OGH 10ObS411/89

OGH10ObS411/8927.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Felix Joklik und Dr.Peter Wolf (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Burghard G***, Angestellter, 4655 Vorchdorf, Rittmühlerstraße 1, vertreten durch Dr.Gerhard Götschhofer, Rechtsanwalt in Vorchdorf, wider die beklagte Partei S*** DER

G*** W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86,

vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage zur Waisenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. September 1989, GZ 31 Rs 154/89-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10.Jänner 1989, GZ 7 Cgs 504/88-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die (einschließlich 457,28 S Umsatzsteuer) mit 2.743,68 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 6.9.1963 geborene Kläger bezog nach dem Tod seines Vaters, Josef G***, eines Versicherten der beklagten Partei, von dieser vom 1.3.1985 bis 31.10.1988 eine Waisenpension, die seit dem 1.1.1987 monatlich 962 S betrug.

Mit Bescheid vom 16.12.1987 stellte die beklagte Partei die dazu gebührende Ausgleichszulage für die Zeit vom 1.8. bis 5.9.1987 (Vollendung des 24. Lebensjahres) mit monatlich 72,10 S, (nach Vollendung des 24. Lebensjahres) vom 6.9. bis 31.12.1987 mit monatlich 1.344,80 S und vom 1.1.1988 an mit monatlich 1.428,50 S fest, weil sie einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen die Mutter berücksichtigte.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage stützte sich unter Bedachtnahme auf Ergänzungen im wesentlichen darauf, daß der Kläger gegen seine Mutter seit dem 1.8.1987 weder einen Unterhaltsanspruch habe, noch von ihr Unterhaltsleistungen erhalte. Er habe nach der Pflichtschule zunächst das Elektrikerhandwerk erlernt. Parallel zu dieser Handwerkslehre habe er die Handelsakademie für Berufstätige besucht und dort im Sommer 1987 die Reifeprüfung bestanden. Wegen dieser abgeschlossenen Berufsausbildung sei er unter Berücksichtigung der Verhältnisse seiner Mutter trotz seines anschließenden Studiums an der Technischen Universität Wien, dessen

1. Studienjahr er zufriedenstellend absolviert habe, selbsterhaltungsfähig. Seit November 1988 sei er in einem Linzer Elektronikartikelunternehmen beschäftigt, aber weiter Student an der genannten Universität. Das Klagebgehren richtete sich auf eine Ausgleichszulage für die Zeit vom 1.8.1987 bis 31.10.1988 im vollen gesetzlichen Ausmaß.

Die beklagte Partei beantragte wegen des behaupteten Unterhaltsanspruchs des Klägers gegen die Mutter die Abweisung der Klage.

Im zweiten Rechtsgang verurteilte das Erstgericht die beklagte Partei, dem Kläger binnen vier Wochen für die Zeit vom1 1.8.1987 bis 31.10.1988 die Ausgleichszulage zur Waisenpension im vollen gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger lebt seit 1.8.1987 studienhalber und wegen einer neben dem Studium ausgeübten Berufstätigkeit mit seiner Mutter nicht mehr im gemeinsamen Haushalt. Nach der Pflichtschule schloß er eine Elektrikerlehre ab. Spätestens im Juli 1987 bestand er die Reifeprüfung an einer Berufsbildenden Höheren Schule. Seit dem Wintersemester 1987/88 studiert er an der Technischen Universität Wien. In den ersten beiden Semestern bestand er drei Prüfungen mit gutem bzw befriedigendem Erfolg. Seit November 1988 ist er neben seinem Studium bei einem Elektronikartikelunternehmen in Linz beschäftigt, weil die beruflichen Aussichten bei einer entsprechenden technischen Praxis im allgemeinen noch günstiger sind. Ein absolviertes technisches Hochschulstudium gewährt bessere Berufsmöglichkeiten und im allgemeinen auch bessere Möglichkeiten zur Erzielung eines angemessenen Einkommens als eine abgeschlossene Elektrikerlehre und eine Reifeprüfung an einer Berufsbildenden Höheren Schule. Seine Mutter, die Witwe seines Vaters, bezieht eine Witwenpension und eine Alterspension, die im Jahre 1987 monatlich 2.405 S bzw 5.472 S netto und im Jahre 1988 monatlich 2.460,40 S bzw 5.614,50 S betrugen. Sie hat keine weiteren Einkünfte, aber auch keine Sorgepflichten. Ihr Vermögen besteht aus zwei Liegenschaften in Vorchdorf mit dem von ihr bewohnten Haus. Dafür hat sie monatlich die Kanalanschlußgebührrate von 500 S, Stromkosten von 914 S, eine Gemeindeumlage von 400 S und die Hausversicherung von 200 S zu zahlen.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß sich die aus den beiden Nettopensionen von 7.877 S (1987) bzw 8.074,90 S (1988) bestehende Bemessungsgrundlage eines allfälligen Unterhaltsanspruchs des Klägers gegen seine Mutter wegen deren erwähnten Aufwendungen für ihr Wohnhaus um 2.200 S (?) und damit auf den Bereich des Existenzminimums verringern würde. Deshalb sei die Mutter nicht mehr verpflichtet gewesen, ihrem Sohn, der mit der abgeschlossenen Elektrikerlehre und der Reifeprüfung an einer BHS über eine eine gesicherte Existenz ermöglichende Berufsausbildung verfügte, auch noch während eines anschließenden Universitätsstudiums Unterhalt zu leisten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es die von der beklagten Partei in den einzelnen Zeiträumen vom 1.8.1987 bis 31.10.1988 zu leistende monatliche Ausgleichszulage betragsmäßig genau feststellte.

Ein Wiederaufleben einer wegen Selbsterhaltungsfähigkeit erloschenen Unterhaltsverpflichtung komme nur dann in Betracht, wenn den Eltern nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen eine Beteiligung an den Studienkosten des Kindes möglich und zumutbar sei. Berücksichtige man einerseits, daß der Kläger schon vor Antritt seines Hochschulstudiums über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt habe und damit selbsterhaltungsfähig gewesen sei, und anderseits, daß das Einkommen seiner Mutter auch ohne Berücksichtigung der vom Erstgericht angenommenen Abzugsposten nur geringfügig über dem Richtsatz für Ehegatten im gemeinsamen Haushalt nach § 150 Abs 1 lit a sublit aa GSVG liege, dann sei der Mutter eine Beteiligung an den Kosten des Studiums des Klägers nicht mehr zumutbar. Da ein Unterhaltsanspruch nach § 140 ABGB dem Grunde nach nicht bestehe, habe eine Anrechnung bei der Ausgleichszulage zu unterbleiben.

Die beklagte Partei bekämpft dieses Urteil insoweit mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache), als sie schuldig erkannt wurde, dem Kläger eine Ausgleichszulage zu gewähren, die in der Zeit vom 1.8. bis 5.9.1987 182,10 S monatlich, vom 6.9. bis 31.12.1987 1.452,10 S monatlich, vom 1.1. bis 30.6.1988 1.538,50 S monatlich und vom 1.7. bis 31.10.1988 1.497,20 S monatlich übersteigt. Die Revisionswerberin beantragt, das Berufungsurteil durch Abweisung des auf eine höhere Ausgleichszulage gerichteten Mehrbegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr allenfalls nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Nach dem gemäß Art XXXVII Z 4 WGN 1989 noch in der früheren Fassung anzuwendenden § 46 ASGG gelten die Revisionsbeschränkungen des § 502 Abs 2 und 3 (alt) ZPO nicht (Abs 1). Da es sich um ein Verfahren über wiederkehrende Leistungen (Ausgleichszulage) handelt, ist die Revision ohne die Beschränkungen des Abs 2 (Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung; Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, über 30.000 S) zulässig (Abs 4). Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

(Bei den folgenden Paragraphen ohne Gesetzesangabe handelt es sich um solche des GSVG in der auf diesen Fall anzuwendenden Fassung.)

Erreicht die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 151 zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 150), so hat der Pensionsberechtigte, ... Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension (§ 149 Abs 1). Nettoeinkommen im Sinne dieses Absatzes ist, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge (§ 149 Abs 3). Bei Anwendung der Absätze 1 bis 3 haben unter anderem Bezüge aus Unterhaltsansprüchen privater Art, die gemäß § 151 berücksichtigt werden, außer Betracht zu bleiben (§ 149 Abs 4 lit e). Bei Anwendung des § 149 sind Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen die Eltern, sofern sie mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen, daß dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 15 vH des monatlichen Nettoeinkommens der Eltern zuzurechnen sind. Der so festgestellte Betrag vermindert sich jedoch in dem Ausmaß, in dem das dem Verpflichteten verbleibende Nettoeinkommen den Richtsatz gemäß § 150 Abs 1 lit b (1987: 4.868 S, 1988: 5.004 S) unterschreitet (§ 151 Abs 1 lit c).

Da die Mutter des Klägers, wie festgestellt, seit dem 1.8.1987 mit ihm nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebt, sind die allfälligen Unterhaltsansprüche des Klägers gegen sie seither nicht mehr durch Pauschalanrechnung nach § 151 Abs 1 zu berücksichtigen. Das beutet allerdings nicht, daß Einkünfte (Bezüge) in Geld oder Geldeswert, die einem Kind von einem mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteil als Unterhalt geleistet werden, für die Ausgleichszulage überhaupt außer Betracht zu bleiben hätten. Solche Unterhaltsleistungen sind vielmehr bei Feststellung des Anspruchs auf eine Ausgleichszulage in Anwendung des § 149 Abs 1 bis 3 wie sonstiges Nettoeinkommen zu berücksichtigen, also (jedenfalls) bei tatsächlicher Leistung anzurechnen (Teschner in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 412/1; MGA ASVG 48.ErgLfg 1446 FN 1 zu § 294 mwH; SSV-NF 2/15).

Stehen einem Pensionsberechtigten vertragliche oder gesetzliche Ansprüche mit Einkommenscharakter zu, dann ist grundsätzlich davon auszugehen, daß diese Ansprüche tatsächliches Einkommen darstellen und daher bei Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage als solches zu berücksichtigen sind.

Der subsidiäre fürsorge(sozialhilfe-)ähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbietet im allgemeinen die Berücksichtigung der Tatsache, daß der Berechtigte von sich aus auf derartige Ansprüche verzichtet. Diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber vor allem im § 294 Abs 1 ASVG und in den vergleichbaren Bestimmungen anderer Sozialversicherungsgesetze, unter anderem auch im § 151 Abs 1 (GSVG) ausdrücklich Rechnung getragen, doch gilt allgemein, daß ein Verzicht auf die Geltendmachung zustehender Einkünfte (grundsätzlich) im Ausgleichszulagenrecht nur dann beachtlich ist, wenn er in der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Leistungserfüllung durch den dazu Verpflichteten begründet ist (30.11.1987 SSV-NF 1/60).

Daraus folgt, daß ein Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Mutter bei der Feststellung der Ausgleichszulage im Sinne der obigen Ausführungen zu berücksichtigen wäre.

Da lediglich ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch behauptet wurde, war daher nur zu prüfen, ob und in welcher Höhe der Kläger für die Zeit vom 1.8.1987 bis 31.10.1988 gegen seine Mutter Anspruch auf Unterhalt hatte.

Nach § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich jedoch insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist (Abs 3 leg cit). Selbsterhaltungsfähigkeit kann vor und nach der Volljährigkeit eintreten; ein den Lebensverhältnissen der Eltern und den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes entsprechendes Studium schiebt diesen Zeitpunkt hinaus (zB Pichler in Rummel, ABGB I2 Rz 4, 5, 12 zu § 140).

Berücksichtigt man im vorliegenden Fall einerseits, daß die (nach der im Pensionsakt PNr. 466104-11 erliegenden Heiratsurkunde und nach den im Akt erliegenden Grundbuchsauszügen am 15.10.1924 geborene) Mutter des Klägers nur über ein bescheidenes Pensionseinkommen verfügt, und daß ihr Vermögen hauptsächlich in zwei (nach den zitierten Grundbuchsauszügen einschließlich des von ihr bewohnten Hauses insgesamt 7.394 m2 großen) Grundstücken besteht, aus denen sie nicht nur ein Einkommen erzielt, sondern für die sie Aufwendungen hat, andererseits aber, daß der Kläger nicht nur den gefragten Beruf eines Elektrikers erlernt hat, sondern die in dieser technischen Berufsausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten mit den in der erfolgreich abgeschlossenen Handelsakademie erworbenen kaufmännischen Kenntnissen und Fähigkeiten verbinden kann, ist an seiner Selbsterhaltungsfähigkeit nicht zu zweifeln. Auch wenn das im Wintersemester 1987/88 begonnene Studium an der Technischen Universität Wien den Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Klägers durchaus entsprechen mag, darf doch nicht übersehen werden, daß er bei Beginn dieses Hochschulstudiums schon selbsterhaltungsfähig war und immerhin schon im 25. Lebensjahr stand.

Unter diesen besonderen Umständen ist eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Mutter im hier entscheidungswesentlichen Zeitraum zu verneinen. Ein solcher Unterhaltsanspruch ist daher auch bei Feststellung des Anspruches des Klägers auf Ausgleichszulage in diesem Zeitraum nicht zu berücksichtigen.

Daher war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG, wobei nur der Ersatz der verzeichneten Kosten zuzuerkennen war.

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