OGH 12Os40/90 (12Os41/90)

OGH12Os40/90 (12Os41/90)26.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.April 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl F*** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13.Februar 1990, GZ 5 Vr 1924/89-43, sowie über die damit verbundene Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerrufsbeschluß vom selben Tag, GZ 5 Vr 1924/89-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und es werden das angefochtene Urteil (ON 43), das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 und 2 StGB (III 1 und 2 des Urteilssatzes) sowie im Strafausspruch und der Widerrufsbeschluß vom 13.Februar 1990 (ON 44) aufgehoben und die Sache wird zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

  1. 2.) Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
  2. 3.) Mit seiner Berufung sowie mit der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß wird der Angeklagte auf die zu Punkt 1 getroffene Entscheidung verwiesen.

    4.) Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der 30jährige Karl F*** wurde (zu I.) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB, (zu II.) des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, (zu III.) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 und 2 StGB und (zu IV.) des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde der Widerruf einer bedingten Entlassung beschlossen. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat der Angeklagte - zusammengefaßt wiedergegeben - am 29.Juli 1989 Erika K*** und am 29.August 1989 Irmgard P*** durch im Urteil näher beschriebene Gewaltausübung und durch wörtliche Drohungen zur Vornahme von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen und Irmgard P*** überdies zur Duldung des zweifachen Beischlafes genötigt (I 1 und 2), am 29.Juli 1989 Erika K*** durch Drohungen zur Unterlassung der Herbeiholung von Hilfe genötigt (II), im Anschluß an die obigen Vergewaltigungen durch Gewaltanwendung und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben der Erika K*** 900 S und der Irmgard P*** 600 S geraubt (III 1 und 2) und schließlich am 29.August 1989 im Urteil namentlich bezeichnete Polizeibeamte dadurch mit Gewalt an einer Amtshandlung (Fahrzeugkontrolle) gehindert, daß er auf die Beamten trotz deutlich sichtbarer Haltezeichen zweimal mit Vollgas losfuhr (IV).

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a, 9 lit a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise begründet.

Fehl schlägt zwar die Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher der Angeklagte die Abweisung der von ihm in der Hauptverhandlung vom 13. Februar 1990 (S 335) gestellten Beweisanträge bekämpft. Denn angesichts der vom Zeugen Gerhard E*** deponierten hohen Verkehrsfrequenz im Gleinalmtunnel und des Umstandes, daß der Angeklagte nicht einmal behauptete, jener Mann ("Franky"), dem er das Fahrzeug seiner Mutter überlassen habe, sei an der Mautstelle des Gleinalmtunnels persönlich bekannt, ist der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses (S 336) durchaus beizutreten, daß keine realistischen Chancen dafür bestanden, den Lenker des in Rede stehenden Personenkraftwagens durch Mautstellenbedienstete zu identifzieren bzw den Angeklagten als Fahrzeuglenker auszuschließen. Zuzustimmen ist dem Schöffengericht aber auch in der Ansicht, ein Lokalaugenschein "zu denselben Lichtverhältnissen und im selben Auto zum Beweis dafür, daß die Polizeibeamten den Angeklagten auf Grund der beschlagenen Scheiben nicht erkennen konnten" (S 335), sei überflüssig, weil sich auch die Durchführung des Augenscheins nur nach den Angaben der Zeugen zu richten hätte, die ihre Sichtverhältnisse selbst glaubwürdig deponiert hätten (S 336), wozu noch tritt, daß evidentermaßen mangels objektiver Anhaltspunkte nicht rekonstruiert werden konnte, in welchem Ausmaß die Scheiben des Personenkraftwagens zur Tatzeit (von innen) beschlagen waren. Schließlich konnte auch, ohne daß hiedurch Verteidigungsrechte des Angeklagten gefährdet worden wären, die "Anforderung der Akten bzw Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Leoben hinsichtlich der Erhebungsergebnisse bei der Ausforschung des 'Franky' aus Apfelberg" sanktionslos unterbleiben, weil die vom Angeklagten gegebenen Identifikationsmerkmale - Vorname "Franky" ohne Gewähr, daß dieser Name stimmt (S 290); oberflächliches Bekanntwerden mit diesem Mann auf einem Zeltfest in Apfelberg (S 290); durchschnittliche Körpergröße, schulterlanges, glatt zurückfrisiertes Haar, Schnurrbart (S 294) - die begehrte Aktenbeischaffung bzw Anfrage - direkte Erhebungen über "Franky" wurden im gegenständlichen Verfahren nicht beantragt! - in der Tat als nicht zielführend erscheinen ließen.

Fehl schlägt aber auch die Mängelrüge (Z 5) des Angeklagten, soweit sie sich nicht auf die ihm zur Last gelegten Raubverbrechen bezieht.

Der Beschwerde zuwider wurde im Urteil keineswegs mit Stillschweigen übergangen, zu welcher Uhrzeit sich der Vorfall mit Erika K*** abgespielt hat; vielmehr wird in Übereinstimmung mit den Angaben der Genannten ausdrücklich konstatiert, der Angriff auf K*** habe sich "vor 23,00 Uhr" ereignet und es sei mithin dem Angeklagten leicht möglich gewesen, nach der um 22,00 Uhr erfolgten Trennung von Peter H*** (wohnhaft in Pöls) zur Tatzeit in Graz zu sein (S 346). Eine Auseinandersetzung mit den Angaben der Zeugin P*** hinwieder, sie sei um 22,30 Uhr im Wachzimmer Keplerstraße eingetroffen, war deshalb entbehrlich, weil auf Grund der Polizeianzeige (S 89 ff) feststeht, daß die Tathandlungen gegen 21,50 Uhr abgeschlossen waren und daß P***, die aus dem Personenkraftwagen gesprungen war, von den Polizeibeamten E*** und H*** anschließend sogleich ins Wachzimmer gebracht wurde (S 90). Weshalb es "im Hinblick auf die Alibifrage" von Relevanz sein soll, in diesem Faktum den Beginn des Tatzeitraumes (ca 21,20 Uhr; S 89) genau anzugeben und die Urteilsfeststellung ("gegen 21,00 Uhr") nicht genüge, wird in der Beschwerde nicht weiter substantiiert und muß damit auf sich beruhen. Aus anderen Gründen Analoges gilt für die Beschwerdebehauptung, das Erstgericht befasse sich nicht mit dem von den Polizeibeamten E*** und H*** am "geflüchteten" Personenkraftwagen festgestellten Kennzeichen St 207.144; denn dabei wird jene Urteilspassage übergangen, welche dieses Kennzeichen zum Gegenstand hat (S 347 f). Der Beschwerde zuwider kann jedoch auch widerspruchslos miteinander in Einklang gebracht werden, daß einerseits an der Mautstelle das (richtige) Kennzeichen des der Mutter des Angeklagten gehörigen Personenkraftwagens registriert und andererseits von den Polizeibeamten das (von einem anderen Fahrzeug gestohlene und am Heck des vom Angeklagten gelenkten Wagens montierte) Kennzeichen St 207.144 abgelesen wurde; ist es doch aktenkundig (siehe S 171), daß die Registrierung an der Mautstelle nicht durch Ablesen, sondern an Hand von Magnetkarten, die in einSt Automaten eingeschoben werden, erfolgt.

Selbst nicht aktengetreu ist der eine "Aktenwidrigkeit" behauptende Beschwerdevorwurf, das Urteil gehe fälschlicherweise davon aus, daß Erika K*** das Fahrzeugkennzeichen des Angeklagten wiedergegeben habe. Denn die bekämpfte Konstatierung findet im Wortlaut der Polizeianzeige vom 30.Juli 1989, S 11, volle Deckung. Ob Erika K*** - wie das Schöffengericht meinte; S 345 - vom Angeklagten eine "gute Personenbeschreibung" gab, oder ob die von ihr gegebene Beschreibung des Täters auf den Angeklagten "keinesfalls" zutrifft - wie der Angeklagte behauptet - ist eine Bewertungsfrage und betrifft sonach keine erörterungsbedürftige "Tatsache" im Sinne des § 270 Abs. 2 Z 4 und 5 StPO. Abgesehen davon hat sich das Urteil mit den in den Angaben der Zeugin K*** enthaltenen Beschreibungsdiskrepanzen in durchaus hinlänglicher Weise auseinandergesetzt (S 345 f) und dabei insbesondere die in der Beschwerde hervorgekehrten Ueterschiede in Ansehung von Haar- und Bartfarbe erörtert. Keineswegs mit Stillschweigen übergangen wurde auch, daß die Zeugin K*** am Fahrzeug des Täters ein Schrägheck zu erkennen glaubte (S 345), in welchem Zusammenhang das Schöffengericht keineswegs gehalten war, besonders hervorzuheben, daß die Zeugin vor dem Untersuchungsrichter erklärt hatte, sie sei sich sicher, daß das Fahrzeug über eine Heckklappe verfügt habe (S 59); tritt doch dieses technische Detail - zumal wenn man iie vom Erstgericht hervorgehobene Panik der Zeugin mit in Rechnung stellt (S 346) - angesichts dessen, daß K*** das Kennzeichen des Fahrzeuges abgelesen hatte und dies nach Ansicht des Gerichtes das Hauptindiz für die Identifizierung des Täters darstellte (S 348), gänzlich in den Hintergrund.

Jeglicher rechtlichen Bedeutsamkeit entbehrt es endlich, wann der Angeklagte den Unbekannten mit dem Vornamen "Franky" ins Spiel brachte; genug daran, daß er ihn im Zuge des gegenständlichen Verfahrens bei seinen Aussagen vor der Sicherheitsbehörde und vor dem Untersuchungsrichter nicht erwähnt und erstmalig erst in der Hauptverhandlung am 23.Jänner 1990 genannt hatte, weshalb die diesbezügliche tatrichterliche Konstatierung (S 349 f) durchaus den Akten entspricht.

Der Tatsachenrüge (Z 5 a) genügt es, global zu erwidern, daß die darin angestellten Überlegungen und Hinweise nicht geeignet waren, im Senat, der den Akt einer sorgfältigen Prüfung unterzog, Bedenken gegen die in Ansehung der Täterschaft des Angeklagten getroffenen schöffengerichtlichen Konstatierungen zu erwecken.

Im bisher besprochenen Umfang war mithin die Nichtigkeitsbeschwerde teils als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen. Im Ergebnis berechtigt sind jedoch die Mängel- und die Rechtsrüge des Angeklagten in Ansehung seines Schuldspruches wegen des Verbrechens des Raubes.

Enthält doch das Urteil bezüglich des zur Tatbestandserfüllung erforderlichen Bereicherungs- und Nötigungsvorsatzes nur die im Spruch (S 340) und bei der rechtlichen Subsumtion (S 351) wiedergegebenen verba legalia, die obendrein völlig unbegründet bleiben, ja durch die ausdrückliche Feststellung, Gewalt und Drohungen seien vom Angeklagten eingesetzt worden, um die beiden Frauen zur Duldung von diversen geschlechtlichen Handlungen zu nötigen (S 351), in Zweifel gesetzt werden.

Da die aufgezeigten Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung mithin unumgänglich ist, war bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung in Ansehung dieses Teiles des Schuldspruches wie lt Punkt 1 des Urteilsspruches zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das weitere darauf bezogene Beschwerdevorbringen näher einzugehen.

Im fortgesetzten Rechtsgang wird nach dem Gesagten festzustellen sein, worauf der Wille des Angeklagten gerichtet war, als er zu Erika K*** wiederholt äußerte, "weißt eh was jetzt kommt", wobei auch allenfalls damit verbundene Gebärden und der Tonfall mit ins Kalkül zu ziehen wären (vgl etwa Mayerhofer-Rieder StGB3 § 142 Nr 13). Gleiches gilt für das Faktum P***, zu dem sich das Urteil mit der Konstatierung begnügt, der Angeklagte habe die Genannte unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr nach ihrem Geld "gefragt", ohne die für den Bedeutungsinhalt in Richtung einer allenfalls intendierten Drohung maßgebenden Begleitumstände dieser Frage auch nur anzudeuten.

Da diese Teilaufhebung auch eine Kassierung des Strafausspruches nach sich zieht, dieser aber im Zuge der anzustrebenden Gesamtregelung aller in Betracht kommenden Sanktionen (Foregger-Serini MKK4 § 494 a StPO Erl I) die Basis des im Anschluß an die Urteilsverkündung gefaßten Widerrufsbeschlusses darstellt, mußte auch dieser aufgehoben werden.

Demgemäß war der Angeklagte mit seiner Berufung und der gegen den Widerrufsbeschluß erhobenen Beschwerde auf die Beseitigung der bezüglichen Aussprüche zu verweisen. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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