OGH 10ObS1/90

OGH10ObS1/9027.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmayer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (AG) und Karl Klein (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1.) Elfriede S***, Angestellte, 4864 Abtsdorf Nr. 92,

2.) mj. Nicola S***, Schülerin, ebendort, 3.) mj. Peter S***, Schüler, ebendort, Zweit- und Drittkläger vertreten durch die Erstklägerin als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei A*** U***, 1203 Wien, Webergasse 4, vertreten durch

Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Hinterbliebenenrente, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Oktober 1989, GZ 13 Rs 133/89-15, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24. April 1989, GZ 24 Cgs 209/88-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den Klägern die mit S 1.543,50 bestimmten Revisionskosten (darin S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Ing. Peter S***, der Ehemann der Erstklägerin und Vater der Zweit- und Drittkläger, ist an den Folgen der Verletzungen, die er bei einem Autounfall am Karsamstag, dem 2. April 1988 gegen 23,30 Uhr auf der Westautobahn in Fahrtrichtung Salzburg bei Straßenkilometer 226,375 im Gemeindegebiet von Aurach am Hongar erlitten hatte, verstorben. Er war bei der Firma ING. H*** H*** in Wien (Werkzeugmaschinen und Werkzeuge) als Verkaufsingenieur beschäftigt. Seine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter bestand in einer akquirierenden und kundenberatenden bzw. betreuenden Reisetätigkeit. Am Unfallstag hatte Ing. S*** um 18.30 Uhr eine geschäftliche Besprechung mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der Firma F*** Gesellschaft mbH. Friedrich A*** in dessen Büro in Gschwandt (bei Gmunden). Bei diesem Treffen, das etwa eineinhalb bis zwei Stunden dauerte, wurde über einen möglichen Auftrag gesprochen. Im Anschluß an dieses Gespräch fuhr Ing. S*** mit dem PKW zum Flughafen Gschwandt. Er besaß den Segelflugschein und nahm damals an einem Vorbereitungskurs für den Privatpilotenschein teil. Mit seinem Dienstgeber Ing. H*** hatte er vereinbart, daß dieser etwa die Hälfte der Kosten zum Erwerb des Privatpilotenscheins zahlen sollte, da Ing. S*** diesen Privatpilotenschein auch zugunsten der Firma H*** nützen wollte. Als Ing. S*** am Flugplatz Gschwandt ankam, unterhielt er sich mit dem Obmann des Flugringes Traunsee Herbert L*** und fragte diesen, ob Ing. M*** da sei. L*** antwortete, Ing. M*** sei bis jetzt nicht dagewesen. Ob Ing. S*** daraufhin fragte, ob er noch komme bzw. ob er sagte, er würde auf Ing. M*** warten, steht nicht fest. Jedenfalls half Ing. S*** bis etwa 23 Uhr Herbert L*** mit kleineren Handgriffen bei der Reparatur eines Flugzeuges (eines Motorseglers). Für den 2. April 1988 war nämlich ein Arbeitseinsatz angesagt, hinsichtlich dessen auch Ing. M*** zunächst gemeint hatte, er würde vielleicht kommen. Ing. M*** ist Konsulent der Firma M*** S*** AG, an die Ing. S*** drei Maschinen verkauft hatte; mit der Vermittlung dieser Aufträge hatte Ing. M*** allerdings nichts zu tun. Er unterhielt sich jedoch mit Ing. S*** manchmal darüber, wie es mit den Maschinen gehe bzw. wer für die verschiedenen Bereiche in der Firma zuständig sei. Ing. M*** hatte jedoch keinerlei Einfluß auf die Aktivitäten der Firma M*** in bezug auf die betreffenden Maschinen. Ob in der Zeit vor dem 2. April 1988 Verhandlungen zwischen Ing. S*** und der Firma M*** stattgefunden haben, steht nicht fest. Ing. M*** hält sich des öfteren auch am Abend am Flughafen Gschwandt auf. Üblicherweise ist 20.30 Uhr der späteste Zeitpunkt, zu dem er zum Flughafen kommt, ausnahmsweise kommt er manchmal auch noch gegen 23 Uhr. Was Ing. S*** am 2. April 1988 von Ing. M*** wollte, steht nicht fest. Gegen 23 Uhr war der Arbeitseinsatz am Flughafen beendet und Ing. S*** begab sich mit seinem PKW auf den Heimweg, auf dem es schließlich zum tödlichen Unfall kam.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 1988 lehnte die beklagte Partei die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach dem am 2. April 1988 verstorbenen Ing. Peter S*** ab.

Dagegen erhoben die Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, ihnen auf Grund des Arbeitsunfalles ihres Ehemannes bzw. Vaters die Hinterbliebenenrenten im gesetzlichen Ausmaß zu leisten. Sie brachten vor, daß Ing. S*** auf dem Heimweg von einer geschäftlichen Besprechung tödlich verunglückt sei, so daß ein Arbeitsunfall vorliege.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, der Heimweg des Ing. S*** vom Flughafen Gschwandt könne weder als Heimweg von der Arbeit noch als solcher von der Ausbildungsstätte gewertet werden. Es stehe nämlich nicht fest, daß er am Flughafen Gschwandt tatsächlich eine geschäftliche Tätigkeit entfaltet habe. Auch als Heimweg von einer Ausbildungsstätte könne die Fahrt vom Flughafen nach Hause nicht angesehen werden, da an diesem Tag keine Ausbildung stattgefunden habe. Das Mithelfen bei der Reparatur eines Flugzeuges habe weder der Ausbildung zum Privatpiloten noch geschäftlichen Zwecken gedient. Selbst wenn Ing. S*** tatsächlich eine geschäftliche Besprechung mit Ing. M*** am Flughafen vorgehabt habe, wäre ein Arbeitsunfall deshalb nicht anzunehmen, weil der Zusammenhang zwischen der beabsichtigten geschäftlichen Besprechung und dem Heimweg durch den mehrstündigen Aufenthalt am Flughafen mit Ausübung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit unterbrochen wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger -

abgesehen vom Kostenpunkt - nicht Folge. Es schloß sich der Auffassung an, daß - wenn nicht schon durch eine kürzere Unterbrechung eine Risikoerhöhung eintrete - grundsätzlich eine zwei Stunden übersteigende Unterbrechung eines Betriebs- oder Arbeitsweges zur Vornahme eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten den Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung endgültig löse, es sei denn, besonders berücksichtigungswürdige Umstände würden den Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit trotz einer längeren Wegunterbrechung rechtfertigen; dies müßte freilich vom Versicherten behauptet und bewiesen werden. Die Fahrt des Ing. S*** nach Gschwandt, um mit dem Geschäftsführer der Firma F*** ein Gespräch über die Anbahnung eines Geschäftes zu führen, sei als Dienstreise zu werten und daher unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Hingegen sei der den Klägern obliegende Nachweis, daß der anschließende Besuch des Ing. S*** auf dem Flugplatz Gschwandt der Vornahme einer dienstlichen Tätigkeit dienen hätte sollen, nicht gelungen, da nicht feststehe, aus welchen Gründen Ing. S*** an diesem Tag Ing. M*** gesucht habe. Es sei den Klägern insoweit nicht einmal ein Anscheinsbeweis gelungen, weil nicht feststehe, daß zum damaligen Zeitpunkt konkrete Geschäftsanbahnungen zwischen der Firma M*** und Ing. S*** gelaufen seien und überdies Ing. M*** mit dem Einkauf von Maschinen für die Firma M*** überhaupt nicht befaßt gewesen sei. Daß Ing. S*** auf dem Flughafen mit den dort verkehrenden Personen gelegentlich auch geschäftliche Gespräche geführt habe, könne seinem Besuch am 2. April 1988 keinen ursächlichen Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit verschaffen. Andernfalls wäre ein Außendienstvertreter etwa einer Versicherung, der sich mehr oder weniger ständig bemühe, Versicherungsverträge anzubahnen, dauernd auf einem Betriebsweg. Dies würde aber eine unzumutbare Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes bedeuten. Die bloße Absicht der Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit begründe noch keinen Unfallversicherungsschutz (SSV-NF 2/2). Der Aufenthalt Ing. S*** am Flugplatz Gschwandt in der Zeit von 20 oder 20.30 Uhr bis 23 Uhr sei daher mit seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung nicht im Zusammenhang gestanden. Damit seien berücksichtigungswürdige Gründe, die die mindestens zweieinhalbstündige Verzögerung seiner Heimfahrt rechtfertigen würden, nicht nachgewiesen. Der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei endgültig gelöst worden und habe auch für den Rest des Weges nicht wieder aufgelebt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist nicht berechtigt.

Versichert nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sind Unfälle auf Wegen zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte -

sofern sie mit der Erwerbstätigkeit zusammenhängen. Grund dieses Schutzes ist der Umstand, daß es der Versicherte nicht vermeiden kann, sich den Weggefahren auszusetzen, will er seiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Im Vordergrund der Beurteilung, ob eine Erwerbstätigkeit vorliegt, stehen dabei Ausübungshandlungen des Versicherten, daß sind Handlungen, die durch zwei Bedingungen charakterisiert sind: Die Tätigkeit muß einem vernünftigen Menschen (objektiv) als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen und sie muß vom Handelnden (subjektiv) in dieser Intention entfaltet werden (Tomandl, SV-System 4. ErgLfg. 279, 292 ff; SSV-NF 2/143 ua). Im vorliegenden Fall war die Fahrt des Ing. S*** von seiner Wohnung in Abtsdorf nach Gschwandt, um ein Gespräch über die Anbahnung eines Geschäftes zu führen, unstrittig als Dienstreise zu werten. Hingegen konnte der anschließende Besuch auf dem Flugplatz Gschwandt bei objektiver Betrachtung nicht mehr als Ausübung seiner Erwerbstätigkeit erscheinen. Ing. S***, der damals an einem Vorbereitungskurs für den Privatpilotenschein teilnahm, unterhielt sich nach seinem Eintreffen mit dem Obmann des Flugrings Traunsee; er fragte ihn nach der Anwesenheit eines ihm bekannten, bereits pensionierten und nebenberuflichen Konsulenten eines Unternehmens, an das er seinerzeit drei Maschinen verkauft hatte, ohne daß jener einen Einfluß auf die Aktivitäten seiner Firma hatte, und der, wie sich aus seiner Zeugenaussage ergibt, als Hobbyflieger oft auf dem Flughafen anwesend war. Anschließend half Ing. S*** bei der Reparatur eines Motorseglers, zumal für den damaligen Tag ein sogenannter Arbeitseinsatz angesagt war. Am Ende dieses Arbeitseinsatzes gegen 23 Uhr trat er die Heimfahrt an. Objektiv stellt sich der abendliche Besuch auf dem Flugplatz als eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar. Das Mithelfen bei der Reparatur eines Flugzeuges kann, wie schon das Erstgericht zutreffend ausführte, weder mit der angestrebten Ausbildung zum Privatpiloten, noch mit geschäftlichen Zwecken in Zusammenhang gebracht werden. Daß Ing. S*** mit den auf dem Flughafen verkehrenden Personen gelgentlich auch geschäftliche Gespräche geführt hatte, vermag seiner Anwesenheit am Abend vor dem Unfall keinen Konnex mit seiner Erwerbstätigkeit zu verschaffen; insoweit ist dem Berufungsgericht voll beizupflichten (vgl. auch SSV-NF 3/61, 3/67). Was nun die subjektive Komponente anlangt, so haben die Vorinstanzen nach eingehender Prüfung der Beweisergebnisse nicht feststellen können, daß der Besuch des Ing. S*** auf dem Flugplatz zur Vornahme einer dienstlichen Tätigkeit bestimmt war; alle Revisionsausführungen, die hier betriebliche Motive zugrundelegen, gehen daher nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Das Berufungsgericht hat vielmehr zutreffend erkannt, daß der Aufenthalt des Ing. S*** auf dem Flugplatz mit seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung (oder Ausbildung) in keinem Zusammenhang stand. Daraus folgt, daß er seinen Rückweg von der geschäftlichen Besprechung in Gschwandt nach Hause in einer Dauer von mindestens zweieinhalb Stunden unterbrochen hat.

Eine Unterbrechung eines geschützten Weges und damit eine Unterbrechung des Versicherungsschutzes für die Dauer der Unterbrechung ist dann anzunehmen, wenn im Zug des Weges eigenwirtschaftliche Angelegenheiten verrichtet werden; solche Tätigkeiten sind vom Versicherungsschutz nicht umfaßt. Nach der Unterbrechung ist der weitere Weg versichert. Bei einer Unterbrechung des Weges von dem Ort der Tätigkeit lebt der Versicherungsschutz nur in Ausnahmefällen dann nicht auf, wenn aus Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg von dem Ort der Tätigkeit geschlossen werden kann. Die den endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes bewirkende Lösung des Zusammenhanges darf nicht allein danach beurteilt werden, welche Zeitdauer die vom Versicherten in seinem Heimweg eingeschobene private Verrichtung beansprucht hat; maßgebend sind vielmehr die näheren Umstände, welche diese Verrichtung nach Art und Dauer im Einzelfall kennzeichnen, wobei das Zeitmoment nur eines von mehreren Wesensmerkmalen ist (Brackmann, Handbuch der SV II

72. Nachtrag 487 g, h k; Lauterbach, Unfallversicherung 38. LFg 277; SSV-NF 3/61, 3/65, 10 Ob S 226/89 ua). Das deutsche Bundessozialgericht hat allerdings mit Recht der Zeitdauer der Unterbrechung als ein der Rechtssicherheit dienendes Kriterium in seiner neueren Rechtsprechung stärker als bisher eine besondere Bedeutung beigemessen (Nachweise bei Brackmann aaO). Nach der zuletzt veröffentlichten Judikatur des Obersten Gerichtshofes wurde etwa in der vier Stunden währenden Teilnahme an einer Abschiedsfeier schon wegen der langen Dauer dieser privaten Verrichtung eine endgültige Lösung des Zusammenhanges mit der Erwerbstätigkeit angenommen (SSV-NF 3/61), nicht aber in der Unterbrechung einer vierstündigen Autofahrt durch einen längstens eineinhalbstündigen Gasthausbesuch (SSV-NF 3/65). Im gegenständlichen Fall ist die mindestens zweieinhalb Stunden währende Unterbrechung des Heimwegs unter Bedachtnahme auf die während der Unterbrechung vorgenommenen Verrichtungen (Mithilfe bei der Reparatur eines Motorseglers) als endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg vom Ort dieser Tätigkeit anzusehen, so daß der anschließende Heimweg nicht mehr unter Versicherungsschutz stand.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage iS des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG abhing, entspricht es der Billigkeit, den unterlegenen Klägern die Hälfte der Kosten ihres Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 1/66, 2/29 ua).

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