OGH 10ObS413/89

OGH10ObS413/899.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Robert Renner (AG) und Alfred Klair (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz P***, 3231 St.Margarethen Nr. 57, vertreten durch Dr.Eduard Pranz, Dr.Oswin Lukesch, Dr.Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.September 1989, GZ 31 Rs 189/89-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21.April 1989, GZ 33 Cgs 1471/87-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 15.November 1985 einen Arbeitsunfall. Es besteht eine Narbe im Bereich der rechten Schulter, ein Oberschenkelamputationsstumpf, der gut weichteilgedeckt ist und mit einer Oberschenkelsaugprothese versorgt ist. Der Gang ist mühsam und wird mit zwei Unterarmstützkrücken durchgeführt, welche aus medizinischer Sicht notwendig sind.

Mit Bescheid vom 21.Oktober 1987 setzte die beklagte Partei anstelle der bisher gewährten vorläufigen Rente von 75 % der Vollrente samt Zusatzrente die Dauerrente ab 1.Dezember 1987 mit 70 % der Vollrente samt Zusatzrente fest.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 15.November 1985 eine Dauerrente von 100 % der Vollrente samt Zusatzrente ab 1.Dezember 1987 zu bezahlen. Im Gegensatz zu der medizinischen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch den chirurgischen Sachverständigen, die auf den als Richtschnur herangezogenen Tabellen von Krösl-Zrubezky beruht und auch vom berufskundlichen Sachverständigen bestätigt wurde, kam das Erstgericht aufgrund der Äußerung des berufskundlichen Sachverständigen, nach der konkreten Situation des Klägers, seines Alters, des bestehenden Übergewichtes und der Verwendung von Stützkrücken bestehe keine Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr, rechtlich zu dem Ergebnis, die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 100 % der Vollrente einzuschätzen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 15. November 1985 eine Dauerrente im Ausmaß von 70 v.H. der Vollrente zuzüglich Zusatzrente ab 1.Dezember 1987 zu gewähren und das Mehrbegehren (Differenz auf 1oo %) abwies.

Rechtliche Beurteilung

Nach ausführlicher Darlegung der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (SSV-NF 1/64) kam es zum Ergebnis, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe der medizinischen Einschätzung festzusetzen sei. Der berufskundliche Sachverständige habe ausgeführt, daß der Kläger aufgrund der Unfallfolgen noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, etwa als Presser oder Stanzer in einem metallverarbeitenden Betrieb, verrichten könne, daß der vom medizinischen Sachverständigen vorgeschlagene Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % durchaus angemessen sei und den Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt entspreche. Dies bestätige einmal mehr, daß die auf den Richtlinien Krösl-Zrubezky beruhende Einschätzung den Gegebenheiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Rechnung trage. Wenn der berufskundliche Sachverständige aus der konkreten Situation des Klägers eine Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für nicht mehr gegeben erachtet habe, so sei damit nur zum Ausdruck gebracht worden, daß der bereits 60 Jahre alte Kläger konkret keinen Arbeitsplatz finden könne. Diese Umstände, ebenso wie auch die Übergewichtigkeit des Klägers, welche der Sachverständige für Unfallchirurgie als nicht unfallkausal bezeichnet habe, seien persönliche Momente, die nur die konkrete Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden beeinflußten, in den Bereich der Arbeitslosenversicherung fielen und damit keine Kriterien für die Annahme eines Härtefalles darstellten. Es sei nicht behauptet worden, daß eine anderweitige Verwendung des Klägers aufgrund einer besonders spezialisierten Berufsausübung durch den Unfall in größerem Maße eingeschränkt würde als in durchschnittlichen Fällen mit vergleichbaren Unfallfolgen. Der Kläger sei als Werkzeugschleifer beschäftigt gewesen und könne noch in einem metallverarbeitenden Betrieb tätig sein. Mangels eines besonderen Härtefalles habe es bei der medizinischen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % zu verbleiben.

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes sind zutreffend, es kann daher auf sie gemäß § 48 ASGG verwiesen werden. Auch der Revisionswerber gesteht zu, daß die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht berufsbezogen und im Wege einer durchschnittlichen Betrachtung zu erfolgen hat. Für die Ermittlung der Erwerbsfähigkeit vor und nach dem Unfall sind dieselben Grundsätze anzuwenden. Dies bedeutet aber, daß auch ein nicht durch einen Unfall geschädigter Versicherter höheren Alters in seinen Erwerbsmöglichkeiten wegen der Abnahme der Leistungsfähigkeit und gewisser gesundheitlicher Beeinträchtigungen, insbesondere aber auch wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt mehr beschränkt sein wird als jüngere Menschen. Wenn sich daher aus dem höheren Alter des Versicherten im Einzelfall nicht zusätzliche Kriterien ergeben, die ein Abgehen von einer durchschnittlichen Betrachtungsweise in vergleichbaren Fällen rechtfertigen - etwa altersbedingte besondere Anpassungs- und Gewöhnungsschwierigkeiten an die eingetretene Behinderung -, die sich erschwerend auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, kann noch kein besonderer Härtefall angenommen werden. Die Tatsache, daß der Kläger Stützkrücken verwenden muß, wurde vom medizinischen Sachverständigen schon mitberücksichtigt. Da das Übergewicht des Klägers nicht auf den Unfall zurückzuführen ist, kann dieses bei der Beurteilung, ob ein besonderer Härtefall gegeben ist, nicht einbezogen werden. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch ausgeführt, daß der Beruf eines Werkzeugschleifers gerade in Verbindung mit der Tatsache, daß dem Kläger noch eine Berufsausübung in metallverarbeitenden Betrieben möglich ist, keine so spezialisierte Berufsausbildung darstellt, die eine anderweitige Verwendung gegenüber durchschnittlichen Fällen mit vergleichbaren Unfallfolgen weiter einschränken würde. Eine analoge Anwendung schadenersatzrechtlicher Grundsätze oder der Kausalitätslehre im Zivilrecht kommt im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unfallversicherung nicht in Betracht (vgl SSV-NF 2/6; 2/112). Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers mit 70 % durch das Berufungsgericht ist daher frei von Rechtsirrtum. Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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