OGH 10ObS360/89

OGH10ObS360/8923.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Rudda und Dr. Röbert Göstl (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth G***, Pensionistin,

2225 Windisch-Baumgarten 7, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz,

Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

S*** DER B***, Ghegastraße 1, 1031 Wien, vor

dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen S 49.242,60 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 1989, GZ 32 Rs 148/89-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. Dezember 1988, GZ 19 Cgs 526/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.544 bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt die beklagte Partei schuldig zu erkennen, Pflegegebühren von S 49.242,60 für den Aufenthalt im Privatkrankenhaus "Sanatorium Parkvilla" in Bad Vöslau vom 16. Jänner 1988 bis 9. März 1988 zu ersetzen. Die beklagte Partei lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, der Aufenthalt sei medizinisch nicht notwendig und unaufschiebbar gewesen, es liege ein Asylierungsfall vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß die Klägerin vom 15. Mai bis 21. Mai 1987 in der Internen Abteilung des Krankenhauses Mistelbach mit der Diagnose Diabetes mellitus, Hypertonie, Cholecystolithiasis, Nierencyste links, Hepatomegalie und Depressio in senio war. Auf Grund ihres Zustandes wurde eine Unterbringung in einem Pflegeheim vorgeschlagen. Vom 7. Jänner bis 13. Jänner 1988 befand sich die Klägerin neuerlich in der Internen Abteilung des Krankenhauses Mistelbach mit der schon angeführten Diagnose zuzüglich eines Status post Insult mit Hemiparese rechts (1986), die Aufnahme erfolgte wegen Vertigo und Verdacht auf Harnweginfarkt. Die Klägerin konnte am 13. Jänner 1988 in gebessertem Allgemeinzustand wieder entlassen werden. Vom 16. Jänner 1988 bis 9. März 1988 war die Klägerin ohne Einweisung durch die beklagte Partei in stationärer Behandlung im Privatkrankenhaus Sanatorium Parkvilla in Bad Vöslau. Die Diagnose lautete Diabetes mellitus, Hypertonie, Psoriasis, Hepatomegalie, Adipositas, Cholecystolithiasis, Nierencyste links und Depressio in senio. Die Aufnahme erfolgte zur Durchführung einer Physikotherapie, nachdem es zuletzt zu einer Verschlechterung der Beweglichkeit des rechten Armes und des rechten Beines mit zwischenweiser Eß- und Bewegungsunfähigkeit gekommen war. Die Klägerin wurde mit Infusionen, physikalischer Therapie, Bädern, Gruppengymnastik, speziellen Gehübungen und Reizstrom behandelt. Sie sprach gut auf die Therapie an und konnte in deutlich gebessertem Zustand entlassen werden. Der Aufenthalt im Privatkrankenhaus war aus medizinischer Sicht krankheitsbedingt und notwendig, da er eine Besserung der bei der Klägerin bestehenden Leiden gebracht hat. Unaufschiebbar war die Behandlung aus medizinischer Sicht jedoch nicht. Die Behandlung hätte auch in einem öffentlichen Krankenhaus vorgenommen werden können.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß der Versicherungsträger dem Versicherten einen Kostenzuschuß zur Anstaltspflege in einem Privatkrankenhaus ohne Einweisung durch diesen nach § 93 BSVG nur dann zu gewähren habe, wenn die Anstaltspflege notwendig und unaufschiebbar sei. Die Anstaltspflege der Klägerin sei zwar notwendig, aber nicht unaufschiebbar gewesen, es bestehe daher kein Anspruch auf Ersatz der Pflegekosten bzw. auf einen Kostenzuschuß.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und auch dessen rechtliche Beurteilung. Auf den vorliegenden Fall seien nicht die Bestimmungen des § 88 BSVG, sondern jene für stationäre Krankenbehandlung, hier als lex specialis § 93 BSVG anzuwenden. Anstaltspflege werde nach § 92 BSVG grundsätzlich als Sachleistung gewährt, eine Geldleistung komme nur in den in § 93 BSVG vorgesehenen Fällen in Betracht, wenn die Anstaltspflege notwendig und unaufschiebbar gewesen sei. Unaufschiebbar sei sie nur dann, wenn der geistige und körperliche Zustand einer Person wegen Lebensgefahr oder der Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordere. Dies sei nach den Feststellungen aber nicht der Fall gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Gemäß § 75 Z 2 BSVG sind aus dem Versicherungsfall der Krankheit an Leistungen, Krankenbehandlung (§§ 83 bis 87) und Hauskrankenpflege (§ 94), erforderlichenfalls Anstaltspflege (§§ 89 bis 93) zu gewähren.

Die Anstaltspflege als Pflichtleistung bezweckt, ebenso wie die Krankenbehandlung im Sinne des § 83 BSVG, die Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Selbsthilfefähigkeit. Sie tritt aber insofern hinter die Krankenbehandlung zurück als sie als Krankenversicherungsleistung erst beansprucht werden kann, wenn eine (ambulante) Krankenbehandlung nicht mehr erfolgversprechend erscheint (Binder in Tomandl, System, 3. ErgLfg. 219); denn § 89 Abs. 1 BSVG bestimmt, daß Pflege in der allgemeinen Gebührenklasse einer öffentlichen Krankenanstalt zu gewähren ist (soferne im Sprengel der für den Erkrankten zuständigen Landesstelle eine solche Krankenanstalt besteht und der Erkrankte nicht mit seiner Zustimmung in einer nicht öffentlichen Krankenanstalt untergebracht wird) "wenn und solange es die Art der Krankheit erfordert". § 22 Abs. 2 KAG bestimmt, daß die Aufnahme von Pfleglingen auf anstaltsbedürftige Personen und auf Personen, die sich einem operativen Eingriff unterziehen, beschränkt ist. Als anstaltsbedürftig im Sinne des Abs. 2 gelten gemäß Abs. 3 Personen, deren auf Grund ärztlicher Untersuchung festgestellter geistiger oder körperlicher Zustand die Aufnahme in Krankenanstaltspflege erfordert, sowie Personen, die ein Sozialversicherungsträger oder ein Gericht im Zusammenhang mit einem Verfahren über Leistungssachen zum Zwecke einer Befundung oder einer Begutachtung in die Krankenanstalt einweist.

Nach den Feststellungen war die Anstaltspflege der Klägerin aus medizinischer Sicht notwendig. Diesen Standpunkt hat die Klägerin im Verfahren auch immer vertreten und die für die Dauer ihres Aufenthaltes im Sanatorium Parkvilla aufgelaufenen Pflegegebühren (laut Beilage ./A 54 Tage a S 911,90) geltend gemacht, nicht aber einen Kostenzuschuß zu einer durchgeführten Krankenbehandlung begehrt. Unter der Anstaltspflege ist eine einheitliche und unteilbare Gesamtleistung zu verstehen (Binder in Tomandl, System 3. Erg.Lfg. 218 f). Gemäß § 27 Abs. 1 KAG (§ 44 Abs. 1 Nö KAG) sind mit den vom Versicherungsträger zu zahlenden Pflegegebühren der allgemeinen Gebührenklasse alle Leistungen der Krankenanstalt - mit Ausnahme der in § 27 Abs. 2 und § 27 a genannten - abgegolten. Neben Unterkunft und Verpflegung auch ärztliche Untersuchungen und Behandlung, Beistellung der erforderlichen Hilfsmittel und therapeutischen Behelfe (Binder in Tomandl, System 4. Erg.Lfg. 225). Eine gesonderte Verrechnung einzelner Heilmittel oder Heilbehelfe kommt nicht in Betracht.

Für die Gewährung von Anstaltspflege kommen in erster Linie die öffentlichen Krankenanstalten, eigene Krankenanstalten der Versicherungsträger und sonstige nichtöffentliche Krankenanstalten in Betracht, mit denen der Versicherungsträger in einem Vertragsverhältnis steht (§§ 91 und 92 BSVG). In diesen Fällen gewährt der Versicherungsträger die Anstaltspflege als Sachleistung. Wird ein Versicherter in einer privaten, in keinem Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsträger stehenden Krankenanstalt ohne Einweisung durch den Versicherungsträger untergebracht, so hat der Versicherungsträger dem Versicherten gemäß § 93 BSVG einen Kostenzuschuß zur Anstaltspflege zu gewähren, wenn die Anstaltspflege notwendig und unaufschiebbar war. Diese Voraussetzungen sind dann gegeben, wenn Anstaltsbedürftigkeit im Sinne des § 22 Abs. 3 KAG (§ 39 Abs. 3 Nö KAG) und Unabweisbarkeit im Sinne des § 22 Abs. 4 KAG (§ 39 Abs. 4 Nö KAG) vorliegen. Als unabweisbar sind danach Personen zu betrachten, deren geistiger und körperlicher Zustand wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordert (vgl. Binder aaO, 4. Erg.Lfg. 224, 225, Gehrmann-Fürböck-Teschner ASVG Anm. 2 zu § 150). Ist eine notwendige stationäre Behandlung nicht unaufschiebbar, muß sich ein Versicherter, wenn er eine Behandlung in einer privaten Krankenanstalt ohne Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsträger in Anspruch nehmen will, um dessen Einweisung (Ausstellung eines Kostenverpflichtungsscheines) bemühen, will er nicht des Kostenzuschusses verlustig gehen. Auf die Frage des Verschuldensgrades bei der Einholung der Zustimmung des Versicherungsträgers kommt es nicht an. Die Tatsache, daß die Pflegegebühren der Privatkrankenanstalt im Einzelfall jenen öffentlicher Krankenanstalten entsprechen, vermag daran nichts zu ändern, denn selbst wenn Anspruch auf einen Kostenzuschuß besteht, darf dieser gemäß § 93 Abs. 2 BSVG die Kosten nicht übersteigen, die dem Versicherungsträger in der nach Art und Umfang der Einrichtungen und Leistungen in Betracht kommenden, zunächst gelegenen öffentlichen Krankenanstalt erwachsen wären. Diese Differenzierung zwischen öffentlichen und privaten Krankenanstalten einerseits sowie die Tatsache andererseits, daß in § 88 BSVG für einen Kostenzuschuß bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes das Erfordernis der Unaufschiebbarkeit der (nicht stationären) Krankenbehandlung nicht gefordert wird, erscheint auch verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Um das Öffentlichkeitsrecht zu erlangen, sind eine ganze Reihe von Voraussetzungen, wie die Gemeinnützigkeit, die Erfüllung der nach dem KAG auferlegten vielfältigen, Pflichten, der gesicherte Bestand und zweckmäßige Betrieb, eine juristische Person als Rechtsträger u.a. zu erfüllen (§ 15 KAG), die die medizinische Versorgung der Bevölkerung nach sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten sicherstellen sollen. Um eine möglichst ökonomische Vorgangsweise sicherzustellen, steht den Versicherungsträgern sowohl bei öffentlichen wie auch bei privaten in einem Vertragsverhältnis zum Versicherungsträger stehenden Krankenanstalten zur Überprüfung, ob die ihnen im Rahmen der Anstaltspflege erwachsenen Kosten durch die erbrachten Leistungen gerechtfertigt sind, eine Reihe von Kontrollrechten zu. Sie sind befugt, in alle den Krankheitsfall betreffenden Unterlagen der Anstalt Einsicht zu nehmen, sowie den Erkrankten im Einvernehmen mit der Krankenanstalt durch einen beauftragten Facharzt untersuchen zu lassen (§ 91 Z 3 BSVG). Mit dem Betrieb von Krankenanstalten sind so hohe Kosten verbunden, die unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte nicht zur Gänze von den Versicherten getragen werden können, daß es sachlich gerechtfertigt erscheint, den Versicherungsträgern außer bei Unaufschiebbarkeit des notwendigen stationären Aufenthaltes neben den genannten Kontrollrechten in erster Linie die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen und nicht von Geldleistungen einzuräumen. Dies ermöglicht einen ökonomischen Einsatz der von der Allgemeinheit mitfinanzierten Krankenanstalten und deren optimale Auslastung im Interesse einer sozialen medizinischen Versorgung der gesamten Bevölkerung. Bei der nicht stationären Krankenbehandlung, welche in der Regel doch einen wesentlich geringeren finanziellen Aufwand und öffentliche Mittel erfordert, konnte sich der Gesetzgeber im Interesse des Grundsatzes der freien Arztwahl zur Sicherstellung ökonomischen Verhaltens des Arztes mit der Vorschrift des § 83 Abs. 2 BSVG begnügen, daß die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muß, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf und daß ein Kostenzuschuß bei Krankenbehandlung nicht durch die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen nur in jener Höhe gebührt, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre (§ 88 Abs. 1 BSVG).

Da die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung auf sachlich gerechtfertigten Unterschieden im Tatsächlichen beruht, bestehen gegen die Verfassungsgemäßheit der Bestimmungen des § 93 Abs. 1 BSVG keine Bedenken, weshalb der Oberste Gerichtshof keine Veranlassung für eine Vorgangsweise nach Art. 140 B-VG sieht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Da der Oberste Gerichtshof zur Frage des Kostenzuschusses an den Versicherten bei Anstaltspflege gemäß § 93 BSVG bisher noch nicht Stellung genommen hat, konnten der Klägerin die halben Revisionskosten nach Billigkeit zugesprochen werden (SSV-NF 1/66).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte