OGH 10ObS85/90

OGH10ObS85/9027.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Felix Joklik (Arbeitgeber) und Gerald Kopecky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dkfm.Sylvia S***, Pensionistin, 1040 Wien, Argentinierstraße 22/8, vertreten durch Dr.Ernst Gruber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Dezember 1989, GZ 31 Rs 256/89-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20.Juni 1989, GZ 16 Cgs 65/89-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"1. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin eine Alterspension in der Höhe von 16.048,90 S monatlich ab 1.1.1988 und von 16.385,90 S monatlich ab 1.1.1979 zu bezahlen.

2. Das auf Gewährung einer höheren Alterspension gerichtete Klagebegehren besteht dem Grund nach zu Recht, soweit es darauf gerichtet ist, daß die beklagte Partei bei der Berechnung der der Klägerin gebührenden Pension je einen weiteren nach den österreichischen Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungsmonat aus der Zeit von August 1943 bis August 1947 und aus der Zeit von November 1948 bis Mai 1953 zu berücksichtigen hat. Das Klagemehrbegehren, aus den angeführten Zeiträumen insgesamt weitere 102 Versicherungsmonate als in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten zu berücksichtigen, und das übrige Klagemehrbegehren wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab 1.1.1988 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides zusätzlich zu der oben angeführten Pensionszahlung eine vorläufige Zahlung von 60 S monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung fällig gewordenen Beträge innerhalb von vier Wochen und die in Zukunft fällig werdenden Beträge am Ersten eines jeden Monats im vorhinein."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der Klägerin die mit 3.087 S (darin 514,50 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei richtete an die Klägerin am 25.Jänner 1984 ein Schreiben, das mit "Mitteilung über Versicherungs- bzw neutrale Zeiten" überschrieben ist und in dem es ua heißt:

"Sie haben in der österreichischen Pensionsversicherung bis zum Ermittlungszeitpunkt, das ist der 1.1.1983, folgende Versicherungs- bzw neutrale Zeiten zurückgelegt (es folgt eine Aufgliederung von insgesamt 455 Versicherungsmonate, darunter 49 Beitragsmonate in der Pensionsversicherung der Angestellten aus der Zeit von August 1943 bis August 1947 und 55 Beitragsmonate im selben Versicherungszweig aus der Zeit von November 1948 bis Mai 1953).

Mit dieser Aufstellung haben wir aufgrund Ihrer Angaben den Versicherungsverlauf in der österreichischen Pensionsversicherung nach den zur Zeit des Ermittlungsverfahrens geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zusammengestellt. Diese festgestellten Zeiten müssen bei Eintritt des Versicherungsfalles von Ihnen nicht mehr nachgewiesen werden. Ob und in welchem Ausmaß eine Berücksichtigung für den Leistungsanspruch möglich ist, kann erst im Zuge des Pensionsfeststellungsverfahrens entschieden werden. Die Vorschriften des Ausländerrenten-Übernahmsgesetzes (ARÜG) wurden der Ermittlung der Versicherungszeiten zugrunde gelegt."

Nachdem die Klägerin für die Zeit vom 15.November 1948 bis 15. Mai 1953 Urkunden über ihre Beschäftigung vorgelegt hatte richtete die beklagte Partei an sie am 29.August 1984 ein weiteres Schreiben, in dem es ua heißt:

"Ihre in Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten vom August 1943 bis August 1947 und vom November 1948 bis Mai 1953 wurden von unserer Anstalt bereits im Entscheidungswege anerkannt und gelten nach den Bestimmungen des ARÜG als österreichische Versicherungszeiten.

Wie Sie aus der Mitteilung über Versicherungs- bzw neutrale Zeiten vom 25.Jänner 1984 ersehen können, scheinen diese Zeiten in der Aufstellung auf."

Mit Bescheid vom 24.November 1988 entschied die beklagte Partei, daß der Klägerin ab 1.Jänner 1988 eine Alterspension in der Höhe von 16.048,90 S monatlich gebührt. Dem Bescheid wurden 433 in der österreichischen Pensionsversicherung und außerdem aus der Zeit vom 28. August 1943 bis 30.August 1947 48 und aus der Zeit vom 15. November 1948 bis 15.Mai 1953 54 in der jugoslawischen Pensionsversicherung zurückgelegte Versicherungsmonate zugrunde gelegt. Diese Versicherungsmonate waren der beklagten Partei vom zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger mitgeteilt und von diesem bei der Berechnung der der Klägerin in Jugoslawien zustehenden Pension berücksichtigt worden. Die beklagte Partei errechnete gemäß Art 19 Abs 3 lit a AbkSozSi-Jugoslawien die Pension, die der Klägerin bei Berücksichtigung aller Versicherungszeiten zustehen würde, mit 19.813,40 S monatlich und den der Klägerin gemäß der nachfolgenden lit b gebührenden Teil mit 81 % des angeführten Betrages.

Die Klägerin machte in einer als Klage zu behandelnden Eingabe an die beklagte Partei geltend, daß bei der Gewährung der Pension noch von ihr nachgekaufte Versicherungszeiten zu berücksichtigen seien und daß die vom jugoslawischen Versicherungsträger berücksichtigten Versicherungszeiten auf Grund des ARÜG als in Österreich erworbene Versicherungzeiten berücksichtigt werden müßten. Es gebühre ihr daher eine (monatliche) "Vollpension" von 19.139,60 S zuzüglich der "eingekauften" Pension von 689,10 S abzüglich der ausländischen Rente von angeblich 347,50 S und abzüglich des zu gewährenden Unterschiedsbetrages auf die Vollpension.

Das Erstgericht wies das von ihm angenommene Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 1.Jänner 1988 eine höhere Alterspension als 16.048,90 S (monatlich) zu gewähren, ab. Die von der beklagten Partei vorgenommene Berechnung der Pension entspreche dem AbkSozSi-Jugoslawien. Die Bestimmungen des ARÜG seien nicht maßgebend, weil sie nur subsidiär anzuwenden seien. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die jugoslawischen Versicherungszeiten könnten gemäß § 6 Abs 4 lit b ARÜG nicht als österreichische Versicherungszeiten berücksichtigt werden.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder allenfalls "das Verfahren" zu einer neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Gemäß § 6 Abs 4 lit b ARÜG sind Zeiten nach den vorangehenden Abs 1 bis 3 (zu denen auch die hier strittigen Versicherungszeiten gehören) in der österreichischen Pensions(Renten)versicherung so weit nicht zu berücksichtigen, als sie von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle eines Staates berücksichtigt werden, mit dem die Republik Österreich eine zwischenstaatliche Vereinbarung über Pensions(Renten)versicherung abgeschlossen hat. Der Wortlaut dieser Bestimmungen enthält keinen Hinweis darauf, daß es sich bei den darin bezogenen Abkommen um Abkommen handeln muß, die zur Zeit des Inkrafttretens des ARÜG schon in Kraft standen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich eindeutig das Gegenteil. Im zweiten Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung, durch den die angeführte Bestimmung die geltende Fassung erhielt, heißt es hiezu nämlich (498 BlgNR 9.GP 2), die Bestimmung nehme Rücksicht auf den subsidiären Charakter des Gesetzes, "derzeit" im Hinblick auf den österreichisch-italienischen Sozialversicherungsvertrag. Ferner wird in den Erläuternden Bemerkungen zum § 1 der Regierungsvorlage des ARÜG, in dem - wie im geltenden Gesetz - die Wendung "unbeschadet zwischenstaatlicher Vereinbarungen" enthalten ist, ausgeführt (327 BlgNR 9.GP 13), es solle hiedurch zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich um eine vorläufige österreichische innerstaatliche Regelung handelt, die gegebenenfalls durch entsprechende zwischenstaatliche Übereinkommen mit den beteiligten Staaten abgelöst wird. Schließlich hat auch Rodler (SozSi 1962, 349) darauf hingewiesen, daß das ARÜG nicht die Absicht hat, mit seinen Begünstigungsbestimmungen auch in solchen Fällen einzugreifen, in denen schon anderweitig die aus dem Ausland stammenden Ansprüche oder Anwartschaften berücksichtigt werden. Die Subsidiarität des ARÜG besteht daher nicht nur gegenüber zwischenstaatlichen Abkommen, die zur Zeit seines Inkrafttretens schon in Kraft standen, sondern auch gegenüber erst später in Kraft tretenden zwischenstaatlichen Abkommen. Es kann auch nur bei dieser Auslegung eine ungerechtfertigte zweifache Anrechnung von Versicherungszeiten vermieden werden. Mit den Revisionsausführungen wird dem Sinn nach geltend gemacht, daß diese Auslegung zu einem gleichheits- und damit verfassungswidrigen Ergebnis führe, weil durch ein späteres Abkommen nicht Rechte eingeschränkt werden dürften, die aufgrund des ARÜG erworben worden seien. Gerade aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes JBl 1988, 442, auf die sich die Klägerin beruft, ergibt sich aber, daß die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die der Gesetzgeber zunächst eingeräumt hat, dann nicht gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn sie sachlich begründbar ist. Daß dies auf eine Regelung zutrifft, durch welche die doppelte Berücksichtigung von Versicherungszeiten verhindert werden soll, muß aber nicht näher ausgeführt werden. Es bestehen daher schon aus diesem Grund keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung mit dem dargestellten Inhalt. Die Klägerin beruft sich in der Revision schließlich noch darauf, daß die beklagte Partei die Berücksichtigung der strittigen Versicherungszeiten mit "Bescheid" vom 29.August 1984 anerkannt habe. Sie macht damit geltend, daß die Vorinstanzen die bindende Wirkung einer Entscheidung nicht berücksichtigt hätten. Das entsprechende Vorbringen in der Berufung wurde vom Berufungsgericht schon deshalb zu Unrecht als Neuerung angesehen, weil auf die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Entscheidung von Amts wegen und daher auch ohne entsprechendes Vorbringen Bedacht zu nehmen ist (Fasching, ZPR2 Rz 1539). Es muß deshalb auf die Revisionsausführungen nicht eingegangen werden, mit denen sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf eine Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht beruft.

Eine in der strittigen Frage bindende Entscheidung liegt aber nicht vor. Sie kann auf keinen Fall in dem in der Revision bezogenen Schreiben der beklagten Partei vom 29.August 1984 erblickt werden, weil daraus eindeutig hervorgeht, daß nur der Inhalt der "Mitteilung" vom 25.Jänner 1984 wiedergegeben, eine darüber hinausgehende Erklärung aber nicht abgegeben wird. Aber auch aus dieser "Mitteilung" ist für die Klägerin nichts zu gewinnen. Darin wurde nämlich ausdrücklich ein Vorbehalt in der Richtung gemacht, daß über die Frage der Berücksichtigung der festgestellten Zeiten für den Leistungsanspruch erst im Pensionsfeststellungsverfahren entschieden werden wird. Dieser Vorbehalt schließt auch die Frage ein, ob Versicherungszeiten schließlich als österreichische oder ob sie als ausländische Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind. Die von der Klägerin in diesem Punkt angenommene Bindungswirkung kann daher schon aus diesem Grund nicht vorliegen, weshalb auf den Rechtscharakter der "Mitteilung" und die Frage, ob ihr in einem anderen Punkte eine bindende Wirkung zukommen kann, nicht eingegangen werden muß.

Die Vorinstanzen haben allerdings nicht darauf Bedacht genommen, daß vom jugoslawischen Versicherungsträger aus der strittigen Zeit nur 102 Versicherungsmonate berücksichtigt wurden, während die beklagte Partei in der erwähnten "Mitteilung" in diesem Zusammenhang 104 Versicherungsmonate angeführt hat. Die beklagte Partei hat in der Klagebeantwortung zugestanden, daß diese Versicherungszeiten nach dem ARÜG erworben wurden. Sie hat sich zur Begründung dafür, daß sie die beiden weiteren Monate bei der Feststellung der der Klägerin gebührenden Pension nicht berücksichtigte, nur darauf berufen, daß sie an die vom jugoslawischen Versicherungsträger mitgeteilte Anzahl von Versicherungsmonaten gebunden sei. Darauf kommt es jedoch nicht an. Gemäß § 6 Abs 4 lit b ARÜG sind nämlich die nach diesem Gesetz erworbenen Versicherungszeiten nur so weit nicht zu berücksichtigen, als sie vom ausländischen Versicherungsträger berücksichtigt werden. Dies war hier aber nur im Ausmaß von 102 Versicherungsmonaten der Fall. Ob etwas anderes gilt, wenn Versicherungszeiten nach dem in Betracht kommenden Abkommen zu Unrecht nicht berücksichtigt wurden, ist nicht zu prüfen, weil dies weder behauptet noch sonst hervorgekommen ist. Ebensowenig muß hier erörtert werden, inwieweit eine Bindung an eine Mitteilung des jugoslawischen Versicherungsträgers über Versicherungszeiten besteht, und im Hinblick auf das Geständnis der beklagten Partei auch nicht, ob ihre eigene Mitteilung vom 25.Jänner 1984 in diesem Punkt bindend ist.

Die Klägerin hat in ihren Rechtsmitteln den Rechtsgrund des Einkaufs von Versicherungszeiten, auf den sie ihr Klagebegehren noch stützte, nicht mehr aufrecht erhalten; hierauf ist daher nicht mehr Bedacht zu nehmen (EvBl 1985/154 ua). In Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen war der beklagten Partei jedoch die Verpflichtung aufzuerlegen, bei der Feststellung der der Klägerin gebührenden Pension auch die beiden angeführten Versicherungsmonate als in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten zu berücksichtigen. Zugleich war zu beachten, daß der mit der Klage bekämpfte Bescheid hiedurch zur Gänze außer Kraft trat (vgl SSV-NF 1/1, 1/18, 2/42 ua), weshalb die beklagte Partei zur Erbringung der im Bescheid festgestellten, unbestrittenen und bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung gemäß § 108 h Abs 1 ASVG angepaßten Pensionsleistung zu verpflichten war.

Der Auftrag zur Erbringung einer vorläufigen Zahlung beruht auf § 89 Abs 2 ASGG, die Kostenentscheidung auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.

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