OGH 10ObS341/89

OGH10ObS341/895.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Keibl (AG) und Gerald Kopecky (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Monika K***, Hausfrau, 9560 Feldkirchen, Hoferweg 32, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei A*** U***,

1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenrente und Bestattungskostenbeitrag, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Juni 1989, GZ 7 Rs 60/89-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31.Jänner 1989, GZ 35 Cgs 19/88-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten der Rekursbeantwortung der Klägerin sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin Leistungen gemäß den §§ 214 un 215 ASVG (Teilersatz der Bestattungskosten und Witwenrente) ab 10.Mai 1988 im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der Versicherte, der Ehemann der Klägerin, war Partieführer einer mit Verputzarbeiten beschäftigten Gruppe von Arbeitern. Am 9. Mai 1988 wurde er von seinem Arbeitgeber beauftragt, Unklarheiten, die mit einem Vertragspartner seines Arbeitgebers bezüglich einer bestimmten Baustelle wegen eines bröckelnden Silos und eines Mehrverbrauchs an Material aufgetreten waren und bei denen es um einen Betrag von etwa 20.000 bis 30.000 S ging, zu bereinigen. Der Ehemann der Klägerin hatte Verhandlungsvollmacht. Er traf am 9. Mai 1988 um ungefähr 18,00 Uhr im Büro des für Kärnten zuständigen Filialleiters des Vertragspartners seines Arbeitgebers ein. Nachdem der Filialleiter einige Telefongespräche geführt hatte, trug der Ehemann der Klägerin die zu beanständenden Mängel vor: Der gelieferte Putz habe Materialfehler aufgewiesen, eine Maschine sei kaputt geworden, es habe einen Lieferverzug gegeben, wodurch die gesamte Partie gestanden sei und, da im Akkord Arbeit abgerechnet werde, einen Einkommensverlust erlitten habe. Der Ehemann der Klägerin wollte dafür eine Abgeltung in Geld oder Material. Der Filialleiter nahm das Vorbringen zur Kenntnis, konnte jedoch keine Entscheidung treffen, weil er die Vorschläge erst an die ihm vorgesetzte Unternehmensleitung weitergeben mußte. Der Ehemann der Klägerin und der Filialleiter sprachen dann einige Stunden über die Baustelle, unterhielten sich währenddessen jedoch immer wieder über private Angelegenheiten. Der Ehemann der Klägerin machte Scherze und auch der Filialleiter war bestrebt, das Gespräch aufzulockern. Es drehte sich in der Folge um das Fachgebiet des Verputzens und sämtliche damit im Zusammenhang stehenden Probleme, fallweise wurde wieder über die Baustelle und zwischendurch auch wieder über private Angelegenheiten gesprochen. Der Filialleiter war an einem Gespräch interessiert, weil der Ehemann der Klägerin das Material auch bei einem anderen Unternehmen hätte bestellen können und weil er aus dem Gespräch auch fachlich profitierte. Es ist branchenüblich, daß im Zuge von Besprechungen über Mängel auch über Sachen von allgemeinem Interesse im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit gesprochen wird.

Das Gespräch über die vom Ehemann der Klägerin vorzubringenden Mängel hätte konzentriert in zwei Stunden abgewickelt werden können. Die Gesprächspartner fanden einander sympatisch und waren aus beruflichen Gründen am Gespräch interessiert, weshalb es bis etwa 4 Uhr früh dauerte. Der Ehemann der Klägerin trank in dieser Zeit ungefähr zwei bis drei (gemeint wohl: Flaschen) Bier. Er wies während des Gespräches Ermüdungserscheinungen auf und nickte kurz ein. Danach wurde das Gespräch wieder fortgesetzt. Gegen 4 Uhr früh fuhr er mit seinem PKW nach Hause. Um 4,50 Uhr kam er von der Straße ab und verunglückte tödlich.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß das Gespräch nicht mehr im Interesse des Betriebes gelegen gewesen sei, weil es konzentriert in etwa 2 Stunden hätte abgewickelt werden können. Durch das überlange Gespräch sei der Versicherungsschutz gelöst worden. Er werde durch berufliche Gespräche allgemeiner Art nicht aufrecht erhalten. Durch die überlange Ausdehnung des Gespräches sei die Unfallgefahr wesentlich erhöht worden.

Das Berufungsgericht wies infolge Berufung der Klägerin die Rechtssache mit einem Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es seien noch Feststellungen darüber notwendig, ob bis zum Ende der Besprechung auch betriebliche Angelegenheiten besprochen worden seien. Würden betriebliche und nichtbetriebliche Gesprächsthemen bis zum Ende der Beschäftigung gemischt, so dauere eben auch das betriebliche Gespräch bis zum Besprechungsende; der Heimweg wäre nicht hinausgeschoben und stehe im zeitlichen Zusammenhang mit (auch) betrieblicher Tätigkeit. Fraglich sei allerdings auch der ursächliche Zusammenhang mit dieser Tätigkeit. Hiefür komme es darauf an, ob die betriebsbezogene Tätigkeit alleinige oder wesentliche Ursache gewesen sei. Hier seien in diesem Zusammenhang nicht nur die Reklamationsgespräche, sondern auch die Fachgespräche zu berücksichtigen, die nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für den Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin von Interesse gewesen sein könnten. Wenn dies zuträfe und wenn sie zusammen mit den Reklamationsgesprächen eine stark überwiegende Zeit der gesamten Besprechungsdauer in Anspruch genommen hätten, läge in ihrer Dauer die wesentliche Bedingung der Verzögerung der Heimfahrt (zeitlicher Zusammenhang), aber auch einer allfälligen Übermüdung als Unfallsursache (ursächlicher Zusammenhang). Es sei daher der Inhalt der Fachgespräche und es sei ferner festzustellen, ob der Arbeitgeber des Ehemanns der Klägerin ein betriebliches Interesse daran schon zuvor bekundet oder daran gehabt habe. Überdies sei auch die Frage der Übermüdung zu klären, wobei die Klägerin beweisen müsse, daß ihr Ehemann nicht übermüdet gewesen sei. Es sei nämlich typisch, daß ein Mensch nach einem ganzen Arbeitstag und einem daran anschließenden zehnstündigen Gespräch, bei dem er zeitweise einnickt, übermüdet sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von der beklagten Partei gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist nicht berechtigt. Das Gespräch, das der Ehemann der Klägerin vor dem Unfall im Auftrag seines Arbeitgebers führte, bildete zumindest teilweise einen Teil seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung. Der Ort, an dem es stattfand, war daher die Arbeitsstätte des Versicherten im Sinn des § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG und der Unfall ereignete sich somit am Weg von der Arbeitsstätte zum ständigen Aufenthaltsort des Versicherten. Ein solcher Unfall ist dann ein Arbeitsunfall, wenn die Fortbewegung im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stand (SSV-NF 2/23; 10 Ob S 288/89). Fehlt also etwa der zeitliche Zusammenhang, so besteht auch auf dem Weg zu den angeführten Zielen ein Versicherungsschutz nicht. Es ist daher entscheidend, wann der Versicherte die die Versicherung begründende Beschäftigung beginnen hätte sollen oder beendet hat, weil der zeitliche Zusammenhang dann fehlt, wenn zwischen dem Beginn oder dem Ende der Beschäftigung und dem Antritt des Weges ein unangemessen langer Zeitraum liegt.

Hier kommt es also zunächst darauf an, in welchem Ausmaß die Besprechung, an der der Ehemann der Klägerin teilnahm, einen Teil seiner beruflichen Tätigkeit bildete. Obwohl es in diesem Zusammenhang um die Frage des Schutzbereiches der Unfallversicherung geht, der von der Frage der Kausalität der Unfallsfolgen zu unterscheiden ist (vgl hiezu vor allem Tomandl in ZAS 1975, 128; Firlei in RdA 1984, 99 ff; Müller in ZAS 1989, 145 ff), und obwohl deshalb die für die Kausalität maßgebende Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl hiezu SSV-NF 2/6, 2/112 ua) nicht unmittelbar angewendet werden kann, werden die sie tragenden Erwägungen auch hier zu beachten sein. Es ist daher grundsätzlich auch eine gemischte Tätigkeit, also eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet wird, noch als ein Teil der die Versicherung begründenden Beschäftigung und damit als unter Versicherungsschutz stehend anzusehen. Etwas anderes gilt aber, wenn bei der Tätigkeit die betrieblichen gegenüber den privaten Interessen erheblich in den Hintergrund traten, wenn sie also gleichsam nur eine "Gelegenheitsursache" für die Verrichtung der Tätigkeit waren (ähnlich Brackmann, Handbuch II

72. Nachtrag 480 q mwN für den vergleichbaren deutschen Rechtsbereich).

Diese Rechtslage wurde vom Berufungsgericht richtig erkannt. Es ist daher entgegen der Ansicht des Erstgerichtes und der beklagten Partei nicht allein entscheidend, daß der im Interesse des Betriebes gelegene Teil des Gespräches konzentriert in zwei Stunden abgewickelt hätte werden können. Dieser Umstand kann zwar im Rahmen der Beweiswürdigung von Bedeutung sein, hat aber noch nicht zur Folge, daß der übrige Teil des Gespräches nicht zur beruflichen Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin zählte, soweit dabei die betrieblichen Interessen nicht erheblich in den Hintergrund traten. Es ist daher dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß noch Feststellungen über den Verlauf des Gespräches notwendig sind; insbesondere wird der Zeitpunkt festzustellen sein, ab dem das Gespräch nicht mehr die beanstandeten Mängel betraf oder dieses Thema doch gegenüber anderen Themen nur mehr eine sehr geringe Rolle spielte.

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes kommt es aber auf den Inhalt und das Ausmaß der vom Ehemann der Klägerin geführten Fachgespräche nicht an. Es ist bei Gesprächen, an denen Personen mit gemeinsamen beruflichen Interessen teilnehmen, geradezu selbstverständlich, daß auch Themen allgemeiner Art aus der beruflichen Tätigkeit behandelt werden. Dies liegt aber gewöhnlich nicht im betrieblichen Interesse, weshalb solche Gespräche den privaten Interessen zuzuordnen sind (10 Ob S 156/89 = SSV-NF 3/61 - in Druck). Umstände, aus denen ausnahmsweise etwas anderes abzuleiten wäre, hat die Klägerin nicht behauptet, geschweige denn bewiesen.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes muß hier auch die Frage der Übermüdung nicht näher geklärt werden. Sollte sich nämlich herausstellen, daß der Teil der Besprechung, welcher der die Versicherung begründenden Beschäftigung des Ehemanns der Klägerin zuzuordnen ist, schon so früh endete, daß sich der Unfall nicht mehr im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Beschäftigung ereignete, so hätte die beklagte Partei schon aus diesem Grund Leistungen wegen des Unfalls nicht zu erbringen. Andernfalls wäre die Übermüdung aber eine Folge dieser Beschäftigung und würde den Versicherungsschutz nicht ausschließen (vgl SSV-NF 2/102 und Müller aaO 155 f). Da aber noch die aufgezeigten ergänzenden Feststellungen über den Inhalt der Besprechung getroffen werden müssen, kann dem Rekurs der beklagten Partei ein Erfolg nicht beschieden sein.

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 2 Abs. 1 ASGG iVm § 52 Abs. 1 ZPO.

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