OGH 9ObS27/89

OGH9ObS27/8922.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso und Margarethe Heidinger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolfgang B***, Angestellter, Klagenfurt, Sonnengasse 12, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** V***, Wien 4.,

Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 37.486,96 S netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juni 1989, GZ 31 Rs 127/89-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.Oktober 1988, GZ 7 Cgs 1000/88-20, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung eines Betrages von 37.486,96 S netto) aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war vom 10.10.1983 bis 2.2.1984 bei der T*** Handelsgesellschaft mbH als Angestellter beschäftigt. Im November 1983 erlitt er einen schweren Unfall und war bis 2.6.1985 arbeitsunfähig. Wegen dieses Krankenstandes wurde er von seinem damaligen Arbeitgeber zum 2.2.1984 unter der Zusage der Wiedereinstellung nach Ende des Krankenstandes gekündigt und bezog nach Ende des Dienstverhältnisses bis 2.6.1985 Krankengeld. Ab 1.1.1985 wurde das Unternehmen von der E*** Warenhandelsgesellschaft mbH betrieben, wobei sich lediglich die Firma des Unternehmens, nicht jedoch der Betriebsgegenstand und Betriebssitz änderten. Alle Arbeitnehmer wurden in das neue Unternehmen unter Anrechnung der Vordienstzeiten und ohne jede Änderung der Bedingungen ihrer Arbeitsverträge übernommen. Der Kläger wurde ab 3.6.1985 in diesem Unternehmen eingestellt, wobei die damalige Geschäftsführerin ihm ausdrücklich die Anrechnung seiner Vordienstzeiten beim Vorgängerunternehmen und auch seines Krankenstandes als Arbeitszeit mündlich zusagte. Ab 28.1.1987 wurde der Kläger zum Geschäftsführer dieses Unternehmens bestellt, aus dem er nach der am 25.3.1987 erfolgten Konkurseröffnung am 2.6.1987 infolge Kündigung durch den Masseverwalter ausschied. Der Kläger bezog zuletzt bei seinem Arbeitgeber ein Gehalt von 13.305 S netto monatlich 14mal jährlich. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Insolvenzausfallgeld für Abfertigung im Ausmaß von 2 Monatsgehältern wurde von der beklagten Partei abgewiesen.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Betrages von 37.486,96 sA an Insolvenzausfallgeld für Abfertigung im Ausmaß von 2 Monatsgehältern. Unter Berücksichtigung der Anrechnung der Vordienstzeiten übersteige seine Dienstzeit bis zur Bestellung zum Geschäftsführer 3 Jahre, sodaß die Voraussetzungen für den Abfertigungsanspruch erfüllt seien.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Eine Anrechnung von Vordienstzeiten sei nicht erfolgt. Die Zeit der Geschäftsführertätigkeit des Klägers bei seinem ehemaligen Arbeitgeber sei nicht zu berücksichtigen. Eine ununterbrochene 3jährige Dienstzeit liege nicht vor.

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt. Gemäß § 23 Abs 3 AngG seien die Dienstzeiten des Klägers bei den beiden genannten Unternehmen zusammenzurechnen und die Zeit des infolge der Kündigung außerhalb des Dienstverhältnisses verbrauchten Krankenstandes zufolge der ausdrücklichen Anrechnungsvereinbarung hinzuzurechnen, wodurch sich schon bis zum Beginn der Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer eine mehr als 3jährige Dienstzeit ergebe. Der Anspruch werde vom Kläger daher zu Recht geltend gemacht. Das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Partei das Ersturteil lediglich im Sinne einer Abweisung des Zinsenbegehrens ab, gab der Berufung jedoch im übrigen nicht Folge, wobei es im wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes beitrat. Es sei bereits bei Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer eine Dienstzeit von 3 Jahren vorgelegen. Daß der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung Geschäftsführer gewesen sei, sei rechtlich bedeutungslos. Seine Organstellung allein schließe nicht Insolvenzausfallgeld für solche privatrechtlichen Ansprüche aus, die aus einem vor dieser Organstellung bestehenden Arbeitsverhältnis erwachsen seien. Dem Kläger stehe daher ein Abfertigungsanspruch in der Höhe von 2 Monatsgehältern zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn des Eventualantrages berechtigt. Der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Rechtsansicht, daß im Hinblick auf die Rückziehung der ursprünglichen Bestreitung des vom Kläger geltend gemachten Abfertigungsanspruch durch den Masseverwalter die Frage, ob hiefür Insolvenzausfallgeld gebühre, nicht mehr geprüft werden könne, kann nicht beigetreten werden. § 1 Abs 3 IESG führt die Ansprüche an, hinsichtlich derer ein Ausschluß von der Leistung von Insolvenzausfallgeld festgesetzt wird. Gemäß § 7 Abs 1 IESG ist das Arbeitsamt bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruchs an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden (vgl auch §§ 38, 69 Abs 1 lit c AVG). Eine solche Bindung kommt auch der insolvenzrechtlichen Feststellung des gesicherten Anspruchs zu. Soweit diese Feststellungswirkung reicht, ist eine eigene Beurteilung durch das Arbeitsamt nicht zulässig; dieses ist vielmehr verpflichtet, die so entschiedene Frage bzw die insolvenzrechtliche Feststellung des gesicherten Anspruchs seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden. Sie hat hiebei zu prüfen, ob nach den anspruchsbegründenden Feststellungen des Urteils bzw der anerkannten Anmeldung ein Anspruch vorliegt, der seiner Art nach (§ 1 Abs 2 IESG) zu den gesicherten gehört. Wie der Oberste Gerichtshof zu 9 Ob S 15/88 ausgeführt hat, ist das Arbeitsamt bei der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen in allen Fragen, die im gerichtlichen Verfahren (als dort nicht anspruchsbegründend) von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft wurden, frei. Das gilt insbesondere auch für die Anspruchsbegrenzung des § 1 Abs 3 Z 3 IESG, also für die Frage, ob sich der Arbeitnehmer auf eine Kündigungsentschädigung anrechnen lassen muß, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Unter Berufung auf Schwarz-Holzer-Holler,

Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2 170, Dirschmied, RdA 1980 383 und Arb.10.098 führte der Oberste Gerichtshof aus, daß diese Frage, die das Gericht bei der Beurteilung des privatrechtlichen Anspruchs gegen den Arbeitnehmer nur über Einwendung aufzugreifen hat, im Verfahren vor dem Arbeitsamt von Amts wegen zu prüfen ist. Eine Überprüfungsbefugnis des Arbeitsamtes auf Vorliegen von Ausschlußtatbeständen im Sinn des § 1 Abs 3 IESG wurde daher auch für den Fall anerkannt, daß über die Forderung bereits ein rechtskräftiger Titel vorliegt, sofern bei Beurteilung des privatrechtlichen Anspruchs über eine entsprechende Einwendung nicht rechtskräftig abgesprochen wurde.

Dieser dort für den Fall des § 1 Abs 3 Z 3 IESG ausgesprochene Grundsatz gilt aber für alle Fälle des § 1 Abs 3 IESG. Auch der Erwerb eines Anspruchs allenfalls durch eine anfechtbare Rechtshandlung wäre im Falle der Geltendmachung eines hierauf gegründeten Anspruchs durch den Arbeitnehmer im gerichtlichen Verfahren nur über Einwendung wahrzunehmen. Bleibt mangels entsprechender Einwendung im Titelverfahren ungeprüft, ob der Anspruch durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde, so unterliegt die Frage, ob dieser im § 1 Abs 3 Z 1 IESG besonders normierte Ausschlußgrund vorliegt, der Prüfung durch das Arbeitsamt bzw im Rahmen der sukzessiven Kompetenz (§ 65 Abs 1 Z 7 ASGG) der Prüfung durch das Gericht.

Hier hat allerdings die beklagte Partei bloß bestritten, daß die zu berücksichtigende Dienstzeit in einer den Abfertigungsanspruch rechtfertigenden Dauer vorliege; eine Anrechnungsvereinbarung sei nicht getroffen worden. Das Vorliegen eines Anfechtungstatbestandes im Sinn des § 1 Abs 3 Z 1 IESG wurde nicht behauptet. Erstmalig in der Revision wurde vorgebracht, daß die Vereinbarung über die Vordienstzeitanrechnung sittenwidrig und daher bei der Beurteilung des Anspruchs auf Insolvenzausfallgeld nicht zu berücksichtigen sei. Dieses Vorbringen verstößt jedoch gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO).

Zu Recht wendet sich die Revision allerdings dagegen, daß die Vorinstanzen der Berechnung des Abfertigungsanspruchs das letzte - offenbar als Geschäftsführer - bezogene Entgelt zugrundelegten. Geht man davon aus, daß das Angestelltenverhältnis des Klägers zur beklagten Partei mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied erlosch, dann war der Kläger berechtigt, die mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig gewordene Abfertigung zu fordern. Dem Kläger ist ein unverjährbarer, erst nach dem im § 17 Abs 2 IESG angeführten Termin fällig gewordener Anspruch auf Abfertigung zuzubilligen, soweit dieser nur auf seine Tätigkeit als Angestellter zurückzuführen ist. Da nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG die Ansprüche der Mitglieder des Organs einer juristischen Person nicht gesichert sind und von den Bezügen dieser Personen gemäß § 12 Abs 1 Z 5 letzter Satz IESG auch kein Beitrag zu leisten ist, wäre es inkonsequent, die Vorstandsbezüge als Bemessungsgrundlage für den aus der Tätigkeit als Arbeitnehmer resultierenden gesicherten Anspruch heranzuziehen. Ausschließlich auf der Tätigkeit des Klägers als Angestellter beruht nämlich nur jener Teil der Abfertigung, der schon bei Beendigung des Angestelltenverhältnisses fällig wurde und nach dessen Auszahlung keinerlei weitere Abfertigungsansprüche aus diesem Zeitraum zugestanden wären (vgl Martinek-Schwarz, AngG6, 462). Da demnach als Bemessungsgrundlage für die nach dem IESG gesicherte Abfertigung nicht etwa der letzte Bezug des Klägers als Geschäftsführer, sondern dessen letztes Entgelt vor der Bestellung zum Geschäftsführer heranzuziehen ist, Feststellungen über diese Bezüge aber bisher nicht getroffen wurden, ist eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz erforderlich (9 Ob S 6/89). Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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