersehen werden, daß er bisher (zwei hier nicht wesentliche Verurteilungen nach dem Lebensmittelgesetz ausgenommen) strafrechtlich nicht nachteilig in Erscheinung getreten ist und nunmehr erstmals (noch dazu nachhaltig) das Haftübel verspürt. Davon ausgehend kann aber mit einer auf fünf Jahre herabgesetzten Freiheitsstrafe das Auslangen gefunden werden, ohne die Aussicht auf Erreichung der Strafzwecke zu schmälern. In Stattgebung der insoweit im Ergebnis berechtigten Berufung war daher spruchgemäß zu entscheiden, wobei sich die in der Rechtsmittelausführung weiters relevierte Problematik der bedingten Nachsicht eines Teils der Strafe schon im Hinblick auf das ausgesprochene Strafausmaß (§ 43 a StGB) nicht stellte.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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