OGH 10ObS369/89

OGH10ObS369/899.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner (Arbeitgeber) und Alfred Klair (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Aloisia B***, Nöstelbach 1, 4502 St.Marien, vertreten durch Dr. Haratün Johannes Papazian, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juli 1989, GZ 12 Rs 121/89-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27.April 1989, GZ 12 Cgs 1092/87-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23.6.1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1.5.1987 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es stellte fest, daß die 1941 geborene Klägerin leichte und mittelschwere Arbeiten in allen Körperhaltungen verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten, die mit häufigem Bücken bis zum Boden sowie Heben und Tragen von Gegenständen über 15 kg verbunden sind. Auch häufige Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und solche, die mit einer häufigen Durchnässung und Erkältung oder Zeitdruck verbunden sind sowie Nacht- und Schichtarbeiten sind ausgeschlossen. Über das physiologische Ausmaß hinausreichende Pausen sind nicht erforderlich. Es bestehen keine Einschränkungen im örtsüblichen Anmarschweg zum Arbeitsplatz bei günstigen ländlichen und städtischen Verhältnissen. Öffentliche Verkehrsmittel können benützt werden.

Die Klägerin hat den Beruf einer ländlichen Hauswirtschaftsgehilfin erlernt. Nach Abschluß der Lehre war sie von 1963 bis 1967 als Facharbeiterin in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben tätig. Von 1967 bis 1987 war die Klägerin als landwirtschaftliche Facharbeiterin im Mörtelmayrgut in Nöstelbach, St.Marien, vorwiegend mit der Schweinehaltung beschäftigt. Sie hatte das Futter selbst zusammenzustellen und im Durchschnitt ca. 30 Zuchtschweine und etwa 80 Mastschweine zu betreuen und die Stallarbeiten zu verrichten. Darüber hinaus wurde die Klägerin bei der Zuckerrübenernte und beim Säubern der Felder eingesetzt. Sie fuhr für landwirtschaftliche Transporte auch mit dem Traktor.

Der Aufgabenbereich eines ländlichen Hauswirtschaftsgehilfen ist vielfältig und reicht von Haushaltsführung, Ernährungs- und Vorratsbildung, Bekleidungswesen, Lebenskunde, Gesundheits- und Krankenpflege bis zum Gartenbau und zur Tierhaltung. Zum Bereich Haushalt und Haushaltsführung zählt die Reinigung und Pflege der Wohn- und Arbeitsräume und der Einrichtungsgegenstände, Pflege der Wäsche und Kleidung, Bedienen von Haushaltsgeräten und Maschinen, Tischdecken, Servieren, Haushaltsbuchführung. Der Tätigkeitsbereich Ernährung und Vorratsbildung umfaßt die Zubereitung der Speisen nach Erkenntnissen der Ernährungslehre und Nahrungsmittelkunde. Ländliche Hauswirtschaftsgehilfen konservieren nach verschiedenen Methoden Fleisch, Gemüse und Obst, wobei die Ursachen des Verderbens und die Möglichkeiten der Verhinderung zu berücksichtigen sind. Zudem ist Ordnung in den Vorratsräumen, deren Kontrolle und die Bekämpfung von Vorratsschädlingen durchzuführen. Der Bereich des Bekleidungswesens umfaßt das Ausbessern von Kleidern und Wäsche, Nähen von Arbeits- und Kinderkleidung sowie die Ausführung einfacher Handarbeiten. Die Tätigkeiten auf dem Gebiet Lebenskunde, Gesundheits- und Krankenpflege umfassen die hygienische Vorsorge, Schutz vor Krankheiten, Säuglings-, Kinder- und Krankenpflege. Bei Gartenbau und Tierpflege trifft die ländliche Hauswirtschaftsgehilfin Maßnahmen und Vorbereitungen für die Kultur, das Düngen, Säen und Pflanzen, erntet Gemüse und führte Unkraut- und Schädlingsbekämpfung im Garten durch. Über die Leistungen des landwirtschaftlichen Betriebes werden genaue Aufzeichnungen geführt. Ländliche Hauswirtschaftsgehilfen werden heute auf großen bäuerlichen Betrieben oder auf Gutshöfen eingesetzt. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es Arbeitsplätze, bei welchen eine landwirtschaftliche Facharbeiterin benötigt wird, nicht in ausreichender Zahl, weil regelmäßig von den Dienstgebern von Arbeitnehmern mit der beruflichen Qualifikation der Klägerin eine umfassende Tätigkeit innerhalb des gesamten Berufsbildes, insbesondere auch Tierhaltung, verlangt wird.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Klägerin genieße Berufsschutz als ländliche Hauswirtschaftsgehilfin, weil sie diesen Beruf erlernt habe und im maßgeblichen Zeitraum vor dem Stichtag als landwirtschaftliche Fachkraft vorwiegend in einem Teilbereich (Tierhaltung) tätig gewesen sei. Grundsätzlich sei auch die Verweisung auf qualifizierte Teiltätigkeiten innerhalb eines Berufes möglich. Allerdings werde in der Landwirtschaft von den Dienstgebern regelmäßig eine umfassende Tätigkeit innerhalb des gesamten Berufsbildes verlangt, sodaß eine Verweisung innerhalb der Landwirtschaft ausscheide, weil das Leistungskalkül wegen der damit verbundenen schweren Arbeiten und häufigen Bückens überschritten werde. Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft in privaten und öffentlichen Haushalten (Schulinternaten, Krankenhäusern u.dgl.) oder als Haushalts- und Küchengehilfin seien kaum vorhanden. Die Klägerin sei mangels Verweisbarkeit daher invalide.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Der Berufsschutz, den die Klägerin genieße, beziehe sich auf den gesamten Beruf. Eine Verweisung auf Teiltätigkeiten innerhalb des Lehrberufes sei zulässig, wenn auch nur ein Teil der Kenntnisse und Fähigkeiten verwertet werden könne. Wenn die Klägerin auch im Rahmen der Landwirtschaft nicht verweisbar sei, weil Tätigkeiten innerhalb des gesamten Berufsbildes verlangt würden, so gebe es außerhalb der Landwirtschaft (vom berufskundlichen Sachverständigen im Gutachen angeführt) eine Reihe von Verweisungsmöglichkeiten, beispielsweise in Schulinternaten, Krankenhäusern aber auch in Kurheimen und Beherbergungsbetrieben. Hier könne die Klägerin die verbliebene Arbeitskraft im Rahmen der Küche, der Vorratshaltung, des Bekleidungswesens und dergleichen ohne Einschränkung einsetzen. Es sei auch nicht einsichtig, inwieweit mit einer solchen Verweisung ein sozialer Abstieg gegenüber der bisher ausgeübten Tätigkeit (Schweinehaltung) verbunden wäre. Daß diese Verweisungstätigkeiten wesentlich schlechter entlohnt würden, sei nicht einmal behauptet worden. Invalidität liege daher nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die in der Revision vertretene Ansicht, eine Verweisung sei nur im Rahmen der Landwirtschaft zulässig, eine Verweisung auf den gewerblichen Sektor nicht zumutbar, weil der Berufsschutz verloren gehe, ist nicht zutreffend. Wie sich schon aus dem Wortlaut des § 255 Abs.1 und Abs.2 ASVG ergibt, ist für die Beurteilung der Invalidität der Vergleich des körperlichen und geistigen Zustandes des Versicherten mit jenem von gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten maßgeblich. Der Gesetzgeber stellt also auf die Ausbildung sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten im ausgeübten Beruf ab. Es kommt daher für die Beurteilung der Verweisbarkeit nur auf den tatsächlichen Inhalt der erlernten oder angelernten Tätigkeit an, nicht aber darauf, ob diese - inhaltlich gleiche - Tätigkeit nun im landwirtschaftlichen, gewerblichen, industriellen, privaten oder im Verwaltungsbereich ausgeübt wird. Ebenso wie Versicherte ihren erlernten oder angelernten Beruf in jeder der genannten Sparten ausüben können, können sie auch auf jede inhaltlich gleiche oder ähnliche Tätigkeit in allen diesen Bereichen verwiesen werden, wenn ihre Arbeitsfähigkeit hiezu ausreicht. Denn es macht keinen Unterschied, ob ein Versicherter seine erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten etwa in einem landwirtschaftlichen oder in einem Gewerbebetrieb einsetzt. Auf die bisher ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausformung ist nur bei Beurteilung der Invalidität nach § 255 Abs.4 ASVG Bedacht zu nehmen.

Richtig ist, daß ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten Beruf tätig war, nicht auf Teiltätigkeiten dieses Berufes verwiesen werden darf, bei denen er den Berufsschutz verlieren würde (SSV-NF 3/29). Aber auch hier ist nur der Inhalt, die Qualifikation der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der Teiltätigkeit für die Beurteilung maßgeblich. Der Kernbereich der Ausbildung einer ländlichen Hauswirtschaftsgehilfin umfaßt die qualifizierte wirtschaftliche Führung eines großen Haushaltes und die Personenbetreuung. Kenntnisse in Tierhaltung und im Ackerbau werden anders als bei der Ausbildung zum landwirtschaftlichen Facharbeiter nur in Grundzügen vermittelt (vgl die Verordnung der land- und forstwirtschaftlichen Lehrlings- und Fachausbildungsstelle für Oberösterreich vom 17.11.1983, mit welcher auf Grund der oö Landarbeitsordnung eine Ausbildungs- und Prüfungsordnung erlassen wurde). Auf Grund ihres medizinischen Leistungskalküls sind der Klägerin aber nur die schweren Arbeiten in der Landwirtschaft, vornehmlich Tierhaltung und Feldarbeit, nicht mehr zumutbar, während sie alle den häuslichen und persönlichen Bereich betreffenden Arbeiten noch leisten kann. Zu Recht ist das Berufungsgericht daher zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin auf die in diesen Bereich fallenden Teiltätigkeiten (Küche, Vorratshaltung, Bekleidungs- und Wäschewesen, Personenbetreuung) beispielsweise in Schulinternaten, Krankenhäusern, Beherbergungsbetrieben, Kurheimen, aber auch in privaten Haushalten verwiesen werden kann. Da hiebei ein Großteil der im Lehrberuf einer ländlichen Hauswirtschaftsgehilfin erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, bleibt auch der Berufsschutz erhalten. Die Klägerin ist daher nicht invalide im Sinne des § 255 Abs.1 ASVG.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG.

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