OGH 10ObS42/90

OGH10ObS42/9027.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (AG) und Karl Klein (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Willi Attila K***, ohne Beschäftigung, 1096 Wien, Thurngasse 3, vertreten durch Dr. Michael Buresch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien,

Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Oktober 1989, GZ 34 Rs 143/89-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.März 1989, GZ 6 Cgs 77/88-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da schon in der Berufung behauptete, vom Berufungsgericht aber verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates auch in Sozialrechtssachen in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden können (SSV-NF 1/32; 2/19, 24; 3/7, 18 uva), liegt die diesbezüglich geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) nicht vor (§ 510 Abs. 3 leg cit). Zur in der Revision kritisierten Ausführung des Berufungsgerichtes, eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens setze Verstöße oder Unterlassungen in der Aufnahme beantragter Beweise voraus, die der Berufungswerber in der ersten Instanz gerügt habe und die eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache verhinderten, ist darauf hinzuweisen, daß sich diese Ausführung nur auf nach § 196 ZPO rügepflichtige Mängel beziehen kann, also auf die Verletzung verzichtbarer Vorschriften (Abs. 2 leg cit), die das Verfahren, insbesondere die Form einer Prozeßhandlung betreffen (vgl auch Fasching, ZPR2 Rz 797). Der erkennende Senat hat auch dagegen, daß das ASGG die Bestimmungen über das Neuerungsverbot nach § 482 ZPO im § 63 nur in Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs. 1 und über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als nicht anwendbar erklärt, sofern es sich um ein Vorbringen einer Partei handelt, die bisher in keiner Lage des Verfahrens durch eine qualifizierte Person vertreten war, nicht aber auch unter denselben Voraussetzungen in Sozialrechtssachen, aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit keine Bedenken.

Im Besonderen Teil der Erläuterungen der Regierungsvorlage betreffend das Bundesgesetz über die Sozialgerichtsbarkeit 7 BlgNR 16. GP wurde zum § 81, der die für das Berufungsverfahren in Sozialleistungsstreitsachen geltenden Besonderheiten betraf und - anders als der das Rechtsmittelverfahren in Arbeitsrechtsstreitsachen regelnde § 55 der RV keine Nichtanwendung der Bestimmungen über das Neuerungsverbot nach § 482 ZPO vorsah, ausgeführt (59, 60):

"Die für Arbeitsrechtsstreitsachen vorgeschlagene besondere (im Vergleich zu heute wesentlich eingeschränkte) Neuerungszulässigkeit (§ 55 Abs. 1 Z 1) war hier nicht vorzusehen. Ihr steht im Ergebnis schon die (freilich nur) für die Sozialleistungsstreitsachen vorgeschlagene sukzessive Kompetenz entgegen. Darüber hinaus bestünde für die besagte Neuerungszulässigkeit auch kaum ein ins Gewicht fallender, nicht ohnedies abgedeckter Anwendungsbereich; dies schon mit Rücksicht auf den (nur) für die Sozialleistungsstreitsachen vorgeschlagenen, für weite Bereiche geltenden Wegfall der Pflicht zur Präzisierung des Klagebegehrens (§ 73 Abs. 2 und 3), die Pflicht des Gerichtes, dem Versicherten das für ihn Günstigste zuzusprechen (§ 73 Abs. 4), die Amtswegigkeit des Beweisverfahrens (§ 78 Abs. 1), die verstärkte Pflicht des Erstgerichts, den Gesundheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz seinem Urteil zugrunde zu legen (§ 77, ...) sowie die wesentlich erleichterte Möglichkeit einer neuen Klagsführung wegen einer Änderung (Verschlechterung) des Gesundheitszustandes des Versicherten (§§ 60 und 90 Z 6; ...)."

Die in den zit Erläuterungen erwähnten Unterschiede zwischen dem Verfahren in Arbeitsrechtsstreitsachen und dem in Sozialleistungsstreitsachen nach dem Entwurf bestehen auch zwischen dem Verfahren in Arbeitsrechtssachen und dem in Sozialrechtssachen nach dem ASGG (vgl §§ 82, 86, 87 Abs. 1, 68).

Diese wesentlichen Unterschiede rechtfertigen eine unterschiedliche Regelung des Neuerungsverbotes in diesen beiden Verfahrensarten. Der Gesetzgeber ist durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg 5727 ua) und wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich unterschiedlich zu regeln (VfSlg 8806 ua). Daher sind nur unterschiedliche Regelungen gleichheitswidrig, die nicht durch entsprechende tatsächliche Unterschiede begründet sind (VfSlg 8600 ua).

Der erkennende Senat sieht daher keinen Anlaß, beim Verfassungsgerichtshof den vom Revisionswerber angeregten Antrag nach Art 89 Abs. 2 B-VG zu stellen.

Das Berufungsgericht hatte daher die Bestimmungen über das Neuerungsverbot nach § 482 ZPO anzuwenden, nach dessen Abs. 2 Hs 1 Tatumstände und Beweise, die nach Inhalt des Urteils und der sonstigen Prozeßakten in erster Instanz nicht vorgekommen sind, von den Parteien im Berufungsverfahren nur zur Dartuung oder Widerlegung der geltend gemachten Berufungsgründe vorgebracht werden dürfen. Auch in diesem Zusammenhang liegt die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) nicht vor (§ 510 Abs. 3 leg cit). Der nicht berechtigten Revision war daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19; 2/26, 27 ua).

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