OGH 7Ob541/90

OGH7Ob541/9025.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Egermann, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*** Ö*** registrierte Genossenschaft mbH, Wien 12., Wolfganggasse 58-60, vertreten durch Dr. Helmut Thomich, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Werner K***, Kaufmann, Graz, Harterstraße 161, vertreten durch Dr. Barbara Cecil Prasthofer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung (Streitwert S 211.200), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 15.11.1989, GZ 3 R 239/89-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 14.6.1989, GZ 5 C 566/87g-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 24.567 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 1.500 Barauslagen und S 3.844,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Mietvertrag vom 25.6.1979 mietete die klagende Partei von der Arielly Rudolf K*** KG die näher bezeichneten

Geschäftsräume im Hause Graz, Harterstraße 161, auf der Liegenschaft EZ 1931 KG Webling. Gemäß Punkt 2. des Mietvertrages verzichtete die Vermieterin für die Dauer von 25 Jahren auf ihr Kündigungsrecht. Eigentümer der Liegenschaft war Rudolf K***. Mit

Übergabsvertrag vom 22.1.1982 übergab Rudolf K*** die Liegenschaft dem Beklagten. Punkt 1. dieses Vertrages hat unter anderem folgenden Wortlaut: "Weiters halten die Vertragsparteien fest, daß die Liegenschaft .... bis 30.4.1980 sich als Sonderbetriebsvermögen des Herrn Rudolf K*** im Betriebsvermögen der "Fa. Arielly" Rudolf K*** KG befand. Die KG wurde mit 30.4.1980 aufgelöst und wird vom Kommanditisten Werner K*** ab diesem Zeitpunkt als nicht protokollierte Einzelfirma weitergeführt. Die gegenständliche Liegenschaft wurde daher im Zeitpunkte der Auflösung der KG von Herrn Rudolf K*** übernommen. Sie stand immer in seinem Alleineigentum. Der Restanteil am Betriebsvermögen der Fa. "Arielly" wurde unentgeltlich an den nunmehrigen Einzelunternehmer Werner K*** übergeben."

Die klagende Partei kündigte das Bestandverhältnis zum 31.3.1988 auf. Der Beklagte wendete ein, daß auch die klagende Partei bei Abschluß des Mietvertrages mit seiner Rechtsvorgängerin einen Kündigungsverzicht auf die Dauer von 25 Jahren abgegeben habe. Die klagende Partei beruft sich auf ihr außerordentliches Kündigungsrecht nach § 1120 ABGB.

Das Erstgericht erklärte im zweiten Rechtsgang die Aufkündigung für rechtswirksam und sprach aus, daß der Beklagte schuldig sei, die Geschäftsräume binnen 14 Tagen zu übernehmen.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes wurde die Halle, in der die Geschäftsräume liegen, ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel aufgrund der am 29.7.1959 erteilten Baubewilligung errichtet. Vor Abschluß des Mietvertrages fanden Gespräche zwischen Rudolf K*** und dem Beklagten einerseits und Direktior Ernst K*** und dem Prokuristen Walter G*** als Vertreter der klagenden Partei andererseits statt. Hiebei wurde Einigung darüber erzielt, daß das Bestandverhältnis für 25 Jahre unkündbar sein, aus gebührenrechtlichen Gründen im Bestandvertrag jedoch nur der Kündigungsverzicht der Vermieterin aufscheinen soll. Die Kommanditgesellschaft wurde mit 30.4.1980 aufgelöst, da Rudolf K*** in den Ruhestand trat. "Die Firma" wurde ab diesem Zeitpunkt vom Beklagten, der Kommanditist der KG war, weitergeführt. Die Liegenschaft EZ 1931 KG Webling verblieb zunächst im Alleineigentum von Rudolf K***, der auch die Vermieterstellung einnahm. Die Klägerin ist eine Genossenschaft mit dem Sitz in Wien, die durch zwei Vorstandsmitglieder oder durch ein Vorstandsmitglied mit einem Gesamtprokuristen vertreten wird. Mitglied des Vorstandes für den Bereich Graz war bis 22.4.1983 Ernst K***. Gesamtprokurist für den Bereich Graz war bis 24.2.1981 Walter G***.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes seien auf das Mietverhältnis § 2 Abs 1 Satz 2und 3 MRG wegen Vorliegens des Ausnahmetatbestandes nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG nicht anzuwenden. Der Beklagte habe das Bestandobjekt durch den Übergabsvertrag erworben und sei kraft Gesetzes in das Bestandverhältnis eingetreten. Dieses habe sich jedoch mangels Verbücherung oder besonderer Vereinbarung in ein solches von unbestimmter Dauer mit gesetzlichen Kündigungsfristen zu den gesetzlichen Terminen verwandelt. Die diesbezügliche Kündigungsmöglichkeit stehe sowohl dem Bestandgeber als auch dem Bestandnehmer zu.

Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung auf und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Übernahmebegehrens ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes habe der Beklagte zufolge Weiterführung der aufgelösten KG als Einzelfirma als Gesamtrechtsnachfolger die Stellung eines Vermieters erlangt. Aus der Bestimmung des Übergabsvertrages, wonach Rudolf K*** die Liegenschaft "übernommen" habe, könne nicht abgeleitet werden, daß dieser zunächst Vermieter der Geschäftslokale geworden sei, zumal im Übergabsvertrag auch festgehalten sei, daß die Liegenschaft immer in seinem Alleineigentum gestanden sei. Daran könne auch nichts ändern, daß Rudolf K*** die Liegenschaft gemäß Punkt 2. des Übergabsvertrages dem Beklagten mit allem rechtlichen Zubehör und denselben Rechten, mit denen er die Liegenschaft bisher besessen habe, übergeben habe. Die Bestimmungen des § 1120 ABGB kämen daher nicht zur Anwendung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

Nicht gefolgt werden kann dem Standpunkt der klagenden Partei, daß sie bei Abgabe des Kündigungsverzichtes nicht wirksam vertreten gewesen sei. Dem Schreiben vom 14.5.1980 kommt bei Beurteilung dieser Frage entgegen der Meinung der klagenden Partei keine Bedeutung zu. Es steht fest, daß vor Unterfertigung des schriftlichen Mietvertrages zwischen den Vertretern beider Vertragsparteien Einigung darüber erzielt wurde, daß auch die klagende Partei auf die Dauer von 25 Jahren auf die Kündigung verzichtet, wobei die klagende Partei durch ein Vorstandsmitglied und einen Gesamtprokuristen vertreten war. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war ein Vorstandsmitglied in Gemeinschaft mit einem Gesamtprokuristen zur Vertretung der klagenden Partei befugt (vgl. § 17 Abs 3 GenG). Daß § 2 Abs 1 Satz 2und 3 MRG nicht anzuwenden sind, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Die Frage, ob der klagenden Partei ein außerordentliches Kündigungsrecht zukommt, ist daher nach § 1120 ABGB zu beurteilen. Bei Liegenschaften tritt der Erwerber der Bestandsache mit der "Übergabe" in das an ihr bestehende Bestandverhältnis ein. Dieses wird jedoch insoweit verändert, als es sich mangels Verbücherung oder besonderer Vereinbarung in ein solches auf unbestimmte Dauer mit gesetzlichen Kündigungsfristen zu den gesetzlichen Terminen verwandelt (Würth in Rummel, ABGB, Rz 5 zu § 1120 mwN; MietSlg. 20.193). Unter Veräußerung im Sinne des § 1120 ABGB ist ein derivativer Eigentumsübergang zu verstehen. Dem Eigentumsübergang gleichgestellt wird der Übergang der Nutzung vom Eigentümer auf den Fruchtnießer bzw. nach Erlöschen des Fruchtgenusses wieder auf den Eigentümer (MietSlg. 30.235, 19.119; 6 Ob 586/76; Würth aaO Rz 3). Die vom Fruchtgenußberechtigten abgeschlossenen Bestandverträge erlöschen nicht mit Ende des Fruchtgenusses, vielmehr tritt der Eigentümer in das Bestandverhältnis ein. Dieses verändert sich jedoch in ein Bestandverhältnis von unbestimmter Dauer mit gesetzlichen Kündigungsfristen (MietSlg. 37.240; Koziol-Welser8 II 155). Diese Grundsätze gelten auch für einen bloß obligatorisch Nutzungsberechtigten mit fruchtnießerähnlicher Stellung (MietSlg. 31.160; vgl. auch SZ 57/155; Würth aaO).

Im vorliegenden Fall war Eigentümer der Liegenschaft Rudolf K***. Die Liegenschaft gehörte jedoch zum Betriebsvermögen der Kommanditgesellschaft, die sie auch nutzte und die auch zum Abschluß des Bestandvertrages berechtigt war. Die Kommanditgesellschaft hatte demnach ein inhaltlich dem Fruchtgenußrecht ähnliches obligatorisches Recht (vgl. SZ 57/155; Petrasch in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 509), sodaß auch die obgenannten Grundsätze anzuwenden sind. Nach dem Inhalt des Übergabsvertrages vom 22.1.1982 Beilage 3 wurde die Kommanditgesellschaft mit 30.4.1980 aufgelöst, vom Beklagten jedoch als nicht protokollierte Einzelfirma weitergeführt. Die Liegenschaft wurde im Zeitpunkt der Auflösung der KG von Rudolf K*** "übernommen". Der Restanteil am Betriebsvermögen der KG wurde unentgeltlich an den Beklagten übergeben. Vom Inhalt dieser Urkunde abweichende Willenserklärungen anläßlich der Übergabe des Betriebsvermögen der KG an den Beklagten wurden in erster Instanz nicht einmal behauptet und zur Frage der Fortführung des Handelsgeschäftes der KG überhaupt kein Sachvorbringen erstattet. Die Behauptung, daß auch das Nutzungsrecht an der Liegenschaft auf den Beklagten übertragen worden sei, wurde erst in der Berufung aufgestellt und ist daher unbeachtlich. Die Auslegung einer nach Inhalt und Form unbestrittenen Urkunde gehört nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung (JBl 1975, 602; EvBl 1974/97; JBl 1972, 200; MietSlg. 23.674). Auch das Erstgericht ging bei seiner "Feststellung", daß Rudolf K*** nach der Auflösung der KG die Vermieterstellung einnahm, ausschließlich von der Urkunde Beilage 3 aus und das Berufungsgericht hat diese Feststellung zutreffend der rechtlichen Beurteilung zugeordnet. Nach dem Inhalt der Urkunde kann es aber nicht zweifelhaft sein, daß vom Unternehmenserwerb des Beklagten anläßlich der Auflösung der KG die Nutzungsrechte an der Liegenschaft EZ 1931 nicht erfaßt waren. Nicht anders kann nämlich die Feststellung, daß die Liegenschaft im Zeitpunkt der Auflösung der KG von Rudolf K*** "übernommen" und der Restanteil am Betriebsvermögen der KG dem Beklagten übergeben wurde, verstanden werden. Da Rudolf K*** Eigentümer der Liegenschaft war, konnte "Übernahme der Liegenschaft" nur den Übergang des Nutzungsrechtes auf ihn bedeuten. Nach den oben dargelegten Grundsätzen war dann Rudolf K*** zwar an den von der Kommanditgesellschaft mit der klagenden Partei abgeschlossenen Bestandvertrag gebunden, dieser änderte sich jedoch in einen solchen mit gesetzlichen Kündigungsfristen zu den gesetzlichen Kündigungsterminen, und das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 1120 ABGB steht auch der klagenden Partei als Bestandnehmerin zu (vgl. Würth aaO Rz 5). Die Veränderung des Bestandvertrages trat somit bereits anläßlich des Erlöschens des Nutzungsrechtes der KG ein, sodaß es auf die Übergabe der Liegenschaft an den Beklagten nicht mehr ankommt. Ist das Nutzungsrecht der KG mit deren Auflösung erloschen und wurde dieses an den Eigentümer der Liegenschaft rückübertragen, kommt dem Grundsatz der Erblichkeit der Bestandrechte nach § 1116 a ABGB keine Bedeutung mehr zu. Da die Aufkündigung dem Beklagten am 16.11.1987 zugestellt wurde, ist auch die gesetzliche Kündigungsfrist entgegen der Meinung des Beklagten gewahrt.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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