OGH 12Os164/89

OGH12Os164/8911.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Jänner 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Tschütscher als Schriftführerin in der Strafsache gegen Zvonko B*** wegen des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 10.Juli 1989, GZ 24 Vr 591/89-35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 24.August 1955 geborene Zvonko B*** der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB (A) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB (B) sowie der Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB (C) und der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB (D) schuldig erkannt. Darnach hat er

A) zwischen Anfang 1988 und 23.Februar 1989 in Volders in

zahlreichen Fällen mit einer unmündigen Person, nämlich mit der am 29. Mai 1975 geborenen Verena S***, den außerehelichen Beischlaf unternommen;

B) zwischen Sommer 1987 und Anfang 1988 in Volders in mehreren

Fällen ebenfalls Verena S*** auf andere Weise als durch Beischlaf, nämlich durch Hineinstecken eines Fingers in ihre Scheide, zur Unzucht mißbraucht;

C) durch die zu A) und B) geschilderten Handlungen unter

Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person, nämlich der Tochter seiner Lebensgefährtin und ab 6.August 1988 Ehefrau Elisabeth B***, Verena S***, diese zur Unzucht mißbraucht;

D) in Volders und anderen Orten seine im Familienrecht

begründete Unterhaltspflicht gegenüber seinen eigenen Kindern Christian und Bernhard B*** vom Oktober 1984 bis Februar 1989 (ausgenommen einige im Urteil aufgezählte Monate) gröblich verletzt, indem er keine oder nur unzureichende Zahlungen leistete, und dadurch bewirkt, daß der Unterhalt dieser Unterhaltsberechtigten ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre. Nur die Schuldsprüche A), B) und C) ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 1, 4, 5 und 5 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; auch den Strafausspruch bekämpft er mit Nichtigkeitsbeschwerde (Z 11) und, so wie die Staatsanwaltschaft, überdies mit Berufung.

Die Feststellungen zu den bekämpften Schuldsprüchen wegen der Sittlichkeitsdelikte stützte das Schöffengericht in Ablehnung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten auf die Angaben des Tatopfers unter ausführlicher Würdigung der Beweisergebnisse, insbesondere des Gutachtens der psychologischen Sachverständigen, Univ-Prof. DDr. Maria N***-V***, welche insgesamt die Tatrichter von der Schuld des Angeklagten überzeugten (§ 258 Abs. 2 StPO). Dementgegen versucht der Angeklagte in seiner Beschwerde Umstände aufzuzeigen, die seiner Meinung nach gegen die Unvoreingenommenheit der Sachverständigen und die Schlüssigkeit ihres Gutachtens, aber auch gegen die Glaubwürdigkeit des mißbrauchten Mädchens sprechen.

Schon am Beginn der Hauptverhandlung lehnte der Verteidiger "analog § 71 Abs. 1 StPO" die genannte Sachverständige ab, weil sie anläßlich der Hauptverhandlung gegen Anton M*** (einen früheren Lebensgefährten der Kindesmutter, der sich ebenfalls an Verena S*** vergangen haben soll) aus dem Saal gestürzt sei und zu Verena S*** geäußert habe: "Wir haben es geschafft" (S 361). Die Sachverständige bestätigte diese - schon vor Schluß jener Hauptverhandlung gemachte - Äußerung: sie habe das vor dem Verhandlungssaal sitzende verängstigte Kind in dieser Form bloß moralisch aufrichten wollen, weil es die unangenehme Zeugenaussage gut hinter sich gebracht hatte (S 363, 364). Daraufhin wurde der Enthebungsantrag durch Senatsbeschluß abgelehnt, weil die Tatrichter den Vorwurf der Befangenheit als überzeugend entkräftet ansahen (S 364).

Rechtliche Beurteilung

Da der daraus reklamierte Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 1 StPO nur auf die nicht gehörige Besetzung des Gerichtes abstellt, könnten im Sinn des § 120 StPO vorgebrachte und zu Unrecht mißachtete Einwendungen gegen die Objektivität eines Sachverständigen nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 281 Abs. 1 Z 4 und Abs. 3 StPO) zum Tragen kommen (Mayerhofer-Rieder2 E 14 zu § 120 StPO). Der Oberste Gerichtshof schließt sich indes hier der Argumentation des Schöffengerichts an, wonach die Einwände gegen die Unbefangenheit der Sachverständigen DDr. N***-V*** unbegründet sind, die (weitere) Beiziehung dieser Sachverständigen also keiner Verfahrensregel entgegenstand.

Ausdrücklich als Verletzung von Verfahrensvorschriften (Z 4) rügt der Beschwerdeführer, daß das Erstgericht seine zwecks Widerlegung des die Glaubwürdigkeit der Tatzeugin bejahenden psychologischen Gutachtens gestellten Anträge abgelehnt hat. Durch die Einvernahme "der Zeugin" Diplompsychologin Dr. Helga K*** sollte dargetan werden, daß Verena S*** die Unwahrheit spricht, zumal die Sachverständige Dr. K*** in ihrem Gutachten zu einem vom Gutachten DDris. N***-V*** abweichenden Ergebnis gekommen sei. Die Zeugin Ulrike M***, die mit Verena S*** ein Telefongespräch geführt hatte und mit ihr in Briefkontakt getreten war, sollte zum Beweis dafür vernommen werden, daß Verena S*** die Unwahrheit angebe, zumal diese Zeugin beim Telefongespräch zum Ergebnis gekommen sei, das Mädchen habe die ganze Angelegenheit nur inszeniert, um von zu Hause weg zur Familie F*** zu kommen. Schließlich erachtete die Verteidigung die Einholung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Aufklärung der Widersprüchlichkeit des Gutachtens der Sachverständigen DDr. N***-V*** für geboten, zumal sich daraus nicht schlüssig ergebe, ob Verena S*** die Wahrheit angegeben hat (S 379).

Die Forderung nach einer solchen ergänzenden Beweisaufnahme versagt.

Univ-Prof. DDr. N***-V*** hat nämlich schon in ihrer schriftlichen Expertise (ON 21) auch die testpsychologische Untersuchung durch die Diplompsychologin Dr. K*** (S 315 und 317) verwertet (S 301 ff) und in der Hauptverhandlung erläutert (S 378); die Zuziehung dieser Sachverständigen oder die Vernehmung eines weiteren Sachverständigen wäre darnach nur dann erforderlich gewesen, wenn dies die Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung nahegelegt hätte (§ 118 Abs. 2 StPO), oder Befund und Begutachtung der vernommenen Sachverständigen Widersprüche oder Mängel der in den §§ 125, 126 StPO bezeichneten Art aufgewiesen hätten, die sich nicht durch eine nochmalige Befragung der Sachverständigen hätten beheben lassen.

Davon kann aber keine Rede sein. Vielmehr ist der im ablehnenden Zwischenerkenntnis dargelegten Meinung zu folgen, wonach dem Sachverständigengutachten - das im übrigen keinerlei Widersprüche oder gar Anhaltspunkte für eine bewußt unrichtige Beschuldigung enthält - keine seine Schlüssigkeit und Überzeugungksraft beeinträchtigenden Mängel anhaften.

Aber auch in Ablehnung der Vernehmung der Zeugin M*** wurden Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt; hat doch M*** - wie sich aus der Antragstellung selbst ergibt - nach den Aussagen der Zeuginnen Verena S*** (S 369) und Elisabeth B*** (S 374) keine unmittelbaren Beobachtungen zum Tatgeschehen gemacht, sondern aus den brieflichen und telefonischen Kontakten mit Verena S*** bloß persönliche Schlußfolgerungen und Mutmaßungen gezogen und hätte sohin über keine allein den Gegenstand eines Zeugnisses bildenden Tatsachen (§ 167 StPO) Auskunft geben können. In Wahrheit geht es der Beschwerde, wie aus dem Vorbringen zu den Nichtigkeitsgründen des § 281 Abs. 1 Z 5 und 5 a StPO deutlich wird, letztlich nur darum, das begutachtete, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits vierzehnjährige und pubertierende Mädchen als Lügnerin hinzustellen, dem die psychologische Sachverständige zu Unrecht volle Glaubwürdigkeit zugebilligt habe.

Damit wird aber eine Mängelrüge (Z 5) nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil weder die sachliche Richtigkeit und Überzeugungskraft eines von den Tatrichtern als unbedenklich beurteilten Sachverständigengutachtens noch die Glaubwürdigkeit von Zeugen aus diesem Nichtigkeitsgrund mit Erfolg angezweifelt werden können.

Ebensowenig vermag die Tatsachenrüge (Z 5 a) mit Hinweisen auf einzelne Passagen des psychologischen, aber auch des gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens, wonach die Untersuchung des Mädchens altersgemäß gänzlich untypische, auf einen wiederholten Geschlechtsverkehr hinweisende Indizien ergeben hat, bei lebensnaher Würdigung aller aktenkundigen Beweisergebnisse erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld des Angeklagten zugrunde gelegten Tatsachen zu erwecken. Schließlich wird mit der Behauptung, das Gericht habe "seine Strafbefugnisse überschritten" (Z 11), weil wegen der Unterhaltspflichtverletzung "die Verhängung einer unbedingten Haftstrafe .... völlig untunlich" sei (S 426 f), eine Nichtigkeit des Strafausspruches, die nach Lage des Falles nur in einer offenbar rechtsfehlerhaften Beurteilung einer für die Strafbemessung maßgebenden entscheidenden Tatsache, deren Annahme oder Nichtannahme dem Ermessen entzogen ist, oder in einem unvertretbaren, den Ermessensspielraum überschreitenden Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung liegen könnte (RiZ 1989/65), nicht aufgezeigt. Das Vorbringen erschöpft sich vielmehr unter Ignorierung der über den Schuldspruch nach § 198 Abs. 1 StGB (D) hinausgehenden Schuldsprüche A, B und C (§ 28 Abs. 1 StGB) in dem Argument, daß bei Unterhaltspflichtverletzungen unbedingte Freiheitsstrafen unzweckmäßig seien. Dieses Vorbringen kann nur im Rahmen der ohnehin auch erhobenen Strafberufung des Angeklagten geprüft werden. Die unbegründete, teilweise auch nicht dem Gesetz gemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285 d Abs. 1 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen. Daraus folgt, daß über die beiderseitigen Berufungen der örtlich zuständige Gerichtshof zweiter Instanz zu befinden haben wird (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte