OGH 1Ob681/89

OGH1Ob681/8915.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Peter P***, Pensionist, 2.) Erna P***, Hausfrau, beide Tragöss-Großdorf, 3.) Hilde L***, Hausfrau, Wasendorf, Wasendorferstraße 38, alle vertreten durch Dr. Helmut Fritz, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wider die beklagten Parteien 1.) Wilhelm M***, Landwirt, 2.) Maria M***, Landwirtin, beide Alkoven, Berghamerstraße 76, beide vertreten durch Dr. Heinz Oppitz und Dr. Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen 48.393,50 S sA, infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 10. Juli 1989, GZ R 261/89-25, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Judenburg vom 9. Dezember 1988, GZ 2 C 1560/89-17, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagten betreiben in Österreich unter der Bezeichnung "Erdbeerland" Erdbeerplantagen, die im sogenannten Selbstpflückerverfahren (durch die Käufer) abgeerntet werden. Mit Vertrag vom 14. Oktober 1985 pachteten sie von den Klägern die Grundstücke 198/2, 212/2, 212/3 und 213 der EZ 19 KG Dietersdorf sowie die Grundstücke 15, 23, 57/4 und 39 der EZ 487 KG Hetzendorf in der auch den Klägern bekannten Absicht, ein "Erdbeerland" zu betreiben. Die vorgenannten Grundstücke wurden im Zuge eines Zusammenlegungsverfahrens in das Abfindungsgrundstück 40c KG Hetzendorf (Ausmaß 9,66 ha) vereinigt. Die in Pacht gegebenen Grundflächen sind mittlerer Ackerboden in durchschnittlicher Bonität; Verunkrautungen insbesondere durch Quecken sind wie überall möglich, bei Anwendung von Pflanzenschutzmitteln jedoch vermeidbar. Die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhandene Verunkrautung durch Quecken wäre auch im stehenden Getreide erkennbar gewesen. An das Abfindungsgrundstück der Kläger 40c schließt im Osten das Grundstück Abfindung 30c an, dessen nördlicher Teil vor Jahren als Schottergrube genützt wurde. Mit Schreiben vom 29. Dezember 1986 verständigten die Kläger den Erstbeklagten, die LSH F*** Baugesellschaft mbH trage sich mit dem Plan, in der Schottergrube eine Asphalt-Mischanlage zu errichten. Die Beklagten meldeten sofort massive Bedenken gegen dieses Vorhaben an. In dem bei der Bezirkshauptmannschaft Judenburg geführten Verwaltungsverfahren sprachen sich die Kläger zunächst gegen die Errichtung der Anlage aus; es wurde geltend gemacht, daß durch die Emissionen der Anlage nachteilige Auswirkungen auf die bereits angelegten Erdbeerkulturen zu erwarten seien. Mit Schreiben vom 23. Februar 1987 teilte die LSH F*** Baugesellschaft mbH der BH Judenburg mit, daß mit den Klägern eine Einigung zustandegekommen sei. Die Kläger erklärten darauf der BH Judenburg mit Schreiben vom 6. März 1987, daß sie gegen die Errichtung der Anlage keine Einwendungen erheben. Mit Bescheid der BH Judenburg vom 12. März 1987 wurde der LSH F*** Baugesellschaft mbH die gewerbebehördliche Genehmigung zur Errichtung der Heißmischanlage und Kiesaufbereitungsanlage erteilt. Die Kläger begehren den Betrag von 48.393,50 S sA als den seit 1. April 1987 fälligen restlichen Pachtzins.

Die Beklagten beantragen Abweisung des Klagebegehrens. Die von der am Nachbargrundstück von der LSH F*** Baugesellschaft mbH geplanten Anlage ausgehenden Emissionen ließen die Weiterführung einer nach dem Selbstpflückerverfahren geführten Erdbeerplantage unvertretbar erscheinen. Die gepachteten Flächen seien demnach zum bedungenen Gebrauch nicht tauglich, sodaß die Aufhebung des Vertrages erklärt worden sei. Im Hinblick auf die Weigerung der Kläger, die Aufhebungserklärung zur Kenntnis zu nehmen, hätten sie die gepachteten Flächen weiterverpachtet und einen Pachtschilling von 5.000 S pro Hektar erzielt; der Betrag von 52.250 S sei den Klägern übermittelt worden. Die von den Klägern verpachteten Grundflächen seien auch stark verunkrautet gewesen, weshalb die Beklagten genötigt gewesen seien, umfangreiche Sanierungsarbeiten durchzuführen. Die hiefür erforderlichen Kosten in der Höhe des Klagsbetrages wurden aufrechnungsweise geltend gemacht.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab und stellte fest:

Die Beklagten, die bereits drei Hektar der Pachtfläche in Kultur genommen hatten und im Jahre 1987 die erste Ernte erwarteten, hätten sowohl bei der BH Judenburg als auch bei der LSH F*** Baugesellschaft mbH angefragt, wann mit der Errichtung der Anlage zu rechnen sei, und die Antwort erhalten, daß die Errichtung "in Kürze" erfolgen werde. Sie hätten sich zur Auflösung des Pachtvertrages entschlossen, weil eine Erdbeerplantage im Selbstpflückerverfahren neben einer Asphaltmischanlage erfolgversprechend nicht betrieben werden könne. Es hätten auch die Kosten der Werbung für den Standort aus den Erträgnissen der Ernte eines Jahres nicht abgedeckt werden können, sodaß die Beklagten genötigt gewesen seien, die vorhandene Erdbeerkultur umzuackern. Für das Jahr 1987 hätten die Kläger den Vertragsrücktritt nicht akzeptiert. Die Beklagten hätten das Bestandobjekt zum ortsüblichen Preis weiterverpachtet und den Pachtertrag von 52.200 S den Klägern überwiesen.

In rechtlicher Hinsicht führt der Erstrichter aus, der Betrieb der Erdbeerplantage in der Form, daß die Käufer die Früchte selbst abernten, sei Geschäftsgrundlage gewesen. Die Errichtung einer Asphaltmischanlage hätte in einer umweltbewußten Zeit zur Folge, daß niemand die in unmittelbarer Nähe einer solchen Anlage wachsenden Erdbeeren kaufen würde. Die Kläger hätten die Einwendungen gegen die Errichtung der Anlage aufrechterhalten und die Beklagten in der Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche gegen die LSH F*** Baugesellschaft mbH unterstützen müssen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Kläger Folge, hob es unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Gemäß § 1117 erster Satz ABGB sei der Bestandnehmer berechtigt, auch vor Verlauf der bedungenen Zeit von dem Vertrag ohne Kündigung abzustehen, wenn das Bestandstück in einem Zustand übergeben werde oder ohne seine Schuld in einen Zustand geraten sei, der es zu dem bedungenen Gebrauch untauglich mache. Auf ein Verschulden des Bestandgebers komme es dabei regelmäßig nicht an, sodaß dahingestellt bleiben könne, ob der an die BH Judenburg gerichteten Erklärung der Kläger vom 6. März 1987, keinen Einwand gegen die Errichtung und den Betrieb einer Misch- und Kiesaufbereitungsanlage zu erheben, ein Einfluß auf die gewerbebehördliche Entscheidung zugekommen sei. Wie der vom Sachverständigen erstellten Skizze entnommen werden könne, sei der Standort der Asphaltaufbereitungsanlage derart geplant, daß zwischen ihr und der Ostgrenze des Bestandobjektes nur 20 m Distanz bestehen. Daß dadurch trotz aller behördlichen Auflagen der von den Beklagten angestrebte Eindruck einer naturbelassenen ländlichen Idylle, wie er im Prospekt zum Ausdruck gebracht werde, restlos zerstört werde, liege auf der Hand. Notorisch sei auch, daß Begleiterscheinungen wie Bitumengeruch, Staubemission, Betriebsgeräusche und das häufige Fahren schwerer Transporter in nächster Nähe einer Asphaltaufbereitungsanlage unvermeidbar seien, weshalb das unmittelbare Nebeneinander einer solchen Anlage und einer Erdbeerplantage, auf der die Konsumenten die Früchte selbst ernten sollen, nahezu unvorstellbar erscheine. Es würden sich kaum Käufer finden, die Aug in Aug mit der Umweltbelastung Interesse an den Früchten aufbrächten. Daß sich die Errichtung der Anlage verzögert habe, könne den Beklagten nicht zur Last fallen, weil ihnen sowohl von der Bezirksverwaltungsbehörde als auch von den künftigen Betreibern der Anlage die Auskunft erteilt worden sei, daß mit der Realisierung dieses Projektes "in Kürze" zu rechnen sei, die Beklagten aber auf lange Sicht disponieren bzw. investieren mußten. Da allein die Einleitung einer Werbekampagne für einen neuen Standort derart kostspielig sei, daß der finanzielle Aufwand aus den Erträgnissen eines Jahres nicht gedeckt werden könne, könne den Beklagten nicht angelastet werden, daß sie nicht zugewartet hätten, mit welchem Nachdruck das Projekt tatsächlich vorangetrieben werde. Die Beklagten seien demnach zu Recht von einer spezifischen Untauglichkeit des Bestandobjektes ausgegangen und hätten vergeblich getrachtet, die Kläger dazu zu bewegen, die Auflösung des Bestandverhältnisses zur Kenntnis zu nehmen. Die Weiterbenützung des Bestandobjektes in Form einer Unterverpachtung sei nicht als Rücknahme der Auflösungserklärung und als Fortsetzung des Pachtverhältnisses mit den Klägern, sondern als Geschäftsführung ohne Auftrag zum Nutzen der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht zu verstehen. Die Aufhebung des Vertrages gemäß § 1117 ABGB sei demnach grundsätzlich gerechtfertigt. Im Schreiben der Beklagten vom 12. Mai 1987 sei zum Ausdruck gebracht worden, daß sie den Klägern nochmals die endgültige Kündigung des Pachtverhältnisses bekanntgeben. Es sei demnach bereits schon vor dem 12. Mai 1987 eine Auflösungserklärung erfolgt, der insofern entscheidende Bedeutung zukomme, als damit das Bestandverhältnis aufgehoben werde. Bis dahin sei von den Beklagten der Bestandzins zu entrichten. Im fortgesetzten Verfahren werde festzustellen sein, wann die Auflösungserklärung den Klägern zugekommen sei. Es werde auch die Höhe des Pachtzinses festzustellen sein. Bestehe die Klagsforderung nach dem Vorgesagten teilweise zu Recht, sei auf die geltend gemachte Gegenforderung einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Dem gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes erhobenen Rekurs der Kläger kommt Berechtigung nicht zu.

Vorauszuschicken ist, daß die Beklagten ein Vorbringen des Inhalts, der mit den Klägern abgeschlossene Bestandvertrag sei gemäß § 1117 ABGB aufgelöst worden, im Verfahren erster Instanz nicht erstattet haben. Die Beklagten machten nur einen Anspruch auf Zinsminderung geltend. Ihr Vorbringen, sie hätten die in Rede stehenden Flächen unterverpachtet, könnte auch dahin verstanden werden, daß sie mit der Fortsetzung des Bestandvertrages einverstanden waren, jedoch wegen der Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes für ihre Zwecke Mäßigung des Pachtzinses begehren. Im Rekursverfahren gehen aber die Kläger und die Beklagten davon aus, daß der Vertrag gemäß § 1117 ABGB aufgelöst worden sei; von den Klägern wird nur mehr die Berechtigung der Vertragsauflösung bekämpft.

Gemäß § 1117 ABGB ist der Bestandnehmer berechtigt, die vorzeitige Auflösung des Bestandvertrages zu erklären, wenn der Bestandgegenstand ohne sein Verschulden in einen Zustand gerät, der ihn zum bedungenen Gebrauch untauglich macht. Die Bestimmung regelt als Gegenstück zu § 1118 ABGB die vorzeitige Auflösung des Bestandverhältnisses durch den Bestandnehmer aus wichtigen Gründen. Kann der Bestandnehmer aus Gründen, die nicht in seiner Sphäre liegen, vom Bestandgegenstand nicht den bedungenen Gebrauch machen, gleichgültig ob aus Verschulden des Bestandgebers oder durch Zufall, ist die vorzeitige Aufhebung des Bestandvertrages gerechtfertigt (Würth in Rummel, ABGB, Rz 1 und 3 zu § 1117). Es muß ein Zustand eingetreten sein, durch den die Sache für den bedungenen Gebrauch untauglich wurde. Die bloße Besorgnis, es könnte in Zukunft ein solcher Zustand entstehen, begründet, wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, in aller Regel noch kein Rücktrittsrecht (MietSlg. 4992; in diesem Sinne auch die von den Klägern zitierte Entscheidung des LG für ZRS Wien MietSlg. 37.178). Im vorliegenden Fall wurde den Beklagten von der BH Judenburg und den künftigen Betreibern der Anlage, der LSH F*** Baugesellschaft mbH, mitgeteilt, daß mit der Errichtung und der Inbetriebnahme der Anlage in Kürze zu rechnen sei. Es liegen keinerlei Hinweise dafür vor, daß die LSH F*** Baugesellschaft mbH von der beabsichtigten Realisierung des Vorhabens Abstand genommen hätte. Demnach erweist sich das Bestandobjekt als für den bedungenen Gebrauch, die Anlage einer Erdbeerplantage nach dem Selbstpflückverfahren, als unbrauchbar. Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhob, müssen die Beklagten langfristig planen. Die Errichtung der Erdbeerpflanzung erfordert einen Werbeaufwand, der nach den getroffenen Feststellungen aus den Erträgnissen eines Jahres nicht gedeckt werden kann. Daß der Betrieb der Erdbeerplantage bei Errichtung der Bitumenaufbereitungsanlage unmöglich ist, wird auch von den Klägern nicht in Zweifel gezogen. Demgemäß war gemäß § 1117 ABGB die Aufhebung des Vertrages schon in dem Zeitpunkt gerechtfertigt, als mit hinreichender Sicherheit angenommen werden konnte, daß der künftige Betrieb der Erdbeerplantage unmöglich sein wird. Das Verfahren bedarf daher der Ergänzung in der vom Berufungsgericht aufgezeigten Richtung.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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