OGH 9ObA44/90

OGH9ObA44/9028.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Oder und Peter Pulkrab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl Ernst H***, ordentlicher Hochschulprofessor, Graz, Hochsteingasse 19/43, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger und Dr. Rudolf Lemesch, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Ö*** R*** Gesellschaft mbH, Wien 4.,

Argentinierstraße 30 a, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 166.563,65 brutto s.A, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Oktober 1989, GZ 7 Ra 53/89-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28.Februar 1989, GZ 34 Cga 3/89-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über die Berufung an die zweite Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war seit 1.August 1970 bei der Beklagten als Leiter der Sparte "Ernste Musik" des Landesstudios Steiermark angestellt. Daneben war er auch künstlerischer Leiter des "pro arte"-Chors und des "pro arte"-Orchesters. Nachdem die Streitteile die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses des Klägers mit 31. Dezember 1988 vereinbart hatten, wurde er von der Beklagten mit Schreiben vom 21.Dezember 1988 mit der Begründung vorzeitig entlassen, daß es bei der Produktion des "Musikprotokolls 1988" zu einer "exorbitanten Budgetüberschreitung" gekommen sei. Der Kläger behauptet, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein und begehrt von der Beklagten zuletzt (ONr 7) Zahlung einer Abfertigung in der Höhe von vorläufig drei Monatsgehältern im Gesamtbetrag von S 166.563,75 brutto sA.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß sich der Kläger bei der Gestaltung des "Musikprotokolls 1988" und bei der Engagierung des "pro arte"-Chors schwerwiegender Dienstpflichtverletzungen schuldig gemacht habe, die ihn des Vertrauens der Beklagten unwürdig erscheinen ließen. Im einzelnen brachte die Beklagte dazu vor:

1.) "Musikprotokoll 1988":

Dem Kläger sei für die Produktion des "Musikprotokolls 1988" ein Budgetrahmen von S 850.000,-- vorgeschrieben worden. Er habe der ihm unterstellten Dienstnehmerin Ingrid C*** die Weisung erteilt, die sachgemäße Vorkalkulation dieser Veranstaltung mit Ausgaben von 1,2 Mio S so zu ändern, daß diese schließlich auf S 838.000,-- verringert wurden. Diese Kalkulation habe der Kläger auch in einem persönlichen Gespräch mit seinem Vorgesetzten, dem Landesintendanten Wolfgang L*** vertreten. Der Landesintendant habe ausdrücklich auf der Einhaltung dieses Budgetrahmens bestanden. Eine vorläufige Zwischenabrechnung im Zeitpunkt der Entlassung habe aber Kosten in Höhe von S 1,26 Mio ergeben. Der Kläger habe somit die Beklagte bewußt in Irrtum geführt und geschädigt.

2.) "pro arte"-Chor:

Das Personalbüro der Beklagten habe am 15.Dezember 1988 erfahren, daß der Kläger in Verdacht stehe, seine Doppelfunktion als Spartenleiter der Beklagten und als Leiter des "pro arte-"Chors zu seinem persönlichen wirtschaftlichen Vorteil ausgenützt zu haben. Dieser Chor habe von der Beklagten in den Jahren 1980 bis 1988 Aufträge ohne Kostenvoranschläge, Rechnungen oder sonstige Kalkulationsgrundlagen erhalten. Der Kläger habe die Höhe des Honorars stets selbst bestimmt. Die stichprobenartige Überprüfung eines einzelnen Auftrages habe ergeben, daß einem Gesamtrechnungsbetrag von S 82.940,-- nur S 69.540,-- für diverse Leistungen (Verwaltung, Sängerhonorare) gegenüberstanden. Auch unter der Annahme, daß ein Teil des Restbetrages als Umsatzsteuer abzuführen war, ergebe sich ein Rest von S 6.000,--, der auf das dem Kläger zuzurechnende Konto geflossen sei, obwohl die Chorleitertätigkeit des Klägers jeweils von der Beklagten gesondert honoriert worden sei.

Der Kläger erwiderte, die Generalintendanz habe dem Landesstudio Steiermark seit 1968 für das "Musikprotokoll" stets ein Sonderbudget in Höhe von jährlich S 1,250.000,-- zur Verfügung gestellt. Er habe mit dem Landesintendanten und dem Verwaltungsdirektor der Beklagten vereinbart, abwechselnd ein "volles" Musikprotokoll und im jeweiligen Folgejahr eine "Retrospektive" zu veranstalten, bei der rund S 400.000,-- eingespart und beim nächstjährigen "vollen" Musikprotokoll zusätzlich ausgegeben worden seien. Außerdem habe er mit zusätzlichen Mitteln aus dem Budget der Hörfunkintendanz und von Sponsoren rechnen können.

FÜr seine Tätigkeit als Leiter des "pro arte"-Chors habe er niemals auch nur einen Groschen begehrt oder erhalten. Der Landesintendant habe die jeweiligen Honorarforderungen des Ensembles genehmigt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Produktion des "Musikprotokolls" wurde in einem Zweijahresrhythmus jeweils als volles Programm und im darauffolgenden Jahr als "Retrospektive" veranstaltet. Das Jahresbudget betrug 1986 S 850.000,--, 1987 S 1,650.000,-- und 1988 S 850.000,--, das durchschnittliche Jahresbudget sohin S 1,250.000,--. Die Budgets der Jahre 1986 und 1987 wurden um S 482.000,-- bzw S 542.000,-- überzogen. Die Abdeckung dieser Überziehungen erfolgte durch Sponsoren, durch Abzweigen von Geldern aus anderen Sparten oder durch einen internen Ausgleich. Im Juni 1988 führte der mit 1.Mai 1988 als Nachfolger von Emil B*** neu bestellte Landesintendant der Beklagten, Wolfgang L***, mit dem Kläger eine Vorbesprechung über die Abwicklung des "Musikprotokolls 1988". Der Kläger legte eine Aufstellung über die zu erwartenden Ausgaben in Höhe von S 838.000,-- vor und erklärte ausdrücklich, den vorgegebenen Rahmen von S 850.000,-- einzuhalten. Der (neue) Landesintendant hätte lediglich einen Ermessensspielraum von 10 bis 15 % akzeptiert.

Während des Gesprächs verwies der Kläger auf die bei der Budgeterstellung der Vorjahre eingehaltene Übung, insbesondere darauf, daß die Hörfunkintendanz für Musikübertragungen ein weiteres jährliches Budget von S 200.000,-- zur Verfügung gestellt habe und daß Gelder aus dem allgemeinen Budget für die Abdeckung von Überziehungen in der Sparte des Klägers herangezogen wurden. Wolfgang L*** gab jedoch klar zu erkennen, daß er nicht bereit sei "nach Wien zu gehen" oder Sponsoren aufzutreiben, wie dies früher der Fall war.

Der Kläger rechnete jedoch nach wie vor mit einem zusätzlichen Betrag von S 200.000,-- aus Wien und war daher der Meinung, "den Ausgabenrahmen von S 850.000,--" (gemeint wohl: nachteilweiser Abdeckung der Ausgaben mit dem zusätzlich erhofften Betrag) "einhalten zu können, da er beispielsweise Produktionen des Musikprotokolls ins normale Budget übernahm".

Die Programmitarbeiterin des Klägers, Ingrid C***, erstellte auf der Grundlage der Zahlen des "Musikprotokolls 1987" eine Vorkalkulation für 1988 in Höhe von ursprünglich S 1,187.000,--. Da dieser Betrag um etwa S 330.000,-- über dem vorgegebenen Rahmen von S 850.000,-- lag, gab der Kläger den Auftrag, den Voranschlag zu kürzen; dies geschah im wesentlichen durch Verringerung der Künstlerhonorare, der Reisespesen, der Personalkosten und Saalmieten sowie durch die Erhöhung der zu erwartenden Einnahmen. Es war jedoch zu erwarten, daß dieser Voranschlag, so wie in den Vorjahren, nicht eingehalten werden konnte. Am letzten Tag der Veranstaltung des "Musikprotokolls 1988" versuchte der Kläger, Honorare auf das von der Hörfunkintendanz erhoffte weitere Budget von S 200.000,-- umzuwidmen, erhielt jedoch von Ingrid C*** die Mitteilung, daß dieses Konto gesperrt sei. Das teilte er auch dem Landesintendanten mit (mit dem er Kommunikationsschwierigkeiten hatte, so daß er für ihn praktisch nicht erreichbar war); es erfolgte jedoch keine Reaktion.

Wenn "pro arte"-Chor und "pro arte"-Orchester für die Beklagte tätig waren, wurden die vom Kläger bekanntgegebenen pauschalierten Honorarsätze von der Beklagten anstandslos akzeptiert. Insbesondere erhob der Landesintendant dagegen keinen Einwand. Der Kläger war für das Konto des "pro arte"-Chors zeichnungsberechtigt, entnahm jedoch für sich keine Beträge. Wenn er selbst tätig war, erhielt er von der Beklagten ein Künstlerhonorar.

Bei einem Gespräch des Landesintendanten Wolfgang L*** mit dem Nachfolger des Klägers in der ersten Novemberhälfte 1988 ergab sich, daß die Abrechnung des "Musikprotokolls 1988" nicht in Ordnung war. Wolfgang L*** erteilte dem kaufmännischen Leiter der Beklagten, Mag. Peter M***, und dem Nachfolger des Klägers den Auftrag, eine vorläufige Abrechnung zu erstellen. Diese ergab für den Landesintendanten "ein erschreckendes Bild", weil die Ansätze bei einzelnen Posten (Saalmieten, Ausgaben für Personal) eigenmächtig erweitert worden waren. Bereits im November 1988 war erkennbar, daß mit einer Budgetüberziehung "von einigen hunderttausend Schilling" zu rechnen sein werde. Am 21.Dezember 1988 beantragte der Landesintendant beim Generalintendanten in Wien schriftlich die Entlassung des Klägers, die noch am selben Tag ausgesprochen wurde. Das Erstgericht war der Ansicht, der Kläger habe zwar trotz gegenteiliger Zusage den Budgetrahmen des "Musikprotokolls 1988" überzogen, habe jedoch so wie in den Vorjahren in etwa gleicher Größenordnung mit Budgetzuschüssen zur Abdeckung der Überziehung rechnen dürfen. Hätte ihm die Beklagte die Möglichkeit eingeräumt, auf die Abwicklung der Abrechnung Einfluß zu nehmen, so hätte er einige Rechnungen sicher kürzen können. Er habe somit nicht gegen Dienstgeberinteressen verstoßen. Außerdem habe die Beklagte die Entlassung verspätet ausgesprochen, weil der Landesintendant seit Ende November 1988 von der eklatanten Bugdetüberschreitung Kenntnis gehabt, sich aber trotzdem mit dem Antrag auf Entlassung bis 21. Dezember 1988 Zeit gelassen habe. Eine Bereicherung des Klägers aus Honoraren des "pro arte"-Chors sei nicht erwiesen. Im Berufungsverfahren brachte die in erster Instanz nicht qualifiziert vertretene Beklagte (§ 40 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und § 63 Abs. 2 ASGG) unter teilweiser Wiederholung bereits behaupteter Tatsachen neu vor, daß dem Kläger bekannt gewesen sei, daß die Beklagte im Jahre 1988 Überziehungen nicht dulden werde. Der Kläger habe das Budget des "Musikprotokolls 1988" bewußt manipuliert. Er habe Honorare in Höhe von S 70.000,-- nicht in das Budget aufgenommen; beim Instrumentenaufwand habe sich eine Differenz von S 85.000,-- und bei der Saalmiete von S 44.000,-- ergeben; für technische und personelle Leistungen des Grazer Kongreßzentrums habe der Kläger in das Budget keine Ansätze aufgenommen. Er hätte wissen müssen, daß diese Berechnung unrealistisch war. Die Einnahmen habe er doppelt so hoch (als realistisch gewesen wäre) angesetzt. Grundlage für die Vereinbarung des jeweiligen Honorars mit den "pro arte"-Ensembles seien die Angaben des Klägers über die Zahl und Dauer der Proben gewesen. Der Kläger habe über die Dauer der Proben und die Honorare der Chormitglieder unrichtige Angaben gemacht. Er habe Ingrid C*** beauftragt, bei den Proben jeweils drei Stunden einzusetzen, obwohl die Chormitglieder weniger Probenarbeit leisteten und auch vergütet erhielten. Der Kläger habe sich immer nur auf jene Sätze berufen, die der ORF direkt verpflichteten Sängern gezahlt habe. Daß gegenüber den Ensemblemitgliedern eine andere Verrechnung üblich gewesen sei, habe die Beklagte erst am 16. Dezember 1988 erfahren. Er habe seinem Nachfolger das Ensemble auf der Basis von S 400,-- bis S 450,-- zuzüglich Umsatzsteuer je Probe und Sänger angeboten; dieser habe aber von der Administratorin des "pro arte"-Chors, Adelheid K***, bereits erfahren gehabt, daß die Sänger für diese Leistung nur S 250,-- inclusive Umsatzsteuer erhielten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das Ersturteil. Es war der Ansicht, daß die Beklagte die Budgetüberziehung durch den Kläger verspätet als Entlassungsgrund geltend gemacht habe, weil dem Landesintendanten schon im November bekannt geworden sei, daß das Budget des "Musikprotokolls" um einige hunderttausend Schilling überzogen worden war. Es hätte daher vor dem Aussprechen der Entlassung keiner weiteren Erhebungen mehr bedurft. Der Auftrag zur Erstellung einer vorläufigen Abrechnung sei überflüssig gewesen. Auf die umfangreiche Beweis- und Feststellungsrüge zur Frage des Vorliegens eines Entlassungsgrundes sei daher nicht mehr einzugehen. Die zum Thema der Honorarverrechnung des "pro arte"-Chors vorgebrachten Neuerungen seien unerheblich. Die Beklagte habe den Honorarforderungen des "pro arte"-Chors jeweils zugestimmt. Eine Verletzung der Treuepflicht durch den Kläger hätte nur darin liegen können, daß er der Beklagten Honorarangebote unterbreitet habe, von denen er im vorhinein gewußt habe, daß für ihn nach Deckung aller Aufführungskosten ein Mehrbetrag übrig bleiben werde. In allen andern Fällen sei die Frage der Aufteilung des Honorars auf die Mitglieder des "pro arte"-Chors eine interne Angelegenheit dieser Vereinigung. Nur wenn der Kläger seine Doppelfunktion zu seinem persönlichen Vorteil ausgenützt hätte, wäre sein Verhalten dienstpflichtwidrig. Eine solche Situation sei aber nicht feststellbar, weil der Kläger von dem Konto, auf das der Konzerterlös überwiesen worden sei, nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichtes nichts für sich abgebucht habe. Soweit die Beklagte in ihrem neuen Vorbringen in der Berufung das Gegenteil behaupte, sei dies "wider besseres Wissen" geschehen, da sich aus der Beilage 3 ergebe, daß das Konto 3400-800-318 nicht auf den Kläger, sondern auf das "pro-arte"Ensemble laute. Daß der Kläger der Beklagten im vorhinein bewußt überhöhte Chorhonorare bekannt gegeben habe, um die Differenz für sich zu behalten, sei auch im Berufungsverfahren nicht vorgebracht worden. Die bloße Behauptung, die Überweisungsbeträge seien höher gewesen als die einzelnen Sängerhonorare, sei für sich allein unerheblich, so daß es auch der Vernehmung der Adelheid K*** und der Aufnahme eines Sachverständigenbeweises aus dem Buchhaltungsfache nicht bedurft habe. Konkreter Gegenstand des Entlassungsstreites sei nur das Eggenberger Schloßkonzert des "pro arte-Chors" vom 11.Juli 1988. Die Beklagte beantrage unzulässige Ausforschungsbeweise. Auch das neue Vorbringen, daß sich das Honorar des Chors nach der Anzahl der Proben und Aufführungsstunden gerichtet habe, diese Stunden aber vom Chor nicht zur Gänze geleistet worden seien, sei unerheblich. Aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten Mitwirkendenvertrag zwischen dem "pro-arte"-Chor und der Beklagten für das Schloßkonzert vom 11.Juli 1988 ergebe sich, daß für die Aufführung ein Pauschalhonorar vereinbart worden sei. Von der Proben- und Aufführungsdauer sei darin keine Rede. Im übrigen wäre eine zu kurze Probezeit dem Chor und nicht dem Kläger anzulasten. Zu welchen Bedingungen der Kläger den Chor seinem Nachfolger angeboten habe, sei ohne Relevanz.

Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die bekämpfte Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht oder das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hilfsweise stellt sie einen Abänderungsantrag.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Da die Beklagte in erster Instanz nicht qualifiziert vertreten war (§ 40 Abs 1 iVm Abs 2 Z 1 ASGG), durfte sie gemäß § 63 Abs 1 ASGG in zweiter Instanz "Tatumstände und Beweise, die nach Inhalt des Urteils und der sonstigen Prozeßakten in erster Instanz nicht vorgekommen sind", ohne die in § 482 Abs 2 ZPO bezeichnete Beschränkung in der Berufungsschrift und gemäß § 63 Abs 2 ASGG bis zum Schluß der mündlichen Berufungsverhandlung geltend machen. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß dieses neue Vorbringen der Beklagten für die rechtliche Beurteilung der Sache nicht erheblich sei, ist nicht zu folgen. Die Beklagte hat in der Berufung deutlich vorgebracht, daß der Kläger in der Doppelfunktion als Spartenleiter der Beklagten und als Leiter der "pro arte"-Ensembles sich bei den Engagements dieser beiden Ensembles immer nur auf jene Sätze berufen habe, die der ORF direkt verpflichteten Sängern zahlt, und daß die Angaben des Klägers über die Zahl und Dauer der Proben Grundlage für die Vereinbarung des jeweiligen Honorars gewesen seien, daß aber an die Mitglieder des Ensembles wesentlich geringere Beträge ausgezahlt worden seien. Da diese Honorarsätze jenen der anderen Engagements entsprochen hätten, sei dies der Beklagten erst aufgefallen, als der Kläger seinem Nachfolger die Weiterbeschäftigung der "pro arte"-Ensembles auf der Basis von S 400,-- bis S 450,-- zuzüglich Umsatzsteuer je Probe und Sänger angeboten habe, der Nachfolger aber von der Administratorin des "pro arte-Chors", Adelheid K*** bereits erfahren hatte, daß die Sänger für diese Leistung von "pro arte" nur S 250,-- inclusive Umsatzsteuer erhielten. Auch das Honorar, das auf versäumte Proben von Chormitgliedern entfallen sei, habe der Kläger nicht ausgezahlt, wohl aber verrechnet. Diese Differenzen seien dem Kläger zugekommen, obwohl er für seine Tätigkeit - wie schon in erster Instanz festgestellt - von der Beklagten gesondert honoriert worden sei. Damit hat aber die Beklagte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ein Vorbringen erstattet, aus dem sich - unabhängig davon, ob sie mit den vom Kläger jeweils vorgeschlagenen Honoraren einverstanden gewesen war (weil diese Honorare ja denen vom ORF für direkt verpflichtete Sänger gezahlten entsprachen und weil der ORF mit der Erbringung der zugrunde gelegten Probentätigkeit rechnen durfte) - eine grobe Verletzung von Treuepflichten ergeben konnte. Es widerspricht der Aktenlage, daß das Berufungsgericht dieses Vorbringen nur auf das Eggenberger Schloßkonzert des "pro arte"-Chors vom 11.Juli 1988 bezog, obwohl die Beklagte schon in erster Instanz von der "stichprobenartigen Überprüfung eines Auftrages" gesprochen, im übrigen aber die Vorgangsweise des Klägers in seiner Doppelfunktion ganz allgemein

geschildert hatte (vgl die Wendungen: "... stets selbst Honorar

bekanntgegeben ..." ... "Chorleistungen des Klägers jeweils

gesondert honoriert ..." usw.). Auch das neue Vorbringen in der Berufung läßt klar erkennen, daß sich die Vorwürfe der Beklagten nicht auf die Abrechnung des Schloßkonzertes vom 11.Juli 1988 beschränkten (vgl die Worte: "Grundlage für die Vereinbarung des jeweiligen Honorars ..." "Kläger berief sich immer nur auf ORF-Sätze ..." "Es ergaben sich regelmäßig Differenzen"). Das geht im übrigen auch aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten Aktenvermerk Beilage 5 hervor.

Es verletzt fundamentale Verfahrensgrundsätze, die Berufung einer Partei auf zulässiges neues Vorbringen mit der Begründung zurückzuweisen, dieses Vorbringen widerspreche dem Inhalt einer gleichzeitig vorgelegten Urkunde und sei daher "wider besseres Wissen" unrichtig erstattet worden, wenn diese Urkunde nicht mit den Parteien in der Berufungsverhandlung erörtert und im Rahmen der Prozeßleitung (§ 182 Abs 1 ZPO) der Versuch zur Aufklärung (vermeintlicher) Widersprüche versucht wird und die zum selben Vorbringen beantragten weiteren Beweisaufnahmen (Seite 81) einfach übergangen werden. Im übrigen hat die Beklagte den maßgeblichen Sachverhalt zum Eggenberger Schloßkonzert vom 11.Juli 1988 schon in erster Instanz vorgetragen und dort von einem "dem Kläger zuzurechnenden Konto" gesprochen. Erst im Zuge der Ergänzung dieses Vorbringens in der Berufung behauptete sie, daß der Restbetrag auf ein Konto des Klägers überwiesen wurde. Entscheidend ist aber nicht, auf welchen Namen das Konto lautete, sondern ob dem Kläger tatsächlich Überschüsse aus den Konzerten der "pro arte"-Ensembles für den ORF zugeflossen sind, obwohl er für die Tätigkeit bei diesen Konzerten vom ORF gesondert entlohnt wurde. Der leicht aufzuklärende Widerspruch in den Prozeßbehauptungen der Beklagten war daher kein Grund, sich mit dem gesamten neuen Vorbringen nicht zu befassen. Einen Verfahrensmangel bildete es auch, daß das Berufungsgericht im Wege vorgreifender Beweiswürdigung aus dem mit den Parteien nicht erörterten Mitwirkendenvertrag den Schluß zog, das Honorar des Chors könne sich nicht nach der Anzahl der Proben und Aufführungen gerichtet haben, weil in diesem Vertrag davon nicht die Rede sei, und auf diese Art wiederum die Unerheblichkeit und Unrichtigkeit des erstatteten neuen Vorbringens ohne Durchführung eines Beweisverfahrens zu begründen versucht.

Wenn es im ORF für bestimmte künstlerische Leistungen "Haushonorare" (vgl Beilage 5) nach bestimmten Berechnungsrichtlinien gibt - und darauf läuft ja das Vorbringen der Beklagten deutlich hinaus -, schließt das nicht aus, daß in einem nach diesen Richtlinien erstellten Mitwirkendenvertrag nur mehr ein Pauschalhonorar aufscheint, dessen Festsetzung eben das Ergebnis der (unternehmensinternen) Anwendung bestimmter Richtlinien ist. Die Erwägungen des Berufungsgerichtes sind daher nicht geeignet, die Unerheblichkeit des im Berufungsverfahren erstatteten neuen Vorbringens zu begründen. Was den zweiten Entlassungsgrund ("Budgetüberschreitung Musikprotokoll 1988") betrifft, hat sich der Kläger weder in erster Instanz noch in der Berufungsbeantwortung und in der mündlichen Berufungsverhandlung (§ 63 Abs 2 ASGG) auf eine verspätete Geltendmachung des Entlassungsrechtes berufen, so daß das Berufungsgericht auch hier auf die zum Entlassungsgrund vorgebrachten Neuerungen einzugehen hatte, ohne von einer Verspätung der Entlassung ausgehen zu dürfen.

Diese beschränkten sich allerdings im wesentlichen auf die Herausstellung besonders auffallender Überziehungsposten, bei denen es dem Kläger hätte möglich sein müssen, von vorneherein realistische Ausgaben festzusetzen, und auf den zeitlichen Ablauf der Ereignisse. Die Begründung des Berufungsgerichtes, daß sich die Richtigkeit der erstgerichtlichen Feststellung: "bereits im November 1988 war erkennbar, daß mit einem Budget-Überzug (richtig: Überziehung) von einigen hunderttausend Schilling zu rechnen war", auch "aus dem gleichlautenden Berufungsneuvorbringen ergibt", ist aktenwidrig. Die Beklagte hat nämlich die diesbezügliche Feststellung des Erstgerichtes ausdrücklich bekämpft (S 7 Abs. 7 der Berufung) und neu vorgebracht, daß der (Landes-)Intendant der Beklagten im November 1988 von Frau C*** erstmals darüber informiert wurde, daß mit einem "kräftigen Budgetüberzug" zu rechnen sei. Unabhängig davon, ob der Landesintendant im November schon von einer Budgetüberziehung "von mehreren hunderttausend Schilling" oder nur - weniger konkret - von einer "kräftigen" Budgetüberziehung erfahren hat, hätte der bisher festgestellte Sachverhalt auch zur Beurteilung der Frage, ob die Beklagte das Entlassungsrecht rechtzeitig geltend gemacht hat, nicht ausgereicht. Für den Fall, daß diese Frage im zweiten Rechtsgang von Bedeutung werden sollte, sei darauf verwiesen, daß der Ausspruch der Entlassung nur bei offenkundigen Entlassungsgründen keinen Aufschub duldet. Wenn aber ein vorerst undurchsichtiger, zweifelhafter Sachverhalt vorliegt, den der Arbeitgeber mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst gar nicht aufklären kann, muß ihm das Recht zugebilligt werden, bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände zuzuwarten (RdA 1984/10; ZAS 1978/7 uva). Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, konnte die Budgetdifferenz sowohl auf einer entschuldbaren Fehlkalkulation des Klägers als auch auf einer bewußt weisungswidrigen Planung beruhen. Ob der Landesintendant dies schon im November 1988 auf Grund seines damaligen Wissensstandes verläßlich beurteilen konnte, steht nicht fest. Es ist daher naheliegend, daß die vom Landesintendanten damals angeordnete Erstellung einer vorläufigen Abrechnung des Musikprotokolls, notwendig war, um die Ursachen für die nur global bekannte Budgetüberschreitung festzustellen und danach zu beurteilen, ob dem Kläger diese Umstände als grobe Dienstpflichtverletzung vorzuwerfen waren.

Eine Aufhebung des Ersturteils zur Verhandlung und Entscheidung über das neue Vorbringen ist nicht statthaft (Kuderna, ASGG 353). Da das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben ist, war die Entscheidung der zweiten Instanz aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Berufungsverfahrens zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.

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