Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.172,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.028,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 1.September 1984 bei der beklagten Partei als Büroangestellte beschäftigt. Mit Schreiben vom 29.September 1988 wurde vom Geschäftsführer der beklagten Partei die Entlassung der Klägerin ausgesprochen. Die Klägerin ist mit einem Geschäftsanteil von 99 % Gesellschafterin der am 9.Oktober 1987 protokollierten Firma T*** Export-Import, Handels- und Produktionsgesellschaft mbH (im folgenden: Firma T***), deren Geschäftsführer ihr Bruder Heinz K*** ist. Ein Kommanditist der beklagten Partei, Ernst S***, ist auch Geschäftsführer der Firma I***
Import-Export Handelgesellschaft mbH, die in den Büroräumen der beklagten Partei untergebracht ist.
Die Klägerin begehrt 112.100 S sA an entlassungsabhängigen Ansprüchen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe am 30.September 1987 mit ihrem Bruder die Firma T*** gegründet, auf deren Geschäftsbetrieb sie auf Grund ihres Geschäftsanteiles von 99 % bestimmenden Einfluß habe. Die Klägerin habe in der Dienstzeit unter Verwendung der Büroeinrichtung der beklagten Partei die Geschäfte der Firma T*** geführt. Schließlich sei die Klägerin vom 27. bis 29. September 1988 unentschuldigt von ihrem Arbeitsplatz ferngeblieben. Am 22.September 1988 habe die Klägerin den Geschäftsführer der beklagten Partei über die Gründung der Firma T*** informiert. Der Geschäftsführer der beklagten Partei habe die Gesellschaftsgründung im Handelsregister verifizieren wollen, habe aber am 23.September 1988 ins Ausland verreisen müssen. Am 26.September 1988 sei er wieder im Betrieb gewesen und habe erst dann die nötigen Erhebungen im Handelsregister vornehmen können. Am 27.,28. und 29.September 1988 sei die Klägerin unentschuldigt nicht zum Dienst erschienen. Mit Schreiben vom 29.September 1988 sei die Entlassung ausgesprochen worden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte folgenden Sachverhalt fest:
Bereits vor Unterzeichnung des Notariatsaktes über die Gründung der Firma T*** unterrichtete die Klägerin den Gesellschafter der beklagten Partei Ernst S*** über die bevorstehende Gründung und ihre Stellung als Mitgesellschafterin. Ernst S*** zeigte sich erfreut, daß er davon informiert wurde und erklärte, daß es in Ordnung sei. Den Geschäftsführer der beklagten Partei Dipl.Ing.Erwin A*** unterrichtete die Klägerin im April 1988 darüber, daß sie gemeinsam mit ihrem Bruder Heinz K*** die Firma T*** gegründet habe und Gesellschafterin dieser Firma sei.
Am Donnerstag, dem 22.September 1988, wurde die Klägerin im Büro der beklagten Partei von ihrer Mutter angerufen und gefragt, ob sie wisse, wo man Frostschutzmittel bekommen könne, das für die Firma T*** benötigt werde. Die Klägerin ersuchte den gerade anwesenden Angestellten der beklagten Partei Gerhard W*** um Auskunft. Eine Bestellung von Frostschutzmitteln hat die Klägerin vom Büro der beklagten Partei aus nicht vorgenommen. Im Zusammenhang mit der Überprüfung dieses Vorganges erlangte der Geschäftsführer der beklagten Partei Dipl.Ing.Erwin A*** neuerlich Kenntnis von der Existenz der Firma T*** und der Beteiligung der Klägerin. Am Freitag, dem 23.September 1988 reiste Dipl.Ing.Erwin A*** geschäftlich in die Bundesrepublik Deutschland und kehrte am Abend dieses Tages zurück. Am Montag, dem 26.September 1988 hatte er zunächst angefallene Sachen aufzuarbeiten. Am Nachmittag stellte er im Handelsregister fest, daß die Klägerin mit einem Geschäftsanteil von 99 % an der Firma T*** beteiligt ist. Vor dem 27.September 1988 wurde die Klägerin für die Firma T*** nicht tätig. Am 26.September 1988 wurde der Bruder der Klägerin in Verwahrungshaft genommen. Die Klägerin war daher erstmals genötigt, für die Firma T*** tätig zu werden. Sie kam daher am 27.September 1988 nicht zur Arbeit und rief am frühen Vormittag bei der beklagten Partei an, um Dipl.Ing.Erwin A*** um Urlaub zu bitten. Die Klägerin erreichte aber nur eine Angestellte, der sie erklärte, sie könne nicht kommen, sie werde am Nachmittag Dipl.Ing.Erwin A*** persönlich anrufen. Am Nachmittag erreichte die Klägerin Dipl.Ing.Erwin A*** telefonisch, erklärte ihm den Grund ihres Wegbleibens und erbat sich Urlaub für zwei oder drei Tage; sie werde außerdem am nächsten Tag wieder anrufen, um zu sagen, ob sie schon kommen könne. Dipl.Ing.Erwin A*** antwortete mit einem zustimmenden "Okay". Am 28.September 1988 rief die Klägerin neuerlich an und erbat einen weiteren freien Tag. Dipl.Ing.Erwin A*** antwortete mit einem eher zögernden "Okay". Erst nach diesem Telefongespräch entschloß sich Dipl.Ing.Erwin A*** zur Entlassung der Klägerin, diktierte das Entlassungsschreiben aber erst am 29.September 1988. Am Morgen des 30.September 1988 trat die Klägerin wieder ihren Dienst im Betrieb der beklagten Partei an. Erst um 8.45 Uhr erfuhr die Klägerin durch einen Telefonanruf ihrer Mutter vom Einschreibbrief, mit dem ihre Entlassung ausgesprochen worden war.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Entlassungstatbestand des Betreibens eines selbständigen kaufmännischen Unternehmens vom Arbeitgeber nicht unverzüglich geltend gemacht worden und daher verwirkt sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, wobei es die Rechtsrüge nicht behandelte, weil sie nicht unter Zugrundelegung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltes ausgeführt worden sei. Es übernahm - mit Ausnahme der Feststellung, die Klägerin habe den Geschäftsführer der beklagten Partei über ihre Beteiligung an der Firma T*** bereits im April 1988 informiert - die Feststellungen des Erstgerichtes. Auch wenn man von den übrigen unbekämpft gebliebenen Feststellungen ausgehe, sei die Entlassung der Klägerin mit Schreiben vom 29.September 1988 verspätet erfolgt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).
Da die im § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG vorgesehene Neudurchführung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht in das ASGG nicht übernommen wurde, kann ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, auch in Arbeitsrechtssachen nicht mehr mit Revision geltend gemacht werden (siehe RZ 1989/16). Das Unterbleiben der Einvernahme der Zeugen Ernst S***, Gerhard W*** und Brigitte E*** wurde von der beklagten Partei bereits im Berufungsverfahren als Mangel des Verfahrens erster Instanz geltend gemacht; das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Verfahrensmangels aber verneint. Der Grundsatz, daß eine nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden kann, gilt nur für den Fall, daß das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes zur Gänze übernommen hat. Dieser Grundsatz kommt - wie der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 603/77 ausgesprochen hat - insoweit nicht zum Tragen, als das Berufungsgericht die nähere Befassung mit einer Beweisrüge aus rechtlichen Gründen für nicht erforderlich hielt.
Das Berufungsgericht hat die Feststellung, der Geschäftsführer der beklagten Partei sei bereits im April 1988 von der Beteiligung der Klägerin an der Firma T*** informiert worden, nicht übernommen, sondern ist von der unbekämpften Feststellung ausgegangen, daß der Geschäftsführer der beklagten Partei am Abend des 22.September 1988 Kenntnis von einer Beteiligung der Klägerin an einer anderen Gesellschaft hatte und spätestens am Abend des 26.September 1988 über die Situation vollends informiert war, die Klägerin aber in den Telefongesprächen vom 27. und 28. September 1988 weder zu einer Stellungnahme aufgefordert noch ihr gegenüber Konsequenzen auch nur angedroht hat.
Zulässigerweise bekämpft daher die Revisionswerberin die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, auch bei Zugrundelegung nur dieser unbekämpften Feststellungen über die Kenntnis des Geschäftsführers der beklagten Partei von der Beteiligung der Klägerin an der Firma T*** sei die Entlassung verspätet erfolgt. Die Rechtsrüge ist aber zumindest im Ergebnis nicht berechtigt. Geht man von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen aus, wurde durch die Beteiligung der Klägerin an dem von ihrem Bruder geführten geschäftlichen Unternehmen der Entlassungstatbestand des § 27 Z 3 erster Tatbestand AngG nicht verwirklicht, da die Beteiligung an einem Unternehmen in ausschließlich kapitalmäßiger Form nicht als Betrieb eines selbständigen kaufmännischen Unternehmens anzusehen ist (siehe Martinek-Schwarz AngG6 217). Während das Wettbewerbsverbot im Sinne des § 7 Abs. 1 zweiter Tatbestand AngG den Arbeitgeber vor unerwünschter Konkurrenz durch den Arbeitnehmer im eigenen Geschäftszweig schützen soll, zielt das Verbot des Betriebes eines selbständigen kaufmännischen Unternehmens vor allem darauf ab, dem Arbeitgeber die volle Arbeitskraft seines Angestellten und die uneingeschränkte Vertretung der Interessen des Betriebes zu sichern (vgl. Heinrich "Sind Nebenbeschäftigungen zulässig?" RdW 1986, 18 f [19], wobei im vorliegenden Fall Konkurrenzierung des Arbeitgebers und Rufschädigung ausscheiden). Weder die einmalige Einholung einer Auskunft, wer als Lieferant von Frostschutzmitteln an die Firma T*** in Frage komme, noch die kurzfristige - während dreier Urlaubstage erfolgte - Tätigkeit der Klägerin für die Firma T*** nach Verhaftung ihres Bruders kann als Betreiben eines selbständigen kaufmännischen Unternehmens im Sinne der §§ 7 Abs. 1 erster Tatbestand und 27 Z 3 erster Tatbestand AngG angesehen werden. Auch Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG wurde durch dieses Verhalten der Klägerin nicht begründet, da durch die einmalige Einholung einer Auskunft für Belange der Firma T*** von einem Arbeitskollegen Interessen der beklagten Partei nicht berührt wurden und auch die dem Arbeitgeber gegenüber offengelegte, aus einer Notlage heraus erforderlich gewordene, kurzfristige und während des Urlaubes verrichtete Tätigkeit für die Firma T*** bei Anlegung eines objektiven Maßstabes nicht die Befürchtung der beklagten Partei rechtfertigte, ihre Interssen und Belange würden durch das Verhalten der Klägerin gefährdet (vgl. Martinek-Schwarz aaO 604; Kuderna, Entlassungsrecht 88).
Da ein Entlassungsgrund demnach nicht vorlag, erübrigt es sich, auf die Frage einzugehen, ob die Entlassung rechtzeitig ausgesprochen wurde.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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