OGH 1Ob502/90

OGH1Ob502/9017.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Franz G***, geboren am 16.Dezember 1984, infolge Revisionsrekurses der Mutter Ingrid W***, Hausfrau, Lieboch, Ackergasse 21, vertreten durch Dr.Manfred Thorenig, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 13.November 1989, GZ 1 R 459/89-51, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 13.Oktober 1989, GZ 1 P 218/86-31, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 7.10.1986 übertrug das Erstgericht dem unehelichen Vater Franz J*** (geboren 1930) die Pflege und Erziehung seines Sohnes. Am 19.4.1988 beantragte die Mutter Ingrid W*** (geboren 1944) die Pflege und Erziehung ihres Sohnes nun ihr zu übertragen, doch zog sie diesen Antrag am 13.12.1988 zurück, weil sie die Lebensgemeinschaft mit dem Vater wieder aufgenommen habe. Am 18.5.1989 beantragte sie erneut die Übertragung der Pflege und Erziehung des Kindes an sie mit der Begründung, das Kind sei im Rahmen der Lebensgemeinschaft mit dem Vater ohnedies ihr anvertraut; am 27.6.1989 begehrte sie die Entscheidung, daß ihr die Obsorge für das Kind künftig allein zukomme, und am 10.10.1989 beantragte sie, ihr die Pflege und Erziehung des Minderjährigen vorläufig bis zur Endentscheidung zu übertragen. Hiezu führte sie aus, der Vater sei als Vertreter viel unterwegs, vernachlässige deshalb die Betreuung des Kindes, spreche übermäßig dem Alkohol zu und sei sexuell abartig; so habe er ihre Töchter Hermine (geboren am 29.9.1966) und Roswitha S*** (geboren am 16.9.1969) vor etwa drei Jahren sexuell belästigt. Der Vater sprach sich gegen diese Anträge aus. Das Erstgericht übertrug in Stattgebung des Antrages der Mutter vorläufig ihr die Obsorge für den Minderjährigen in den Teilbereichen Pflege und Erziehung. Es stellte fest, die Mutter lebe zwar in bescheidenen, aber doch ordentlichen Verhältnissen. Die meisten ihrer Beziehungen zu Männern seien vom Alkoholmißbrauch des Partners, von Eifersuchtsszenen, Gewalttätigkeiten sowie von Trennung und Versöhnung geprägt gewesen. Derzeit sei die Mutter entschlossen, künftig ihren Haushalt selbständig zu führen und ihre Kinder in häuslichem Frieden aufzuziehen. Sie sei nun in der Lage, auch den Minderjährigen zu versorgen und die Erziehungsaufgaben ihren Möglichkeiten entsprechend wahrzunehmen. Der Vater sehe sich bei der Erziehung des Kindes vor großen Problemen, weil er nebenberuflich viel unterwegs sei. Bei einem Hausbesuch des zuständigen Sozialarbeiters seien allerdings die Pflege und Erziehung des Kindes in Ordnung befunden worden. Nach den glaubwürdigen Angaben der Mutter müsse das Kind den Vater häufig auf dessen beruflichen Fahrten begleiten und sei somit immer wieder auf den Aufenthalt in Gasthäusern angewiesen. Der Vater habe die drei Töchter der Mutter aus ihrer ersten Ehe sexuell belästigt, einmal auch vor einer dieser Töchter onaniert und die Mutter auf deren Vorhaltungen wegen dieses Verhaltens gefragt, ob sie etwa auf ihre Töchter eifersüchtig sei.

Rechtlich meinte das Erstgericht, auf Grund dieser Feststellungen sei anzunehmen, daß das Wohl des Kindes gefährdet wäre, müßte es weiterhin bei seinem Vater verbleiben. Deshalb erscheine es angezeigt, das Kind vorläufig der Mutter in Pflege und Erziehung zu übergeben.

Das Rekursgericht wies den Antrag der Mutter auf vorläufige Übertragung der Obsorge (in den Teilbereichen Pflege und Erziehung) an sie ab. Stünden die Elternrechte einem Elternteil allein zu, dürften sie diesem gemäß § 176 ABGB nur dann entzogen werden, wenn er durch sein Verhalten das Kindeswohl gefährde. Auch als vorläufige Verfügung bis zur endgültigen Entscheidung über die Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten sei eine solche Maßnahme gemäß § 176 ABGB nur unter der Voraussetzung zulässig, daß sie im Einzelfall zur Beseitigung akuter Gefährdung des Kindes erforderlich sei. Ohne zwingenden Grund dürfe der endgültigen Entscheidung durch Schaffung eines auch nur vorläufigen Zustandes, der geeignet wäre, den Ausgang in der Hauptsache zu beeinflussen, nicht vorgegriffen werden. Im Anlaßfall sei ein das Kindeswohl akut gefährdendes Verhalten des Vaters nicht hervorgekommen. Im Bericht der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg vom 29.9.1989 werde die von der Mutter behauptete Gefährdung des Minderjährigen für den Fall, daß er bei seinem Vater bleiben müsse, sogar ausdrücklich verneint. Die nicht überprüfte Aussage der Mutter zeige zwar sexuelle Entgleisungen des Vaters auf, diese lägen aber selbst nach ihren Angaben schon Jahre zurück und hätten keine unmittelbare Auswirkungen auf den nunmehr Vierjährigen gehabt. Es seien auch keine solchen Umstände hervorgekommen, die auf die mangelnde Eignung oder den fehlenden Willen des Vaters, seiner Verpflichtung zur Betreuung des Kindes nachzukommen, schließen ließen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist nicht berechtigt. Die vom Erstgericht auf deren Antrag getroffene Verfügung war eine vorläufige Maßnahme, mit welcher es die Pflege und Erziehung des Kindes dem Vater entzog und der Mutter übertrug. Diese inhaltlich einer einstweiligen Verfügung im Sinne der Exekutionsordnung entsprechende Maßnahme sollte bis zur Entscheidung über die Anträge der Mutter gelten, die Obsorge für das Kind dem Vater endgültig zu entziehen und ihr zu überlassen. Zutreffend verweist das Rekursgericht in diesem Zusammenhang darauf, daß die Obsorge dem Elternteil, dem sie allein zusteht, gemäß § 176 ABGB nur dann entzogen werden darf, wenn dieser Elternteil durch sein Verhalten das Kindeswohl gefährdet (EFSlg 54.002 uva). Dies muß umsomehr für vorläufige Maßnahmen dieses Inhalts gelten, weil durch derartige - an sich zwar zulässige - Verfügungen dem Verfahren zur endgültigen Zuweisung der Obsorge nicht ohne zwingende Notwendigkeit vorgegriffen werden darf, zumal nach gesicherter Erkenntnis jeder Wechsel in der Person des Erziehungsberechtigten dem Kind zum Nachteil gereicht. Eine Verfügung, wie sie das Erstgericht traf, setzt demnach besondere Umstände voraus, die im Interesse des Kindes eine sofortige Entscheidung gebieten (SZ 59/160 uva). Das Wohl des betroffenen Kindes muß demnach durch das Verhalten des zur Obsorge Berechtigten bereits unmittelbar beeinträchtigt oder wenigstens einer immanenten Gefahr ausgesetzt sein.

Wie das Rekursgericht richtig erkannte, kann eine solche unmittelbare Bedrohung des Kindes der Aktenlage nicht entnommen werden. Nach dem Bericht der über die Verhältnisse der Eltern des Kindes sicherlich informierten Bezirkshauptmannschaft Voitsberg waren die Verhältnisse beim Vater anläßlich eines Hausbesuches am 22.9.1989 nicht zu beanstanden; eine unmittelbare Gefährdung des Kindes wird darin sogar ausdrücklich verneint. Der Mutter ist zwar zuzugeben, daß die für eine vorläufige Maßnahme unerläßliche Gefährdungsprognose dem Gericht vorbehalten ist, doch bietet der Bericht der sachkundigen Organe der zuständigen Verwaltungsbehörde doch eine wesentliche Entscheidungshilfe hiefür. Soweit das Erstgericht die Verfügung auf angebliche sexuelle Entgleisungen des Vaters stützt, hat schon das Rekursgericht zutreffend darauf verwiesen, daß diese - selbst nach den vom Erstgericht nicht überprüften Angaben der Mutter - bereits Jahre zurückliegen und sich auf den Minderjährigen der erst jetzt fünf Jahre alt geworden ist ganz augenscheinlich nicht ausgewirkt haben.

Da derart gravierende Umstände in der Pflege und Erziehung des Kindes durch den Vater, die ausnahmsweise eine Änderung der Obsorge schon im Wege einer vorläufigen Maßnahme geböten, nicht hervorgekommen sind, hat das Rekursgericht den darauf abzielenden Antrag der Mutter zu Recht abgewiesen.

Ihrem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

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