Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung des Klägers unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
Der Kläger war im Verfahren vor dem Erstgericht durch einen Arbeitnehmer der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien vertreten, dem zwar nicht Prozeßvollmacht erteilt, der aber gegenüber dem Erstgericht auch zur Empfangnahme von Schriftstücken bevollmächtigt worden war. Er wurde im Verfahren vor dem Erstgericht bei einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung durch einen weiteren Arbeitnehmer der angeführten Kammer für Arbeiter und Angestellte vertreten, der eine Substitutionsvollmacht vorlegte. Das Erstgericht wies das Klagebegehren, das auf Gewährung einer Invaliditätspension unter Berücksichtigung bestimmter Versicherungszeiten gerichtet ist, ab. Auf dem Rückschein der Sendung, die das Urteil des Erstgerichtes enthielt, wurde als Empfänger der Arbeitnehmer der angeführten Kammer, dem der Vertreter des Klägers Substitutionsvollmacht erteilt hatte, bezeichnet. Die Sendung wurde am 27. Jänner 1989 in der Kammer einer Person ausgefolgt, die nach dem auf dem Rückschein angebrachten Vermerk "Postbevollmächtigter für RSb-Briefe" war.
Das Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers, die beim Erstgericht am 27. Februar 1989 überreicht wurde, als verspätet zurück.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Kläger gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist berechtigt.
Auf Grund der vom Obersten Gerichtshof veranlaßten Erhebungen steht folgendes fest:
Die das Ersturteil enthaltene Sendung wurde von einer Angestellten der Poststelle der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien übernommen; ihr war weder vom Empfänger noch vom Vertreter des Klägers Postvollmacht erteilt worden. Eine solche Vollmacht wird den Angestellten der Poststelle nur für Sendungen erteilt, die für die angeführte Kammer bestimmt sind. Das Urteil des Erstgerichtes kam dem Vertreter des Klägers am 30. Jänner 1989 zu. Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, gemäß § 9 Abs 1 ZustG diese Person als Empfänger zu bezeichnen. Da der Vertreter des Klägers auf dem Rückschein der Sendung, die das Urteil des Erstgerichtes enthielt, nicht als Empfänger bezeichnet wurde, obwohl er im Sinn der angeführten Gesetzesstelle Zustellungsbevollmächtigter des Klägers war, bewirkte die Ausfolgung der Sendung an die Angestellte der Poststelle auf keinen Fall die Zustellung.
Wird der Zustellungsbevollmächtigte nicht als Empfänger bezeichnet, so gilt die Zustellung gemäß § 9 Abs 1 letzter Satz ZustG in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Hier kann dahingestellt bleiben, ob die dargestellte Regelung über den Zeitpunkt der Zustellung nur dann maßgebend ist, wenn der Vollmachtgeber als Empfänger des Schriftstücks bezeichnet wurde, oder ob sie auch in den Fällen gilt, in denen das Schriftstück an eine andere Person gerichtet ist, wobei die Rechtsprechung für solche Fälle die Heilung von Zustellmängeln durch das Zukommen des Schriftstücks bisher immer abgelehnt hat (JBl. 1969, 612; EvBl. 1986/144). Das Schriftstück ist dem Zustellungsbevollmächtigten nämlich erst am 30. Jänner 1989 zugekommen. Selbst wenn die Zustellung mit diesem Tag als vollzogen zu gelten hätte, wäre die am 27. Februar 1989 beim Erstgericht überreichte Berufung noch innerhalb der gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 464 Abs 1 ZPO offenstehenden Berufungsfrist von vier Wochen und somit rechtzeitig eingebracht worden.
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers daher zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen.
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