OGH 11Os30/90 (11Os31/90)

OGH11Os30/90 (11Os31/90)9.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Mai 1990 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef L*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 StGB I. über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.Jänner 1990, GZ 9 d Vr 379/89-48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt und II. über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18.September 1989, GZ 9 d Vr 379/89-40, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Klema, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I./ Der Beschwerde des Angeklagten wird nicht Folge gegeben. II./ Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Kreisgericht Korneuburg verwiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den am 15.November 1952 geborenen Hilfsarbeiter Josef L*** Anklage wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, weil er in der Nacht zum 13.Jänner 1989 in Wien die am 2.Juli 1985 geborene Nicole O*** "zu einer unzüchtigen Handlung an ihm verleitet" habe, "um sich dadurch geschlechtlich zu befriedigen" (richtig: auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht habe), indem er das Mädchen zuerst am Körper streichelte und nachher dazu überredete, sein Glied in die Hand zu nehmen und "damit zu spielen", bis es zweimal zum Samenerguß kam.

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte von dieser Anklage unter Zitierung des § 259 Z 3 StPO freigesprochen, wobei diesem Freispruch nach den tatrichterlichen Feststellungen ein Tatsachensubstrat nach Art eines Schuldspruchs zugrundegelegt und vom Erstgericht lediglich abschließend zum Ausdruck gebracht wurde, der Angeklagte sei nach Ansicht des Gerichtes "trotz dieser Beweisverfahrensergebnisse" freigesprochen worden.

Die Staatsanwaltschaft bekämpft den Freispruch mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der darauf hingewiesen wird, daß die erstgerichtlichen Entscheidungsgründe (in subjektiver und objektiver Hinsicht) zur anklagekonformen Tatsubsumtion geeignete Feststellungen enthalten, weswegen bei richtiger rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhalts mit Schuldspruch im Sinn der Anklage vorzugehen gewesen wäre.

Der Angeklagte hinwieder machte gegen die schriftliche Ausfertigung des freisprechenden Urteils geltend, daß sich die mündliche Urteilsbegründung am Schluß der Hauptverhandlung durch die Vorsitzende des Schöffensenates in der "äußerst knappen" und (angeblich) "ungehaltenen" Eröffnung erschöpft hätte, daß "nur ein Teil des Gerichtes den Schuldbeweis als erbracht angesehen hat", und beantragte davon ausgehend zunächst eine Angleichung der schriftlichen an die mündliche Urteilsbegründung. Diesen Antrag wies das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluß im wesentlichen mit der Begründung zurück, daß die in Rede stehende schriftliche Urteilsausfertigung nichts anderes darstelle, als die gebotene Detaillierung der mündlichen Urteilsverkündung, die sich tatsächlich auf den bloßen Hinweis auf die Senatsentscheidung beschränkt habe.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde scheitert schon daran, daß eine Bindung des Gerichts an die mündlich eröffneten (vorläufigen), oft nur kursorischen Entscheidungsgründe nach dem Gesetz nicht besteht (SSt 51/36). Der Beschwerde war daher nicht Folge zu geben (§ 270 Abs. 4 StPO).

Im Sinn der Beschwerdeargumentation der Staatsanwaltschaft trifft es allerdings zu, daß dem bekämpften freisprechenden Urteil keine sinnvolle Bezeichnung einer Freispruchsgrundlage zu entnehmen ist.

Der von der Staatsanwaltschaft gerügte rechtliche Umstand erfordert die Aufhebung des Urteils und die Anordnung der Verfahrenserneuerung. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen ist dem Beschwerdestandpunkt der Anklagebehörde zuwider ausgeschlossen, weil diese Vorgangsweise nur bei einem Urteilsinhalt in Betracht kommt, dem keine (auch nicht prozessuale) Mängel anhaften (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr 37 ff zu § 288). Davon kann aber hier nicht die Rede sein, weil bei einem freisprechenden Urteil die Entscheidungsgründe deutlich anzugeben haben, aus welchen der im § 259 StPO angegebenen Gründe sich der Gerichtshof zur Freisprechung bestimmt gefunden hat (§ 270 Abs. 2 Z 5 letzter Satz StPO), diesem fundamentalen Element gerichtlicher Begründungspflicht hier allerdings in eklatanter Weise nicht Rechnung getragen wurde. Die erstgerichtliche Verknüpfung von Tatsachenfeststellungen im Sinn eines anklagekonformen Schuldspruchs mit der abschließenden, in sich widersprüchlichen Begründungspassage, es bestehe kein Zweifel, daß der Angeklagte die ihm angelastete Tat begangen habe, trotz dieser "Beweisverfahrensergebnisse" sei er jedoch nach Ansicht des Gerichtes freizusprechen gewesen (S 172, 173), mißachtet die gesetzlichen Grundlagen der Urteilsfindung im Rahmen der Senatsgerichtsbarkeit. Darnach beruht das Urteil auf der in gemeinsamer Beratung gewonnenen richterlichen Überzeugung, wobei prozessuale Vorschriften ein einheitliches Ergebnis gewährleisten (§§ 19 bis 22 StPO). Dieses umfaßt neben dem Urteilsspruch auch die hiefür ausschlaggebenden Meinungen und Erwägungen des Gerichtshofs, die in den Entscheidungsgründen (in gedrängter Darstellung) festzuhalten sind. Jene Gesichtspunkte und Erwägungen aber, aus denen der Schöffensenat zu dem spruchgemäß auf den § 259 Z 3 StPO gestützten Freispruch kam, hat das Erstgericht in der schriftlichen Urteilsbegründung gesetzwidrig nicht offengelegt, vielmehr Entscheidungsgründe angeführt, die dem Urteilsspruch diametral zuwiderlaufen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher Folge zu geben und insgesamt spruchgemäß zu entscheiden (§ 288 Abs. 2 StPO).

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