OGH 10ObS111/90

OGH10ObS111/9024.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Walter Holzer (Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst F***, Pensionist, 8740 Zeltweg, Höhenstraße 2, vertreten durch Dr. Heinz Pichler, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte Partei A***

U*** (L*** G***), 1200 Wien, Adalbert

Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Leistungen der Unfallversicherung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. November 1989, GZ 8 Rs 111/89-43, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6. Februar 1989, GZ 22 Cgs 1084/87-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 10.2.1987 lehnte die beklagte Partei einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach § 173 ASVG aus Anlaß seines am 12.6.1983 um 2,10 Uhr auf einem Rastplatz der A 2 (Südautobahn) im Gemeindegebiet von Leobersdorf erlittenen Unfalles ab, weil kein Arbeitsunfall iS der §§ 175, 176 ASVG vorliege.

Das Erstgericht wies die dagegen rechtzeitig erhobene, auf Feststellung, daß es sich bei dem genannten Unfall um einen Arbeitsunfall iS der zitierten Gesetzesstellen handle, und Verurteilung der beklagten Partei, dem Kläger für die Folgen dieses Unfalles die "gesetzmäßigen Leistungen gemäß § 173 ASVG" zu gewähren, gerichtete Klage ab.

Nach den wesentlichen Feststellungen war der Kläger, der bis 10.6.1983 in Wien gearbeitet hatte, seit 11.6.1983 bei der Firma P*** K*** in Fohnsdorf, Aichdorf als Verkaufsrepräsentant für die UdSSR angestellt. Er sollte am 12.6.1983 mit einem von einem anderen Mitarbeiter seines Dienstgebers gelenkten, mit den auszustellenden Produkten beladenen LKW gegen 22.00 Uhr von Aichfeld (richtig Aichdorf) zu einer Messe nach Kiew abfahren, zu der der Firmenchef und eine Angestellte sowie ein selbständiger Handelsvertreter nachkommen sollten. Der Dienstgeber hatte den Kläger schon vor dem 11.6.1983 beauftragt, (in Wien) die für die Geschäftsreise des Firmenchefs und der Mitarbeiter erforderlichen Visa der CSSR und UdSSR sowie die Durchreisegenehmigung für die CSSR und Polen zu besorgen. Weiters sollte der Kläger auch für den nicht bei seinem Dienstgeber angestellten Handelsvertreter ein Visum besorgen, das er ihm auf dem Weg von Wien nach (richtig) Aichdorf in Kapfenberg bringen sollte, ohne daß dafür ein genauer Zeitpunkt festgelegt war. Am Vormittag des 12.6.1983 sollte am Firmensitz in (richtig) Aichdorf eine Besprechung der Messeteilnehmer stattfinden, für die auch kein genauer Beginn festgelegt war. Dabei sollten vor allem die Visa übergeben, aber auch die Papiere durchgesehen und ein Treffpunkt in Kiew besprochen werden. Die Visa und die Durchreisegenehmigung wurden dem Kläger in Wien am 10.6.1983 ausgefolgt. Am 11.6.1983 studierte er die ihm schon vorher dazu ausgehändigten Prospekte und Preislisten der von seinem Dienstgeber hergestellten, bei der Messe auszustellenden und zu verkaufenden Kräne. Am Abend dieses Tages nahm er an der um 19.00 Uhr beginnenden Maturafeier eines Verwandten in Deutsch-Wagram teil, von wo er jedoch gegen 22.00 Uhr in seinen Zweitwohnsitz im 13.Wiener Gemeindebezirk fuhr. Dort packte er die restlichen, für die Reise (in die UdSSR) erforderlichen Gegenstände ein. Gegen 0.30 Uhr des 12.6.1983 brach er mit seinem PKW in Richtung Steiermark auf. Er wollte vor der für den Vormittag in Aichdorf geplanten Besprechung in seine Wohnung in Zeltweg fahren, die seit 1962 sein Hauptwohnsitz ist. Als er nach kurzer Fahrt auf der Südautobahn bemerkte, daß er müde war, entschloß er sich, den PKW auf dem Parkplatz beim Baukilometer 27,8 abzustellen und im Wagen zu schlafen. Gegen 2,10 Uhr stieß ein von der Richtungsfahrbahn Wien-Graz abgekommener PKW gegen das geparkte Fahrzeug, in dem der Kläger schlief. Dadurch wurde er schwer verletzt. Für die etwa 200 km lange Strecke Wien-Zeltweg ist unter normalen Wetter- und Straßenbedingungen eine Fahrzeit von drei Stunden erforderlich.

Unter diesen Umständen verneinte das Erstgericht einen Arbeitsunfall.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und verneinte einen Arbeitsunfall ua deshalb, weil es zum Dienstantritt am Vormittag des 12.6.1983 nicht notwendig gewesen wäre, um 0.30 Uhr übermüdet von Wien abzufahren und eine Schlafpause auf einem Autobahnparkplatz einzulegen. Daher sei der Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung durch ein eigenwirtschaftliches Verhalten des Klägers unterbrochen worden. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das Berufungsurteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Rechtsmittel ist nicht berechtigt. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit). Auch die Rechtsrüge ist nicht begründet.

Nach § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Nach Abs 2 leg cit sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach Abs 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in deren Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen.

Ob sich der Kläger am 12.6.1983 während der Fahrt von Wien in die Steiermark auf einem Betriebsweg, also auf einem in Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung außerhalb der Arbeitsstätte zurückgelegten Weg oder auf einem der Arbeitstätigkeit vorangehenden Weg zur Arbeitsstätte befand, muß nicht näher geprüft werden, weil sich der Unfall während einer einer privaten Verrichtung dienenden, nicht unter Unfallversicherungsschutz stehenden Unterbrechung dieser Fahrt ereignete (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II, 72.Nachtrag 481q, 5).

Unterbricht ein Versicherter die versicherte Tätigkeit oder einen versicherten Weg durch eine private Verrichtung, so besteht während der Unterbrechung - in der Regel - kein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung, wenn nicht besondere betriebliche Umstände den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit begründen (Brackmann, aaO 480r bis v, 481s, t, 482a, b).

Auch während einer Dienstreise ist zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängen, und solchen Verrichtungen zu unterscheiden, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören. Der Versicherungsschutz entfällt, wenn sich der Reisende rein persönlichen, für die Betriebstätigkeit nicht mehr wesentlichen Belangen widmet (Brackmann, aaO 481v, w).

Der Weg nach dem Ort der Tätigkeit wird ua dann unterbrochen, wenn sich der Versicherte nicht mehr in diese Richtung fortbewegt, sondern zB am Straßenrand eine längere Unterhaltung führt oder eine andere private Verrichtung einschiebt. Es sind jedoch immer die Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten (Brackmann, aaO 486y, 487 bis 487e).

Unterbricht der Versicherte den Weg zur oder von der Arbeitsstätte etwa, weil er im Zug eingeschlafen ist, so besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz, wenn die Ermüdung nicht auf die Bahnfahrt oder andere betriebliche Gründe zurückzuführen ist (Brackmann, aaO 487b).

Das Schlafen dient grundsätzlich überwiegend persönlichen, unversicherten Bedürfnissen. Das Schlafbedürfnis kann allerdings im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, wenn es auf große Anstrengungen durch vorausgegangene Betriebsarbeit oder auf andere betriebliche Gründe zurückzuführen ist (Brackmann, aaO 481h II).

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Unfall:

Auch dann, wenn der Kläger auf der Fahrt mit seinem PKW von Wien in die Steiermark unter Unfallversicherungsschutz gestanden wäre, wäre sein am 12.6.1983 gegen 2.10 Uhr erlittener Unfall kein Arbeitsunfall. Er ereignete sich nämlich, nachdem der Kläger die allenfalls versicherte Tätigkeit (Dienstfahrt) bzw den allenfalls versicherten Weg (zur Arbeitsstätte) zur Befriedigung seines Schlafbedürfnisses unterbrochen hatte, das in keinem inneren Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit stand und daher dem unversicherten persönlichen (privatwirtschaftlichen) Bereich zuzuordnen ist. Daß der Kläger seine Fahrt von Wien in die Steiermark schon nach rund 30 km unterbrach und in seinem auf einem Parkplatz geparkten PKW schlief, war nämlich nicht auf betriebliche Gründe, insbesondere nicht auf eine vorangegangene Anstrengung im Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung, sondern nur darauf zurückzuführen, daß er die geplante, etwa 200 km lange Fahrt, ohne aus betrieblichen Gründen dazu gezwungen zu sein, kurz nach Mitternacht angetreten hatte, obwohl er für die gesamte Fahrt zu müde war. Der Kläger stand daher während der Fahrtunterbrechung, in der er versäumten Schlaf nachholte, nicht unter Versicherungsschutz. Dieser Unfall ist daher ebenso als Privatunfall zu behandeln wie ein Unfall, der sich während des Schlafens vor dem Fahrtantritt ereignet hätte.

Daher war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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