OGH 10ObS100/90

OGH10ObS100/9027.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Felix Joklik und Dr. Peter Wolf (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anna M***, Landwirtin, 3163 Prünst 2, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER B***, 1031 Wien, Ghegastraße 1,

vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Leistung aus der Unfallversicherung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. November 1989, GZ 31 Rs 240/89-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21.Juni 1989, GZ 32 Cgs 206/88-23, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin als Folge der Berufskrankheit Asthma bronchiale die gesetzmäßige Leistung aus der Unfallversicherung zu erbringen, abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 25.1.1953 geborene Klägerin bewirtschaftet gemeinsam mit ihrem Ehemann ohne fremde Arbeitskräfte einen 65 ha großen, aus Wald und Wiesen bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb mit 45 Rindern und 4 Schweinen. Die einzige Einkommensquelle des im gemeinsamen Eigentum der Eheleute stehenden landwirtschaftlichen Betriebes ist die Milchwirtschaft. Der Ehemann der Klägerin will den Betrieb nicht aufgeben, weil er in seinem ganzen Leben Bauer war und mit 51 Jahren keinen neuen Beruf mehr ergreifen will. Er hält auch eine Umstellung auf eine andere Bewirtschaftungsform schwierig bis unmöglich. Ackerbau ist auf Grund des schwierigen Geländes nicht möglich. Mastrinderhaltung setzt, wenn sie wirtschaftlich betrieben werden soll, Ackerbau voraus. Schafzucht bringt nur unzureichende Erträge und reine Forstwirtschaft ist nicht möglich, weil zu wenig schlagbarer Wald vorhanden ist. Seit 1985 haben die Klägerin und ihr Ehemann den Rinderbestand von 45 auf derzeit 30 Tiere verringern müssen, weil die Klägerin auf Grund ihrer Krankheit - Asthma bronchiale - seither nur sehr eingeschränkt mitarbeiten kann und ihr Ehemann die Arbeit alleine nicht schafft. Die Eheleute haben fünf Kinder im Alter zwischen 6 und 16 Jahren zu versorgen. Die Klägerin leidet seit 1978 zunehmend an Bronchialasthmaanfällen, die durch Überempfindlichkeit gegen Rinderepithel ausgelöst wurden und die ihre Erwerbsfähigkeit im Durchschnitt um 40 v.H. minderten. Die Klägerin konnte aus diesem Grunde die Rinder nicht mehr betreuen. Seit die beklagte Partei der Klägerin einen Staubschutzhelm zur Verfügung stellte, kann sie, wenngleich nur in eingeschränktem Maß und mit Beschwerden, die Rinder wieder betreuen. Sie kann aber mit dem Staubschutzhelm die Milchkühe nicht melken, da diese durch den Anblick des Helms und des surrenden Geräusches des eingebauten Ventilators störrisch werden und die Klägerin bei dieser Arbeit durch den Helm zu stark behindert wird. Sie füttert aber mit Hilfe des Helmes die Rinder und mistet den Stall aus. Trotz des Staubschutzhelmes leidet sie an - allerdings gegenüber früher insgesamt

verringerten - asthmatischen Beschwerden, was dadurch erklärbar ist, daß der Helm einerseits keinen vollkommenen Schutz gegen Rinderepithel bietet, andererseits Rinderepithel nicht nur im Stall, sondern auch in der Arbeitskleidung und in der Umgebung des Stalles vorkommt. Die Klägerin erlitt auch nach Beistellung des Staubschutzhelmes mehrfach schwere Asthmaanfälle und mußte im Krankenhaus stationär unter anderem durch hohe Cortisongaben behandelt werden. Der Klägerin ist an sich die Arbeit im Rinderstall auch mit Staubschutzhelm unzumutbar. Sie führt die Arbeit aber nach wie vor durch, weil eine Änderung der Bewirtschaftungsform aus geographischen und wirtschaftlichen Gründen kaum möglich ist, die Arbeit von zwei Personen im landwirtschaftlichen Betrieb bei der derzeitigen Bewirtschaftungsform unbedingt notwendig und eine fremde Arbeitskraft finanziell untragbar ist. Die Klägerin verbringt täglich vier bis fünf Stunden, das sind etwa dreiviertel ihrer täglichen Arbeitsleistung im landwirtschaftlichen Betrieb im Rinderstall. Das Bronchialasthma hat sich, wierbei dieser Krankheit häufig, bereits weitgehend verselbständigt, d.h. asthmatische Beschwerden treten auch unabhängig vom Vorhandensein von Allergenen auf. Trotz Verwendung eines Staubschutzhelmes ist der Klägerin nicht nur die Arbeit im Rinderstall, sondern jede mit überdurchschnittlicher Belastung durch Staub, Rauch und Atemreizstoffen aller Art verbundene Arbeit unzumutbar. Unter Beachtung dieser Beschränkung kann sie leichte, bis zur Hälfte der Arbeitszeit, ununterbrochen aber nicht länger als zwei Stunden auch mittelschwere Arbeiten verrichten. Ihre Erwerbsfähigkeit ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt um 40 v.H. gemindert.

Mit Bescheid vom 4.11.1986 sprach die beklagte Partei aus, daß die angezeigte Krankheit Asthma bronchiale gemäß § 177 Abs 1 ASVG iVm Anlage 1 Nr.30 nicht als Berufskrankheit anerkannt werde. Zur Begründung verwies die beklagte Partei darauf, daß die Aufgabe der Erwerbsarbeit nicht erzwungen worden sei.

Die Klägerin begehrte mit rechtzeitiger Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr für die aufgetretene Krankheit die gesetzmäßige Leistung zu erbringen.

Das Erstgericht gab diesem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang dahin Folge, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin ab 20.11.1985 wegen ihrer Erkrankung an Asthma bronchiale (Nr.30 der Anlage 1 zum ASVG) eine Versehrtenrente in Höhe von 40 v. H. der Vollrente zu gewähren. Rechtlich vertrat es die Ansicht, daß die Klägerin zwar keinen Anspruch auf Gewährung einer Versehrtenrente auf Grund einer Berufskrankheit nach § 177 Abs 2 ASVG habe, weil die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht 50 v.H. betrage (§ 203 Abs 2 ASVG), daß jedoch ein Anspruch auf Grund einer Berufskrankheit nach § 177 Abs 1 ASVG gegeben sei, weil die Berufskrankheit nach Nr.30 der Anlage 1 vorliege und die Minderung der Erwerbsfähigkeit 40 v.H. betrage.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung teilweise dahin Folge, daß es die Leistung erst ab 1.1.1986 gewährte (Art.VI Abs 8 der 41.ASVG-Novelle). Im übrigen bestätigte es das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, daß der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von monatlich S 1.000,-- ab 1.1.1986 aufgetragen wurde. Das Berufungsgericht pflichtete der erstgerichtlichen Rechtsansicht bei, daß eine Berufskrankheit nach Nr.30 der Anlage 1 zum ASVG vorliege. Daß im konkreten Fall triftige Gründe wirtschaftlicher und sozialer Natur die Klägerin nöt5gten, in ihrem bisherigen Beruf weiterzuarbeiten, sei gerade bei einem bäuerlichen Betrieb in der festgestellten Art und der familiären Situation der Klägerin evident. Aus diesen Gründen sei bei Vorliegen der genannten Berufskrankheit der Anspruch der Klägerin gegeben, weil gerade im konkreten Fall die nicht erfolgte Aufgabe der Erwerbstätigkeit aus zwingenden Gründen außer acht gelassen werden könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung.

Die Klägerin beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Als Berufskrankheiten gelten gemäß § 177 Abs 1 ASVG die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind. Anders als die übrigen Berufskrankheiten gelten, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt mit ausführlicher Begründung ausgesprochen hat, Hauterkrankungen (lfd. Nr.19 der Anlage 1) und Erkrankungen an Asthma bronchiale (lfd.Nr.30 dieser Anlage) überhaupt nur dann als Berufskrankheiten, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit zwingen, worunter die letzte Erwerbstätigkeit zu verstehen ist (SSV-NF 1/65, 2/25, 2/104, 3/62 ua). Die Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit ist daher Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalles, sie bildet ein Tatbestandsmerkmal dieser beiden Berufskrankheiten. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, daß die Klägerin nach den Feststellungen - entgegen ihren Klagsbehauptungen - ihre zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit als Landwirtin nicht aufgegeben hat.

Eine Ausnahme vom Grundsatz des Erfordernisses der Aufgabe der schädigenden Erwerbsarbeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Versehrtenrente will die Lehre dann gelten lassen, wenn triftige Gründe den Versicherten nötigen, einstweilen in seinem bisherigen Beruf weiterzuarbeiten; ausnahmsweise soll schon die bloße Absicht der Aufgabe genügen, wenn der Gefährdete sie durch außerhalb seines Willens gelegene beachtliche und triftige Gründe noch nicht zu realisieren vermag (Tomandl in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg.273 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des OLG Wien SSV 4/109 und 14/6; vgl. auch SSV 6/19 und 24/121). Solche Gründe könnten vor allem in der sozialen oder wirtschaftlichen Lage des Erkrankten oder in unabweislichen Erfordernissen des Betriebs gelegen sein (Brackmann SV-Handbuch II 58.Nachtrag 492 d mwN). Der Oberste Gerichtshof hat bisher zu dieser Lehre (und Rechtsprechung des zum Inkrafttreten des ASGG als letzte Instanz in Leistungsstreitsachen berufenen Oberlandesgerichtes Wien) nicht Stellung genommen; in der Entscheidung SSV-NF 2/25 wurde die Lehre bloß dargestellt, jedoch nicht erörtert. Auch diesmal kann diese Frage auf sich beruhen. Selbst wenn man davon absieht, daß die - schon in erster Instanz qualifiziert vertreten gewesene - Klägerin triftige Gründe, die sie nötigen würden, trotz des Asthma bronchiale ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, gar nicht geltend gemacht hat und die Ausführungen des Berufungsgerichtes über solche triftigen Gründe wirtschaftlicher und sozialer Natur auf überschießenden Feststellungen beruhen, könnten auch diese Feststellungen der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Denn auch nach der oben dargestellten Auffassung wird nur dann ausnahmsweise vom Grundsatz des Erfordernisses der Aufgabe schädigender Erwerbstätigkeit abgesehen, wenn der Versicherte einstweilen in seinem bisherigen Beruf weiterarbeiten mußte und die Absicht der Aufgabe noch nicht realisieren konnte. Die Fortsetzung der bisherigen beruflichen Tätigkeit soll also nach dieser Meinung nur für eine Übergangszeit der Gewährung einer Versehrtenrente nicht entgegenstehen; dies bedeutet aber nicht, daß es der Versicherte in der Hand hätte, durch ständige Ausübung des bisherigen Berufes das Tatbestandserfordernis der Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit gleichsam für seine Person zu umgehen. Eine solche Auslegung würde zu dem Ergebnis führen, daß ein Versicherter trotz objektiv zu bejahender Notwendigkeit des Berufswechsels die gesundheitsschädigende Berufsarbeit fortsetzen könnte, womit voraussichtlich eine weitere Verschlimmerung seines Leidens und damit eine Erhöhung der Versicherungsleistung verbunden wäre. Das Abstellen auf den Zwang zur Aufgabe schädigender Erwerbstätigkeit hat aber gerade den Zweck, ein Verweilen des Versicherten auf dem gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlechterung der Krankheit oder deren Wiederausbruch zu verhüten (SSV-NF 1/65, 2/104). Dieser Zweck würde durch die Notwendigkeit der ständigen weiteren Erwerbstätigkeit im Beruf einer Landwirtin vereitelt werden, weil die Klägerin ja den Beruf nicht nur für eine absehbare Übergangszeit aus triftigen Gründen trotz der Berufskrankheit weiter ausüben muß, sondern aus den oben dargestellten Gründen offenbar dauernd. Aus diesen Gründen kann der Ansicht des Berufungsgerichtes, die Nichtaufgabe der Erwerbstätigkeit könne im vorliegenden Fall außer acht gelassen werden, nicht beigepflichtet werden. Einer Anerkennung des bei der Klägerin bestehenden Asthma bronchiale als Berufskrankheit iS des § 177 Abs 1 ASVG steht vielmehr der Umstand entgegen, daß sie ihre bisherige Erwerbstätigkeit nach wie vor ausübt. Daß eine Berufskrankheit nach § 177 Abs 2 ASVG nicht vorliegt, folgt schon daraus, daß sie vom beklagten Träger der Unfallversicherung nicht festgestellt wurde; der angefochtene Bescheid bezog sich lediglich auf § 177 Abs 1 ASVG. Die Klägerin hat das Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne des § 177 Abs 2 ASVG auch nicht geltend gemacht.

Der Revision war daher Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen waren im klagsabweislichen Sinne abzuändern.

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