OGH 10ObS181/90

OGH10ObS181/908.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka (Arbeitgeber) und Monika Fischer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kurt S***, Kraftfahrer, 9020 Klagenfurt, Winkelbauerweg 12, vertreten durch Dr. Johann Quandler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei P*** DER A*** (Landesstelle Graz),

1090 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 1990, GZ 8 Rs 129/89-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24. Juli 1989, GZ 34 Cgs 40/89-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 13. Jänner 1989 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 28. September 1988 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Oktober 1988 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der am 30. Mai 1943 geborene Kläger den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers erlernt und bis 1962 ausgeübt hat. Anschließend war er als Kraftfahrer tätig, seit 1. Dezember 1970 bei der Fa. A*** in Klagenfurt. Bis 1979 unternahm er bei dieser Firma In- und Auslandsfahrten, er verrichtete alle mit diesen Fahrten zusammenhängenden Tätigkeiten und erledigte insbesondere auch die Zollformalitäten. Zu transportieren waren Schuhe, Textilien und andere Materialien wie etwa das Lösungsmittel Aceton oder Kleber. Mit der Geldgebarung im Zusammenhang mit der Transportabwicklung hatte der Kläger nichts zu tun. Die Auslandsfahrten erfolgten nach Italien, Jugoslawien, Ungarn, in die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland. Die Kenntnis fremdsprachiger Fachausdrücke war nicht erforderlich. 1979 wurde der Kläger als Betriebsrat der Fa. A*** vom Dienst freigestellt. Dennoch war er nach diser Zeit fallweise als Kraftfahrer im Einsatz, er fuhr mit einem kleinen LKW etwa acht- bis zehnmal im Jahr fallweise nach Oberösterreich und nach Graz. Dieses Dienstverhältnis endete mit Februar 1988. Von März bis September 1988 bezog der Kläger Arbeitslosengeld, seit 1. Oktober 1988 Pensionsvorschuß.

Der Kläger ist noch in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten mit folgenden Einschränkungen zu verrichten: Das Heben und Tragen von Lasten ist mit 10 kg zu begrenzen, Arbeiten in vorwiegend oder gehäuft gebückter Haltung sind unzumutbar, nach ununterbrochenem Stehen, Gehen oder Sitzen in der Dauer von zwei Stunden muß ein Haltungswechsel für die Dauer von 10 bis 15 Minuten ermöglicht werden. Die Umstellbarkeit auf andereTätigkeiten ist gegeben.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Kläger genieße keinen Berufsschutz gemäß § 255 Abs 1 und 2 ASVG und zwar weder als Kraftfahrzeugmechaniker noch als Kraftfahrer. Die Tätigkeit eines Kraftfahrzeugmechanikers habe er nur bis 1962 ausgeübt, jene eines Kraftfahrers bis 1979, also nicht überwiegend während der letzten 15 Jahre. Im übrigen entspreche die vom Kläger ausgeübte Kraftfahrertätigkeit nicht dem Lehrberuf eines Berufskraftfahrers im Sinne der Ausbildungsvorschriften. Der Kläger könne demnach auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf die Tätigkeiten eines Wach- oder Aufsichtsorgans, eines Portiers und eines Büroboten verwiesen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes ging es davon aus, daß der Kläger in den letzten fünfzehn Jahren überwiegend als Kraftfahrer tätig gewesen sei. Ein freigestellter Betriebsrat sei weiterhin Dienstnehmer und solle wegen seiner Betriebsratstätigkeit weder eine dienstrechtliche noch eine sozialversicherungsrechtliche Benachteiligung erleiden. Aus diesem Grund seien daher einem Versicherten, der in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war und von dieser Arbeitsleistung als Betriebsrat freigestellt wurde, die Zeiten seiner Freistellung bei der Tätigkeit im erlernten oder angelernten Beruf mitzuzählen (SSV 2/17, 21/112). Dennoch genieße der Kläger keinen Berufsschutz als angelernter Kraftfahrer. Wie sich aus den Ausbildungsvorschriften des durch die Verordnung vom 28. Juli 1987, BGBl. 1987/396 geschaffenen Ausbildungsversuch für den Lehrberuf Berufskraftfahrer ergebe, werden von einem solchen auch noch umfangreiche theoretische Kenntnisse in Warenkunde, europäischen Verkehrswegen, Transportwesen, Strecken- und Terminplanung, kaufmännischem Rechnen, Schriftverkehr, Grundkenntnissen in der Transportversicherung und im bürgerlichen Recht, Handels-, Straf- und Verwaltungsrecht sowie den Zollvorschriften verlangt. Dies bedeute, daß der Kläger, der zwar gelernter Kraftfahrzeugmechaniker sei, nach seinen eigenen Angaben offensichtlich keine Tätigkeit ausgeübt habe, welche die Kenntnisse eines Durchschnittskraftfahrers übersteigen, und neben den Kenntnissen aus seinem erlernten Beruf keine weiteren Fähigkeiten im Sinne der zitierten Verordnung erworben habe. Selbst wenn der Kläger auch die Terminplanung und Streckenführung selbst vorgenommen und auch Reparaturen durchgeführt habe, so würden die Tätigkeiten des Klägers im Umfang nicht den Kenntnissen und Fähigkeiten im Sinne der genannten Ausbildungsvorschriften entsprechen, sondern lediglich ein Teilgebiet eines Tätigkeitsbereiches umfassen, der von einem im Lehrberuf Berufskraftfahrer ausgebildeten Arbeiter in viel weiterem Umfang beherrscht werde. Da der Kläger keinen Berufsschutz als Kraftfahrer genieße, sei er nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen und könne unter anderem auf die Tätigkeit eines Wach- oder Aufsichtsorganes verwiesen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Auf die vom Erstgericht verneinte, vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob dann, wenn ein Versicherter in einem erlernten oder angelerten Beruf tätig war und von dieser Arbeitsleistung als Betriebsrat freigestellt wurde, die Zeit dieser Freistellung bei der Tätigkeit im erlernten oder angelernten Beruf iS des § 255 Abs 1 und 2 ASVG mitzuzählen sei, braucht im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden, weil dem Berufungsgericht im Ergebnis darin beizupflichten ist, daß der Kläger keinen Berufsschutz als angelernter Kraftfahrer beanspruchen kann.

Der Kläger vertritt den Standpunkt, daß schon das Erstgericht durch entsprechende Fragen bei seiner Vernehmung als Partei hätte feststellen müssen, daß er über weitere Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge, die in den Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Berufskraftfahrer" festgelegt wurden (Art. II der Verordnung BGBl. 1987/396). Für die Annahme eines angelernten Berufes komme es nicht darauf an, ob der Kläger diese Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen seiner Tätigkeit als Kraftfahrer tatsächlich habe einsetzen müssen; eine Qualifikation iS des § 255 Abs 2 ASVG sei allein schon dann anzunehmen, wenn diese Fähigkeiten und Kenntnisse vorhanden seien.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.

Gemäß § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf im Sinne des Abs 1 dieser Gesetzesstelle vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenem in einem erlernten Berufe gleichzuhalten sind. Wie der Oberste Gerichtshof in vergleichbaren Fällen ausgesprochen hat (SSV-NF 2/98; 10 Ob S 16/90, 10 Ob S 34/90), genügt es nicht, daß der Versicherte die Kenntnisse und Fähigkeiten gemäß den Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Berufskraftfahrer" im Sinne der zitierten Verordnung besitzt, sondern nach § 255 Abs 2 ASVG müssen diese Kenntnisse und Fähigkeiten für die von ihm ausgeübte Berufstätigkeit erforderlich, also Voraussetzung hiefür gewesen sein.

Aus den Ergebnissen des Verfahrens erster Instanz und auch aus den Revisionsausführungen ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger die in den erwähnten Ausbildungsvorschriften festgelegten Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen mußte, damit er die Berufstätigkeiten ausüben konnte, die er in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausübte. Überdies hat der Kläger auch gar nicht alle Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne dieser Ausbildungsvorschriften erworben. Neben den offenbar vom Kläger beherrschten Teilbereichen werden etwa auch umfangreiche theoretische Kenntnisse in Warenkunde, über europäische Verkehrswege, Transportwesen, kaufmännisches Rechnen, Schriftverkehr, Grundkenntnisse in der Transportversicherung sowie im bürgerlichen Recht, in Handels-, Straf- und Verwaltungsrecht sowie der Zollvorschriften verlangt. Der Revisionswerber hat selbst eingeräumt, daß seine Fähigkeiten und Kenntnisse den Anforderungen im Sinne der zitierten Verordnung nicht völlig entsprechen. Der Kläger kann daher trotz der Tatsachen, daß er den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers erlernt hatte, keinen Berufsschutz als Kraftfahrer beanspruchen.

Gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß der Kläger nicht invalid sei, wenn man vom festgestellten Sachverhalt und von der Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG ausgeht, wird in der Revision nichts vorgebracht, weshalb hierauf nicht weiter eingegangen werden muß (§ 48 ASGG).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenersatz an den Kläger nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind auch auf Grund der Aktenlage nicht ersichtlich.

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