OGH 7Ob700/89

OGH7Ob700/8930.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. Horst Joachim K***, geboren am 1.Dezember 1930, Unternehmensberater, Frohnleiten, Quellenweg 28, vertreten durch Dr. Gottfried Eisenberger und Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Maria Luise K***, geboren am 11. November 1930, Angestellte, Düsseldorf, Luisenstraße 3, Bundesrepulbik Deutschland, vertreten durch Dr. Anton Kern, Rechtsanwalt in Frohnleiten, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 25.September 1989, GZ 1 R 180/89-42, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Frohnleiten vom 8.Jänner 1989, GZ 1 C 22/87-36, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst wie folgt entschieden:

"Beiden Berufungen wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß sie zu

lauten hat:

Die zwischen den Streitteilen am 21.6.1963 vor dem Standesamt Düsseldorf geschlossene Ehe wird mit der Wirkung geschieden, daß sie mit Rechtskraft dieses Urteiles aufgehoben ist.

Die Anträge beider Teile auf Ausspruch eines Verschuldens werden abgewiesen."

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger für das gesamte Verfahren Barauslagen von 875 S binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Im übrigen werden die Verfahrenskosten gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 21.6.1963 in Düsseldorf miteinander die Ehe geschlossen. Diese Ehe blieb kinderlos. Damals hatten beide Ehegatten die deutsche Staatsbürgerschaft. Dem Kläger wurde mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 14.12.1981 die österreichische Staatsbürgerschaft mit Wirkung vom 1.1.1982 verliehen, während die Beklagte bundesdeutsche Staatsbürgerin verblieb. Der letzte gemeinsame Wohnsitz beider Ehegatten war in Düsseldorf. Die häusliche Gemeinschaft ist seit 1975 aufgehoben. Seit dieser Zeit wohnt der Kläger in Österreich. Die Beklagte wohnt nach wie vor in Düsseldorf.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger ursprünglich die Scheidung der Ehe nach § 55 EheG. Die Beklagte hat der Scheidung nicht widersprochen, jedoch beantragt, gemäß § 61 Abs.3 EheG das Alleinverschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. In der Folge hat der Kläger sein Scheidungsbegehren zusätzlich auf den Ehescheidungsgrund des Ehebruches gestützt. Für den Fall der Verneinung dieses Scheidungsgrundes und einer Scheidung der Ehe nach § 55 EheG beantragte er den Ausspruch des überwiegenden Mitverschuldens der Beklagten an der Ehezerrüttung. Das Erstgericht hat die Ehe nach österreichischem Recht aus beiderseitigem gleichteiligen Verschulden geschieden, wobei es von einem beiderseitigen Ehebruch ausgegangen ist.

Das Berufungsgericht hat die erstgerichtliche Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben. Es führte hiebei aus, daß nach § 20 Abs.1 IPRG in Verbindung mit § 18 IPRG das Scheidungsbegehren nach deutschem Recht zu beurteilen sei, weil das letzte gemeinsame Personalstatut der beiden Ehegatten das bundesdeutsche gewesen sei und die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hätten. Da als Scheidungsgrund auch § 55 EheG herangezogen worden sei und bei dem gegebenen Sachverhalt eine Scheidung der Ehe auch nach deutschem Recht möglich wäre, komme der Ausnahmetatbestand des § 20 Abs.2 IPRG nicht in Frage. Es spiele keine Rolle, daß als zusätzlicher Scheidungsgrund auch § 47 EheG ins Treffen geführt worden sei. Maßgebend sei nur, ob nach dem gemäß § 20 IPRG anzuwendenden Recht die Scheidung der Ehe aus einem der herangezogenen Gründe überhaupt möglich sei. Dies müsse hier bejaht werden. Aus diesem Grunde habe das Erstgericht die Rechtssache zu Unrecht nach österreichischem Recht beurteilt. Vielmehr sei deutsches Scheidungsrecht anzuwenden. Da die diesbezüglichen Vorschriften des BGB nicht erörtert worden seien, erweise sich das erstgerichtliche Verfahren als mangelhaft.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist im Ergebnis gerechtfertigt. Daß im vorliegenden Fall nach den Bestimmugen der §§ 18 und 20 IPRG grundsätzlich die Bestimmungen des BGB für die Beurteilung des Scheidungsbegehrens heranzuziehen sind, hat das Berufungsgericht richtig dargelegt. Fraglich könnte höchstens sein, ob der Ausnahmetatbestand des § 20 Abs.2 IPRG vorliegt. Nach dieser Bestimmung ist die Scheidung nach dem Personalstatut des klagenden Ehegatten im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen, wenn nach dem sonst zur Anwendung kommenden ausländischen Recht die Ehe auf Grund der geltend gemachten Tatsachen nicht geschieden werden kann. Diese Ausnahmsbestimmung hat der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung (SZ 59/22) dahin ausgelegt, daß das IPRG in § 20 einen favor divortii festsetzt, weshalb bei der Frage des anzuwendenden Rechtes immer darauf Bedacht zu nehmen sei, nach welchem Recht die Scheidung der Ehe bei Berücksichtigung der geltend gemachten Scheidungsgründe und des behaupteten Sachverhaltes problemloser möglich wäre. Eine Stütze für diese Rechtsansicht kann in einer Abhandlung Schwimanns (Das neue Internationale Eherecht Österreichs, JBl.1979, 352 f) gefunden werden. In der erwähnten Entscheidung gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß zwar die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit deutschen Rechtes vorlägen, dieses Recht aber eine sofortige Scheidung aus Verschulden nicht kenne und die Voraussetzungen für eine Zerrüttungsscheidung nach deutschem Recht noch nicht erfüllt seien. Aus diesem Grunde spreche der erwähnte favor divortii im konkreten Fall für die Anwendung österreichischen Rechtes unter Heranziehung des Ausnahmetatbestandes des § 20 Abs.2

IPRG.

Die erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wurde von verschiedenen Autoren (Verschraegen in ZfRV 1987, 188, Schwind IPRax 1987, 51 f und Pfersmann, ÖJZ 1989, 436 f) einer heftigen Kritik unterzogen. Die erwähnten Autoren vertreten die Rechtsansicht, die Ausnahmsbestimmung des § 20 Abs.2 IPRG komme nur dann zum Tragen, wenn nach dem behaupteten Sachverhalt eine Scheidung nach dem sonst anzuwendenden Recht grundsätzlich ausgeschlossen sei, nicht aber schon dann, wenn das österreichische Recht leichtere Bedingungen für eine Scheidung vorsehe. Im vorliegenden Fall kann eine endgültige Erörterung der Frage, welcher der beiden geschilderten Rechtsansichten der Vorzug zu geben ist, unterbleiben. Von dem Sachverhalt der SZ 59/22 unterscheidet sich nämlich der vorliegende Sachverhalt insoferne, als hier eine Trennung der Ehegatten seit mehr als drei Jahren feststeht. Nach § 1566 BGB wird unwiderlegbar vermutet, daß die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Dies führt aber nach § 1565 BGB zur Scheidung der Ehe wegen Zerrüttung. Nach dem festgestellten Sachverhalt wäre daher die vorliegende Ehe nach deutschem Recht auf jeden Fall zu scheiden. Auch die Berücksichtigung des favor divortii würde demnach im konkreten Fall selbst bei großzügiger Auslegung des § 20 Abs.2 IPRG nicht die Notwendigkeit einer Beurteilung der Rechtssache nach österreichischem Recht begründen. Daß aber § 20 Abs.2 IPRG nur eine Erleichterung der Scheidung der Ehe an sich, nicht aber die Erleichterung der Scheidung nach einem bestimmten Ehescheidungsgrund bewirken soll, ergibt sich aus dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung und wird auch von der Entscheidung SZ 59/22 eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Selbst wenn man demnach der Rechtsansicht der SZ 59/22 folgt, käme man nicht zur Bejahung des Ausnahmstatbestandes nach § 20 Abs.2 IPRG. Dies führt aber dazu, daß, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, die Rechtssache nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Wie bereits oben dargelegt wurde, kennt das deutsche Recht keine Entscheidung wegen Verschuldens, sondern nur eine Ehescheidung wegen Zerrüttung (§ 1565 BGB). In diesem Zusammenhang wurde sowohl von Schwind als auch von Pfersmann (jeweils aaO) die Frage aufgeworfen, ob der Ausschluß der Möglichkeit einer Scheidung wegen Verschuldens gegen die Grundsätze des österreichischen Rechtes verstößt oder nicht. Pfersmann beruft sich hier auf Schwind, der einer Bejahung dieser Frage grundsätzlich nicht ablehnend gegenübersteht, jedoch einen Verstoß gegen den ordre public nur in krassen Fällen in Betracht zieht. Inwieweit der vorliegende Fall besonders kraß sein könnte, ist nicht ersichtlich.

Im übrigen vertritt der erkennende Senat die Rechtsansicht, daß der Ausschluß der Möglichkeit einer Scheidung wegen Verschuldens mit den tragenden Grundsätzen des österreichischen Rechtes ohne weiters vereinbar ist. Gerade Schwind weist in dem erwähnten Artikel darauf hin, daß die diesbezüglichen Auffassungen einem raschen Wandel unterliegen. Während man seinerzeit den favor matrimonii zu den tragenden Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung rechnete, wird jetzt umgekehrt der favor divortii als solcher Grundsatz bezeichnet. Nicht nur die Entwicklung der allgemeinen Anschauung sondern auch die des Scheidungsrechtes hat dazu geführt, daß auch in Österreich die Scheidung ohne Ausspruch eines Verschuldens gegenüber der Scheidung wegen Eheverfehlungen immer mehr an Gewicht gewinnt. Gerade die Einführung des Institutes der einvernehmlichen Scheidung läßt erkennen, daß das Scheidungsrecht nicht mehr in erster Linie vom Verschuldensprinzip getragen werden soll. Dazu kommt, daß die Folgen der Ehescheidung nach österreichischem Recht in vielen Belangen vom Verschuldensausspruch im Ehescheidungsurteil unabhängig sind. Dies gilt einerseits bezüglich der persönlichen Beziehungen der Ehegatten zu Kindern und andererseits auch zum größten Teil bezüglich der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse und Schulden. Lediglich für das Unterhaltsrecht kann der Verschuldensausspruch von ausschlaggebender Bedeutung sein. Daß jedoch eine fremde Rechtsordnung die Folgen einer Ehescheidung abweichend von der österreichischen Rechtsordnung regelt, ist an sich noch kein Umstand, der die ausländische Regelung als dem österreichischen ordre public widersprechend erkennen ließe. Dazu kommt, daß im Ergebnis die deutsche Regelung nicht so entscheidend von der österreichischen Regelung abweicht, daß überhaupt grundlegende Differenzen zu erkennen wären. Zwar ist die deutsche Unterhaltsregelung grundsätzlich vom Verschulden an der Ehescheidung unabhängig, doch sieht § 1579 BGB einen Ausschluß des Unterhaltsanspruches bei grober Unbilligkeit vor, wobei unter den dort genannten Gründen auch solche aufscheinen, die mit dem Verhalten während der Ehe im Zusammenhang stehen. Das BGB sieht einen Versorgungsausgleich vor (§ 1587). Entsprechend den Bestimmungen der §§ 81 ff EheG trifft das BGB (§§ 1363 ff) Regelungen hinsichtlich des ehelichen Vermögens. Daß diese inhaltlich den österreichischen Bestimmungen nicht zur Gänze entsprechen, ist kein Grund, sie als mit den Grundprinzipien der österreichischen Rechtsordnung als unvereinbar anzusehen. Der Oberste Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, daß der Umstand, daß das deutsche Recht eine Scheidung der Ehe wegen Eheverfehlungen nicht vorsieht, kein Hindernis für eine Scheidung der Ehe nach deutschem Recht in Österreich darstellt. Geht man im vorliegenden Fall davon aus, daß das Scheidungsbegehren nach deutschem Recht zu beurteilen ist, so erübrigt sich eine weitere Erörterung durch die Vorinstanzen. Es steht nämlich fest, daß die Voraussetzungen für eine Ehescheidung nach § 1566 Abs.2 BGB erfüllt sind. Umstände, die allenfalls die Anwendung der Härteklausel des § 1568 BGB begründen könnten, sind nicht hervorgekommen. Dazu kommt, daß beide Ehegatten die Scheidung der Ehe anstreben. Es ist daher nicht ersichtlich, was noch erörtert werden müßte, um eine Entscheidung über das Klagebegehrens zu ermöglichen. Beide Berufungen haben sich ausschließlich mit Umständen befaßt, die nur für die Scheidung der Ehe wegen einer Eheverfehlung oder für einen allfälligen Verschuldensausspruch von Bedeutung sein können. Da das hier anzuwendende deutsche Recht im Ehescheidungsverfahren die Erörterung dieser Fragen ausschließt, sind die in den Berufungen dargelegten Umstände für die Entscheidung bedeutungslos. Welche weitere Erörterung bei dieser Sachlage noch notwendig sein sollte, ist nicht ersichtlich.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist demnach die Sache dahin spruchreif, daß die Ehe ohne Ausspruch eines Verschuldens zu scheiden und das Begehren auf Ausspruch eines Verschuldens abzuweisen war. In diesem Sinne konnte der Oberste Gerichtshof gemäß § 519 Abs.2 ZPO bereits eine endgültige Sachentscheidung fällen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 45 a Abs.1 EheG. Dem Kläger waren die Hälfte der in § 43 Abs.1 ZPO genannten, von ihm getragenen Barauslagen zu ersetzen.

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