OGH 10ObS11/90

OGH10ObS11/9027.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (Arbeitgeber) und Karl Klein (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hildegard D***, Pensionistin, 1110 Wien, Fuchsröhrenstraße 36/6, vertreten durch Dr. Margarethe Scheed, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer

Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.September 1989, GZ 32 Rs 167/89-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5.Mai 1988, GZ 10 Cgs 75/88-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 5.5.1944 geborene Klägerin, die seit 1.9.1984 die Invalitätspension (samt Ausgleichszulage) bezieht, leidet an einer Hüftversteifung rechts nach tuberkulöser Coxitis. Als Folge bildete sich ein Hohlkreuz mit deutlicher Bewegungseinschränkung und ein Verkürzungshinken rechts. Die Klägerin ist imstande, sich selbst an- und auszuziehen; Strümpfe kann sie nur mit Hilfsmitteln anziehen, zum Schnüren der Schuhe benötigt sie fremde Hilfe. Schnürschuhe, im besonderen orthopädische Schuhe mit Verkürzungsausgleich, sind medizinisch angezeigt. Die Klägerin kann sich zwar auch ohne Verkürzungsausgleich fortbewegen, aber nur mit erheblichen Schmerzen. Sie kann sich waschen, die Toilette aufsuchen, einfache Speisen zubereiten, die dazu notwendigen Lebensmittel (bis zu einem Gewicht von 3 kg) herbeischaffen und mit einer solchen Belastung Stiegen steigen. Sie kann über den Baderand steigen und die oberflächliche Reinigung der Wohnung wie Staubwischen und Bodenkehren durchführen, braucht aber eine Stielschaufel. Für die groben Reinigungsarbeiten, Fensterputzen und Bodenreiben, zum Waschen der Großwäsche und zum Nägelschneiden am rechten Fuß benötigt sie fremde Hilfe. Es ist ihr nicht möglich, heiße Asche oder Glut vom Boden aufzuheben, die Aschenlade zu entfernen und auszuleeren. Brennmaterial im Ofen kann sie dann anzünden, wenn sie sich mit ausgestreckten Beinen auf einen Sessel setzt. Die Klägerin beheizt ihre Wohnung aus finanziellen Gründen mit einem Kohleofen. Das Warmwasser bezieht sie von den Heizbetrieben. Das Wohnhaus ist mit einem Lift ausgestattet. Das Erstgericht wies das auf Gewährung des Hilflosenzuschusses ab 12.1.1987 gerichtete Klagebegehren ab. Für die Tätigkeiten, zu deren Durchführung die Klägerin Hilfe bedürfe, reiche die Heranziehung einer Haushaltshilfe von durchschnittlich einer Stunde täglich aus; das Waschen der Bett- und Tischwäsche falle etwa alle zwei Wochen an. Es ergebe sich ein Hilfebedarf von etwa 30 Stunden im Monat, was bei einem Stundenlohn von etwa S 80,-- eine finanzielle Belastung von annähernd S 2.500,-- im Monat ausmache. Da die Aufwendungen in dieser Höhe den monatlichen Durchschnitt des Hilflosenzuschusses nicht erreichten, sei die Klägerin nicht hilflos. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen des geltend gemachten Verfahrensmangels, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einwandfreier Beweiswürdigung und billigte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof schon in seiner Grundsatzentscheidung zum Hilflosenzuschuß ausgeführt hat (SSV-NF 1/46 = SZ 60/223), liegt ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann vor, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß, wobei die üblicherweise aufzuwendenden Kosten nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig (§ 273 ZPO) festzustellen sind. An dieser Auffassung hat der Oberste Gerichtshof in der Folge festgehalten (SSV-NF 3/34 ua). Die Unfähigkeit, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen, kann nur in dem Umfang Hilflosigkeit iS des § 105 a ASVG begründen, als der Ausfall der erforderlichen Wartung und Hilfe dazu führen würde, daß der Pensionist in absehbarer Zeit sterben oder verkommen oder gesundheitliche Schäden erleiden würde. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein eher strenger Maßstab an das Ausmaß fremder Hilfe anzulegen und diese nur insoweit zu berücksichtigen, als sie unumgänglich notwendig ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin haben die Vorinstanzen den erforderlichen Zeitaufwand für fremde Hilfe großzügig bemessen; er ist nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs niedriger.

Der Klägerin ist zumutbar, sich beim Anziehen von Strümpfen einer Strumpfzange zu bedienen (vgl. SSV-NF 2/142). Das Schnüren der Schuhe erfordert einen nur geringen Zeitaufwand und kann bei anderen Hilfeleistungen mitbesorgt werden. Brennmaterial wird im großstädtischen Bereich ohne besondere Mehrkosten ins Haus geliefert, sodaß hiefür ein zusätzlicher Aufwand kaum entsteht. Selbst wenn man davon ausfeht, daß die Klägerin - trotz der Möglichkeit mit Fernwärme zu heizen - aus finanziellen Gründen mit einem Kohleofen heizt und daher zum Feuermachen und Ausräumen des Kohleofens während der Heizperiode, zum Schuheschnüren und zu den nur in größeren Zeitabständen anfallenden groben Reinigungsarbeiten und Waschen der Großwäsche fremde Hilfe benötigt, ist auszuschließen, daß die hiefür im Jahresdurchschnitt erforderlichen Kosten die Höhe des monatlichen Hilflosenzuschusses auch nur annähernd erreichen. Bei Beurteilung dieser Frage in sinngemäßer Anwendung des § 273 ZPO besteht auch für den Obersten Gerichtshof ein Ermessensbereich (vgl. SSV-NF 3/72). Dazu bedarf es der von der Revisionswerberin vermißten Tatsachenfeststellungen, etwa über den Stundenlohn der groben Arbeiten, nicht. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO); in erster Linie werden hier Feststellungsmängel behauptet, die aber aus rechtlichen Erwägungen nicht gegeben sind. Was den Einwand betrifft, der Stundenlohn sei von den Vorinstanzen überhaupt zu niedrig angenommen worden, so ist zu bemerken, daß er erheblich über dem kollektivvertraglichen Mindestlohn für Hausgehilfinnen liegt; davon abgesehen, braucht im vorliegenden Fall gar nicht auf den monatlichen Durchschnitt des Hilflosenzuschusses abgestellt zu werden (vgl. SSV-NF 3/72), weil die aufzuwendenden Kosten auch den Mindesthilflosenzuschuß ohne Einbeziehung der Sonderzahlungen nach § 105 ASVG nicht erreichen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte