Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger binnen vier Wochen die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Der 64-jährige Kläger ist von der Ausbildung her Chemiker. Sein Büro befindet (gemeint wohl: befand) sich in der Radetzkystraße 14, die von ihm geführte Druckerei in der Radetzkystraße 31. Beide Räumlichkeiten gehörten zum Betrieb. Der Kläger führte den Bürobetrieb selbständig, hatte keinen Vertreter, besprach anstehende Probleme mit dem Maschinenmeister in der Druckerei, brachte Entwürfe in litographische Anstalten und übernahm gelegentlich Waren aus dem Ausland. Er hielt sich etwa zwei- bis dreimal im Tag auf eine halbe Stunde oder etwas länger im Bereich der Druckerei auf. Die restliche Arbeitszeit verbrachte er im Büro. Er erledigte die Korrespondenz allein und besuchte die Kunden, bei denen es sich um Süßwarenfabriken handelte, allein. Ferner bestellte er, was für die Druckerei erforderlich war, kalkulierte Offerte selbst und ließ sie von seiner Sekretärin schreiben. Wenn er sich auf Urlaub befand, war der Betrieb gesperrt. Wenn er im Spital war, hatte er ein Telefon am Bett und die Sekretärin kam jeden Tag mit der Post. Das Unternehmen arbeitete bis zuletzt mit Gewinn. Ein Vertreter oder ein Geschäftsführers wäre deshalb nicht möglich gewesen, weil die persönlichen Kontakte zu den Direktoren der Süßwarenfabriken für die Auftragslage von Bedeutung waren.
Dem Kläger, bei dem im psychischen Bereich deutliche Abbauzeichen, ein organisches Psychosyndrom vorwiegend mit Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie Affektlabilität bestehen, sind leichte Arbeiten, nicht aber Tätigkeiten möglich, die erhöhte geistige Fähigkeiten und eine Dispositionsfähigkeit erfordern. Er ist nicht mehr in der Lage, einen Gewerbebetrieb zu führen.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der Kläger erwerbsunfähig im Sinn des für ihn magebenden § 133 Abs 2 GSVG sei, weil seine persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen sei und er der während der letzten 60 Kalendermonate ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen könne.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und trug ihr bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von 2.000 S monatlich auf. § 133 Abs 2 GSVG sei auch auf einen Versicherten anzuwenden, der keine manuelle, sondern eine vorwiegend dispositive Tätigkeit leiste. Von einem Versicherten müsse zwar gefordert werden, wirtschaftlich zumutbare Organisationsmaßnahmen, wie die Verwendung von Hilfskräften, durchzuführen. Die beklagte Partei habe aber die Feststellung, daß die Einstellung eines Vertreters oder eines Geschäftsführers nicht möglich war, weil die persönlichen Kontakte des Klägers zu den Auftraggebern für die Auftragslage von Bedeutung waren, nicht bekämpft. Sie mache auch in der Berufung nicht geltend, daß dem Kläger eine Umorganisation seines Betriebes möglich gewesen wäre. Im Hinblick darauf, daß er die zur Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlichen Dispositionen nicht mehr treffen und diesen Mangel durch eine zumutbare Umorganisation nicht beheben könne, gelte er als erwerbsunfähig im Sinn des § 133 Abs 2 GSVG.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht oder Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 26.9.1989, 10 Ob S 252/89 (= SSV-NF 3/116 - in Druck), zur Frage der Anwendung des § 133 Abs 2 GSVG ausgeführt, daß es auf die Tätigkeit des Versicherten, also darauf, ob er zumindest teilweise oder überwiegend eine manuelle oder ob er eine rein dispositive Tätigkeit verrichtet hat, nicht ankomme. Maßgebend könne nur der Betrieb des Versicherten sein, nämlich ob nach Art und Umfang dieses Betriebes die persönliche Arbeitsleistung zu dessen rentabler Aufrechterhaltung notwendig war. Nur wenn der Betrieb ohne Mitarbeit des Versicherten wirtschaftlich nicht lebensfähig war, seien die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben. Habe aber objektiv die Möglichkeit bestanden, durch organisatorische Maßnahmen den Betrieb so zu gestalten, daß er auch ohne persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers oder Teilhabers wirtschaftlich führt werden kann - dies sei bei Groß- und Mittelbetrieben, unabhängig von ihrer Rechtsform jedenfalls anzunehmen-, dann seien die Vorraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 2 GSVG nicht erfüllt.
Diese Rechtslage wurde vom Berufungsgericht zwar richtig erkannt. Die beklagte Partei macht aber in der Revision mit Recht geltend, daß die Frage, ob der Betrieb des Klägers ohne seine Mitarbeit nicht lebensfähig war, noch nicht geklärt ist. Aus der einzig in diese Richtung gehenden Feststellung, wonach die persönlichen Kontakte des Klägers zu den Direktoren der Süßwarenfabriken für die Auftragslage "von Bedeutung" waren, ergibt sich nicht notwendig, daß es ohne diese persönlichen Kontakte zu einer für den Kläger nicht mehr zumutbaren Verringerung seines Einkommens gekommen wäre.
Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren (nähere) Feststellungen insbesondere über den Gegenstand des Unternehmens des Klägers, über die Anzahl und die Aufgaben der dort beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer, über die Höhe seines Umsatzes und Gewinnes und über die voraussichtliche Verringerung des Gewinnes bei Bestellung eines Vertreters zu treffen haben. Mit den Revisionsausführungen, mit denen die Ergänzung des Verfahrens in dieser Richtung begehrt wird, bekämpft die beklagte Partei entgegen der vom Kläger in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung nicht die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Sie macht damit vielmehr eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend (vgl EFSlg 34.501; JBl 1982, 311 ua). Es schadet daher auch nicht, daß die beklagte Partei das Fehlen der Feststellungen nicht schon in der Berufung rügte, weil nur eine in der Berufung zur Gänze unterlassene Rechtsrüge in der Revision nicht nachgetragen (SSV-NF 1/28), eine bloß unvollständige Rechtsrüge im Rahmen der in der Berufung aufrechterhaltenen Rechtsgründe (vgl EvBl 1985/154) hingegen ergänzt werden kann. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Revisionsgericht auf Grund einer dem Gesetz gemäß ausgeführten Rechtsrüge die rechtliche Beurteilung der Sache von Amts wegen innerhalb der aufrechterhaltenen Rechtsgründe nach jeder Richtung hin und damit auch in einem in der Berufung nicht geltend gemachten Punkt zu überprüfen hat (vgl die Zitate in EvBl 1985/154). Umsomehr muß es dem Revisionswerber gestattet sein, solche Punkte in der Revision geltend zu machen. Das Vorbringen, daß die Revisionsbeantwortung zur Frage der Bestellung eines Vertreters enthält, ist schon wegen des Neuerungsverbotes nicht zielführend, ganz abgesehen davon, daß es nicht bewiesen ist.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.
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