OGH 8Ob713/89

OGH8Ob713/8930.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes

Hon. Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei

1.) Ferdinand M***, Pensionist, und 2.) Josefa M***, Pensionistin, 2325 Geiselberg 43, beide vertreten durch Dr. Werner Hetsch und Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwälte in Tulln, wider die beklagte Partei 1.) Ingrid H***, Gastwirtin, und 2.) Alois H***, beide 1160 Wien, Hasnerstraße 75, beide vertreten durch Dr. Ernst Fasan und Dr. Wolfgang Weinwurm, Rechtsanwälte in Neunkirchen, wegen S 332.754,-- s. A. infolge Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 13. Juni 1989, GZ 45 R 337/89-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 6. März 1989, GZ 5 C 59/87-17, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Erstbeklagte ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 6.789,42 (einschließlich S 1.131,57 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger begehrten - nach dem Stand des Verfahrens zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung - von der Erstbeklagten die Bezahlung von S 332.754,-- s.A., vom Zweitbeklagten die Zahlung von S 28.017,-- s.A. (d. i. der Teilbetrag des gegen die Erstbeklagte gerichteten Begehrens, für den die Zweitbeklagte zur ungeteilten Hand hafte). Die Kläger begründeten ihr Begehren damit, sie hätten der Erstbeklagten ihre Gastwirtschaft um S 1,300.000,-- verkauft. Vom Kaufpreis sollten S 500.000,-- sofort, S 800.000,-- in Monatsraten von S 8.000,-- beglichen werden. Für einen Teil des Kaufpreises hätten beide Beklagte einen von den Klägern aufgenommenen Kredit zur Rückzahlung übernommen, sie seien aber dieser Verpflichtung nur teilweise nachgekommen, so daß die Kläger selbst S 28.017,-- hätten zurückzahlen müssen. Die Erstbeklagte sei mit den Kaufpreisraten in Verzug geraten, so daß Terminsverlust eingetreten sei. Rechnerisch ergebe dies die eingeklagten Beträge. Die Beklagten wendeten ein, es seien nicht so viele Kaufpreisraten offen als die Kläger behaupteten (ON 7). Ein Betrag von S 198.305,-- sei durch "über Rechnung" eines Steuerguthabens vom Konto der Erstbeklagten auf ein Steuerkonto der Kläger geleistet worden (ON 8). Aufrechnungsweise wendeten die Beklagten einen Rückforderungsanspruch von S 500.000,-- an infolge nachträglicher Abänderung des notariellen Kaufvertrages geleisteter Kaution ein (ON 3).

Zwischen den Parteien ist auch strittig, ob in dem Kaufpreis von S 1,300.000,-- die Umsatzsteuer enthalten war oder nicht (ON 8 und 9).

In der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung wendeten die Beklagten ein, daß der den Kaufvertrag betreffende Notariatsakt vollstreckbar sei und daher das Klagebegehren mangels Rechtsschutzinteresses abgewiesen werden müsse (ON 14). Das Erstgericht erkannte die eingeklagten Forderungen mit S 321.862,30 s.A. (darin enthalten die von den Zweitbeklagten begehrten S 28.017,-- s.A.) als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab daher dem Klagebegehren im Umfang des Zurechtbestehens der eingeklagten Forderung statt; das gegen die Erstbeklagte gerichtete Mehrbegehren von S 10.891,70 s.A. wies es ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Erstbeklagten teilweise, derjenigen des Zweitbeklagten in der Hauptsache nicht Folge. Es änderte das erstgerichtliche Urteil derart ab, daß es - unter Einschluß der unbekämpft gebliebenen Abweisung des auf Zahlung von S 10.891,70 s.A. gerichteten Begehrens - die eingeklagten Forderungen mit S 123.557,30 s.A. (darin enthalten die gegen den Zweitbeklagten eingeklagten S 28.017,-- s.A.) als zu Recht bestehend, die darüber hinaus eingeklagten Forderungen sowie die eingewendete Gegenforderung (bis zur Höhe der eingeklagten Forderungen) als nicht zu Recht bestehend erkannte und demgemäß unter Abweisung eines Mehrbegehrens von S 209.196,70 s.A. die Erstbeklagte zur Zahlung von S 123.557,30 und den Zweitbeklagten zur Zahlung der im letztgenannten Betrag enthaltenen S 28.017,-- s.A. zur ungeteilten Hand mit der Erstbeklagten verurteilte. Das Berufungsgericht sprach - unter Hinweis auf § 502 Abs 4 Z 1 ZPO in den Entscheidungsgründen - aus, daß die Revision hinsichtlich der Erstbeklagten unzulässig sei.

Zur Einrede mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses wegen Vorliegens eines vollstreckbaren Notariatsaktes - dem einzigen im Revisionsverfahren noch entscheidungswesentlichen

Rechtsproblem - führte das Berufungsgericht aus, die Kläger hätten schon deswegen Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung über ihr Begehren auf Zahlung des Restkaufpreises, weil im Umfang eines Teilbetrages von S 500.000,-- nachträglich die im vollstreckbaren Notariatsakt vereinbarten Zahlungsmodalitäten geändert worden seien und auch die Auslegung des Notariatsaktes in bezug auf die Frage strittig sei, ob im Kaufpreis von S 1,300.000,-- die Umsatzsteuer enthalten sei oder nicht.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die Erstbeklagte nur in bezug auf die Berechtigung der Einwendung mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses der klagenden Parteien wegen Vorliegens eines vollstreckbaren Notariatsaktes (ordentliche) Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen, in eventu es zurückzuweisen.

Die klagenden Parteien beantragen in erster Linie, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Zur Zulässigkeit:

Der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschied, übersteigt auch bezüglich der Erstbeklagten allein

S 300.000,--. Da der die Erstbeklagte belastende bestätigende Teil des Streitgegenstandes S 60.000,-- übersteigt und daher die Revision nicht nach § 502 Abs 3 ZPO unzulässig ist, ist sie nach § 502 Abs 4 Z 2 ZPO als ordentliche Revision zulässig. Der vom Berufungsgericht gemäß § 500 Abs 3 ZPO getroffene Ausspruch darüber, ob die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig ist, wird vom Gesetz unter anderem nur für den Fall vorgesehen, daß die Revision nicht schon nach § 502 Abs 4 Z 2 ZPO jedenfalls zulässig ist. Eine nach der letztgenannten Gesetzesstelle zulässige Revision wird daher von einem solchen Ausspruch - entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Rechtsmeinung - nicht betroffen. Der im konkreten Fall vom Berufungsgericht getroffene Unzulässigkeitsausspruch ist daher gegenstandslos.

2. Zur Hauptsache:

Herrschende Lehre (Fasching, Kommentar III 171; derselbe im Lehrbuch Rdz 742) und Rechtsprechung (SZ 17/153, 21/123 und 25/143) schreiben einem vollstreckbaren Notariatsakt nicht die Wirkungen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zu. Das Vorhandensein eines vollstreckbaren Notariatsaktes rechtfertigt daher nicht die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache. Wohl aber kann in einem solchen Fall einem Kläger, dem bereits ein Exekutionstitel in Form eines vollstreckbaren Notariatsaktes zur Verfügung steht, das Rechtsschutzinteresse an einer neuen Klage fehlen. Dies kann der Beklagte durch eine Sacheinrede geltend machen, die im Falle ihrer Berechtigung zur Abweisung des Klagebegehrens führen müßte (Fasching, Lehrbuch Rdz 742). Es kann dahingestellt bleiben, ob nicht ein solches Rechtsschutzinteresse in jedem Fall zu bejahen ist, weil die Urteilswirkung über das mit dem vollstreckbaren Notariatsakt verbundene Recht zur Zwangsvollstreckung insoweit hinausgeht, als mit dem Urteil auch materielle Rechtskraft verbunden ist (Böhm in JBl. 1974, 6 - insbesondere FN 49 letzter Satz). Unbillige Kostenfolgen könnten einen Beklagten in einem solchen Fall schon wegen der Bestimmung des § 45 ZPO nicht treffen. Der Beklagte, der durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage keinen Anlaß gegeben hätte, könnte nämlich den erhobenen Anspruch sofort bei der ersten Tagsatzung anerkennen und auf diese Weise bewirken, daß alle Prozeßkosten dem Kläger zur Last fallen.

In der hier zu beurteilenden Rechtssache sind die Parteien nachträglich von dem durch Notariatsakt geschlossenen Vertrag teilweise abgegangen und waren über seine Auslegung über den Umfang bereits erbrachter Leistungen sowie das Erlöschen der Verpflichtung wegen bestehender Gegenforderungen uneinig. Bei dieser Sachlage ist es ausgeschlossen, das Rechtsschutzinteresse der klagenden Parteien an einer gerichtlichen Entscheidung darüber, was ihnen die Erstbeklagte aus diesem Vertrag noch schulde, zu verneinen. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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